»So freue ich mich, dir getraut und euch mein Haus und meinen Mund nicht verschlossen zu haben. Gesegnet sei euer Kommen, und gesegnet sei euer Gehen; gesegnet sei jeder eurer Schritte, und alles, was ihr tut!«
Wir verabschiedeten uns von den Leuten, welche uns ihre Dankesworte für die erhaltene Gabe noch weit nachriefen, und kehrten zu dem Ausgangspunkt unsers kleinen Abstechers zurück, um dann der ursprünglichen Richtung wieder zu folgen.
Wir kamen zunächst weiter durch offenes Land, wo nur hier oder da ein einzelner Baum zu sehen war. Unser vorher so munterer Führer war sehr nachdenklich geworden. Als ich ihn nach der Ursache fragte, antwortete er:
»Herr, ich habe die Gefahr, in welcher ihr euch befindet, gar nicht so schwer genommen, wie sie ist. Erst jetzt erkenne ich, in welch einer schlimmen Lage ihr seid. Das macht mir Sorge. Wenn eure Feinde ganz unerwartet aus dem Hinterhalt über euch herfallen, seid ihr verloren.«
»Das glaube ich nicht; wir würden uns wehren.«
»Du hast ja gar keine Idee, mit welcher Sicherheit hierzulande der Czakan geworfen wird, und kein Mensch ist im stande, einen auf ihn geschleuderten Czakan abzuwehren.«
»Nun, ich kenne einen, der es vermag,« erwiderte ich.
»Das glaube ich nicht. Wer soll das sein?«
»Ich selbst.«
»Oh, oh!« lächelte er, indem er mich von der Seite anblickte. »Es ist jedenfalls nur ein Scherz gewesen.«
»Es war sehr ernst gemeint. Der Mann hatte es auf mein Leben abgesehen.«
»Das begreife ich nicht. Jedenfalls hat er nicht mit dem Czakan umzugehen gewußt. Gehe in die Berge; da kannst du Meister dieser fürchterlichen Waffe sehen. Lasse dir von einem echten Skipetaren oder gar von einem Miriditen zeigen, wie das Beil gehandhabt wird, und du wirst staunen.«
»Nun, der Mann, mit welchem ich es zu tun hatte, war ein Skipetar, sogar ein Miridit.«
Er schüttelte ungläubig den Kopf und fuhr fort:
»Wenn es dir gelungen ist, seinen Czakan zu parieren, so ist er dann dir gegenüber waffenlos gewesen, und du hast ihn besiegt?«
»Allerdings. Er hat sich in meiner Gewalt befunden, und ich schenkte ihm das Leben. Er gab mir dafür sein Beil, das hier in meinem Gürtel steckt.«
»Ich habe diesen Czakan bereits lange heimlich bewundert. Es ist ein außerordentlich schöner Czakan, und ich dachte, du hättest ihn irgendwo gekauft, um recht kriegerisch zu erscheinen. Trotzdem ist er unnütz in deiner Hand, denn du verstehst nicht, mit ihm zu werfen. Oder hättest du dich bereits in dieser Kunst versucht?«
»Nicht mit einem Czakan, sondern mit andern Beilen.«
»Wo ist das gewesen?«
»Weit von hier, in Amerika, wo es wilde Völker gibt, deren Lieblingswaffe das Beil ist. Von ihnen habe ich den Gebrauch desselben gelernt, und es wird dort Tomahawk genannt.«
»Aber ein Wilder kommt einem Miridit unmöglich gleich!«
»Ganz im Gegenteil. Ich glaube nicht, daß ein Skipetar seinen Czakan so geschickt zu schleudern versteht, wie ein Indianer seinen Tomahawk. Der Czakan wird in gerader, der Tomahawk aber in der Linie des Bogens geworfen.«
»Sollte das wirklich jemand zu tun vermögen?«
»Jeder rote Krieger vermag es, und auch ich.«
Seine Wangen hatten sich gerötet, und seine Augen leuchteten. Jetzt hielt er sein Pferd an, stellte es quer vor das meinige, so daß auch ich zum Anhalten gezwungen war, und sagte:
»Effendi, du mußt verzeihen, daß ich so eifrig bin. Was bin ich gegen dich! Und dennoch wird es mir schwer, deinen Worten zu glauben. Ich will dir gestehen, daß ich ein Czakanwerfer bin, der es mit jedem andern aufnimmt. Darum weiß ich, welche Jahre der Uebung es erfordert, Meister dieser Waffe zu werden. Leider habe ich mein Beil nicht bei mir.«
»Ich habe freilich noch nie einen Czakan geworfen,« lautete meine Antwort, »aber ich denke, wenn ich auch das erste oder zweite Mal das Ziel verfehle, der dritte Wurf würde gelingen.«
»Oh, oh, Herr, denke das nicht!«
»Ich denke es, und ich würde das Beil kunstreicher werfen, als du.«
»Wie so?«
»Wenn ich es werfe, so streift die Waffe eine Strecke weit ganz unten am Boden hin, dann steigt sie in die Höhe, macht einen Bogen, senkt sich nieder und trifft ganz genau dort auf, wo es meine Absicht war, zu treffen.«
»Das ist ja ganz und gar unmöglich!«
»Es ist wirklich so.«
»Effendi, ich nehme dich bei deinem Wort. Wenn ich viel Geld bei mir hätte, würde ich dich auffordern, zu wetten.«
Er war vom Pferde gestiegen. Es hatte ihn eine solche Begeisterung ergriffen, daß es mir innerlich Spaß bereitete.
