»Sihdi, meinst du, daß wir uns vor diesen Leuten in acht nehmen müssen?« fragte Halef.
»Nein«, antwortete ich; »gar nicht!«
»Ich auch nicht. Wir sind zweiundfünfzig wohlbewaffnete Männer und sie nur fünf verschmachtete Personen. Trotzdem aber denke ich, daß wir während der Nacht nicht alle schlafen dürfen.«
»Das ist natürlich auch meine Meinung. Bestimme also von deinen Leuten einige, welche einander bis früh ablösen, um munter zu bleiben!«
Später, als der Duft des Brotes sich bemerkbar machte, wurde der »Junge« wieder her zu uns geschickt.
»Gebt uns auch Brot!« forderte er in demselben Tone, in welchem er vorhin Kaffee verlangt hatte.
»Das ist auch nur für uns«, antwortete ich wieder.
»Wir wollen auch essen!«
»So eßt das, was ihr habt!«
Er mußte ohne Respektierung seines Befehles wieder fortgehen, kehrte aber bald mit einem neuen Verlangen zurück:
»So gebt uns Wasser, einen vollen Schlauch!«
»Es ist alte geworden.«
»Ich sehe doch da die Dschirab (Wasserschläuche) liegen!«
»Die sind nur noch für uns. Was wir übrig hatten, habt ihr schon bekommen.«
»Kennt ihr die Gesetze und Gebote der Wüste und der Gastfreundschaft so wenig, daß ihr uns sogar das Wasser vorenthaltet, welches wir zu verlangen haben?«
»Wir kennen alle Gesetze und Gebote, sogar die Vorschriften der Höflichkeit, welche aber euch vollständig unbekannt zu sein scheinen. Und nun mach dich fort von uns, sonst »
»Sonst fahre ich dir in die Beine, daß du nicht nur gehen, sondern in alle Winde fliegen lernst!« schrie ihn Halef, mir in die Rede fallend, zornig an. »Wasser, Brot, Kaffee! Vielleicht verlangt dieser Kerl auch noch Kawuara (Kaviar) und eine Istridiar (Auster), die so groß wie eine Tosbadschy afrita (Riesenschildkröte) ist!«
Der kleine Hadschi hatte nämlich Schildkröten, Austern und Kaviar als Delikatessen kennen gelernt, als er mit mir in Konstantinopel war. Der Mekkaner, wenn er wirklich einer war, drehte sich mit einer stolzen, wegwerfenden Handbewegung um und kehrte zu seinen Angehörigen zurück, weiche längere Zeit miteinander berieten. Als sie zu einem Entschlusse gekommen waren, stand der Alte auf und kam langsam und trotz seiner sichtlichen Schwäche in einer Haltung herbei, als ob sein hocherhobenes Haupt gewohnt sei, eine Krone zu tragen.
»Ihr habt meinen Sohn nun dreimal von euch gewiesen«, sagte er, indem er auf jedes Wort einen schweren Nachdruck legte wie einer. der das Treffen mit Kanonenschüssen einleitet, um den Hauptvorstoß dann später folgen zu lassen. »Ich frage euch, warum?«
Eigentlich war er gar keiner Antwort wert; da man aber wohltut. wenn man mit solchen Leuten so deutlich wie möglich ist, so zog ich es vor, ihn nicht warten zu lassen, und erwiderte also:
»Glaubst du denn wirklich, eine Antwort zu erhalten?«
»Natürlich!«
»Du bist nicht imstande, sie dir selbst zu geben?«
»Nein.«
»Mit diesem Worte gestehst du ein, daß du an Einsicht ein kleines Kind, an Unverstand und Unwissenheit aber ein Riese bist!
