Der Oelprinz - Karl May 3 стр.


Ein feuchter Schimmer verdrängte das vorher so helle Funkeln seiner Augen, doch strich er mit den beiden Händen schnell über dieselben und sagte in wieder munterem Tone:

»Seht, da steht einer von den zwölfen auf, der, welcher mit dem Wirte so heimlich gemunkelt hat. Höchst wahrscheinlich kommt er her, um uns zu äffen. Well, die Komödie kann losgehen; aber verderbt sie mir nicht etwa!«

Man darf sich nicht darüber wundern oder es gar belächeln, daß Sam Hawkens seinem Maultiere und seinem Gewehre solche Kosenamen gegeben hatte und in so zärtlicher Weise von ihnen sprach. Die Westmänner vom alten Schrote und Korne leider ist diese Sorte bis

auf wenige, die man zählen kann, jetzt ausgestorben waren ganz andre Menschen als das Gesindel, welches nach ihnen kam. Unter dem Ausdrucke Gesindel sind hier nicht etwa nur moralisch verkommene Menschen gemeint; dieses Wort hat hier eine andre als die gewöhnliche Bedeutung. Wenn ein Millionär, ein Bankier, ein Offizier, ein Advokat, meinetwegen auch der Präsident der Vereinigten Staaten selbst, nach dem Westen geht, ausgerüstet mit den jetzigen massenmörderischen Waffen, ängstlich behütet und bewacht von einer zahlreichen Begleitung, damit ihm ja keine Mücke in die Hühneraugen beißt, und von einem sicheren Standorte aus das Wild zu hundert Exemplaren niederknallt, ohne dessen Fleisch gegen den Hunger zu gebrauchen, so wird dieser hohe und vornehme Herr von dem wirklichen Westmann eben zum »Rabble«, zum Gesindel gerechnet. Der Indianer, der Westmann vom Fache, »machte« nur dann Fleisch, wenn er es brauchte. Er fing das ihm nötige Pferd aus einer Herde wilder Mustangs heraus; er kannte die Zeiten, wenn die Büffel von Süden nach Norden zogen und wenn sie zurückkehrten; er wußte die Gegenden, durch welche sie auf ihren Wanderungen kamen, und machte dort und dann Jagd auf sie, nur um sein Leben zu fristen. Da traf man auf Mustangherden zu fünftausend Stück; da kamen die Bisons gewallt wie ein Meer, zwanzig- und dreißigtausend und noch mehr zählend. Wo sind diese ungeheuren Massen hin? Verschwunden! So weit die Savannen reichen, ist kein einziger Mustang mehr zu sehen. Ausgerottet, vernichtet! Im Nationalparke droben »hegt« oder »schont« man jetzt einige Büffel; hier oder da kann man in irgend einem zoologischen Garten noch einen einzelnen sehen; aber in der Prairie, welche sie früher zu Millionen bevölkerten, sind sie ausgestorben; der Indianer verhungert körperlich und moralisch, und einen wirklichen, echten Westmann sieht man nur noch in Bilderbüchern. Daran ist das schuld, was der Trapper, der Squatter »Gesindel« nennt. Man sage ja nicht, daß der Grund in dem Vorrücken der Zivilisation liege. Die Zivilisation hat nicht die Aufgabe der Ausrottung, der Vernichtung. Wie oft thaten sich, als die Pacificbahnen erstanden, Gesellschaften von hundert und noch mehr »Gentlemen« zusammen, um, mit Gewehren »neuester« Konstruktion bewaffnet, einen Jagdausflug zu unternehmen. Sie dampften nach dem Westen, ließen in der Prairie halten und schossen aus den sicheren Coupés heraus auf die vorüberziehenden Büffelherden; dann fuhren sie weiter, ließen die Tierleichen zum Verfaulen liegen und rühmten sich, Prairiejäger gewesen zu sein und ein »excellent and eximious« Vergnügen gehabt zu haben. Dabei waren auf ein wirklich getötetes Tier zehn und noch mehr angeschossene, verwundete zu rechnen, welche sich mühsam und schmerzvoll weiterschleppten, um dann elend zu verenden. Der Indianer stand von fern, sah mit ohnmächtigem Grimme zu, in welcher Weise man ihm seine Nahrung raubte, ihn zum Hunger trieb und konnte nichts dagegen thun. Beschwerte er sich, so wurde er ausgelacht; wehrte er sich, so wurde er niedergemacht wie die Büffel, welche er für sein Eigentum hielt und deshalb geschont hatte.

Ganz anders der wirkliche Westmann, der frühere Jäger. Dieser schoß nicht mehr, als er brauchte. Er holte sich das Fleisch mit Gefahr seines Lebens. Er wagte sich auf seinem Pferde mitten in die Büffelherde hinein. Er kämpfte mit dem Mustang, den er sich fangen und zähmen wollte; er trat selbst dem grauen Bären kühn entgegen; sein Leben war ein unaufhörlicher, aber ritterlicher Kampf mit feindlichen Verhältnissen, feindlichen Tieren und feindlichen Menschen. Dabei mußte er sich auf sich selbst, auf sein Pferd und auf sein Gewehr verlassen können, wenn er nicht »ausgelöscht« werden wollte. Das Pferd war daher sein Freund, die Büchse seine Freundin. Wie mancher Jäger hat oft und zwar sehr oft sein Leben für sein Pferd gewagt! Und mit welcher Liebe hing er an seinem Gewehre, jenem toten, seelenlosen Gegenstande, dem seine dankbare Phantasie dennoch eine Seele beilegte. Er hungerte und dürstete, um vor allen Dingen sein Pferd fressen und saufen zu lassen, und sah erst auf sein Gewehr, ehe er an sich selber dachte. Er gab beiden Namen wie menschlichen Personen und sprach mit ihnen wie mit Menschen, wenn er einsam, nur mit ihnen allein sich in das Gras der Prairie oder in das Moos des Urwaldes gelagert hatte. Zu dieser Art von Westmännern gehörte Sam Hawkens. Die Rauheit seines wilden Lebens hatte sein Herz nicht verdorben, er war trotz derselben ein gemütvolles aber dabei außerordentlich schlaues Kind geblieben.

Was er erwartet hatte, das geschah: Buttler war aufgestanden, kam herbei, pflanzte sich gebieterisch vor dem Tische, an welchem die drei saßen, auf und sagte, ohne sie zu grüßen, in höhnischem Tone:

»Wie prächtig ihr euch ausnehmt, Leute! Ihr scheint höchst sonderbare, höchst lächerliche Drillinge zu sein!«

»Yes,« nickte Sam sehr ernsthaft und sehr bescheiden.

Dieses Eingeständnis klang so komisch, daß Buttler laut auflachte und, während seine Gefährten in das Gelächter einstimmten, fortfuhr:

»Wer seid ihr denn eigentlich?«

»Ich bin der erste,« antwortete Sam.

»Ich der zweite,« fügte Dick Stone hinzu.

»Und ich der dritte,« stimmte Will Parker ein.

»Der erste, der zweite, der dritte? Was denn?« fragte Buttler, nicht gleich wissend, was sie meinten.

»na, Drilling natürlich!« antwortete Sam mit außerordentlicher Treuherzigkeit.

Ein zweites, allgemeines Gelächter folgte diesen seinen Worten. Buttler war geschlagen; darum fuhr er den Kleinen unwillig an:

»Macht keine dummen Witze! Ich bin gewohnt, ernsthaft mit mir verkehren zu lassen. Daß ihr nicht Drillinge sein könnt, sieht man ja. Ich wollte eure Namen wissen. Heraus damit also!«

»Ich heiße Grinell,« antwortete Sam kleinlaut.

»Und ich Berry,« gestand Dick furchtsam.

»Und ich White,« stieß Will sehr ängstlich hervor.

»Grinell, Berry und White,« meinte Buttler, »eure Namen kenne ich jetzt. Nun sagt mir auch, was ihr seid!«

»Fallensteller,« erklärte Sam Hawkens.

»Fallensteller?« lachte der Examinator. »Ihr seht mir ganz und gar nicht so aus, als ob ihr jemals einen Biber oder ein Racoon gefangen hättet!«

»Haben auch noch nicht,« gab der kleine Sam bescheiden zu.

»Ah, habt noch nicht! Wollt also wohl erst?«

»Yes.«

»Gut, sehr gut! Wo kommt ihr denn her?«

»Von Castroville unten herauf.«

»Was habt ihr dort getrieben?«

»Einen Kleiderladen, Compagniegeschäft zu dreien.«

»So so! Ist wohl schlecht gegangen?«

»Yes. Haben ein wenig Bankerott gemacht; hatten zu viel ausgeborgt, Kredit gegeben, aber keinen bekommen.«

»Richtig, richtig! Haben es euch gleich angesehen, daß ihr pleite gehen müßt. Also Kleiderhändler, vielleicht gar Schneider. Drei Schneider, die aus Ungeschick in die Pleite gefallen sind und nun den außerordentlich klugen Gedanken gefaßt haben, sich als Trapper wieder aufzuhelfen! Hört ihr es?«

Diese Frage war an seine Genossen gerichtet, welche dem Gespräche mit ironischem Behagen zuhörten. Sie ließen ein drittes, schallendes Gelächter hören. Sam Hawkens aber rief scheinbar zornig.-

Diese Frage war an seine Genossen gerichtet, welche dem Gespräche mit ironischem Behagen zuhörten. Sie ließen ein drittes, schallendes Gelächter hören. Sam Hawkens aber rief scheinbar zornig.-

»Ungeschick? Da irrt Ihr Euch gewaltig, Sir. Wir wußten wohl, woran wir waren. Aus der Pleite mußte natürlich für uns etwas abfallen, sonst hätten wir sie nicht gemacht.«

Er zog seinen bockledernen Jagdrock vorn auf, klopfte auf seinen breiten Gürtel, daß es metallisch klang, und fügte stolz hinzu:

»Hier sitzen die Moneten, Sir!«

Das Gesicht Buttlers nahm den Ausdruck eines Raubvogels an, der nach Beute ausspäht, und in möglichst unbefangenem Tone fragte er:

»Ihr habt Moneten? Dann seid ihr freilich klüger gewesen, als ihr ausseht. Wieviel hat euch denn der Bankerott eingebracht?«

»Ueber zweitausend Dollar.«

»Die tragt ihr bei euch?«

»Yes.«

»Die ganze Summe?«

»Yes,«

»Auf der Reise, in dieser unsichern Gegend!«

»Pshaw! Wir haben Waffen.«

»Die würden euch verteufelt wenig nützen. Wenn zum Beispiel die Finders kämen, die würden euch drei Schneider ausbeuteln, ehe ihr nur Zeit fändet, die Augen aufzumachen. Warum habt ihr das viele Geld nicht lieber einer Bank anvertraut?«

»Werden es noch thun.«

»Wo?«

»Droben in Prescott.«

»Da hinauf wollt ihr?«

»Yes.«

»Als Fallensteller?«

»Yes.«

»Habt ihr denn Fallen?«

»Nein.«

»Woher wollt ihr sie nehmen?«

»In Prescott kaufen.«

»Himmel! Seid ihr Menschen! Was gedenkt ihr denn da oben zu fangen?«

»Biber und und und «

Er stockte verlegen.

»Und und was denn weiter?« drang Buttler in den Kleinen.

»Grizzlybären.«

Da ertönte von den andern Tischen ein wahrhaft homerisches Gelächter herüber. Buttler lachte auch, daß ihm die Thränen in die Augen traten und der Atem versagte, und rief, als er sich einigermaßen beruhigt hatte:

»Grizzlybären wollt ihr in Fallen fangen, Grizzlybären, von denen einer neun Fuß hoch wird und auch neun Zentner wiegen wird! In Fallen fangen?«

»Warum nicht?« knurrte Sam verdrießlich. »Wenn nur die Fallen groß und stark genug sind!«

»Es gibt aber keine Grizzlyfallen und wird auch keine geben!«

»So lassen wir uns in Prescott von einem Schmiede welche machen.«

»Wie denn? In welcher Konstruktion?«

»Das werden wir ihm schon sagen.«

»Ihr drei Schneider? Halt auf, Kleiner, Dicker, halt auf, sonst ersticke ich!«

Er lachte wieder aus vollem Halse und konnte erst nach einer Weile fortfahren

»Und selbst wenn das mit den Grizzlybären möglich wäre, so müßte man sich doch schon darüber halb totlachen, daß ihr, um Biber zu fangen, hinauf nach Prescott wollt.«

»Nach Prescott eigentlich nicht; dort wollen wir die Fallen kaufen; dann reiten wir nach dem Gila und dem San Franziskoflusse.«

An welchem es zwei Zoll hoch Wasser gibt; wo sollen da die Biber herkommen!«

»Das laßt nur unsre Sorge sein, Sir! Hab ein Buch gelesen, in welchem alles steht, auch das von den Bibern.«

»Schön, schön, vortrefflich! Wenn ihr so klug seid, euch nach einem Buche zu richten, so läßt sich nichts weiter sagen. Ich wünsche euch so viel Biber und Bären, wie ihr wollt. Aber ihr werdet auch noch andres finden.«

»Was?«

»Wilde Indianer, welche euch Tag und Nacht umschleichen, um euch zu überfallen.«

»Da wehren wir uns.«

»Mit euern Waffen etwa?«

»Yes.«

»Zum Beispiel hier mit Eurer Flinte?«

»Yes.«

»Alle Wetter, werdet ihr da ungeheure Heldenthaten verrichten. Zeigt doch einmal das Schießholz her! Das müssen wir uns unbedingt besehen.«

Er nahm Sam Hawkens das Gewehr aus der Hand und ging mit demselben zu seinen Genossen hinüber, welche es unter den kräftigsten Bemerkungen betrachteten. Auch Dick Stone mußte seine lange Rifle zeigen, welche den-

selben ironischen Beifall fand; dann sagte Buttler, indem er die Gewehre zurückgab:

»Ich habe euch ein großes Unrecht gethan, Meschschurs, und muß euch deshalb um Verzeihung bitten.«

»Welches Unrecht?« fragte Sam.

»Ich hätte euch fast mit andern Leuten verwechselt.«

»Mit wem?«

»Mit dem Kleeblatte.«

»Kleeblatt? Wer ist das?«

»Das sind drei berühmte Jäger, welche stets beisammen sind und darum das Kleeblatt genannt werden, Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker.«

»Kennt Ihr die?«

»Nein, eben nicht, sonst wäre ich doch nicht in die Gefahr geraten, euch beinahe mit ihnen zu verwechseln.«

»Aber Ihr müßt doch wenigstens wissen, wie sie aussehen!«

»Das weiß ich auch. Sam Hawkens ist so klein und dick wie Ihr, und die beiden andern sollen so lang und dürr wie Eure Gefährten sein; das stimmt. Dazu kommt, daß Sam einen ledernen Jagdrock zu tragen pflegt, an welchem Fleck an Fleck so aufgenäht ist, daß kein Indianerpfeil mehr hindurchzudringen vermag. Ihr habt auch einen solchen Rock. Das ist nur Zufall, führte mich aber doch für einige Minuten irre. Jetzt freilich weiß ich, woran ich bin. Das Kleeblatt hat nicht mit alten Kleidern Pleite gemacht, ist jedenfalls ganz anders und weit besser beritten als ihr und würde nie solche Schießprügel auch nur berühren, wie die eurigen sind. Da man aber nie vorsichtig genug sein kann und besonders Sam Hawkens ein großer Pfiffikus sein soll, so will ich doch noch sicherer gehen, als ich bis jetzt gegangen bin. Ich habe gehört, daß Will Parker einmal skalpiert worden sein soll und infolgedessen eine Perücke trägt. Mr. Berry und Mr. White mögen mir also einmal ihre Köpfe zeigen!«

Buttler fühlte sich also noch nicht ganz beruhigt. Glücklicherweise war er falsch berichtet worden; nicht Will Parker, sondern Sam Hawkens hatte das entsetzliche Unglück gehabt, skalpiert zu werden. Stone und Parker entblößten bereitwillig ihre Häupter; Buttler griff in ihre Haare, überzeugte sich, daß es keine falschen waren, und sagte:

»All right, ihr seid drei Schneider, und ich will nun nur um euertwillen hoffen, daß ihr mit euern Gewehren jetzt ebenso umzugehen versteht wie früher mit euern Nähnadeln.«

»Keine Sorge!« meinte Sam sehr zuversichtlich. »Was wir treffen wollen, das treffen wir.«

»Wirklich?«

»Wirklich!«

»Wettschießen, wettschießen!« flüsterten diejenigen, welche Buttler am nächsten saßen, diesem zu.

Im Westen, wo fast jeder Mann ein guter Schütze ist, läßt nie jemand die Gelegenheit zu einem Wettschießen vorübergehen. Die Schützen messen sich gern miteinander; der Ruhm des Siegers spricht sich weit herum, und es werden oft dabei bedeutende Summen auf das Spiel gesetzt. Hier nun gab es nicht nur Gelegenheit zu einem Wett, sondern sogar zu einem spaßhaften Schießen; die drei Schneider hatten wohl nicht gelernt, mit Gewehren umzugehen, und da die ihrigen nichts taugten, so gab es jedenfalls etwas zu lachen, wenn man sie dazu brachte, ihre vermeintliche Kunst zu zeigen. Darum sagte Buttler, um Sam anzustacheln, in zweifelndem Tone:

»Ja, mit der Nähnadel den Aermel eines Rockes treffen, das kann sogar ein Blinder; aber schießen, Schießen, das ist doch etwas ganz andres. Habt Ihr denn schon einmal geschossen, Mr. Grinell?«

»Yes,« antwortete der Kleine.

»Wonach?«

»Nach Sperlingen.«

»Mit diesem Gewehre?«

»Nein, mit dem Blasrohre.«

»Mit dem Blasrohre!« lachte Buttler laut auf. »Und da denkt Ihr, daß Ihr auch mit dem Gewehre ein guter Schütze

seid?«

»Warum nicht? Zielen ist doch zielen!«

»So? Wie weit könnt Ihr denn treffen?«

»Doch jedenfalls so weit, wie die Kugel läuft.«

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