Andere höfliche Männer, die sie unterhalten und ihr etwas Angenehmes sagen wollten, sprachen mit ihr über Ketling, lobten ihn über die Maßen, rühmten seinen Mut, seine Gefälligkeit, seine höfischen Sitten und seine hohe Geburt. Und Christine mußte wohl oder übel zuhören, und ihre Augen suchten unwillkürlich den, von dem gesprochen wurde, und begegneten oft auch seinen Augen. Da erfaßte sie der Zauber mit neuer Gewalt, und ohne es selbst zu wissen, berauschte sie sich an seinem Anblick. Denn wie sehr unterschied sich Ketling von all den rauhen soldatischen Gestalten! »Der Prinz unter seinen Hofleuten,« dachte Christine, wenn sie dieses edle, aristokratische Haupt ansah und diese ehrgeizigen, melancholischen Augen und diese Stirn, die das üppige, blonde Haar umspielte. Das Herz im Busen zitterte ihr, als wäre dies für sie das teuerste Haupt auf Erden. Er hatte es gesehen, und da er ihre Verwirrung nicht vergrößern wollte, näherte er sich ihr nur, wenn auch ein anderer neben ihr saß. Wäre sie eine Königin gewesen, er hätte sie nicht mit größerer Zartheit umgeben können, als er es tat. Wenn er zu ihr sprach, neigte er den Kopf und zog einen Fuß zurück, als ob er andeuten wollte, daß er jeden Augenblick niederzuknieen bereit sei, und er sprach mit Würde, nie scherzend, obgleich er mit Bärbchen gern scherzte. In seinem Umgang mit ihr lag bei der größten Verehrung eher ein Schein süßer Traurigkeit. Dank dieser Würde wagte auch kein anderer irgend ein zu deutliches Wort, irgend einen zu kühnen Scherz, als hätte sich allen die Überzeugung mitgeteilt, daß sie ein Mädchen sei, das an Wert und Geburt alle anderen überstrahlte, der man nie artig genug entgegenkommen könne.
Christine war ihm dafür von Herzen dankbar. Im ganzen verfloß dieser Abend für sie angstvoll, aber angenehm. Als die Mitternacht herankam, hörte die Kapelle auf zu spielen, die Damen verließen die Gesellschaft, und unter den Rittern begann der Becher zu kreisen, und die Unterhaltung, in welcher Sagloba die Würde des Hetmans übernommen hatte, lauter zu werden. Bärbchen begab sich auf ihr Zimmer, lustig wie ein Vogel, denn sie hatte sich vortrefflich unterhalten. Ehe sie zum Abendgebet niederkniete, begann sie übermütig die verschiedenen Gäste nachzuahmen, und sagte endlich in die Hände klatschend zu Christine:
»Vortrefflich, daß dein Ketling gekommen ist, nun werden wir wenigstens an Soldaten keinen Mangel haben. O, laß nur erst die Fastenzeit zu Ende gehen, dann tanze ich auf den Tod, dann wollen wir lustig sein, und auf deiner Verlobung mit Ketling und auf deiner Hochzeit ei, wenn ich das Haus nicht auf den Kopf stelle, so sollen mich die Tataren fortschleppen. Wie wäre es, wenn sie uns so fortschleppten? das wäre lustig, ha! Der liebe Ketling! Für dich hat er die Musikanten kommen lassen, aber ich genieße mit. Er wird für dich immer neue Wunder schaffen, bis er endlich so machen wird! « Dabei fiel Bärbchen plötzlich vor Christine auf die Kniee, umfaßte ihre Hüften mit ihren Armen, und indem sie Ketlings Stimme nachahmte, begann sie:
»Mein Fräulein! Ich liebe Euch so, daß ich nicht atmen kann Ich liebe Euch zu Fuß und zu Pferde, nüchtern und nach der Mahlzeit, ich liebe Euch schottisch und auf ewige Zeiten Wollt Ihr die Meine werden?«
»Bärbchen, ich werde böse!« rief Christine.
Aber anstatt böse zu werden, faßte sie sie in ihre Arme, und während sie tat, als ob sie sie vom Boden aufheben wollte, küßte sie sie auf beide Augen.
7. Kapitel
Sagloba wußte sehr genau, daß der kleine Ritter mehr zu Christine als zu Bärbchen hinneige, aber gerade darum hatte er sich vorgenommen, Christine beiseite zu schieben. Er kannte Wolodyjowski durch und durch und war überzeugt, daß er, wenn ihm keine Wahl bliebe, sich unzweifelhaft Bärbchen zuwenden würde, in die der alte Graukopf selbst so blind vernarrt war, daß in seinem Kopfe der Gedanke gar nicht Raum finden konnte, wie irgend jemand ihr eine andere vorziehen könne. Er redete sich auch ein, er könne Wolodyjowski keinen größeren Dienst erweisen, als wenn er ihn mit dem kleinen Heiducken verlobe, und er schwamm in Wonne bei dem Gedanken an diese Ehe. Wolodyjowski zürnte er, Christinen auch; es war ihm zwar lieber, daß Michael Christine heirate, als daß er ledig blieb, aber er nahm sich selbst vor, alles zu tun, um ihn mit dem kleinen Heiducken zu verheiraten.
