Ich gab ihr recht. Aber siehe da: Am nächsten Vormittag, zur Besuchszeit, so um elf Uhr, saß ich bei der Arbeit. Da hörte ich die Hausglocke. Es wurde jemand eingelassen. Ich hatte gesagt, daß ich heute absolut für niemand zu sprechen sei. Dennoch kam nach einiger Zeit das Herzle zu mir herauf, legte eine Visitenkarte vor mich hin und sagte:
»Verzeih! Ich kann nicht anders; ich muß dich doch unterbrechen! Es ist gar zu sonderbar du wirst dich wundern.«
Ich warf einen Blick auf die Karte. »Hariman F. Enters« stand darauf, nur dieser Name, weiter nichts. Ich sah das Herzle erwartungsvoll an.
»Ja, es ist wirklich erstaunlich«, nickte sie. »Er hat das taubeneigroße Nugget an der Uhrkette.«
»Wirklich? Wirklich?«
»Ja! Und die ganz auffallend traurigen Augen sind auch da!«
»Und was will er?«
»Mit dir reden.«
»Ich habe keine Zeit. Hast du ihm das gesagt? Er mag wiederkommen!«
»Er muß noch heut fort, sonst versäumt er das Schiff. Er sagt, er gehe nicht fort, ohne mit dir gesprochen zu haben. Er bleibe sitzen, bis du kommst. Du sollst ihm sagen, was die Zeit kostet, die du dadurch versäumst; er werde sofort bezahlen.«
»Das ist amerikanischer Unsinn! Hat er dir gesagt, was er ist?«
»Verlagsbuchhändler. Er scheint kein Wort Deutsch sprechen zu können. Er will dir den ,Winnetou abkaufen.«
»Hast du ihm hierauf vielleicht schon Bescheid gegeben?«
»Ich teilte ihm mit, daß wir schon ähnliche Offerten von drüben bekommen haben und nächstens mit dem Lloyd hinübergehen werden, um das zu erledigen.«
»Du, Herzle, das war nicht sehr gescheit von dir!«
»Warum nicht?«
»Wer nach dem ,Westen gehen will, der hat sich vor allen Dingen in der Schweigsamkeit zu üben, ganz gleich, ob es da drüben noch ,wild zugeht oder nicht.«
»Aber wir sind ja noch gar nicht drüben!«
»Ich habe gesagt, schon wenn man hinüber will, verstanden, will! übrigens brauchen wir, um schweigsam sein zu müssen, gar nicht erst hinüber, denn er ist schon hier hüben bei uns.«
»Wo?«
»Unten bei dem Amerikaner. Dieser Mr. Hariman F. Enters ist der amerikanische Westen.«
»Meinst du?«
»Gewiß! Du wirst bald sehen, daß dies richtig ist. Mag er sein, wer er will, und mag er wollen, was er will, wir spielen jetzt Amerika. Er ist gekommen, sich bei uns anzuschleichen. Drehen wir den Spieß um! Geh jetzt hinab und sag, daß ich kommen werde; aber teile ihm nicht mehr mit. Sprich mit ihm überhaupt so wenig wie möglich!«
Sie ging, und ich folgte ihr nach einiger Zeit nach. Mr. Enters war ein wohlgebauter, glattrasierter Mann im Alter von ungefähr vierzig Jahren. Er machte einen wohlwollenerweckenden Eindruck, ohne grad das Benehmen eines hochgebildeten Mannes zu zeigen. Er trat bescheiden auf, war aber trotzdem dabei auch ein wenig Protz. Das von den traurigen Augen, das stimmte. Lachen schien er gar nicht zu können, und wenn er ja einmal lächelte, so machte das mehr den Eindruck der Qual als der Heiterkeit. Meine Frau stellte uns einander vor. Wir verbeugten uns und saßen uns dann einander gegenüber. Ich bat ihn, mir zu sagen, womit ich ihm dienen könne. Er antwortete, indem er fragte:
»Ihr seid Old Shatterhand?«
»Man nannte mich so«, erwiderte ich.
»Auch jetzt noch?«
»Höchstwahrscheinlich.«
»Ihr geht nächstens wieder hinüber?«
»Ja.«
»Wohin? Bis wie weit?«
»Weiß ich noch nicht.«
»Mit welchem Schiff?«
»Ist noch unbestimmt.«
»Auf wie lange?«
»Das wird sich erst drüben entscheiden.«
»Ihr besucht alte Bekannte?«
»Vielleicht.«
»Werdet Ihr Euch mehr nach dem Norden oder nach dem Süden der Staaten wenden?«
Da stand ich von meinem Sitz auf, verbeugte mich, drehte mich um und ging nach der Tür.
»Wohin wollt Ihr, Mr. May?« rief er da hastig hinter mir her.