»Armer Teufel!« sagte Halef, indem er eine seiner stolzen Armbewegungen machte.
»Wen meinst du damit?« fragte ihn Israd.
»Dich natürlich.«
»So meinst du etwa, daß dein Effendi die Wette gewinnen würde?«
»Ganz gewiß.«
»Hast du ihn einmal den Czakan werfen sehen?«
»Nein, aber was er will, das kann er. Sihdi, ich rate dir, mit diesem jungen Mann zu wetten. Er wird bezahlen und dich um Verzeihung bitten müssen.«
Es war eigentlich ein kleiner Unsinn, auf den Vorschlag Israds einzugehen. Wenn wir uns wegen dieser Spielerei hier verweilten, ging uns die Zeit verloren. Aber es kam auf einige Minuten doch nicht an, und sodann war ich selbst neugierig, ob es mir gelingen werde, mit dem Czakan dasselbe auszuführen, wie mit dem Tomahawk. Dieser Versuch war gar nicht überflüssig, denn es konnte sich jeden Augenblick die Veranlassung ergeben, in vollem Ernst zu dem Beil zu greifen. Da war es gut, zu wissen, ob ich mit demselben umzugehen verstehe. Darum fragte ich den Führer:
»Wie viel Geld hast du denn bei dir?«
»Fünf oder sechs Piaster nur.«
»Ich setze hundert Piaster dagegen. Welche Bedingungen stellen wir auf?«
»Hm!« antwortete er nachdenklich. »Du hast noch nie mit einem Czakan geworfen und ich bin den deinigen nicht gewohnt. Es wird also geraten sein, daß wir erst einige Versuchswürfe machen, vielleicht drei?«
»Einverstanden.«
»Dann aber hat jeder nur einen einzigen Wurf nach dem Ziel, welches wir uns stellen,« meinte er.
»Das ist zu hart. Grad dieser Wurf kann durch einen Zufall mißlingen.«
»Nun gut, also drei Würfe jeder. Wer am besten wirft, bekommt das Geld. Wir werfen nach dem nächsten Baum da vor uns. Es ist ein Dischbudak aghadschy (* Esche.). Das Beil muß in seinem Stamm stecken bleiben.«
Wir hatten unweit eines Wasserlaufes angehalten. Es war wohl derselbe Bach, welcher hinter uns in dem Tal entsprang, nach welchem unser Abstecher gerichtet gewesen war. Am Rande des Wassers standen einzelne Bäume: Eschen, Erlen und auch alte, knorrige Weiden, aus deren Häuptern junge Ruten hervorgeschossen waren. Der uns am nächsten stehende Baum war die erwähnte Esche, welche ungefähr siebzig Schritte von uns entfernt war.
Ich stieg ab und gab Israd den Czakan. Er nahm mit ausgespreizten Beinen festen Halt, drehte den Oberleib in den Hüften, als ob er die Zuverlässigkeit dieser Gelenke erproben wollte, wog das Beil prüfend in der Hand und holte dann zum Wurf aus. Das Beil flog sehr nahe an der Esche vorüber, ohne sie jedoch zu berühren.
»Dieser Czakan ist schwerer als der meinige,« entschuldigte er sich, während Halef die Waffe herbeiholte. »Das zweite Mal werde ich treffen.«
Er traf bei dem nächsten Wurf das Ziel, aber nicht mit der Schärfe des Beiles, sondern nur mit dem Stiel. Aber der dritte Probewurf gelang besser, denn die Axt traf den Stamm, leider aber nicht so, daß die Schneide in demselben stecken blieb.