Und gerade weil ihm bekannt war, wie der kleine Ritter sich zu Fräulein Drohojowska hingezogen fühlte, wollte er nun so schnell wie möglich eine Frau Ketling aus ihr machen. Aber die Antwort, die er etliche Tage später von Skrzetuski erhielt, machte ihn in seiner Annahme ein wenig schwankend. Skrzetuski riet ihm, seine Hand davon zu lassen, denn er fürchtete, daß im anderen Falle Zwistigkeiten zwischen den Freunden entstehen könnten. Das wünschte auch Sagloba nicht, und so wurden in ihm gewisse Vorwürfe laut, die er etwa so zu beruhigen bemüht war:
»Wenn Michael und Christine sich einander versprochen hätten, und wenn ich dann Ketling wie einen Keil zwischen sie hineintriebe, so würde ich nichts sagen! Der weise Salomo sagt: stecke deine Nase nicht in fremde Dinge und er hat recht; aber wünschen darf ein jeder. Übrigens, was habe ich eigentlich getan? das soll mir jemand sagen, was?«
Dabei stemmte Sagloba die Hände in die Seite, schob die Lippe vor, blickte herausfordernd auf die Wände seines Zimmers, als erwarte er von diesen Vorwürfe; da aber die Wände nichts antworteten, sprach er selbst weiter:
»Ich habe Ketling gesagt, daß ich den kleinen Heiducken für Michael bestimme; soll ich dazu kein Recht haben? Ist es etwa nicht wahr? Wenn ich Michael etwas anderes wünsche, so soll mich das Podagra kneipen!«
Die Wände drückten ihm durch vollkommenes Schweigen ihre Zustimmung aus. Er aber fuhr fort:
»Ich habe dem kleinen Heiducken gesagt, Ketling sei von Fräulein Drohojowska verwundet; ist es etwa nicht wahr? Hat er es nicht zugestanden, hat er nicht geseufzt, als er vor dem Ofen saß, so daß die Asche ins Zimmer flog? Und was ich gesehen habe, habe ich den anderen erzählt. Skrzetuski ist ein Realist, aber auch mein Witz ist nicht für die Katze, ich weiß allein, was man sagen darf, und was man lieber verschweigt Hm, er schreibt, ich solle die Hände davonlassen! Das kann geschehen, ich will meine Hände davonlassen, aber wenn wir mal zu dreien, Christine, Ketling und ich, im Zimmer bleiben, so will ich hinausgehen und sie allein lassen, mögen sie ohne mich fertig werden bah, ich denke, sie werden sich zu helfen wissen, sie brauchen gar keine Hilfe, denn ohnehin drängt's einen zum anderen, daß ihnen die Augen flimmern. Und zum Überfluß kommt der Frühling, wo nicht bloß die Sonne, sondern auch die menschlichen Triebe heftiger zu brennen beginnen Nun gut, ich will es lassen, aber wir wollen sehen, welchen Erfolg es haben wird «
Der Erfolg sollte sich in kurzem zeigen. In der Karwoche zog die ganze Gesellschaft aus Ketlings Hause nach Warschau und nahm im Gasthaus an der Langen Straße Wohnung, um in der Nähe der Kirchen zu sein und nach Herzenslust an der Andacht teilzunehmen, gleichzeitig aber auch die Augen an dem Festtrubel der Stadt zu weiden.
Ketling spielte auch hier den Wirt, denn obgleich Ausländer von Geburt, kannte er doch die Hauptstadt am besten und hatte überall Bekannte, durch die er alles leichter erreichen konnte. Er übertraf sich in Höflichkeiten und erriet fast die Gedanken der Gefährtinnen, besonders Christinens. Sie gewannen ihn auch alle aufrichtig lieb. Frau Makowiezka, die von Sagloba schon vorbereitet war, blickte auf ihn und auf Christine mit immer freundlicherem Auge, und wenn sie bisher kein Wort mit dem Mädchen gesprochen hatte, so war es nur geschehen, weil auch er immer noch schwieg. Aber es erschien dem braven »Tantchen« als eine so natürliche und geziemende Sache, daß der junge Ritter um das Fräulein werbe, besonders weil es sich um einen wahrhaft glänzenden Kavalier handelte, dem auf Schritt und Tritt Zeichen der Hochachtung und Freundschaft entgegengebracht wurden, nicht bloß von Niederen, sondern auch von Höheren. So verstand er durch seine wahrhaft wunderbare Schönheit und feine Sitte, durch Würde, Freigebigkeit, durch Milde im Frieden, durch Tapferkeit im Kriege alle Herzen zu gewinnen.
»Wie Gott geben und mein Mann beschließen wird, soll es werden,« dachte die Frau Truchseß bei sich, »aber ich will ihnen nicht hinderlich sein.«
Dank dieser Anschauung der Frau Truchseß war Ketling jetzt häufiger und länger mit Christine zusammen als im eigenen Hause.
Sagloba reichte gewöhnlich der Frau Truchseß selber den Arm, Ketling Christinen, und Bärbchen als die jüngste ging allein, bald ein Stück vorauseilend, bald vor den Schaukästen stehen bleibend, um die Waren und mannigfachen ausländischen Wunderdinge anzuschauen, die sie bisher nirgends gesehen hatte. Christine gewöhnte sich allmählich an Ketling, und wenn sie sich jetzt auf seinen Arm stützte, wenn sie seiner Rede zuhörte oder in sein edles Gesicht schaute, klopfte das Herz nicht mehr mit der alten Unruhe in ihrer Brust, verließ sie ihre Klarheit nicht mehr, ergriff sie nicht mehr Verlegenheit, sondern eine ungeheure und berauschende Wonne. Sie waren ununterbrochen beisammen, sie knieten nebeneinander in den Kirchen, und ihre Stimmen vereinigten sich bei der Andacht und den frommen Gesängen.
Ketling war sich über den Zustand seines Herzens vollständig klar. Christine sagte sich, sei es aus Mangel an Mut, sei es, daß sie sich selbst täuschen wollte: ich liebe ihn nicht und doch liebten sie sich innig. Da zugleich zwischen ihnen eine große Freundschaft bestand, da sie, über die Liebe hinaus, einander noch sehr gern hatten, und über die Liebe bisher nicht ein Wort gesprochen, so ging ihnen die Zeit hin wie ein Traum, und es leuchtete ihnen beständiger Sonnenschein.
Bald sollten ihn für Christine die Schatten der Gewissensbisse verdunkeln, aber jetzt war die Zeit der Ruhe. Gerade durch die Annäherung an Ketling, durch den gewohnten Verkehr mit ihm, durch diese Freundschaft, die zugleich mit der Liebe zwischen ihnen aufgekeimt war, hatte Christinens Unruhe ein Ende, waren die Eindrücke nicht so gewaltsame, war der Zwiespalt ihres Blutes und ihrer Einbildung verstummt. Sie waren einander nahe, sie fühlten sich nebeneinander wohl, und Christine gab sich mit ganzer Seele der freundlichen Gegenwart hin und wollte nicht daran denken, daß sie je enden könne, und daß es zur Zerstreuung der Täuschung nur des einen Wörtchens von Ketling bedürfe: Ich liebe dich.
Und dieses Wort wurde bald gesprochen. Einmal, als Frau Truchseß mit Bärbchen bei einer kranken Verwandten waren, beredete Ketling Christine und Herrn Sagloba, das königliche Schloß zu besuchen, welches Christine bisher nicht gesehen hatte, und von dessen Wunderdingen man im ganzen Lande erzählte. Sie gingen also zu dreien hin; Ketlings Freigebigkeit öffnete ihnen alle Türen, und Christine wurde von so tiefen Verbeugungen der Diener begrüßt, als wäre sie eine Königin und betrete ihre eigene Residenz. Ketling, der das Schloß genau kannte, führte sie durch die prächtigen Säle und Zimmer. Sie betrachteten das Theater, die königlichen Bäder, sie blieben vor den Bildern, welche die Schlachten und Siege Siegmunds und Wladislaus' über die Barbaren des Ostens darstellten, sie gingen hinaus auf die Terrassen, von denen der Blick in unermeßliche Fernen schweifte. Christine war außer sich vor Bewunderung; er aber erklärte ihr alles. Von Zeit zu Zeit schwieg er und schaute in ihre dunkelblauen Augen, als wollte er mit dem Blicke sagen: Was bedeuten alle diese Wunder gegen dich, du Wunder, was bedeuten alle diese Schätze gegen dich, du Schatz!
Das Mädchen aber verstand diese stumme Sprache. Ehe er sie in eines der königlichen Zimmer führte, blieb er vor einer in der Wand verborgenen Tür stehen und sagte:
»Hier kann man bis in die Kathedrale gelangen; ein langer Korridor, der in einen schmalen Gang ausläuft und bis zu dem großen Altar hinführt. Hier hören der König und die Königin gewöhnlich die Messe.«
»Ich kenne diesen Weg gut,« antwortete Sagloba, »denn da ich mit Johann Kasimir in vertrauter Freundschaft lebte, und Marie Luise mich außerordentlich gern hatte, haben sie mich beide oft zur Messe eingeladen, um sich an meiner Gesellschaft zu erfreuen und an meiner Frömmigkeit zu erbauen.«
»Wünschet Ihr einzutreten?« fragte Ketling, indem er dem Türhüter ein Zeichen gab zu öffnen.
»Gehen wir hinein!« antwortete Christine.
»Geht allein,« sagte Sagloba, »Ihr seid jung und habt kräftige Beine; ich hab' mich schon müde gelaufen. Geht, geht, ich bleibe hier bei dem Diener. Wenn ihr auch mehrere Paternoster betet ich will euch nicht zürnen wegen der Verzögerung, denn ich kann während der Zeit ausruhen.«
Sie gingen also hinein. Ketling nahm ihren Arm und führte sie durch den langen Korridor. Er drückte ihre Hand nicht ans Herz; er ging ruhig und in andächtiger Sammlung. Die Seitenfensterchen beleuchteten von Zeit zu Zeit ihre Gestalt, dann wieder tauchte sie im Dunkel unter. Ihr schlug das Herz ein wenig, denn sie waren zum erstenmal allein geblieben, aber seine Ruhe und Milde beruhigten auch sie. Endlich kamen sie in den schmalen Gang zur rechten Seite der Kirche, unmittelbar hinter dem Gitter in der Nähe des Hochaltars.
Zuerst knieten sie nieder und begannen zu beten. Die Kirche war still und leer. Zwei Lichter brannten vor dem Altar, aber der ganze Hintergrund des Kirchenschiffes lag in feurigem Halbdunkel. Nur durch die Regenbogenscheiben fiel farbiger Glanz auf diese beiden wunderbaren Gesichter, die in Andacht versunken waren, und in ihrer Ruhe Ähnlichkeit mit den Gesichtern der Cherubim hatten.
Ketling erhob sich zuerst und begann zu flüstern, denn er wagte nicht, in der Kirche seine Stimme zu erheben.
»Seht Ihr, diese Samtgewänder, hier sind die Spuren, wo die beiden Häupter des königlichen Paares sich gestützt haben. Die Königin saß auf dieser Seite, dem Altar näher. Ruht Ihr auf ihrem Platze «
»Ist es wahr, daß sie ihr ganzes Leben unglücklich gewesen,« flüsterte Christine, indem sie niedersaß. »Ich habe ihre Geschichte gehört, als ich noch ein Kind war; man erzählte sie in allen Adelsschlössern. Es kann wohl sein, daß sie unglücklich war, denn sie konnte nicht dem die Hand reichen, den ihr Herz liebte.« Christine stützte ihren Kopf auf dieselbe Stelle, an welcher die Vertiefung war, welche der Kopf Marie Luisens gebildet hatte, und schloß die Augen; ein schmerzliches Gefühl bedrückte ihre Brust, ein kalter Zug wehte plötzlich aus dem leeren Kirchenschiff her und machte den Frieden, der noch vor einer Weile ihr ganzes Wesen erfüllt hatte, zu Eis erstarren.
Ketling schaute sie schweigend an, es entstand eine wahrhaft kirchliche Stille. Dann beugte er sich langsam zu Christinens Füßen und begann mit tiefer, bewegter, aber ruhiger Stimme:
»Es ist keine Sünde, wenn ich an heiligem Orte vor dir niederkniee, denn wohin sollte reine Liebe segenheischend flüchten, wenn nicht in die Kirche? Ich liebe dich mehr als mein Leben, ich liebe dich mehr als alles Irdische, mit meiner ganzen Seele, mit meinem ganzen Herzen; nur hier im Angesicht dieses Altars bekenne ich dir meine Liebe!«
Christinens Antlitz wurde bleich wie Linnen; den Kopf auf den Samt der Lehne gestützt, blieb das unglückselige Mädchen unbeweglich. Er aber fuhr fort:
»Ich umfasse deine Kniee und flehe dich an um dein Urteil. Darf ich davongehen voll himmlischer Freude oder mit einem unerträglichen Schmerz, den ich nie und nimmer zu überleben vermöchte?«
Eine Weile harrte er der Antwort, als sie aber nicht kam, neigte er sein Haupt so tief, daß er fast Christinens Füße berührte, und eine sichtlich wachsende Rührung ergriff ihn ganz. Seine Stimme zitterte, als fehlte seiner Brust der Atem.
»In deine Hand empfehle ich mein Glück, mein Leben; deiner Zuneigung harre ich entgegen, denn mir ist furchtbar schwer «
»Laß uns um Gottes Erbarmen beten!« rief plötzlich Christine, indem sie in die Kniee sank.