Am Jenseits - Karl May 5 стр.


»Entweder hat dieser Mann kein gutes Gewissen, oder er ist ein stolzer, eingebildeter Moslem in hoher Stellung in Mekka. Vielleicht ist auch beides zu gleicher Zeit der Fall; aber recht hat er doch gehabt: Er bedarf unserer Hilfe, und wir müssen sie ihm bringen, ohne ihn vorher nach allem ausgefragt zu haben. Glücklicherweise sind wir mit Wasser so reichlich versehen, daß diese Wohltätigkeit uns nicht selbst in Gefahr bringen wird. Reiten wir also hin!

Wir bogen daher von unserem Wege ab und ließen uns von Omar Ben Sadek nach der betreffenden Stelle führen, die wir nach vielleicht drei Viertelstunden erreichten. Da lagen die Kamele noch so, wie sie sich vor Erschöpfung niedergeworfen hatten; die Höcker waren abgezehrt, man sah nicht die geringste Lippenbewegung des Wiederkäuens. Die fünf Männer hockten in einem engen Kreise, in dessen Mitte man den noch immer verhüllten Toten in sitzende Stellung aufgerichtet hatte, in welcher er durch die tief in den Sand gesteckten, langläufigen Gewehre unterstützt und gehalten wurde. Sie beteten laut. Als wir bis ganz nahe herangekommen waren, unterbrachen sie sich, und der Vorbeter, dem die andern Satz um Satz nachsprachen, sagte in mehr befehlendem als bittendem Tone:

»Ich sehe, daß ihr Wasser und trockenes Maisstroh habt. Gebt den Kamelen zu saufen und zu fressen, und laßt uns einige volle Schläuche hier. Dann aber stört uns nicht weiter im Gebete für den, den Allah abgerufen hat!«

Das war ja außerordentlich bescheiden von diesem Manne! Hier. wo das Futter und noch viel mehr das Wasser so kostbar war, sollten wir zunächst seine Tiere tränken und sättigen und dann gleich mehrere volle Schläuche hergeben; und zwar ohne ein Wort des Dankes abzuwarten, da er uns ja die Weisung gab, sie dann nicht zu stören, also wieder fortzureiten! Halefs Hand zuckte nach der Peitsche aus Nilpferdhaut, die er stets im Gürtel hängen hatte und gern öfter in Bewegung setzte, als ich ihm erlauben durfte. Ich winkte ihm aber ab.

»Ich soll ihm nicht die Peitsche geben?« fragte er leise, aber zornig. »Ist es nicht die größte aller Unverschämtheiten von diesem Menschen, das von uns zu verlangen, was er soeben gefordert hat?«

»Allerdings; aber das ist noch kein Grund, um gleich zuzuschlagen. Du befindest dich hier unter stolzen, rachsüchtigen Arabern und nicht bei geknechteten Fellachen, bei denen man die Peitsche schwingen kann, ohne dies später blutig bezahlen zu müssen!«

»So sag, was wirst du tun?«

»Wir geben den Kamelen Wasser und Stroh; diese armen Tiere sollen nicht unter der Unverschämtheit ihrer Besitzer leiden.«

»Und diese?«

»Bekommen weiter kein Wasser, außer sie bitten uns sehr höflich darum. Wir bleiben hier lagern.«

»Hier? Bei diesen Kerls? Hamdulillah! Preis sei Allah, der dir diesen kostbaren Gedanken eingegeben hat! Denn wenn wir hier bei ihnen bleiben, werden wir wahrscheinlich etwas erleben, sie aber auch!«

»Wir hätten überhaupt nicht viel weiter reiten können, denn dann wird es Nacht, und da wir hier doch einmal einige Zeit versäumen, halte ich es für das beste, wir bleiben gleich da. Gib also deinen Leuten die nötigen Befehle!«

Da wir dieses Mal die Haddedihn bei uns hatten, brauchte ich mich um nichts zu bekümmern; es wurde mir jede Handreichung sehr gern und mit Liebe gelistet. Ich stieg also vom Hedschihn, gab die Stelle an, wohin ich meinen Teppich gelegt wünschte, und ging dann zu meinem Hengste. um ihn zu liebkosen und dabei einige Datteln knuspern zu lassen. Er war diese Aufmerksamkeit von mir gewohnt und dankbar dafür. Hierauf machte ich es mir auf meinem Teppiche bequem.