Ich blieb stehen und antwortete:
»Wieder an meine Arbeit. Ich habe Euch aufgefordert, mir mitzuteilen, was Ihr von mir wünscht. Anstatt dies zu tun, legt Ihr mir eine ganze Reihe von Fragen vor, zu denen Euch absolut kein Recht gegeben ist. Hierauf zu antworten, habe ich keine Zeit!«
»Ich habe Mrs. May gesagt, daß ich sofort bezahle, was das kostet«, warf er ein.
»Das könnt Ihr nicht. Ihr seid zu arm dazu, viel zu arm!«
»Glaubt Ihr? Mache ich wirklich einen so armen Eindruck? Ihr irrt Euch, Sir!«
»Gewiß nicht. Denn selbst wenn Ihr Euch im Besitz von tausend Milliarden befändet, so wäret Ihr trotzdem außerstande, sogar dem allerärmsten Teufel auch nur eine Viertelstunde der ihm von Gott gegebenen, vollständig unersetzlichen Lebenszeit zu bezahlen!«
»Wenn Ihr das so betrachtet, so mag es sein. Bitte, setzt Euch wieder nieder! Ich werde mich so kurz wie möglich fassen.«
Er wartete, bis ich diesen seinen Wunsch unter scheinbarem Zögern erfüllt hatte, und fuhr dann fort:
»Ich bin Verlagsbuchhändler. Ich kenne Euern ,Winnetou » »Sprecht und lest Ihr Deutsch?« unterbrach ich ihn.
»Nein«, antwortete er.
»Wie könnt Ihr da diese Erzählung kennen? Sie ist meines Wissens noch nicht in das Englische übersetzt.«
»Sie wurde in einer mir befreundeten Familie, in welcher auch deutsch gesprochen wird, gelesen und mir zuliebe gleich während des Lesens übersetzt. Was ich da hörte, interessierte mich derart, daß ich einen jungen, stellenlosen Deutschamerikaner zu mir nahm, um sie mir in voller Muße nach und nach derart vorlesen zu lassen, daß ich alles verstand und mir die notwendig erscheinenden Notizen machen konnte.«
»Ah, Notizen! Wozu Notizen?«
Ich bemerkte, daß diese Frage ihn in Verlegenheit brachte. Er versuchte, dies zu verbergen, und antwortete:
»Natürlich nur rein literarische, als Buchhändler, selbstverständlich! Ich habe dann auf meinen weiten Ritten durch den Westen diese Notizen bei mir gehabt und Alles, was in Euern drei Bänden steht, nachgeprüft. Darum bin ich imstande, Euch sagen zu können, daß Alles stimmt, Alles, sogar oft die geringsten Kleinigkeiten.«
»Danke!« sagte ich kurz, als er mich hierbei ansah, ob dieses Lob einen Eindruck auf mich machen werde.
»Nur zwei Orte«, fuhr er fort, »konnte ich noch keiner Prüfung unterziehen, weil ich sie noch nicht aufzufinden vermochte.«
»Welche, Sir?«
»Den Nugget-tsil und das ,Dunkle Wasser, in welchem Sander sein wohlverdientes Ende fand. Werdet Ihr vielleicht auf Eurer jetzigen Reise an diese Stellen kommen?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber ich höre, daß Ihr schon wieder so überflüssige Fragen bringt, anstatt mir zu sagen, was Ihr wollt !«
Ich machte Miene, wieder aufzustehen.
»Bleibt sitzen, bleibt sitzen!« rief er schnell. »Ich bin ja sofort wieder bei der Sache, oder vielmehr, ich habe mich von ihr noch gar nicht entfernt. Ich wollte Euch nur zeigen, daß ich Eure Bücher geprüft und der Uebersetzung in die englische Sprache für wert gefunden habe.«
»Geprüft? Dazu gehören lange Jahre!«
»Haben es auch, haben es auch!« nickte er eifrig, ohne zu bemerken, daß jetzt ich der Anschleichende war. »Es hat eine sehr lange Zeit gedauert, ehe ich alle die Orte berühren konnte, um die es sich da handelte.«
»Vertrug sich das mit Eurem Geschäft?«
»Gewiß, gewiß. Wir hatten damals ein Grossogeschäft in Pferden, Rindern, Schweinen und Schafen und trieben uns bei unseren Einkäufen sehr viel im alten Westen herum.«
»Ihr sagt ,wir. Also Kompagnons?«
»Ja, aber keine Fremden, sondern brüderliche Kompagnie. Wir waren fünf Brüder, sind aber jetzt nur noch zwei. Auch noch Kompagniegeschäft, aber nicht in Pferden und Rindern, sondern in Büchern. Wir wollen Euch Eueren ,Winnetou abkaufen »
»Ihr sagt ,wir. Also Kompagnons?«
»Ja, aber keine Fremden, sondern brüderliche Kompagnie. Wir waren fünf Brüder, sind aber jetzt nur noch zwei. Auch noch Kompagniegeschäft, aber nicht in Pferden und Rindern, sondern in Büchern. Wir wollen Euch Eueren ,Winnetou abkaufen »
»Nur ihn?« fiel ich ihm in die Rede.
