Der Schut - Karl May 3 стр.


Nun erzählte ich in kurzen Umrissen, warum wir denselben folgten, und erregte dadurch ein nicht geringes Erstaunen.

»Sollte man es glauben, daß es solche Leute gibt!« rief die alte Frau, indem sie die Hände zusammenschlug. »Das ist ja ganz schrecklich!«

»Ja, schrecklich ist es,« nickte ihr Mann; »aber zu wundern brauchen wir uns nicht darüber, da sie Anhänger des Schut sind. Das ganze Land könnte Gott auf den Knieen danken, wenn diese Geißel des Volkes einmal unschädlich gemacht wäre.«

»Weißt du vielleicht etwas näheres über den Schut?« fragte ich ihn.

»Ich weiß auch nicht mehr als du und Andere. Wüßte man seinen Wohnort, so würde man auch ihn selbst kennen, und dann wäre es mit ihm aus.«

»Das ist noch die Frage. Ich bin überzeugt, daß die Behörde mit ihm in Verbindung steht. Weißt du nicht, wo Karanirwan-Khan liegt?«

»Diesen Namen kenne ich nicht.«

»Kennst du auch keinen Mann, der Kara Nirwan heißt?«

»Ebensowenig.«

»Aber einen Perser kennst du, welcher das Geschäft des Pferdehandels treibt?«

»Ja. Der heißt aber im Mund des Volkes Kara Adschemi. Was ist's mit diesem?«

»Ich habe ihn im Verdacht, der Schut zu sein.«

»Was? Dieser Perser?«

»Beschreibe ihn mir einmal!«

»Er ist länger und stärker als du und ich, ein wahrer Riese, und trägt einen schwarzen Vollbart, welcher weit bis zur Brust herabreicht.«

»Wie lange befindet er sich im Lande?«

»Das weiß ich nicht genau. Es sind wohl an die zehn Jahre her, daß ich ihn zum erstenmal gesehen habe.«

»So lange ist es wahrscheinlich auch, daß man von dem Schut gesprochen hat?«

Er blickte mich überrascht an, sann ein wenig nach und antwortete dann:

»Ja, so ungefähr wird es sein.«

»Wie ist das Auftreten dieses Pferdehändlers?«

»Er benimmt sich überaus gebieterisch, wie alle Leute, welche wissen, daß sie reich sind. Er geht stets bis an die Zähne bewaffnet und ist als ein Mann bekannt, mit welchem man keinen Spaß machen darf.«

»So ist er zu Gewalttätigkeiten geneigt?«

»Ja, er ist gleich mit der Faust oder mit der Pistole zur Hand, und man erzählt sich, daß schon Mehrere, die ihn beleidigt hatten, den Mund nicht wieder öffneten, weil ein Toter nicht mehr reden kann. Aber von Raub und Diebstahl weiß ich nichts zu berichten.«

»Diese Beschreibung paßt ganz genau zu dem Bilde, welches ich mir von ihm gemacht habe. Weißt du vielleicht, ob er mit dem Köhler Scharka verkehrt?«

»Davon habe ich noch nichts erfahren. Hast du mit dem Kohlenbrenner auch zu tun?«

»Bis jetzt noch nicht; aber ich denke, daß ich mit ihm zusammentreffen werde; die Fünf wollen zu ihm. Seine Wohnung ist ihnen also bekannt. Weißt auch du sie vielleicht?«

»Ich weiß nur, daß er in einer Höhle wohnt, welche jenseits von Glogovik im tiefen Walde liegt.«

»Hast du ihn gesehen?«

»Nur vorübergehend.«

»Er muß doch von Zeit zu Zeit den Wald verlassen, um seine Kohlen zu verkaufen, oder es müssen Leute zu demselben Zweck ihn aufsuchen.«

»Er verkauft nicht selbst. Da drüben in den Bergen ist ein Kurumdschy (* Rußhändler, Rußbuttenmann.), welcher ihm das alles besorgt. Dieser zieht mit seinem Wagen, auf welchem sich die Kohlen und die Rußfäßchen befinden, im Lande umher.«

»Was ist er für ein Mann?«

»Ein finsterer, wortkarger Kerl, der sich mit keinem Menschen abgibt. Man sieht ihn lieber gehen, als kommen.«

»Hm! Vielleicht bin ich gezwungen, ihn aufzusuchen, um von ihm die Höhle des Köhlers zu erfahren.«

»Als Wegweiser könnte ich dir wenigstens einen Knecht bis Glogovik mitgeben. Weiter hinauf kennt auch er die Wege nicht.«