»Beleidige mich nicht! Ich bin gewöhnt, daß man sich nur der größten Höflichkeit gegen mich befleißigt!«
»Bist aber doch selbst ein Ausbund der Unhöflichkeit! Wir sind berechtigt, wenigstens, hörst du, ich sage wenigstens, dieselbe Achtung und Ehrerbietung zu verlangen, welche du, vielleicht mit weniger Recht, für dich in Anspruch nimmst!«
»Ihr ?!« dehnte er so hochmütig, daß ich ihm am allerliebsten gleich eine Ohrfeige gegeben hätte. »Doch ja, ihr wißt nicht, wer ich bin! So hört es denn, und beugt dann in Demut eure Häupter! Mein Ahne ist Qatadah; ich bin ein Nachkomme des berühmten Muhammed Abu Numehji, der hellsten Leuchte unter allen Großscherifen der heiligen Stadt Mekka. Wenn wir, seine Abkömmlinge, sterben, werden unsere Leichen in einem hochfeierlichen Umgang siebenmal um die Kaaba getragen. Weicher andere Mensch auf Allahs weiter Welt kann sich einer solchen Auszeichnung rühmen!«
»Bist du schon gestorben?«
»Nein«, antwortete er verwundert.
»Also auch noch nicht um die Kaaba getragen worden?«
»Nein.«
»So warte mit der dir sehr anzuempfehlenden Geduld, bis das geschehen ist; dann sind wir vielleicht bereit, deiner Leiche mit Achtung zu gedenken.«
»Mensch, wage nicht ! Doch, du kennst ja auch meinen Namen nicht; ich will also meinen Zorn bemeistern. Es ist auch gar nicht nötig, diesen Namen mit dem verstopften Eingang deines Ohres zu belästigen; es genügt vielmehr vollständig, dir zu sagen, daß man mich Ei Ghani (Der Reiche) nennt und daß ich der LieblingAun er Rafiqs, des jetzigen Großscherifs von Mekka, bin. Nun weißt du, wie du dich gegen mich und uns alle zu verhalten hast!«
Anspruchsvoller und eingebildeter zu sein als dieser Mann war gar nicht möglich! Um zu erfahren, wer der Tote war, hielt ich mich noch zurück und fragte:
»Auch gegen die andern? Wer sind sie?«
»Der eine ist Ben Abadilah, mein Sohn, die übrigen drei sind Männer aus der heiligen Stadt, wo ihre Namen zu den angesehensten gerechnet werden.
»Und der Verstorbene?«
»Der war ein Lieblingskind Allahs und des Propheten. Er wurde El Münedschi (Der Wahrsager) genannt, woraus du die unvergleichliche Höhe seiner Vorzüge erkennen kannst. Seiner Seele war die Gabe verliehen, den Körper zu verlassen und nach entfernten Orten und in entfernte, längst verschwundene und auch zukünftige Zeiten zu gehen, um zu sehen und zu hören, was kein anderer Sterblicher erfährt. War sie dann in den Körper zurückgekehrt, so konnte Ei Münedschi alle Geheimnisse dieser Zeiten und Orte mitteilen. Er sprach mit den Dschinn und Mlajiki (Geistern und Engeln) wie mit seinesgleichen und hatte darum Macht über den Willen und die Taten aller, mit denen er verkehrte. Nun ist er hingegangen in den Himmel Allahs, zu denen, mit denen er schon während seines irdischen Lebens verkehrte. Ich war sein bester Freund. Er wohnte in meinem Hause, wo ich ihm eine Freistatt gab, weil er blind geworden war. Ich übe die Barmherzigkeit, weiche Allah seinen Bevorzugten geboten hat, und er vergilt sie wieder. Nun weißt du, wer wir alle sind, und wirst mich und meinen Sohn um Verzeihung bitten!«
»Um Verzeihung bitten? Wenn du glaubst, daß »
Ich konnte nicht weitersprechen, denn Halef drückte mir die Hand auf den Mund und sagte nicht, sondern rief:
»Schweig, Sihdi, ich bitte dich, schweig! Ich koche nämlich so, wie vorhin der Kaffee gekocht hat, und wenn du mir nicht erlaubst, an deiner Stelle zu sprechen, so zerplatzt der Kessel augenblicklich! Darf ich? »Ja?«
»Gut, ja! Zerplatzen lassen darf ich dich doch nicht!«
»Ich danke dir, Effendi, ich danke dir! Durch diese deine Erlaubnis errettest du mich vielleicht vom Tode, denn in dem jetzigen Augenblicke des gräßlichsten Zornes würde das längere Schweigen wahrscheinlich für mich ein Gift sein, an weichem ich binnen einigen Minuten sterben müßte!«
Er war aufgesprungen; jetzt wendete er sich von mir zu El Ghani und fragte ihn in jenem scheinbar ruhigen, aber explosiven Tone, in welchem er nur im Zustande der zornigsten Aufregung zu sprechen pflegte:
»Du denkst also, daß wir euch um Verzeihung bitten werden?«
»Ja«, lautete die Antwort.