Ich saß, wie ich gewollt hatte, ganz in der Nähe der Fremden, dem Vorbeter gegenüber, den Omar Ben Sadek »den Alten« genannt hatte. Er hatte ein echtes, listiges, rücksichtsloses, gewalttätiges Mekkanergesicht und trotz seines Alters noch keine grauen Haare; vielmehr besaßen diese diejenige Färbung, welche man »Salz und Kümmel« zu nennen pflegt, also Grau und Dunkel gemischt. Der »Junge« saß an seiner Seite und war ihm so ähnlich, daß ich ihn gleich für seinen Sohn halten mußte. Er hatte etwas Unstetes, Ruheloses, Unzuverlässiges in seinen sich stets in Bewegung befindenden Augen. Die andern drei hatten nichts an sich, wodurch sie eine besondere Erwähnung verdienten. Gemein war ihnen allen die große Hinfälligkeit; wahrscheinlich waren wir grad zur rechten Zeit gekommen, sie vor dem Tode des Verschmachtens zu erretten. Ich glaubte, ihnen anzuhören, daß ihnen das laute, lange Beten schwer wurde. Warum schwiegen sie da nicht, zumal sie diese Litanei doch ganz und gar nicht nötig hatten? Die Stimme des Alten klang dumpf und mit müdem Zittern:

»O du, den unter sämtlichen Geschöpfen der Schöpfer am meisten ehrt. Bei dem Eintritte des Ereignisses, welches alle trifft, habe ich keinen, zu dem ich meine Zuflucht nehmen kann, als zu dir allein!«

Die andern beteten es ihm nach; dann fuhr er fort:

»Und wenn der Gnädige sich als strafender Vergelter offenbaren wird, wird es deiner Macht, du Gesandter Gottes, nicht unmöglich sein, mir zu helfen.

Denn zu der Fülle, welche du gespendet hast, gehört diese Welt und jene Weit, und du weißt alles, was auf der Tafel des Jenseits geschrieben steht und was die Feder geschrieben hat.

O meine Seele, keines schweren Fehltrittes wegen verzweifle an Allahs Gnade; denn wo es sich um die Vergebung handelt, da sind die schweren den leichten Sünden gleich!

Das Erbarmen meines Herrn, so hoffe ich, wird zu der Zeit, wo er es verteilen wird, in den einzelnen Spenden sich nach dem Maße der Sünde gestalten.

O, mein Herr, gib, daß meine Hoffnung bei dir bestehe und meine Rechnung sich als richtig erweise!

Und verfahre in dieser und in jener Welt gelinde und gnädig mit deinem Knechte, denn ihm ist eine Festigkeit verliehen, weiche fliehend davoneilt, wenn die grausigen Schrecknisse ihn herausfordern!

Und laß die Wolken deiner Erbarmung für und für Güsse jeder Art auf den Propheten herabsenden !«

Als er so weit gekommen war, hatten unsere Haddedihn seinen Kamelen Wasser und Maisstroh gegeben und begannen nun, sich mit der Vorbereitung des Lagers zu beschäftigen. Da unterbrach er sich, indem er die hastigen Worte an mich, den er für den Anführer halten zu müssen glaubte, richtete:

»Was sehe ich? Ihr sattelt eure Kamele ab! Das sieht ja so aus, als ob ihr hier bleiben wolltet!«

»Es sieht nicht bloß so aus, sondern es ist wirklich so: Wir bleiben da«, antwortete ich ruhig.

»Dazu habt ihr kein Recht.«

»Warum? Die Wüste ist nur Allahs Eigentum; hier diese Stelle auch. Wir haben niemanden zu fragen!«

»Auch uns nicht?«

»Nein.«

»Wir waren eher da als ihr!«

»So bleiben wir um grad so viel länger hier; dann sind die beiden Zeiten gleich!«

»Wir wünschen aber, allein zu sein!«

»Wir werden so tun, als ob ihr gar nicht vorhanden wäret, und kein Wort mit euch sprechen!«

»Aber, ihr seht, daß wir einen Toten hier haben. Leichen aber verunreinigen!«

»Uns nicht, denn wir werden ihn nicht berühren.«

»Allah gebe mir die Beherrschung meines Zornes! Du siehst und hörst doch, daß wir euch nicht bei uns haben wollen, sondern eure Entfernung wünschen!«

»Und du siehst, daß unsere Wünsche das Gegenteil erstreben; darum kann Allah nur die Erfüllung der Wünsche für die eine Partei im Buche des Lebens verzeichnet haben, und diese Partei sind wir. In das aber, was in dem Buche des Lebens verzeichnet worden ist, habt ihr euch zu fügen!«

Ich hatte immerfort in meinem freundlichsten, er aber zuletzt in einem sehr zornigen Tone gesprochen. Ich war neugierig, was sich aus diesem sehr unerquicklichen Verhältnisse entwickeln werde. Halef ging es ebenso wie mir; er hatte die Herunternahme des Tachtirwahn und die bequeme Unterbringung seiner Hanneh unter ihr kleines, schnell aufgeschlagenes Frauenzeit beaufsichtigt und kam nun, anstatt sich zu ihr zu setzen, was er bisher unterwegs stets getan hatte, zu mir, ließ einen Teppich neben dem meinigen ausbreiten und setzte sich auf demselben nieder, Dann sagte er leise:

»Warst du auf einen solchen Empfang vorbereitet, Sihdi?«

»Nein«, antwortete ich.