»Wir nehmen dieses Anerbieten herzlich gern an. Dein Sohn erzählte mir, daß der Köhler im Verdacht des Mordes stehe.«

»Das ist nicht nur Verdacht; man weiß es sicher, obgleich es keine Zeugen gibt, mit deren Hilfe er überführt werden könnte. Er hat sogar im Verkehr mit den Aladschy gestanden, welche von den Soldaten freilich vergeblich bei ihm gesucht worden sind.«

»Auch dein Sohn sprach davon. Er hat diese beiden Menschen heute gesehen.«

»Die Scheckigen? Wirklich? Ich habe oft gewünscht, ihnen einmal zu begegnen, natürlich aber so, daß ich sie nicht zu fürchten habe.«

»Nun, das ist ja geschehen.«

»Wann sollte das gewesen sein?«

»Heute. Hast du unter den fünf Reitern nicht zwei gesehen, welche auf scheckigen Pferden ritten?«

»Himmel! So befinden sie sich also hier, drüben im Konak meines Nachbarn! Da ist ja das Unheil in der Nähe!«

»Heute brauchst du sie nicht zu fürchten, denn wir sind hier. Sobald sie erführen, daß wir uns bei dir befinden, würden sie sich aus dem Staub machen. Uebrigens wirst du sie vielleicht sehen, wenn du jetzt heimlich hinübergehst. Suche zu erfahren, ob man sie vielleicht belauschen kann.«

Er ging, und wir beschäftigten uns während seiner Abwesenheit angelegentlich mit dem Abendessen. Nach einer kleinen halben Stunde kam er zurück und meldete uns, daß er sie gesehen habe.

»Aber es waren ihrer nur vier,« sagte er. »Der Verwundete befand sich nicht bei ihnen. Sie sitzen neben der Schlafkammer des Nachbars. Ich habe mich rund um das ganze Haus geschlichen und an allen Läden gespäht, ob man durch eine Spalte hineinsehen kann. Endlich kam ich an den betreffenden Laden, welcher ein kleines Astloch hat. Sie saßen mit dem Konakdschi zusammen und hatten einen Krug mit Raki vor sich stehen.«

»Sprachen sie?«

»Ja, aber nicht von eurer Angelegenheit.«

»Ob sie wohl zu belauschen wären? Kann man sie verstehen, wenn man außen am Laden steht?«

»Ich habe nur einzelne Worte richtig hören können. Um ihr Gespräch zu hören, müßte man in die Schlafstube steigen; der Laden steht auf.«

Er beschrieb die Lage dieser Stube und ihr Inneres, und ich erkannte, daß es allzu gefährlich wäre, hineinzusteigen; zumal man annehmen mußte, daß der alte Mübarek sich darin befinde.

»Nein, wir wollen auf dieses Unternehmen verzichten,« sagte ich. »Nachher werde ich selbst einmal hinüberschleichen, um Kundschaft einzuholen.«

Somit hielt ich diese Angelegenheit für erledigt. Im Laufe des weiteren Gesprächs stand Halef auf, um einmal hinauszugehen.

»Ich will nicht hoffen, daß du dich hinüberschleichen willst,« rief ich ihm nach. »Das verbiete ich dir aufs strengste!«

Er nickte nur und ging. Ich aber war nicht beruhigt und beauftragte Omar, ihm heimlich zu folgen. Dieser kehrte schnell zurück und meldete mir, daß der Hadschi nach dem Stall gegangen sei, jedenfalls um sich zu überzeugen, daß es den Pferden, besonders meinem Rappen an nichts mangele. Damit gab ich mich zufrieden. Es verging eine Viertelstunde und noch eine, und da Halef noch nicht wieder da war, so erwachte meine Sorge von neuem. Als ich sie laut werden ließ, ging der Wirt, um nach ihm zu suchen; aber er kehrte unverrichteter Dinge zurück; er hatte ihn nirgends gefunden.

»So habe ich ganz richtig geahnt: er hat eine Dummheit gemacht und befindet sich höchst wahrscheinlich in Gefahr. Osko, Omar, nehmt eure Gewehre wir müssen hinüber zu dem Konak, denn ich wette, daß er so verwegen gewesen ist, in das Schlafzimmer einzusteigen.«

Ich nahm nur den Stutzen, welcher mehr als genügend war, die ganze Gesellschaft im Zaum zu halten. Draußen war es stockdunkel. Der Schäfer diente uns als Führer. Da ich meinen Fuß zu schonen hatte, gingen wir nur sehr langsam am Ufer hin, bis der Konak als dunkle Masse vor uns lag, etwa fünfzig Schritte von dem Fluß entfernt.