»Und vorhin hast du verlangt, wir sollen in Demut unsere Häupter beugen?«
»Ja.«
»Hund! Was bildest du dir ein! Wir beugen unsere Häupter nur vor Allah, aber vor keinem Menschen, und wenn es der Padischah selbst oder auch der Großscherif von Mekka wäre. Vor dir aber ? Ich sage dir, daß ich lieber vor der häßlichsten Kröte anbetend niederfallen würde, als daß ich meinem ehrlichen Haupte die aller, allergeringste Neigung vor dir erlaubte! Wenn du wirklich der Liebling des gegenwärtigen Großscherifs bist, so werde ich ihn schleunigst aufsuchen, um ihm zu sagen, daß er sich schnell einen anderen Liebling anschaffen möge, wenn er nicht den Gläubigen allen das unwürdige Schauspiel bereiten wolle, sich in Zeit von fünf Minuten vollständig totschämen zu müssen! Ihr Hunde und Söhne von Hunden und Urenkelskinder von Hundeahnen und Hundenachkommen waret fast verschmachtet, als wir kamen. Eure schmutzigen Seelen hingen nur noch am allerletzten und alleräußersten Barthaare mit euren verdürsteten Gliedern zusammen. Da gaben wir euch Wasser, das Kostbarste, was man in der Wüste besitzt; ihr trankt es aus, einen ganzen, großen Schlauch voll, ohne ein Wort des Dankes zu sagen. Dann verlangtet ihr Kaffee, ohne zu bitten; später warft ihr uns den Befehl. euch Brot zu geben, ins Gesicht, und endlich schicktest du uns die strenge Verordnung, euch abermals mit Wasser unter die Arme zu greifen, wieder mit einem ganzen, vollen Schlauche, obgleich wir auch eure Kamele getränkt hatten! Wo soll dieses Wasser und immer wieder Wasser herkommen? Glaubst du denn, wir können regnen lassen oder Quellen aus dem Boden der Wüste stampfen? Und das alles verlangst du in einer Weise, als ob wir nicht deine Sklaven, sondern deine Hunde seien! Du bist selber Hund und Hundeenkel, ja sogar Enkelshund! In der Albernheit deines Hochmutes meintest du, wir würden vor Erstaunen über deinen Namen augenblicklich sämtliche Mäuler aufsperren und vor Bewunderung sämtliche Finger so ausspreizen, daß sie vor freudigem Schreck wie Pfeile von den Händen flögen und gar nicht wieder zurückzukommen wagten! Wie nennt man dich denn? El Ghani, den Reichen! Kannst du uns beweisen, daß du deinen Reichtum auf ehrliche Weise erworben hast, daß er nicht mit Diebes und Betrügerhänden zusammengeraubt und zusammengestohlen worden ist? Und wenn es ein rechtmäßiger Besitz wäre, so solltest du doch wissen, daß man sich auf den Reichtum gar nichts einzubilden hat, weil man ihn von Allah nur für einstweilen geliehen bekommt, um denen wohlzutun, die nichts besitzen. Wir sind auch reich, sehr reich, jedenfalls zehnmal, hundertmal reicher als du, aber wir brüsten uns nicht damit und lassen uns noch viel weniger einen Namen daraus machen, der doch weiter nichts sein würde, als, wie bei dir, ein untrügliches, sicheres Zeichen deiner dreifach aufgeblasenen Dünkelhaftigkeit! Eigentlich sollte ich dir nicht mit dem Munde, sondern hier mit dieser Nilhautpeitsche antworten; aber deine Jammergestalt ist so mitleiderweckend und erbärmlich, daß mir die