Waldröschen X. Erkämpftes Glück. Teil 3 - Karl May 7 стр.


Während Geierschnabel sein kleines Abenteuer erzählte, fragte der Steuermann seinen Sohn:

»Vor allen Dingen eins, Kurt! Die Mutter lebt?« »Ja. Sie ist auch gesund und wohl, obgleich sie sich sehr gehärmt und gegrämt hat.« »Und du, was bist du denn eigentlich geworden?« »Rate einmal!« »Hm. Señor Sternau hat dir zur weiteren Ausbildung gefehlt, und deinen Anteil vom Schatz aus der Königshöhle hast du auch erhalten?« »Ja, wenn auch etwas spät.« »Nun, so bist du reich; du hast auf eine Stellung verzichtet?« »O nein. Ich bin doch etwas, nämlich Offizier, geworden«, lächelte Kurt.

Da rötete sich das Gesicht des Steuermanns vor Freude. Sternau ergriff Kurts Hand und meinte:

»Das ist brav. Du hast Urlaub?« »Ja.« »Wo dienst du?« »Ich stehe in Berlin und bin als Oberleutnant der Gardehusaren zum Generalstab kommandiert.« »Alle Wetter! Ich gratuliere.«

Der Vater umarmte den Sohn vor Freude, und nun begann das eigentliche Erzählen und Berichten, das so lange dauerte, bis völlige Klarheit herrschte. Da erhob sich Sternau von seinem Stuhl und sagte:

»Meine Freunde, wir dürfen noch nicht ruhen, es gibt für uns zu tun. Da ich der kräftigste bin, werde ich mich mit Kurt von Euch auf kurze Zeit verabschieden.«

Die Unglücksgefährten ahnten, was Sternau vorhatte; aber sie waren durch die erlittenen Qualen und durch die gegenwärtige Aufregung geschwächt worden. Büffelstirn und Bärenherz wollten mitgehen; er aber bat sie, zu bleiben. Zwei allerdings ließen sich nicht zurückweisen, Grandeprise und Geierschnabel.

Diese vier begaben sich, nachdem sie sich mit Waffen und Licht versehen hatten, wieder hinab in die unterirdischen Gänge, wo sie Manfredo aufsuchten. Er war so fest geschnürt, daß er sich aus seiner Ecke nicht hatte fortbewegen können. Da Sternau von allem unterrichtet war, so leitete er das Verhör.

»Mensch«, sagte er, »du bist nicht wert, daß ich dich zertrete, aber vielleicht läßt sich dein Schicksal doch noch mildern, wenn du mir meine Fragen aufrichtig beantwortest.«

Manfredo war im Grunde genommen feig. Er sah, daß sein Spiel verloren sei, und darum suchte er sich zu entschuldigen.

»Ich bin nicht schuld, Señor, gar nicht«, wimmerte er. »Wer denn?« »Mein Oheim. Ich mußte ihm gehorchen.« »Das entschuldigt dich nicht Ich will aber sehen, ob du ein aufrichtiges Geständnis ablegst. Warum nahmt Ihr uns gefangen?« »Weil ich Graf von Rodriganda werden sollte.« »Welch ein Wahnsinn? Dein Oheim hätte uns später getötet?« »Ja.« »Wo sind die Sachen, die ihr uns abgenommen habt?« »Die habe ich noch. Nur die Pferde sind verkauft.« »Du wirst uns nachher alles wiedergeben. Weißt du, wo die Cortejos und Landola stecken?« Ja. Dieser Señor hat mir den Schlüssel zu ihrem Kerker mit den anderen weggenommen.« »Wir haben ihn, und du wirst uns die vier Personen zeigen. Kennst du sämtliche unterirdische Gänge und Gewölbe dieses Klosters?« »Alle.« »Wer hat sie dir gezeigt?« »Mein Oheim. Er hat einen Plan dieser Gewölbe.« »Weißt du, wo dieser Plan sich befindet?« Ja, im Schreibtisch.« »Du wirst ihn uns zeigen. Gibt es heimliche Ausgänge aus diesen Gewölben?« »Ihr meint in das Freie?« »Ja.« »Es gibt nur einen solchen!« »Wo mündet er?« »In einem Steinbruch, östlich von der Stadt« »Du wirst uns dahinführen. Wo ist dein Oheim?« »Er ist nach Mexiko oder Querétaro.« »Zu wem?« »Zu dem Kaiser.« »Was will er da?« »Ich ich weiß es nicht.«

Manfredo log. Er dachte, daß sein Oheim ihn vielleicht doch noch retten könne, wenn es ihm gelang, seine politische Aufgabe zu erfüllen. Sternau durchschaute ihn, darum sagte er:

»Glaube nicht, daß du mich betrügst. Je weniger aufrichtig du bist, desto schlimmer wird dein Los. Was will dein Oheim beim Kaiser?« »Er will ihn abhalten, Mexiko zu verlassen.«

 »Den Grund weiß ich bereits. Wer ist der dicke Mensch, mit dem du heute abend gesprochen hast?«

Manfredo erschrak. Also auch das war verraten.

