Der kleine Ritter - Генрик Сенкевич 10 стр.


Wolodyjowski wurde traurig. Hatte er doch die Blüte seines Lebens dem Dienste geopfert. Ganze Jahrzehnte hatte er den Frieden nicht gekannt, lebte er im Feuer, im Pulverdampf, in Mühsal, Schlaflosigkeit und Hunger, kein schützendes Dach über dem Haupte, keine Handvoll Stroh zum Niederlegen. Gott weiß, was für Blut durch seinen Degen nicht geflossen. Weder hatte er sich irgendwo fest niederlassen noch verheiraten können. Tausendfach weniger Verdiente genossen schon panem bene merentium (ihr gutes Gnadenbrot), hatten Ehrenstellen, Ämter, Starosteien erreicht er hatte reicher den Dienst begonnen, als er jetzt war, und doch wollte man ihn, den alten Haudegen, von neuem erproben. Und seine Seele war zerrissen; ehe sich die lieben, freundlichen Hände gefunden hatten, welche seine Wunden zu verbinden begannen, hieß man ihn wieder kampfbereit sein und an die wüsten fernen Grenzen der Republik eilen, ohne Rücksicht auf sein müdes, gequältes Herz. So hätte er sich wenigstens ein paar Jahre mit seinem Ännchen freuen können.

Als er über all dies jetzt nachsann, wuchs in ihm eine unermeßliche Bitterkeit; da es ihm aber eines Ritters unwürdig erschien, seine Verdienste in Erinnerung zu bringen, antwortete er kurz:

»Ich werde reisen.«

Aber der Hetman selbst sagte:

»Du bist nicht im Dienst, du kannst Nein sagen. Du mußt selbst am besten wissen, ob es für dich nicht zu früh ist.«

Wolodyjowski erwiderte:

»Mir ist's auch zum Sterben nicht zu früh.«

Sobieski ging einige Male im Zimmer auf und nieder, dann blieb er bei dem kleinen Ritter stehen und legte ihm vertraulich die Hand auf die Schulter.

»Wenn dir die Tränen bis heute nicht getrocknet sind, so wird sie dir der Wind in der Steppe trocknen. Du hast dein ganzes Leben lang gearbeitet, wackerer Kämpe arbeite weiter. Und wenn es dir mal in den Sinn kommen sollte, daß man deiner vergessen, daß man dich nicht belohnt, daß man dir die Ruhe nicht gegönnt hat, daß du keine Leckerbissen, sondern nur trockenes Brot erworben, keine Starosteien, sondern Wunden, keine Ruhe, sondern Qual so beiße die Zähne zusammen und sage: Für dich, Vaterland! Einen anderen Trost kann ich dir nicht geben, denn ich habe keinen; aber obgleich ich kein Priester bin, so kann ich dir doch die Versicherung geben, daß du bei solchem Dienste weiter kommst auf der schäbigen Satteldecke, als andere im sechsspännigen Wagen, und daß es Tore geben wird, die sich dir weit öffnen und ihnen verschließen.«

»Für dich, Vaterland!« sagte Wolodyjowski zu sich, verwundert gleichzeitig darüber, daß der Hetman so scharfsinnig seine geheimsten Gedanken zu durchdringen vermochte.

Und Sobieski setzte sich ihm gegenüber und sprach weiter:

»Ich will mit dir nicht sprechen wie mit einem Untergebenen, sondern wie mit einem Freunde, ja, wie ein Vater mit seinem Sohne. Noch in jenen Zeiten, als wir im Feuer standen bei Podhaize, und noch früher in der Ukraine, wenn wir kaum der Übermacht des Feindes standhalten konnten, und hier im Herzen des Vaterlandes, von unserem Rücken gedeckt, schlechte Menschen sich tummelten, um ihre eigenen Angelegenheiten streitend da fuhr es mir manchmal durch den Sinn, daß diese Republik untergehen müsse. Allzusehr herrscht hier die Willkür über die Ordnung, allzusehr muß das öffentliche Wohl persönlichen Angelegenheiten nachstehen nirgends in der Welt ist dies in solchem Maße Sieh, solche Betrachtungen nagen an meinem Herzen. Am Tag auf dem Schlachtfeld, in der Nacht im Zelt, denn ich dachte bei mir: Wir Kriegsleute, nun wir mögen untergehen gut!.. das ist unsere Pflicht, unser Schicksal. Aber wenn wir wenigstens wüßten, daß mit dem Blute, welches aus unseren Wunden dahinströmt, auch die Erlösung hervorströmte! Nein, auch diesen Trost hatten wir nicht. O, schwere Tage habe ich bei Podhaize erlebt, obgleich ich auch ein heiteres Gesicht zeigte, damit Ihr nicht dächtet, daß ich am Sieg verzweifelte. An Menschen fehlt es, dachte ich bei mir, an Menschen, die dies Vaterland aufrichtig lieben! Und mir war, als stieße mir jemand ein Messer in die Brust. Bis eines Tags es war der letzte im Lager bei Podhaize, als ich euch zweitausend Mann stark zur Attacke aussandte auf sechsundzwanzigtausend der Horde, und ihr in den offenbaren Tod, in den sicheren Untergang mit einem solchen Eifer und solchem Kampfesmut stürztet wie zur Hochzeit da kam's mir plötzlich in den Sinn: und diese meine Krieger? Und Gott hat in diesem einen Augenblick mir einen Stein vom Herzen genommen, und vor den Augen stand es mir klar: Diese, sagte ich, sterben dort aus reiner Liebe für die Mutter, diese werden nicht zu Verschwörungen, nicht zu den Verrätern gehen; aus diesen will ich eine heilige Bruderschaft bilden, aus ihnen eine Schule bilden, in welcher junge Geschlechter lernen sollen. Ihr Beispiel, ihre Nähe wird wirken; durch sie wird dieses unglückselige Volk sich verjüngen, wird die Sonderinteressen vergessen, die Willkür verlernen, wie ein Löwe aufstehen, der die ungeheure Macht seiner Glieder fühlt, und die Welt in Erstaunen setzen! Eine solche Bruderschaft will ich aus meinen Kriegern machen!«

Hier erglühte Sobieski selbst, hob den Kopf empor, der dem Haupte eines römischen Cäsaren glich, breitete die Hände aus und rief:

»Herr, schreibe nicht an unsere Mauern: Mene tekel upharsin und gib mir, mein Vaterland zu verjüngen!«

Dann trat eine Pause ein.

Der kleine Ritter saß mit gesenktem Haupte da und empfand, daß ein Zittern seinen ganzen Körper ergreife.

Der Hetman ging eine Zeitlang mit schnellen Schritten im Zimmer auf und nieder, und dann blieb er vor dem kleinen Ritter stehen:

»Der Beispiele bedarf es,« sagte er, »der täglichen Beispiele, die in die Augen springen. Wolodyjowski, dich habe ich in erster Reihe zur Bruderschaft gezählt willst du zu ihr gehören?«

Der kleine Ritter erhob sich und umfaßte die Knie des Hetmans.

»Seht,« sagte er mit zitternder Stimme, »seht, da ich hörte, daß ich wieder hinausziehen soll, dachte ich, daß mir ein Unrecht geschieht, und daß mir Muße gezieme für meinen Schmerz; aber jetzt sehe ich, daß ich gesündigt habe und ich demütige mich bei dem Gedanken und kann nicht sprechen, denn ich schäme mich «

Der Hetman drückte ihn schweigend an sein Herz.

»Wir sind nur ein kleines Häuflein,« sagte er, »aber die anderen werden unserem Beispiele folgen.«

»Wann soll ich aufbrechen?« sagte der kleine Ritter. »Ich könnte selbst in die Krim, denn ich bin schon dort gewesen.«

»Nein,« sagte der Hetman, »in die Krim schicke ich den Ruschtschyz; er hat dort Anverwandte, sogar gleichen Namens, ich glaube, Vettern, die als Kinder von der Horde gefangen wurden, zu ihnen übertraten und Würden unter den Heiden erlangt haben. Diese werden ihm hilfreich in allem zur Seite sein; dich aber brauche ich im Felde um so mehr, als es keinen zweiten gibt wie dich im Kampfe gegen die Tataren.«

»Wann soll ich aufbrechen?« wiederholte der kleine Ritter.

»Spätestens in zwei Wochen. Ich muß noch mit dem Herrn Unterkanzler sprechen und mit dem Herrn Schatzmeister, die Briefe für Ruschtschyz fertigstellen und ihm Instruktionen geben; indessen sei bereit, denn ich werde schnell handeln.«

»Von morgen ab werde ich bereit sein.«

»Gott lohne dir deinen guten Willen! Aber solcher Eile bedarf es nicht. Du sollst auch nicht auf lange Zeit fort, denn während der Wahl, wenn es nur Frieden gibt, wirst du hier in Warschau nötig sein. Hast du etwas über die Kandidaten gehört? Was sagt man von dem Adel?«

»Ich bin erst vor kurzem aus dem Kloster in die Welt gekommen, und dort denkt man nicht an weltliche Dinge. Ich weiß nur, was mir Sagloba gesagt hat.«

»Richtig, von ihm kann ich Informationen erhalten; er ist sehr bekannt unter dem Adel. Und für wen denkst du deine Stimme zu geben?«

»Ich weiß es noch nicht, aber ich denke, wir müssen einen kriegsgeübten Herrn haben.«

»So ist es, ja, so ist es! Auch ich habe einen solchen im Sinn, der durch den bloßen Namen die Nachbarn in Schrecken setzt. Einen kriegstüchtigen Herrn brauchen wir, wie Stephan Bathory. Nun lebe wohl, wackerer Krieger!.. Einen Kriegstüchtigen brauchen wir!  wiederhole das allen. Lebe wohl, Gott lohne deine Bereitschaft!«

Michael verabschiedete sich und ging. Auf dem Wege sann er nach. Er war froh, daß er noch ein oder zwei Wochen vor sich hatte, denn die Freundschaft und der Trost, den ihm Christine Drohojowska brachte, war ihm lieb; er freute sich auch über den Gedanken, daß er zur Wahl wieder heim sein würde, und kehrte überhaupt schon ohne Kränkung nach Hause zurück. Auch die Steppe, nach der er sich unbewußt sehnte, hatte für ihn einen Reiz. Er war so an diese endlose Fläche gewöhnt, in welcher der Reiter sich mehr Vogel als Mensch fühlt.

»Nun denn,« sagte er zu sich, »ich will hinaus in die endlosen Felder, in das Land der Grenzwachten und Hügel, will das alte Leben wieder aufnehmen, mit den Soldaten Streifzüge machen, die Grenze verteidigen, im Steppengrase lagern, wenn der Frühling kommt; nun denn, ich will hinaus, ich will hinaus!«

Er hatte dem Pferde die Sporen gegeben und ritt eilends dahin, denn er sehnte sich schon danach, daß ihm der Wind um die Ohren sause und pfeife. Es war ein schöner, trockener, frostiger Tag; der gefrorene Schnee bedeckte schon die Erde und knirschte unter den Füßen des Renners. Die kleinen Schneeschollen flogen unter seinem Hufschlag. Wolodyjowski ritt so schnell dahin, daß der Knappe, der auf einem schlechteren Pferde saß, weit hinter ihm zurückblieb.

Es war gegen Sonnenuntergang; das Abendrot leuchtete am Himmel und warf auf die schneeige Fläche seinen rosigen Abglanz. An dem glühenden Himmel stiegen die ersten Sterne schimmernd auf, und der Mond erhob sich in der Gestalt einer silbernen Sichel. Der Weg war leer. Hie und da wich der Ritter einem Lastwagen aus, ununterbrochen dahinjagend; erst als er in der Ferne Ketlings Haus sah, hielt er das Pferd zurück und ließ sich von dem Knappen einholen.

Plötzlich bemerkte er, vor sich hinblickend, daß eine schlanke Gestalt ihm entgegenkomme; es war Christine Drohojowska.

Michael erkannte sie, sprang sogleich vom Pferde und gab es dem Knappen; er selbst eilte zu ihr, ein wenig verwundert, mehr aber noch erfreut über ihren Anblick.

»Die Soldaten sagen, daß man gegen Abend verschiedene übernatürliche Gestalten treffen kann, die bald eine schlechte, bald eine gute Prophezeiung künden; aber für mich kann es wohl kaum eine bessere geben, als Euch zu begegnen.«

»Herr Nowowiejski ist angekommen,« antwortete Christine, »er unterhält sich mit Bärbchen und der Frau Truchseß; ich aber bin absichtlich Euch entgegengekommen, denn ich war beunruhigt wegen dessen, was der Hetman Euch zu sagen hatte.«

Die Offenheit in diesen Worten ergriff den kleinen Ritter außerordentlich.

»Seid Ihr wirklich so um mich besorgt?« fragte er und erhob seine Augen zu ihr.

»Ja,« erwiderte Christine mit tiefer Stimme.

Wolodyjowski ließ seine Augen nicht von ihr, denn noch nie war sie ihm so schön erschienen. Auf dem Kopfe trug sie ein Atlaskäppchen, und weißer Schwanenflaum umgab ihr kleines, blasses Gesicht, auf welches der Widerschein des Mondes fiel und die edlen Brauen, die gesenkten Augen, die langen Wimpern und jenes dunkle, kaum sichtbare Fläumchen über den Lippen mild erleuchtete. Es lag in ihrem Gesicht eine gewisse Ruhe und eine große Güte.

Michael empfand in diesem Augenblick, daß dies ein freundliches, liebes Gesicht war. Er sagte also:

»Ritte nicht der Knappe hinter uns, so würde ich Euch, Fräulein, hier im Schnee aus Dankbarkeit zu Füßen fallen!«

»Sprecht solche Dinge nicht, ich bin ihrer nicht würdig; aber zum Lohne sagt mir, daß Ihr bei uns bleiben wollt, und daß ich Euch länger werde trösten dürfen.«

»Ich werde nicht hierbleiben,« antwortete Wolodyjowski.

»Das kann nicht sein!« sagte Christine.

»So will's der Dienst! Nach Reußen gehe ich in die wilden Felder.«

»Der Dienst?« wiederholte Christine, dann verstummte sie und ging eilig dem Hause zu.

Michael trippelte ein wenig verwirrt neben ihr her. Es lag ihm schwer und dumpf auf der Seele; er wollte wieder etwas sagen, er wollte die Unterhaltung wieder aufnehmen aber es ging nicht. Und doch schien ihm, als hätte er Christine tausend Dinge zu sagen, und als sei gerade jetzt die Zeit dazu, solange sie allein waren, und niemand sie störte.

»Anfangen heißt es hier,« dachte er, »es wird schon weiter gehen.«

»Ist Herr Nowowiejski schon lange da?«

»Noch nicht lange,« antwortete Fräulein Drohojowska.

Und das Gespräch brach wieder ab.

»So geht es nicht,« dachte Wolodyjowski, »wenn ich so anfange, so werde ich nie etwas sagen; aber ich sehe, daß mir mein Leid den Rest meines Witzes aufgezehrt hat,« und so schritt er eine Zeitlang schweigend neben ihr hin, immer lebhafter seinen Schnauzbart bewegend.

Endlich, als sie schon vor dem Hause standen, blieb er stehen und begann:

»Seht, Fräulein, wenn ich so lange Jahre das Glück hinausgeschoben habe, nur um dem Vaterlande zu dienen, wie sollte ich jetzt nicht den Trost hinausschieben?«

Wolodyjowski glaubte, daß ein so einfaches Argument Christine sogleich überzeugen müßte. Sie antwortete auch in der Tat betrübt und milde nach einer Weile:

»Je näher man Euch kennen lernt, Herr Michael, desto höher ehrt und schätzt man Euch.«

Nach diesen Worten gingen sie in das Haus. Schon im Flur tönten ihnen Bärbchens Rufe entgegen: »Allah, Allah!« Und als sie in das Gastzimmer traten, sahen sie in dessen Mitte Nowowiejski mit verbundenen Augen in geneigter Stellung und mit ausgestreckten Händen. Er mühte sich, Bärbchen einzufangen, die sich in alle Winkel versteckte und mit dem Rufe »Allah!« ihre Anwesenheit verkündigte. Die Frau Truchseß war am Fenster mit Herrn Sagloba in ein Gespräch verwickelt. Aber der Eintritt Christinens und des Ritters unterbrach ihr Spiel. Nowowiejski zog das Tuch herab und lief, sie zu begrüßen. Gleichzeitig kamen die Frau Truchseß, Sagloba und Bärbchen keuchend auf sie zu.

»Was gibt's dort, was gibt's dort, was hat der Hetman gesagt?« fragten sie wirr durcheinander.

»Frau Schwester,« antwortete Wolodyjowski, »wenn du Briefe an deinen Gatten schicken willst, so hast du Gelegenheit, denn ich reise nach Reußen.«

»Schickt man dich schon zurück? Beim lebendigen Gott, laß dich noch nicht einziehen und gehe nicht hin,« rief klagend Frau Makowiezka, »daß man dir doch auch nicht einen Augenblick Zeit gönnt!«

»Wirklich, hat man dir einen Auftrag gegeben?« fragte Sagloba finster. »Mit Recht sagt die Frau Truchseß, daß man mit dir drischt wie mit einem Dreschflegel.«

»Ruschtschyz geht in die Krim, und ich soll nach ihm die Fahne führen. Denn wie schon Herr Nowowiejski gesagt hat, werden sich gewiß die Wege zum Frühling mit Menschen füllen.«

»Sollen wir in dieser Republik beständig Jagd auf Diebe halten wie der Hund im Hofe?« rief Sagloba. »Andere wissen nicht, an welchem Ende man die Muskete anfaßt, und für uns gibt es niemals Ruhe!«

»Nun laßt nur, hier gilt kein Reden,« antwortete Wolodyjowski. »Dienst ist Dienst. Ich habe dem Hetman das Wort gegeben, daß ich eintrete, ob später oder früher, das ist ganz gleich.« Hier legte er den Finger an die Stirn und wiederholte sein Argument, dessen er sich schon einmal Christine gegenüber bedient hatte:

»Denn seht Ihr, wenn ich so lange Jahre mein Glück hinausgeschoben habe, nur um der Republik zu dienen, wie würde ich nicht dem Trost entsagen, den ich in eurer Gesellschaft finde?«

Назад Дальше