Barmherzigkeit aus allen Fingerspitzen niedertropft; darum sollst du jetzt noch ohne Hiebe davonkommen. Aber solltest du nur noch ein einzigesmal und nur von weitem wagen, dir noch einmal den Anschein zu geben, als ob wir nicht neunmal himmelhoch über dir stünden, so zerhaue ich dir das Hundefell, daß im ganzen Erdkreise nicht genug Platz für die davonfliegenden Fetzen und Haare zu schaffen ist! Nun packe dich fort und komme uns nicht wieder! Und damit du weißt, wer jetzt in so liebreicher, geduldiger Freundlichkeit mit dir gesprochen hat, so mögen dich unsere Namen nach deinem Sitze begleiten. Ich bin nämlich Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarab, der oberste Scheik der Haddedihn von dem großen Stamme der Schammar!«
Er machte das Wort von der Begleitung wahr, denn, die Peitsche drohend in der Hand, trat er bei jedem Einzelnamen den Mekkaner so auf die Zehen, daß dieser zurückwich. In dieser, für uns köstlich anzusehenden Weise folgte er ihm Schritt um Schritt, oder vielmehr Fußtritt um Fußtritt, indem er, immer die Peitsche schwingend, fortfuhr:
»Und da sitzt der erleuchtete und in aller Weit hochberühmte Hadschi Akil Schatir el Megarribnis Ben Hadschi Alim Schadschi er Rani Ibn Hadschi Dajim Maschhur el Azami Ben Hadschi Taki Abu Fadl el Mukarram!«
Man sieht, daß er meinen neuen Namen sehr gut auswendig gelernt hatte. Jedes Glied desselben ergab einen Tritt auf die Zehen El Ghanis, welcher, weil diese Schritte zu schnell aufeinanderfolgten, sich ihnen nicht entziehen konnte und, an seinem Platze angekommen, ganz erschöpft dort niedersank, ohne während des ganzen Leidensweges Gelegenheit gefunden zu haben, auch nur ein Wort hervorzubringen.
»So, da sitzest du nun in deiner ganzen, unbegreiflichen Herrlichkeit!« meinte Halef jetzt im Töne der Befriedigung. »Wenn dir der Hochmut wieder in den Füßen juckt, so brauchst du es mir bloß zu sagen; ich trete ihn dir gern aus allen Zehen!«
Er kehrte zurück und setzte sich wieder neben mich nieder.
»Sihdi«, fragte er leise, »habe ich das gut gemacht oder nicht?
»Ich bin mit dir zufrieden«, antwortete ich.
»Und du, Hanneh?«
Sie, die an seiner anderen Seite saß, erwiderte:
»Mein Halef ist gleich tapfer in Worten wie in Taten; ihm kann nicht einmal der Liebling des Großscherifs widerstehen!«
»Nein, der am allerwenigsten! Und du«, wendete er sich an seinen Sohn, der seinen Platz neben der Mutter hatte, »folge für dein ganzes Leben dem Beispiele deines Vaters, der keine Beleidigung seiner Ehre duldet, sondern der vielmehr selbst Muhammed, dem Propheten aller Moslemin, auf sämtliche Zehen treten würde, wenn diesem der Gedanke beikommen sollte, dem obersten Scheik der Haddedihn die schuldige Achtung zu verweigern.«
Das energische und für uns andere so still belustigende Verhalten des Hadschi hatte die Mekkaner so eingeschüchtert, daß sie, wenigstens für jetzt, nicht laut miteinander zu sprechen wagten. Sie saßen oder lagen still beisammen, und wenn einer etwas sagte, so geschah es so leise, daß wir es nicht hören konnten.