»Das tut nichts,« meinte er. »Das war ja nur zur Probe. Nachher treffe ich gewiß, denn ich kenne jetzt das Beil. Nun du, Effendi!«
»Das tut nichts,« meinte er. »Das war ja nur zur Probe. Nachher treffe ich gewiß, denn ich kenne jetzt das Beil. Nun du, Effendi!«
Ich nahm mir im stillen nicht die Esche zum Ziel, sondern einen weit hinter derselben stehenden alten Weidenstamm, der gänzlich ausgehöhlt war und nur einen einzigen, grad emporstehenden Ast hatte, welcher eine kleine Krone von beblätterten Zweigen trug.
Zunächst mußte ich die Hand an das Gewicht des Czakans gewöhnen; darum geschah der Wurf ganz in derselben Weise, wie derjenige Israds gewesen war. Ich wollte die Weide nicht treffen, sondern nur Richtung nehmen. Darum flog das Beil weit links von der Esche vorüber und bohrte sich dort in den weichen Boden ein.
»O Himmel!« lachte unser Führer. »Du willst die Wette gewinnen, Effendi?«
»Ja,« sagte ich ernsthaft.
Trotzdem gerieten die beiden nächsten Probewürfe scheinbar noch schlechter, als der erste. Aber ich ließ mich mit Vergnügen von Israd auslachen, denn ich war überzeugt, daß ich, wenn es nun galt, das Ziel nicht fehlen würde.
Halef, Omar und Osko lachten nicht sie ärgerten sich im Stillen darüber, daß ich auf die Wette eingegangen war, ohne gewiß zu sein, sie gewinnen zu müssen.
»Die Probe ist vorüber,« sagte Israd. »Nun wird es ernst. Wer wirft zuerst?«
»Du, natürlich.«
»So wollen wir vorher das Geld zahlen, damit dann kein Irrtum vorkommt. Osko mag es in seine Hand nehmen.«
Der gute Mann hatte mich also im Verdacht, daß ich mich weigern würde, die hundert Piaster zu zahlen. Er war ja vollständig überzeugt, die Wette zu gewinnen. Ich gab Osko das Geld. Mein Gegner zahlte seine wenige Piaster und griff dann nach dem Beil.
Seine Fertigkeit war wirklich nicht unbedeutend. Er traf alle drei Male den Stamm, aber nur beim letzten Mal blieb die Axt in demselben stecken.
»Keinmal gefehlt,« jubelte er. »Und einmal saß der Czakan sogar fest. Mache es mir nach, Effendi!«
Jetzt mußte ich nach indianischer Art und Weise werfen, wenn ich treffen sollte. Ich holte aus, wirbelte den Czakan um den Kopf und erteilte ihm jene rotierende Bewegung, welche beim Billardspiel als »Effekt« bezeichnet wird. Das Beil sauste, sich um sich selbst drehend, am Boden hin, stieg empor, senkte sich dann plötzlich wieder nieder und fuhr in den Stamm der Esche, in welchem es sitzen blieb.
Meine Gefährten jubelten laut auf. Israd aber sagte, indem er mit dem Kopf schüttelte:
»Welch ein Zufall, Effendi! Es ist kaum zu glauben.«
»Zufall? Da irrst du dich außerordentlich,« antwortete ich.
Halef holte das Beil zurück, und ich schleuderte es noch zweimal in die Esche. Die Gefährten jubelten; Israd aber wollte noch immer nicht daran glauben, daß ich diesen Erfolg nicht dem bloßen Zufall zu verdanken habe.
»Wenn du noch nicht überzeugt bist,« sagte ich, »so will ich dir jetzt einen vollgültigen Beweis geben. Sieh die alte ausgehöhlte Weide dort hinter der Esche!«
»Ich sehe sie. Was ist's mit ihr?«
»Ich werde nach ihr werfen.«
»Herr, sie ist weit über hundert Schritte entfernt. Du willst sie wirklich treffen?«
»Nicht nur das, sondern ich will den einen Ast treffen, welchen sie hat, und zwar so, daß er höchstens eine Handbreit über dem Stamm von dem Czakan abgeschnitten wird.«
»Herr, das wäre ein Wunder!«
»Nach den bisherigen sechs Würfen ist mir die Waffe so handgerecht, daß ich gar nicht fehlen kann. Ich werde nun erst jetzt dem Czakan die richtige Doppeldrehung geben, und du wirst sehen, daß er, sobald er am Boden aufgestiegen ist, ganz plötzlich, wie mit einem Ruck, eine dreifache Schnelligkeit erhält. Paß einmal auf!«
Der Wurf gelang in der vorausgesagten Weise. Das Beil wirbelte an der Erde hin, stieg langsam empor und flog dann mit plötzlich vermehrter Schnelligkeit wieder abwärts und auf die Weide zu. Im nächsten Augenblick lag der erwähnte Ast am Boden.