»Ich auch nicht. Eine solche Undankbarkeit ist geradezu beispiellos. Was wirst du tun?«

»Zunächst ruhig abwarten. Ihr Verhalten zu uns interessiert mich außerordentlich, und ihre Leichenzeremonien auch. Sei jetzt still! Ich möchte hören, was sie beten.«

Der Vorbeter begann nämlich jetzt wieder:

»Das ist Muhammed, der Herr dieser und jener Welt, der Herr der Menschen und der Dschinnen (Geister), der Herr der beiden großen, voneinander gesonderten Scharen der Menschenkinder: der Araber und der Barbaren.

Unser Prophet, den, wenn er gebietet oder wenn er verbietet, im Neinsagen wie im Jasagen niemand an Wahrhaftigkeit übertrifft.

Er ist der Geliebte, auf dessen Fürsprache wir hoffen bei jedwedem grauen Schrecknisse, dessen Gewalt wir anheimgefallen sind.

Wer sich an ihn anklammert, klammert sich an ein Seil, welches nimmer reißt.

Er übertraf die Propheten sowohl an Körpergestalt wie auch an Seelenadel, und sie kamen ihm weder an Wissen noch auch an Tugend oder Edelsinn nahe.

Sie, die alle von dem Gesandten Allahs bittend die Erlaubnis begehrten, aus dem Meere mit der Hand zu schöpfen oder das Wasser der anhaltenden Regengüsse schlürfen zu dürfen.

Und neben ihm den unterscheidenden Punkt seines Wissens oder die tonangebende Bezeichnung seiner Weisheit zur äußersten Grenze hatten, an welcher sie dastanden, ohne sie überschreiten zu können.

Ihn erkor der Schöpfer der Menschen sich zum Geliebten, nachdem Inneres und Äußeres bei ihm zur vollendeten Vollkommenheit gediehen war.

Er hat keinen neben sich, der an seinen Vorzügen teilhat, und das Wesen seiner Schönheit ist ein ungeteiltes.

Was die Christen von ihrem Propheten behaupten, das behaupte du ja nicht, sondern erkenne getrost an Lob ihm zu, was ihm anzuerkennen dir nur immer beliebt.

Und leg seiner Person jeden Adel bei, den ihr beizulegen dir in den Sinn kommt, und lege seiner Würde jede Größe bei, die ihr beizulegen du das Verlangen hast.

Denn die Vortrefflichkeit des Gesandten Gottes hat keine Grenze, so daß irgendein mit dem Munde Redender sie nicht in ihrer ganzen Grenze aussprechen könnte.

Wenn seine Wunderzeichen der Größe seiner Würde entsprechen, so wird sein Name, wenn man ihn nennt, die hingeschwundenen Totengebeine beleben.

Mit Dingen, welche der Verstand nicht begreifen kann, hat er, getrieben vom Eifer für unsere Wohlfahrt, uns verschont, und so sind wir weder dem Zweifel noch dem Wahne anheimgefallen.

Sein inneres Wesen aufzufassen, ist eine Aufgabe, welche das Vergnügen der Sterblichen übersteigt, und weder in der Nähe noch in der Ferne siehst du einen, der nicht ratlos dasteht, wenn es gilt diese Aufgabe zu lösen.

Sein inneres Wesen gleicht der Sonne, die in der Ferne sich dem Auge in verschiedener Kleinheit zeigt und in der Nähe aber das Auge blendet.

Jede Reihe von Wunderzeichen, welche die hohen Gesandten Allahs zu Tage treten ließen, ist nur von seinem Lichte her zu ihnen gelangt.

Denn er ist eine große Vortrefflichkeitssonne; sie aber sind die Sterne dieser Sonne und strahlen nur als seine Sterne ihr Licht den Menschen in die Finsternissen

Obgleich ich befürchten mußte, den Leser zu langweilen, habe ich dieses Gebet doch hierhergesetzt, weil es aus Stellen der Burda, eines der berühmtesten muhammedanischen Gedichte, besteht, welches zum Lobe Muhammeds verfaßt ist und bei Begräbnissen rezitiert wird. Es ist vielleicht für manchen interessant, ein berühmtes islamitisches Gedicht, wenn auch nur einen Teil desselben, kennen zu lernen, mit dessen Schönheiten sich, wie die Muhammedaner behaupten, kein Erzeugnis irgendeines andersgläubigen Dichters jemals vergleichen lassen dürfe!