Das Viertel des Mondes war aufgegangen und übergoß die beiden Gruppen, die kleinere der Mekkaner und die größere der Haddedihn, mit genugsam Licht, um uns alles, was die ersteren taten, deutlich sehen zu lassen. Die verhüllte, nach Mekka gerichtete Leiche machte einen ganz eigenen Eindruck auf uns, wenigstens auf mich. Seit wann war der blinde Münedschi schon tot? Wir wußten es nicht. In der Wüste pflegt man, wie in muhammedanischen Ländern überhaupt, Verstorbene sehr schnell zu begraben. Wir mußten darauf verzichten, etwas darüber zu erfahren, denn nach dem Vorgefallenen konnte es uns nicht einfallen, ferner ein Wort mit diesen Leuten zu sprechen. Ebenso würden, so glaubten wir, sie sich vollständig schweigend gegen uns verhalten. Darum waren wir nicht wenig erstaunt, als nach einiger Zeit Ei Ghani aufstand, bis zur Hälfte zu uns herüberkam und mir die Worte zuwarf:
»Dein Name ist Hadschi Akil Schatir, wie ich gehört habe. Darf ich mit dir sprechen? »
»Ja.«, antwortete ich, verwundert darüber, daß der Anfang meines Namens trotz der Fußtritte in seinem Gedächtnisse sitzengeblieben war.
Da fiel, ohne das weitere erst abzuwarten, Halef ein:
»Aber befleißige dich ja der Ausdrücke ganz ergebenster Hochachtung, denn dieser Effendi stammt aus dem Wadi Draha im fernen Moghreb und ist der größte und berühmteste Gelehrte des Morgen, des Mittag und des Abendlandes!«
»Ich möchte gern wissen, ob ihr uns richtig gesagt habt, wer und was ihr seid.«
»Wir haben die Wahrheit gesprochen«, antwortete ich.
»Darf ich prüfen, ob du wirklich ein so großer Gelehrter bist, Effendi?«
»Ich habe nichts dagegen, obgleich du jedenfalls nicht der Mann bist, deres sonst unternehmen dürfte, mich zu prüfen.«
»Was haben wir vorhin gebetet?
»Einen Teil der Burda.«
»Von wem ist dieses Gedicht?
»Von El Buschiri.«
»Sage mir seinen vollständigen Namen!«
»Scharaf ed Din Abu Abdallah Muhammad Ben Said Ben Hammad Ben Muchsin Ben Abdallah Ben Schamhagh Ben Hilal Aschamhagi. Das ist der Name, den du wahrscheinlich selbst nicht auswendig gewußt hast.«
»Ich wußte ihn, denn jeder Gelehrte kennt ihn genau, darum weiß ich jetzt, daß du wirklich ein Gelehrter bist. Aber wie beweisest du mir, daß diese Leute auch wirklich zum Stamme der Haddedihn gehören?«
»ich habe dir gar nichts zu beweisen; es ist uns höchst gleichgültig, ob du es glaubst oder nicht.
»Dieses dein Verhalten beweist, daß es wahr ist. Nun will ich fragen, ob es euch stört, wenn wir die vorgeschriebenen Gebete über den Toten weitersprechen?«
»Die Vorschriften der Religion soll man erfüllen.«
»Werdet ihr uns noch Wasser geben?«
»Nein. Höchstens dann, wenn ihr uns darum bittet.
»Geht euer Ritt nach Mekka, der heiligen Stadt?«
»Ja. »
»Der unserige auch. Wir werden jetzt den Toten begraben und dazu beten. Dann brechen wir auf. Da ihr unsere Kamele getränkt habt, halten sie es nun bis zum Bir Hilu aus; wir aber würden verdursten, wenn wir nicht noch hier und unterwegs trinken könnten. Darum bitten wir euch noch um einen Schlauch.«
»Gut, weil du bittest, werdet ihr ihn bekommen. Ihr habt Schläuche bei euch, von denen einer gefüllt werden mag.«
»Ich danke dir!«
Er dehnte die Silben weit auseinander und legte einen ungewöhnlichen Nachdruck darauf, was mich aber nicht veranlassen konnte, mein Wort nicht zu halten. Als er an seinen Platz zurückgekehrt war und sich dort niedergesetzt hatte, begannen sie, die Haschrijeh, ein Begräbnislied, zu singen, in welchem der Jüngste Tag beschrieben wird, Es beginnt:
»Ich preise die Vollkommenheit dessen, der alles geschaffen hat, was Gestalt besitzt. Er unterwarf seine Diener dem Tode, weicher alle Geschöpfe samt den Menschen zur Vernichtung bringt.«
Als dieser in widerlich klingenden Fisteltönen vorgetragene Gesang beendet war, wühlten sie, etwas entfernt von ihrem jetzigen Platze, mit ihren Händen in dem lockeren Sande eine Grube auf, holten den Toten und legten ihn hinein. Dann knieten sie, den Vorbeter ausgenommen, dort nieder.
Dieser blieb stehen und rief:
»Kommt herbei, ihr Gläubigen, denn ich habe das Leichengebet über den verstorbenen Muslim, weicher hier anwesend ist, zu sprechen!«
Diese Aufforderung ist Vorschrift. Wir gingen zwar nicht hin, standen aber auf, weil es nach den Regeln des Islam eine unverzeihliche Sünde gewesen wäre, sitzen zu bleiben. Jetzt erhob er die Hände bis zum Kopfe, berührte mit den Daumen die Ohren und rief:
»Gott ist groß; Gott ist sehr groß.«
Die Mekkaner wiederholten diese Worte laut. Er rezitierte hierauf die Fathha, das erste Kapitel des Koran, rief nochmals »Gott ist sehr groß«, was wiederholt wurde, und fügte hinzu.
»O Gott, sei günstig unserm Herrn Muhammed, dem der Schrift unkundigen Propheten, auch seiner Familie und seinen Gefährten, und behüte sie! Gott ist sehr groß!«
Nachdem auch dieser Ruf wiederholt worden war, betete der Ghani:
»O Gott, wahrlich, das ist dein Diener und der Sohn deines Dieners. Er ist weggegangen aus dem Schlafe der Welt und ihrer Geschäftigkeit und von allem, was er liebte, und von denen, die ihn hier liebten, in die Finsternis des Grabes und zu dem, was er erfährt. Er bekannte, daß es keinen Gott gibt, als dich allein, daß du keinen Genossen hast, und daß Muhammed dein Diener, dein Gesandter sei und daß du hinsichtlich seiner allwissend seiest. O Gott, er ist hingegangen, zu wohnen bei dir, denn du bist der beste, bei dem man wohnen kann. Er bedarf deines Erbarmens, und du bedarfst seiner Strafe. Wir sind zu dir gekommen, flehend, daß wir für ihn eintreten möchten. O Gott, wenn es einer war, der Gutes tat, so rechne ihm seine guten Taten an; wenn er aber einer war, der übel tat, so rechne ihm seine bösen Taten nicht an! Gewähre in deinem Erbarmen, daß er deinen Beifall finde, und spare ihm die Prüfung des Grabes und dessen Qual; mache ihm sein Grab weit, und halte ab die Erde von seinen Seiten, und gewähre in deinem Erbarmen, daß er Sicherheit finde vor deiner Qual, bis du ihn wohlbehalten sendest zu deinem Paradiese! 0 du Erbarmendster unter denen, die sich erbarmen! Gott ist sehr groß! O Gott, verweigere uns nicht unsern Lohn für den Dienst, den wir ihm erwiesen, und führe uns nicht zur Prüfung nach ihm! Vergib uns und ihm und allen Moslemin, o Herr aller Geschöpfe!«