»Geh hin und sieh nach!« sagte ich. »Er wird genau eine Handbreit vom Stamm abgeschnitten sein, und zwar scharf, wie mit dem Messer, denn die Schneide des Beiles hat ihn getroffen.«
Israd machte ein so verblüfftes Gesicht, daß ich hellauf lachen mußte.
»Habe ich es nicht gesagt?« rief Halef. »Was der Effendi will, das kann er. Osko, gib ihm das Geld! Es sind die Piaster des Triumphes, welche er einstecken mag.«
Natürlich nahm ich nur meinen Einsatz wieder, und Israd erhielt sein Geld zurück. Er konnte sich nur schwer beruhigen und erging sich, als wir bereits längst wieder unterwegs waren, in den verschiedensten Ausrufen der Verwunderung.
Mir aber war es lieb, gesehen zu haben, daß ich mich auf meine Hand verlassen könne.
Nach dieser kurzen Unterbrechung unseres Rittes erlitt derselbe keine weitere Störung. Es wurde Nacht, und Israd erklärte, daß wir in ungefähr einer Stunde in Treska-Konak ankommen würden.
Wir kamen wieder durch Wald, welcher glücklicherweise nicht dicht war, und dann senkte sich die Höhe. Es gab Weideland, und dann hörten wir Hunde bellen.
»Das sind die Samsunlar (* Schäferhunde.) meines Verwandten,« erklärte Israd. »Grad vor uns liegt der Konak am Fluß und links das Haus meines Schwähers. Wir wollen aber einen Bogen schlagen. Es könnte ein Knecht des Konakdschi im Freien sein und uns bemerken.«
Wir wichen nach links ab, bis wir den Fluß erreichten, und ritten nun am Ufer hin bis an das Wohnhaus des Schäfers.
Das war ein langes, niedriges, nur aus dem Erdgeschoß bestehendes Gebäude. Einige Fensterläden standen offen, und aus ihnen schimmerte Licht. Die Hunde fuhren mit wütendem Gebell auf uns los, beruhigten sich aber sogleich, als sie die Stimme Israds erkannten. Ein Mann steckte den Kopf durch das Fenster und fragte:
»Wer ist da?«
»Ein guter Bekannter.«
»Israd ist's! Frau, der Schwäher ist da!«
Der Kopf verschwand; gleich darauf wurde die Türe geöffnet, und die Alten eilten herbei, um Israd zu begrüßen. Auch der ältere Sohn kam, um ihn zu umarmen. Dann sagte der Schäfer:
»Du bringst uns Leute mit. Werden sie bei uns bleiben?«
»Ja; aber sprich nicht so laut. Der Konakdschi darf nicht merken, daß diese Männer hier sind. Sorge vor allen Dingen dafür, daß unsere Pferde in den Stall kommen.«
Es war nur ein niederer Schafstall vorhanden, in welchem ich mit dem Kopf an die Decke stieß. Mein Rappe weigerte sich, hinein zu gehen. Der Geruch der Schafe war seiner edlen Nase zuwider, und nur durch Streicheln und Zureden gelang es mir, ihn folgsam zu machen. Dann begaben wir uns in die Stube oder vielmehr in das, was man eben heute Stube nannte, denn der einzige große Raum, welchen das Wohnhaus bildete, wurde nur durch die schon oft erwähnten Weidengeflechte in verschiedene Abteilungen geschieden. Man konnte eine jede derselben durch Verschiebung dieser Scheidewände beliebig vergrößern oder verengern.
Es waren nur Vater, Mutter und Sohn zu Hause. Die Knechte befanden sich bei den Schafhürden, und Mägde gab es nicht.
Israd nannte unsere Namen und erzählte zunächst, daß wir seine Schwester gerettet hatten. Das hatte zur Folge, daß wir eine außerordentlich herzliche Aufnahme fanden. Der Sohn begab sich in den Stall, um unsern Pferden gutes Wasser und das beste Futter zu geben, und die Eltern trugen herbei, was im Hause vorhanden war, damit wir ein festliches Mahl halten könnten.
Natürlich bewegte sich das Gespräch zunächst um das, was sie am meisten interessierte, die Rettung ihrer Schwiegertochter. Dann kamen wir auf den Zweck unserer Reise zu reden, und ich erfuhr, daß die Gesuchten in dem Konak angekommen waren.
Nun erzählte ich in kurzen Umrissen, warum wir denselben folgten, und erregte dadurch ein nicht geringes Erstaunen.