Der »Alte« schien die Burda auswendig zu können, denn er rezitierte diese Stellen ohne Hilfe eines Buches; er war also kein gewöhnlicher Araber; er machte während des Betens überhaupt den Eindruck eines fanatischen Moslem, weicher mit den Obliegenheiten eines Geistlichen wohlvertraut ist. Dabei schweiften seine Blicke sehr oft zu uns herüber, und zwar mit einem Ausdrucke, weicher nichts weniger als freundlich genannt werden konnte. In den Augen seines Sohnes aber wohnte gar der offenbare, vor uns nicht im geringsten verheimlichte Haß.

Auch jetzt wieder hatte das Gebet auf mich den Eindruck gemacht, als ob es nicht aus innerem Bedürfnisse, aus der Seele heraus, sondern aus einem andern Grunde gesprochen werde. Es klang so müd, so abgespannt; die Leute sprachen langsam, als ob es ihnen schwer werde; sie ließen Stellen aus, welche der Vorbeter nicht ausgelassen hatte, und nun, da er eine Pause machte, legten sie sich nieder, was er als Veranlassung nahm, nicht wieder anzufangen.

Ich dachte mir, daß sie nur beteten, um uns keine Zeit zu lassen, mit ihnen zu sprechen. Sie waren wahrscheinlich gesonnen, uns keine Auskunft über sich zu geben, und da dies doch einen Grund haben mußte, glaubte ich annehmen zu dürfen, daß es kein für ihre Beurteilung vorteilhafter sei.

Während sie nun bewegungslos wie Tote dalagen, brach die Dunkelheit herein, und von unsern Haddedihn wurde das Moghreb gebetet, welches für kurze Zeit nach dem Untergange der Sonne vorgeschrieben ist. Als es dann vollständig Nacht geworden war, wurde das Aschiah oder Nachtgebet gesprochen. In beiden Fällen richteten sich die Fremden in die Knie auf und beteten mit, was sie als Muhammedaner trotz ihres sonstigen Verhaltens zu uns unbedingt tun mußten, doch taten sie es leise, ohne uns ihre Stimmen hören zu lassen, ein Zeichen von Mißachtung, weiches wir aber so ruhig hinnahmen, als ob wir es gar nicht bemerkten, Dann ging ich mit Halef zum Zelte seiner Hanneh, um ein Feuer zu machen, zu weichem wir heut unterwegs gelegentlich dürres Gezweig geschnitten hatten. Die »lieblichste und wohlschmeckendste unter allen Köchinnen des Erdkreises«, wie Halef sein Weibchen nannte, wenn von ihrer Kochkunst die Rede war, wollte uns Kaffee kochen und dann in der heißen Asche Kurß tari backen, das ist frisches Brot in kleiner Kuchenform. Wir hatten zum edlen Werke des Kaffeekochens einen Kessel mitgenommen, und die Haddedihn hielten alte ihre auch für heiße Flüssigkeiten haltbaren Lederbecher bereit, um sich ihre Portion des duftigen Getränkes geben zu lassen.

Als der Wohlgeruch desselben sich vom Feuer aus nach allen Richtungen verbreitete, wurden die Fremden wieder lebendig. Sie hielten eine kurze, leise Beratung, nach welcher der Junge aufstand und zu uns kam.

»Wir wollen auch Kaffee!« sagte er, indem er uns ein ja nicht zu kleines Kürbisgefäß hinhielt.

Er hatte das nicht etwa bittend gesagt, sondern in einem Tone. als ob er nur zu fordern brauche. Halef machte sofort Miene, aufzuspringen und ihn zornig zurechtzuweisen; ich hielt ihn aber am Arm nieder und übernahm die Beantwortung selbst, die sehr kurz und bestimmt klang:

»Der ist nur für uns. »

»Für uns auch!« behauptete der Mensch.

Ich zuckte die Achsel und sagte nichts weiter; auch Halef schwieg.

»Bekomme ich welchen?« fuhr der Unverschämte mich an.

»Nein, nein, nein, und zum vierten, fünften, zehnten und hundertsten, tausendsten Male nein!« krachte jetzt der kleine Hadschilos, der seinen Zorn nun nicht länger beherrschen konnte.

Da drehte sich der Mann scharf auf der Ferse um und ging fort. Seine Leute hatten jedes Wort gehört; sie steckten die Köpfe zusammen. Was sie da sagten, konnte uns sehr gleichgültig sein.

»Sihdi, meinst du, daß wir uns vor diesen Leuten in acht nehmen müssen?« fragte Halef.

»Nein«, antwortete ich; »gar nicht!«

»Ich auch nicht. Wir sind zweiundfünfzig wohlbewaffnete Männer und sie nur fünf verschmachtete Personen. Trotzdem aber denke ich, daß wir während der Nacht nicht alle schlafen dürfen.«

Назад Дальше