Wir schlichen an der Vorderseite des Hauses hin, wo alle Fenster verschlossen waren, und bogen dann nach derjenigen Giebelseite ab, welche die Stallungen enthielt. Dort standen junge Fichten, die mit ihren unteren Aesten fast den Boden berührten. Zwischen ihnen und dem Hause war nur ein schmaler Raum zum Gehen frei.

Von da aus führte uns der Schäfer nach der hinteren Seite des Gebäudes, an welcher entlang wir hinschlichen. Es war keine Spur von Halef zu bemerken; doch war ich der festen Ueberzeugung, daß er sich jetzt im Innern des Hauses befand, festgenommen von den Leuten, welche er hatte belauschen wollen.

Da blieb unser Wirt stehen und deutete auf zwei Läden, welche, wie alle übrigen, von innen verriegelt waren.

»Hier dieser erste Laden,« flüsterte er, »gehört zu der Stube, in welcher die Männer saßen; der zweite aber zur Schlafkammer.«

»Sagtest du nicht, daß dieser zweite Laden offen gewesen sei?«

»Ja, vorhin stand er auf.«

»So ist er seitdem zugemacht worden. Das muß einen Grund haben. Und welcher Grund könnte es sonst sein, als daß die Halunken bemerkt haben, daß man sie belauscht?«

Ich huschte an den ersten Laden und blickte durch das Astloch. Die Stube war durch eine Unschlittkerze, welche in einem Leuchter von Draht steckte, nur notdürftig erhellt; aber ich sah genug.

An einem Tisch saßen Manach el Barscha und Barud el Amasat. Vorn am Eingang stand ein Mann von untersetzter, kräftiger Gestalt und rohen Gesichtszügen, jedenfalls der Wirt. An der Wand zu meiner rechten Hand lehnten die beiden Aladschy. Die Gewehre dieser Leute waren in der Ecke an hölzernen Haken aufgehängt. Die Blicke aller fünf richteten sich auf Halef, welcher auf dem Boden lag, an Händen und Füßen gebunden. Die Gesichter seiner Feinde weissagten nichts Gutes. Manach el Barscha schien das Verhör zu führen. Er befand sich jedenfalls in zorniger Erregung, denn er sprach so laut, daß ich jede Silbe verstehen konnte.

»Siehst du etwas, Sihdi?« fragte Omar.

»Ja,« antwortete ich leise. »Der Hadschi liegt gebunden auf dem Boden und wird jetzt eben verhört. Kommt her! Sobald ich den Laden zertrümmere, helft ihr mit und streckt dann die Mündungen eurer Gewehre hinein. Der Laden muß aber im Nu in Stücke gehen, damit sie nicht Zeit finden, sich an Halef zu vergreifen, ehe wir ihn schützen können. Und nun still!«

Ich horchte.

»Und wer hat dir gesagt, daß wir hier sind?« erkundigte sich Manach el Barscha.

»Suef hat es selbst gesagt,« antwortete Halef.

Ich sah den Genannten nicht; aber jetzt trat er von links herein. Er mochte in der Schlafstube gewesen sein.

»Hund, lüge nicht!« sagte er, indem er Halef einen Fußtritt versetzte.

»Schweig und schimpfe nicht!« antwortete der Kleine. »Hast du nicht in unserer Gegenwart zu dem Wirt in Rumelia gesagt, daß du nach dem Treska-Konak reiten wolltest?«

»Ja, aber ich habe nicht gesagt, daß sich auch diese Männer hier befinden werden.«

»Das konnten wir uns doch denken. Mein Effendi hat dir ja in Kilissely ins Gesicht gesagt, daß du schnell aufbrechen würdest, um ihnen zu folgen.«

»Der Scheïtan hole diesen Effendi! Wir werden ihm die Sohlen zerfleischen, damit er weiß, was ich heute empfunden habe. Ich kann kaum stehen.«

Er ließ sich neben Halef auf den Boden nieder.

»Wie aber habt ihr erfahren, wo der Treska-Konak liegt?« erkundigte sich Manach weiter.

»Wir haben gefragt; das versteht sich ja ganz von selbst.«

»Und warum bist du uns allein nachgeritten? Warum blieben die Andern zurück?«

Halef war doch so schlau gewesen, zu tun, als ob er sich allein hier befände. Er benahm sich überhaupt sehr gefaßt. Und das war auch nicht zu verwundern, denn er konnte sich sagen, daß die Sorge um ihn uns bald herbeiführen würde.

»Hat euch Suef denn nicht gesagt, daß mein Effendi in das Wasser gestürzt ist?«

»Ja, und hoffentlich ist er ersoffen!«

»Nein, diesen Gefallen hat er euch nicht getan. Er lebt noch, obgleich er krank geworden ist. Die Andern müssen ihn pflegen. Mich aber hat er vorausgeschickt, um euch zu beobachten. Wenn es möglich ist, kommt er morgen nach. Bis zum Abend ist er sicher hier, und dann wird er mich befreien.«

Sie lachten alle hellauf.

»Dummkopf!« rief Manach el Barscha. »Meinst du denn wirklich, daß du morgen abend noch unser Gefangener sein wirst?«

»So wollt ihr mich eher frei lassen?« fragte er mit dummer Miene.

»Ja, wir lassen dich eher frei. Wir werden dir erlauben, zu gehen, aber nur in die Hölle.«

»Ihr scherzet. Dorthin weiß ich den Weg gar nicht.«

»Mache dir keine Sorge. Wir werden ihn dir schon zeigen. Vorher aber müssen wir dir noch eine kleine Lehre geben, welche dir vielleicht nicht behagen wird.«

»O, ich pflege für jede Belehrung dankbar zu sein.«

»Wollen hoffen, daß dies auch hier der Fall ist. Wir wollen dich nämlich daran erinnern, daß es ein Gesetz gibt, welches heißt: Auge um Auge, Gleiches mit Gleichem. Ihr habt Habulam, Humun und Suef gepeitscht; gut, so wirst auch du die Bastonnade erhalten, und zwar so, daß dir die Fetzen von den Füßen fliegen. Ihr habt das Wasser auf den Turm gepumpt, damit wir ertrinken sollten; wohlan, wir werden auch dich unter Wasser setzen, so daß du elendiglich ersäufst, aber schön langsam, damit wir eine Freude daran haben. Wir werden dich in den Fluß hier hineinlegen, so daß nur deine Nase herausragt. Da magst du so lange Luft schnappen, wie es dir möglich ist.«

»Das werdet ihr nicht tun!« rief Halef in kläglichem Tone.

»Nicht? Warum sollten wir darauf verzichten?«

»Weil ihr gläubige Söhne des Propheten seid und einen Moslem nicht martern und ermorden werdet.«

»Geh zum Scheïtan mit deinem Propheten! Wir machen uns nichts aus ihm. Du sollst eines Todes sterben, welcher schlimmer sein wird, als die Verdammnis, in welche du sodann fährst.«

»Was habt ihr davon, wenn ihr mich tötet? Das böse Gewissen wird euch peinigen bis zu dem Augenblick, an welchem der Engel des Todes zu euch tritt.«

»Mit unserem Gewissen werden wir selbst fertig. Du fühlst wohl bereits jetzt die Angst des Todes? Ja, wenn du klug sein wolltest, so könntest du ihm noch einmal entgehen.«

»Was müßte ich tun?« fragte Halef schnell.

»Uns alles gestehen.«

»Was denn?«

»Wer dein Herr ist, was er von uns will und was er beabsichtigt, gegen uns zu tun.«

»Das darf ich nicht verraten.«

»So mußt du sterben. Ich hatte es gut gemeint. Wenn du aber meinen Fragen deinen Mund verschließest, so ist dein Schicksal entschieden.«

»Ich verstehe dich,« erwiderte Halef. »Du willst mich durch dein Versprechen täuschen. Wenn ich dann alles gesagt habe, so lacht ihr mich aus und haltet nicht Wort.«

»Wir werden Wort halten.«

»Schwörst du es mir zu?«

»Ich schwöre es dir zu bei allem, was ich glaube und verehre. Nun entschließe dich schnell, denn die Stimmung der Gnade hält bei mir nicht lange an.«

Halef tat so, als ob er ein kleines Weilchen nachdächte, und sagte dann:

»Was habe ich von dem Effendi, wenn ich tot bin? Gar nichts! Ich ziehe es vor, zu leben, und will euch also Auskunft erteilen «

»Das ist dein Glück!« sagte Manach. »Also sage uns zunächst, wer dein Herr eigentlich ist?«

»Habt ihr denn nicht gehört, daß er ein Deutscher ist?«

»Ja, das hat man uns gesagt.«

»Und ihr glaubt es auch? Kann ein Deutscher alle drei Pässe von dem Großherrn haben mit dem Siegel des Wesirs darunter?«

»So ist er wohl gar nicht ein Nemtsche?«

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