»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Man empfängt niemand bei sich, den man nicht kennt.« »Ich kenne ihn wirklich nicht. Er kommt zuweilen zum Oheim, um ihm Befehle zu bringen.«

 »Von wem?« »Von der geheimen Regierung.« »Aus welchen Personen besteht diese?« »Ich weiß es nicht.« »Wo hat sie ihren Sitz?« »Auch das ist mir unbekannt.« »Hm! Empfängt dein Oheim geheime Papiere?«

Manfredo zögerte mit der Antwort.

»Wenn du nicht redest«, drohte Sternau, »werde ich dich so lange prügeln lassen, bis du die Sprache findest. Ich frage dich, ob er geheime Papiere bekommt?« »Ja.« »Hebt er sie auf?«

 »Ja.« »Wo?« »In einer verborgenen Zelle.« »Kennst du sie?« »Ja.« »Du wirst uns auch dahin führen. Steh auf, und zeige uns, wo die Cortejos stecken!«

Sternau lockerte dem Gefangenen die Beinfesseln so weit, daß derselbe langsam gehen konnte.

»Zunächst werde ich die Instruktion zu mir nehmen, die dieser gute Neffe eines noch besseren Onkels heute von dem Dicken empfangen hat«, meinte Kurt.

Er zog ihm die Papiere aus der Tasche und steckte sie in die seinige. Dann verließen sie das Gefängnis und wurden von Manfredo zu der Tür geführt, hinter der ihre Feinde steckten.

6. Kapitel

Kurt öffnete. Der Schein des Lichtes drang in den dunklen Raum, in dem vier gefesselte Gestalten zu erkennen waren.

»Kommst du, um uns herauszulassen?« fragte einer heisere Stimme.

Es war die Gasparino Cortejos, der glaubte, daß Manfredo käme.

»Herauslassen? Dich, Schurke?« rief Grandeprise, indem er Sternau die Laterne aus der Hand nahm und eintrat. Cortejo starrte ihn an.

»Grandeprise!« stöhnte er. »Ja, Grandeprise bin ich, und endlich habe ich dich und meinen teuren Bruder! Oh, dieses Mal lasse ich mich nicht täuschen, dieses Mal sollt Ihr nicht entkommen.« »Wie kommt Ihr hierher?« fragte Gasparino. »Hat der Pater Euch an Manfredos Stelle zum Kerkermeister gemacht? Laßt uns fliehen, und ich belohne Euch mit einer Million Dollar.« »Mit einer Million? Wicht! Kein Pfennig ist dein Eigentum. Es wird dir alles genommen werden, selbst dein armseliges Leben.« »Weshalb? Ich habe nichts getan.« »Nichts, Schurke? Frage den hier!«

Grandeprise ließ das Licht der Laterne auf Sternau fallen, der hinter ihm eingetreten war. Cortejo erkannte diesen.

»Sternau!« knirschte er.

Da begannen auch sein Bruder und seine Nichte sich zu regen. Sie drehten sich um und blickten Sternau an.

»Er ist frei«, rief Josefa kreischend. »So hat der Teufel uns betrogen«, meinte Landola, indem er einen fürchterlichen Fluch hinzufügte. »Ja, er hat euch betrogen«, antwortete Sternau, »und Gott hat sein Gericht bereits begonnen. Ihr werdet das Loch nur verlassen, um verhört und bestraft zu werden.« »Pah!« hohnlachte Landola. »Wer zwingt uns, zu gestehen?« »Wir brauchen euer armseliges Geständnis nicht. Ihr seid bereits überwiesen. Aber ich würde wohl ein Mittel kennen, euch alle zum Reden zu bringen. Hast du es vergessen, Gasparino Cortejo?«

Dieser antwortete nicht.

»Ich werde es dir ins Gedächtnis zurückrufen«, sagte Sternau.

»Weißt du noch, als ich dich anschnallen und kitzeln ließ, weil ich deinen Geifer zu einem Gegengift brauchte?«

Es ging Cortejo eiskalt über den Körper.

»Graf Emanuel lebt«, fuhr Sternau fort, »aber er ist noch wahnsinnig von dem Gift, das ihr ihm gegeben. Ich brauche Gegengift. Macht euch gefaßt! Ich nehme es mir von keinem anderen Menschen als von euch.«

Dieser antwortete nicht.

»Ich werde es dir ins Gedächtnis zurückrufen«, sagte Sternau.

»Weißt du noch, als ich dich anschnallen und kitzeln ließ, weil ich deinen Geifer zu einem Gegengift brauchte?«

Es ging Cortejo eiskalt über den Körper.

»Graf Emanuel lebt«, fuhr Sternau fort, »aber er ist noch wahnsinnig von dem Gift, das ihr ihm gegeben. Ich brauche Gegengift. Macht euch gefaßt! Ich nehme es mir von keinem anderen Menschen als von euch.«

Damit verließ Sternau mit Grandeprise das Gefängnis und schloß es wieder zu.

»Jetzt sollst du uns zunächst den Plan dieser Gewölbe und Gänge zeigen«, sagte er darauf zu Manfredo, und sie begaben sich nach der Stube des Paters zurück, in dessen Schreibtisch sie den Plan fanden. Wer denselben zur Hand hatte, bedurfte keines Führers, so labyrinthisch die einzelnen Teile auch ineinanderflossen, das sah Sternau sofort.

Nun wollte er die geheimen Schriften des Paters sehen. Er wurde von dem Gefangenen nach der Zelle geführt, in der Señorita Emilia ihre Abschriften genommen hatte. Er blickte die vorhandenen Skripturen oberflächlich durch und untersuchte sodann die Koffer und Kisten. Dabei entdeckte er die Meßgewänder und heiligen Gefäße, die Emilia nicht angerührt hatte, obwohl dieselben ein Vermögen von mehreren Millionen präsentierten.

Sternau sah die Juwelen flimmern und fragte:

»Wem gehört das?« »Meinem Onkel!« antwortete der Gefangene. »Ah! Ihm? Woher hat er es?« »Vom Kloster.« »Er hat es gewiß geschenkt erhalten?« »Nein. Er hat es einfach genommen und aufbewahrt. Das Kloster ging ein, da hatte das Zeug keinen Herrn mehr.« »Schön! Es wird den richtigen finden. Jetzt wollen wir den Gang sehen, der ins Freie führt.«

Auch hier mußte Manfredo gehorchen. In Zeit von zehn Minuten standen sie vor dem geheimen Ausgang, der durch einen Haufen scheinbar zufällig hierher gekommener Steintrümmer maskiert wurde. Es genügte das Fortwälzen von drei oder vier Blöcken, um ein so großes Loch freizulegen, daß ein Mann ganz bequem eintreten konnte.

»Wie herrlich wird das passen!« meinte Kurt zu Sternau, jedoch in deutscher Sprache, um von Manfredo nicht verstanden zu werden. »Was?« fragte der Doktor. »Ich meine diesen geheimen Eingang in Beziehung zu den zweihundert Soldaten, die Punkt vier Uhr kommen sollen.« »Ich verstehe dich. Glaubst du, daß ich diesen Gedanken gehabt habe?« »Ich bin überzeugt davon.« »Warum?« »Weil Sie diesen Menschen nach einem verborgenen Ausgang fragten, nachdem wir von der erwarteten Einquartierung gesprochen hatten.« »Das stimmt! Wo sollte er sie treffen?« »Unten, wo der Klosterweg beginnt.« »Es soll hier eine Demonstration vorgenommen werden, und zwar, um den Kaiser zu verleiten, Mexiko nicht zu verlassen. Wir müssen das hindern, sowohl des Kaisers, als auch Juarez wegen.« »Auch der Bewohner dieses Städtchens wegen, denn die sogenannten Soldaten, die kommen werden, sind jedenfalls nur zusammengetrommelte Räuber und Plünderer.« »Das steht zu erwarten. Wie aber werden wir das fertigbringen? Ziehen wir die Stadtbewohner, um Hilfe zu haben, in das Geheimnis?« »Da würden wir uns der Gefahr aussetzen, verraten zu werden.« »Leider. Wir müssen allein fertig zu werden suchen. Bist du gewillt, an Stelle des Gefangenen hier die heimlich eintreffenden Truppen zu empfangen?« »Natürlich!« »Es kann das aber gefährlich sein.« »Pah! Ich habe nicht gelernt, mich zu fürchten.« »Schön! Sie werden aber denken, durch das Tor nach dem Kloster geführt zu werden.« »Ich werde ihnen sagen, daß der Plan einigermaßen verraten zu sein scheine und daß Juarez einen kleinen Truppenteil gesandt habe, um das Kloster zu besetzen.« »Schön! Sie werden also einsehen, daß sie ohne Kampf nicht durch das Tor gelangen können.« »Und daß sie klüger tun, mir durch einen geheimen Eingang zu folgen, in welchem Fall es ihnen leicht sein würde, die Besatzung zu überrumpeln.« »Ich bin darauf gefaßt, daß sie dir folgen werden. Aber wie wird es uns gelingen, sie zu überwältigen?« »Wir schließen sie ein.« »Pah, sie sind bewaffnet. Sie schießen die Türen kaputt! Wir müssen ihnen auf irgendeine Weise die Waffen abzunehmen suchen.« »Mit Gewalt geht das nicht.« »Hm!« meinte Kurt nachdenklich. »Da fällt mir ja ein, wie dieser Pater Hilario seine Gefangenen entwaffnet hat.« »Du meinst das Pulver, mit welchem er uns die Besinnung nahm?« »Ja.« »Das wird sich bei einer so großen Anzahl wohl nicht verwenden lassen.« »Warum nicht? Die Hauptsache ist, solches Pulver zu haben. Ich setze den Fall, wir kommen in einen Gang, der durch zwei Türen verschlossen ist und eine solche Länge hat, daß er gefüllt ist, wenn zweihundert Mann hintereinander herschreiten. Am Boden hat man, so lang der Gang ist, einen Strich dieses Pulvers geschüttet. Ich gehe voran, Sie hinterher, die Kerle aber zwischen uns. Wenn ich die vordere Tür erreiche, sind Sie zur hinteren eingetreten. Wir bücken uns und brennen das Pulver an; die Flamme läuft in einem Augenblick durch den ganzen Gang. Sie springen durch Ihre Tür zurück, ich zu der meinigen vor; wir verriegeln sie, und diese Kerle werden alle ohnmächtig.« »Hm«, meinte Sternau nachdenklich. »Die Ausführung dieses Planes wäre möglich. Aber haben wir Pulver?«

Und sich zu Manfredo wendend, fragte er:

»Wer fertigte das Pulver an, mit dessen Hilfe Ihr uns verteidigungslos gemacht habt?« »Mein Oheim.« »Kennst du die Zusammensetzung desselben?« »Nein.« »Wird es durch Nässe verdorben?« »Nein. Es brennt naß ebensogut wie trocken. Wir haben es in einem dumpfen Keller stehen, es zieht viel Feuchtigkeit an, hat aber noch niemals versagt.« »So brennt es ebenso leicht wie Schießpulver?« »Noch leichter.« »Habt ihr davon Vorrat?« »Ein kleines Fäßchen voll.« »Zeige es uns!«

Sie kehrten zurück. Indem sie durch einen der Gänge schritten, meinte Sternau zu Kurt:

»Dieser Gang dürfte gerade die geeignete Länge haben.« »Er wird zweihundert Personen fassen. Wenn ich da vorn die Tür erreicht hätte, müßte ich warten, bis Sie mir durch ein Zeichen zu verstehen geben, daß Sie eingetreten und bereit sind.« »Ich würde ganz einfach so tun, als ob ich dir etwas zu sagen hätte, und laut deinen Namen rufen.« »Das heißt nicht meinen richtigen.« »Nein, sondern den Namen Manfredo, da sie dich für den Neffen des Paters halten.« »Was aber geschieht, wenn es glückt, mit ihren Pferden? Denn Reiter kommen auf alle Fälle.« »Sie werden die Tiere unter Aufsicht einiger Kameraden zurücklassen, und für diese letzteren sind wir jedenfalls Männer genug.« »Richtig! Das wäre also abgemacht! Nun zunächst das Pulver sehen.«

Manfredo führte die Herren in ein kleines, niedriges Kellerchen, wo ein Fäßchen stand, das ungefähr fünfzehn Liter Inhalt zu fassen vermochte. Es war noch halb voll Pulver. Das letztere war sehr feinkörnig, vollständig geruchlos und hatte eine dunkelbraune Farbe.

»Wollen es probieren«, meinte Sternau, nahm eine kleine Quantität und kehrte eine Strecke zurück, wo er das Pulver auf eine sehr feuchte Stelle des Bodens fallen ließ. Dann putzte er das Licht und ließ eine kleine Schnuppe auf die Stelle niederfallen. Im Nu zuckte eine gelbblaue Flamme empor, und in demselben Augenblick verbreitete sich ein Geruch, der sie zur schleunigsten Flucht zwang.

»Es wird gelingen«, meinte Sternau. »Wir sind hier unten fertig. Kehren wir zu den Freunden zurück!«

Manfredo wurde in seine Zelle zurückgebracht und dort eingeschlossen; die vier Männer aber gingen hinauf, natürlich alle Türen sorgfältig hinter sich verschließend. Oben wandte Sternau sich an Geierschnabel:

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