»Ja, nur ihn«, erwiderte er.
»Warum nicht auch die andern Bücher, die doch auch Reiseerzählungen sind?«
»Weil sie uns nicht interessieren.«
»Ich denke, es kommt hierbei mehr darauf an, was die Leser interessiert?«
»Mag sein; bei uns aber ist das anders. Wir wollen nur den Winnetou, weiter nichts.«
»Hm! Wie denkt Ihr Euch dieses Geschäft?«
»Sehr einfach: Ihr verkauft ihn uns mit allen Rechten, ein für allemal, und wir bezahlen ihn Euch ein für allemal.«
»Wann geschieht diese Zahlung?«
»Sofort. Ich bin imstande, Euch eine Anweisung an jede Euch beliebige Bank zu geben. Wieviel verlangt Ihr?«
»Wieviel bietet Ihr?«
»Je nachdem! Wir dürfen drucken, so viel wir wollen?«
»Wenn wir einig werden, ja.«
»Oder auch, so wenig wir wollen?«
»Nein.«
»Wie? Was? Nicht?«
»Nein! Natürlich nicht!«
»Wieso? Warum?«
»Ich schreibe meine Bücher, damit sie gelesen werden, nicht aber damit sie verschwinden.«
»Verschwinden?« fragte er unter einer Bewegung der Überraschung. »Wer hat Euch gesagt, daß sie verschwinden sollen?«
»Gesagt wurde es allerdings noch nicht; aber Ihr erwähntet doch, daß auch so wenig gedruckt werden darf, wie Euch beliebt.«
»Ganz natürlich. Wenn wir sähen, daß die Bücher im Englischen keinen Anklang fänden, so würden wir eben darauf verzichten, sie zu drucken. Das versteht sich doch wohl von selbst!«
»Ist das Euer Ernst?«
»Ja.«
»Sagt, hat Eure Reise nach Deutschland noch andere Zwecke?«
»Nein. Ich habe keinen Grund, Euch zu verheimlichen, daß ich nur dieser Eurer drei Bücher wegen herübergekommen bin.«
»So tut es mir leid, daß Ihr diese Reise so ganz umsonst gemacht habt. Ihr bekommt die Bücher nicht.«
Ich war wahrend dieser Worte aufgestanden. Auch er erhob sich von seinem Stuhl. Er war nicht imstande, die völlig unerwartete, große Enttäuschung zu verbergen, die ihn ergriff. Sein Blick wurde ängstlich, und seine Stimme vibrierte, als er fragte:
»Verstehe ich Euch da recht, Sir? Ihr wollt den ,Winnetou nicht verkaufen?«
» Wenigstens nicht an Euch. Ich gebe meine Bücher nicht einzeln zur Uebersetzung. Wer eins oder nur einige wünscht, der ist gezwungen, sie alle zu nehmen.«
»Aber wenn ich Euch nun für diese drei Bände so viel zahle, wie Ihr für alle verlangt?!«
»Auch dann nicht.«
»Seid Ihr denn gar so reich, Mr. May?«
»Nein, keineswegs. Von Reichtum ist bei mir keine Rede. Ich habe nichts als mein gutes, für mich und meine Zwecke grad so zureichendes Auskommen, mehr nicht. Aber das genügt mir vollständig. Und wenn Ihr meine Erzählung ,Winnetou wirklich kennt, so wißt Ihr, daß ich überhaupt nicht nach Reichtum trachte, sondern nach höherstehenden, wertvolleren Gütern, mit denen ich meine Leser erfreuen und segnen will. Dazu ist notwendig, daß meine Bücher den richtigen Verleger finden, und daß Ihr der nicht sein könnt, davon habt Ihr mich soeben überzeugt.«
Meine Frau sah und hörte es mir an, daß an diesem meinem Entschluß nicht zu rütteln war. Der Yankee tat ihr leid. Er stand mit einer Miene und in einer Haltung vor uns da, als ob ein nicht wieder gut zumachendes Unheil über ihn hereingebrochen sei. Er zögerte, meinen Bescheid als mein letztes Wort zu betrachten. Er machte Einwendungen. Er brachte Gründe. Er gab Versprechungen, doch vergeblich. Schließlich, als gar nichts helfen wollte, sagte er:
»Ich gebe die Hoffnung trotz alledem nicht auf, daß ich den ,Winnetou doch noch von Euch bekomme. Ich sehe, daß Mrs. May dieser Sache viel weniger abgeneigt ist, wie Ihr. Beratet Euch mit ihr, und gebt mir Zeit, inzwischen mit meinem Bruder, der doch mein Kompagnon ist, zu reden.«
»Wollt Ihr dann etwa wieder herüberkommen? Das würde ebenso nutzlos sein wie Eure jetzige Reise,« erklärte ich.
»Herüber zu kommen, habe ich nicht nötig, weil Ihr ja, wie ich höre, baldigst hinübergeht. Gebt mir irgendeine Adresse da drüben an, und bestimmt mir einen Tag, an dem Ihr dort zu treffen seid, so stelle ich mich ein.«
»Auch das hätte keinen Erfolg!« versicherte ich.
»Könnt Ihr das jetzt schon wissen? Ist es nicht möglich, daß ich nach der Besprechung mit meinem Bruder Euch ein Anerbieten machen kann, welches Euern Zwecken und Wünschen besser entspricht als das heutige?«
Ich fühlte, daß er innerlich davor zitterte, auch noch hiermit abgewiesen zu werden. Auch ich hatte Mitleid, aber ich durfte diesem Gefühl nicht die Herrschaft über meine Entschlüsse einräumen. Das Herzle bombardierte mich mit bittenden Blicken, und als dies nicht schnell genug wirken wollte, ergriff sie gar meine Hand. Da sagte ich:
»Gut, so mag es sein. Geben wir uns Zeit zum überlegen! Meine Frau war noch niemals mit da drüben. Sie erwartet ganz besonders, den Niagarafall zu sehen. Wir werden also von New York aus mit dem Hudsondampfer nach Albany fahren und von da mit der Bahn nach Buffalo, von wo aus es bis zu den Fällen nur noch eine Stunde ist. In Niagara-Falls wohnen wir auf der kanadischen Seite, und zwar im Clifton-Hotel, wo ich «
»Das kenne ich; das kenne ich sehr gut!« unterbrach er mich. »Da ist man sehr gut aufgehoben. Ein Hotel allerersten Ranges, still, vornehm, mit allen Errungenschaften der Neuzeit ausgestattet und «
» Well!« fiel nun ich ihm in die Rede, um ihm dieses Lob, mit dem er nur sich selbst in das Licht stellen wollte, abzuschneiden. »Wenn Ihr es kennt, so ist es ja gut. Also dort sind wir zu finden.«
»Wann?«
»Das weiß ich jetzt noch nicht. Am besten ist es, Ihr setzt Euch mit der Verwaltung dieses Hauses in Verbindung, daß sie Euch von unserer Ankunft sofortige Nachricht gibt.«
»Richtig! Das ist das beste, und das werde ich tun!«
Dabei blieb es. Es gab hüben und drüben noch einige höfliche Abschiedsworte, dann war dieser Besuch, der viel größere Wichtigkeit besaß, als selbst ich jetzt dachte, beendet.
Das Herzle konnte nicht ganz mit mir zufrieden sein. Sie ist so sehr zum Mitleid und Erbarmen geneigt, und der ängstliche, gequälte Blick dieses Mannes wollte ihr noch tagelang nicht aus dem Sinn kommen.
Sie meinte, daß ich nicht höflich genug und zu abweisend mit ihm verfahren sei.
»Warum tatest du das?« fragte sie.
»Weil er mich belog«, antwortete ich. »Weil er nicht offen und ehrlich war. Weißt du, wer er ist?«
»Ja.«
»Nun, wer?«
»Einer der beiden übriggebliebenen Söhne jener unglücklichen Familie, deren Glieder alle durch Selbstmord sterben.«
»Ja, das ist er allerdings, aber zugleich auch etwas anderes. Er heißt nicht Enters.«
»Du glaubst, er führt einen falschen Namen?«
»Ja.«
»Hältst ihn also für einen Schwindler, einen Hochstapler?«
»Nein. Grad weil er ein ehrlicher Mann ist, trägt er nicht seinen eigentlichen, richtigen Namen. Er schämt sich desselben. Ich vermute sogar, daß er nur infolge meiner drei Bände ,Winnetou auf diesen Namen verzichtete.«
Sie war so erstaunt hierüber, daß sie mich weiterzufragen vergaß. Darum fuhr ich unveranlaßt fort:
»Hältst du es für möglich, daß ich überzeugt bin, seinen wirklichen Namen zu wissen?«
»Sage ihn!« forderte sie mich auf.
»Dieser Mann heißt nicht anders als Sander.«
Da warf sie mir im höchsten Erstaunen die atemlose Frage hin: