Der kleine Ritter - Генрик Сенкевич 19 стр.


»Möge Euch Gott trösten und Euch Vergessen schenken!«

Ketling nahm ihre Hand, zog sie an seine glühende Stirn, dann an die Lippen, an die er sie lange und mit ganzer Kraft drückte; endlich sprach er mit einer Stimme voll von tödlicher Trauer und Ergebung:

»Für mich gibt es keinen Trost, kein Vergessen!«

Christine brauchte in diesem Augenblick die ganze Herrschaft über sich selbst, um ihm nicht vor Leid die Arme um den Hals zu schlingen und auszurufen: »Ich liebe dich über alles, nimm mich hin!« Sie fühlte, daß sie dies tun würde, wenn der Schmerz sie fortrisse. Darum stand sie lange Zeit schweigend vor ihm und rang mit ihren Tränen. Endlich überwand sie sich und begann ruhig, aber sehr schnell, weil ihr der Atem fehlte:

»Vielleicht bringt es Euch Trost, wenn ich Euch sage, daß ich keinem Manne angehören werde Ich gehe ins Kloster Denkt nicht schlecht von mir, denn ich bin schon so unglücklich; versprecht mir, gebt mir Euer Wort, daß Ihr niemand Eure Neigung zu mir anvertrauen werdet daß Ihr niemand bekennen werdet daß Ihr das, was vorgefallen, keinem Freunde, keinem Verwandten entdecken werdet. Dieses ist meine letzte Bitte. Einst kommt die Zeit, wo Ihr erfahren werdet, warum ich so handle aber dann seid einsichtsvoll. Heute sage ich nichts mehr, denn ich kann nicht mehr vor Schmerz.  Versprecht mir das, das wird mein Trost sein, sonst sterbe ich.«

»Ich verspreche es und gebe mein Wort,« antwortete Ketling.

»Gott wird es Euch lohnen, und ich danke Euch von ganzem Herzen! Aber in Gegenwart der Menschen zeigt ein ruhiges Gesicht, damit niemand etwas ahne. Ich muß gehen; Ihr seid so gut mit mir, daß ich es mit Worten nicht sagen kann. Von nun ab werden wir uns nicht mehr ohne Zeugen sehen, immer nur vor den Menschen. Saget mir noch, daß Ihr mir nicht gram seid, denn Leiden ist ein anderes und Gramsein ein anderes Gott allein tretet Ihr mich ab, keinem anderen seid dessen eingedenk.«

Ketling wollte sprechen; aber weil er über die Maßen litt, drangen von seinen Lippen nur undeutliche Töne, Seufzern ähnlich. Dann berührte er mit den Fingern Christinens Schläfen und hielt sie so eine Zeitlang, zum Zeichen, daß er ihr verzeihe, und daß er sie segne. Dann trennten sie sich; sie ging in die Kirche, er wieder auf die Straße, um niemand von den Bekannten in der Herberge zu treffen.

Christine kehrte erst gegen Mittag wieder und fand bei ihrer Heimkehr einen ausgezeichneten Gast; es war der Priester Olschowski, der Unterkanzler. Er war unerwartet zu Herrn Sagloba zu Besuch gekommen, weil er den Wunsch hegte, wie er selbst sagte, einen so großen Rittersmann kennen zu lernen, »dessen kriegerische Taten ein Muster, und dessen Verstand ein Vorbild für die gesamte Ritterschaft dieser hohen Republik sei.«

Sagloba war zwar höchlich erstaunt, aber nicht minder auch erfreut darüber, daß ihn eine so große Ehre in Gegenwart der Frauen treffe. Er blies sich also gewaltig auf, wurde rot, kam in Schweiß, und gleichzeitig bemühte er sich, der Frau Truchseß zu zeigen, daß er es gewohnt sei, solche Besuche von den größten Würdenträgern des Landes zu empfangen, und daß er sich nichts aus ihnen mache. Christine wurde dem Prälaten vorgestellt, küßte bescheiden seine Hände und setzte sich neben Bärbchen, froh darüber, daß niemand auf ihrem Gesicht die Spuren der vorangegangenen Erregungen lesen könne.

Inzwischen überhäufte der Unterkanzler Herrn Sagloba so reichlich mit Lobeserhebungen, daß es schien, als schüttle er immer neue Vorräte davon aus seinem violetten, spitzenbesetzten Ärmel.

»Glaubt nicht,« sagte er, »daß mich bloß die Neugier, den ersten Mann unter der Ritterschaft kennen zu lernen, hierhergeführt hat; denn wenn auch die Bewunderung die dem Helden gebührende Huldigung ist, so pflegen doch die Menschen, wo neben dem Mut die Erfahrung und der Scharfsinn ihren Sitz erwählt haben, auch zu ihrem eigenen Nutzen zu wallfahrten.«

»Die Erfahrung,« sagte Sagloba bescheiden, »besonders im Kriegshandwerk, mußte mit den Jahren selber kommen, und vielleicht fragte mich darum noch der selige Herr Koniezpolski, der Vater des Bannerträgers, bisweilen um Rat, dann auch Herr Nikolaus Potozki und Fürst Jeremias, und Herr Sapieha, und Herr Tscharniezki; was aber den Beinamen Ulysses betrifft, so habe ich ihn aus Bescheidenheit stets zurückgewiesen.«

»Und doch ist dieser mit Euch so verwachsen, daß die Menschen oft Euren wahren Namen gar nicht kennen. »Unser Ulysses« sagen sie, und sofort wissen alle, wen der Sprecher bezeichnen wollte. Und darum, bei den heutigen schweren und verkehrten Zeiten, wo mancher zögert und nicht weiß, wohin er sich wenden, auf welche Seite er treten soll, sagte ich mir, will ich hingehen, will seine Ansichten hören, will mich von Zweifeln befreien, will mich durch seine weisen Ratschläge erleuchten. Ihr erratet, daß ich von der bevorstehenden Wahl sprechen will, angesichts welcher jede Kandidatenzensur einen guten Zweck haben kann, um wieviel mehr erst eine solche, die Eurem Munde entströmt. Ich habe schon unter der Ritterschaft mit großem Beifall wiederholt sagen hören, daß Ihr jene Fremdlinge ungern sähet, die sich an unseren erhabenen Thron herandrängen. In den Adern der Wasas, so sollt Ihr gesagt haben, floß das Blut der Jagiellonen, darum haben wir sie nicht als Fremdlinge ansehen können; aber diese Fremdlinge so sollt Ihr gesagt haben kennen weder unsere alten Sitten, noch werden sie unsere alten Freiheiten zu achten verstehen, und daraus könne leicht ein absolutes Herrschertum erwachsen.  Ich erkenne an, daß diese Worte tief sind, aber verzeiht, wenn ich frage: Habt Ihr sie wirklich gesprochen, oder schreibt die öffentliche Meinung alle tiefen Sentenzen aus Gewohnheit in erster Reihe Euch zu?«

»Die Frauen sind meine Zeugen,« antwortete Sagloba, »und wenn auch der Gegenstand nicht gerade für sie geeignet ist, so mögen sie sprechen, wenn die Vorsehung in ihren unerforschlichen Ratschlüssen ihnen die Gaben der Rede gleich wie uns zuerkannt hat.«

Der Unterkanzler blickte unwillkürlich auf Frau Makowiezka hin und dann auf die beiden aneinandergeschmiegten Mädchen. Es trat eine Stille ein.

Plötzlich ertönte Bärbchens Silberstimme:

»Ich habe nichts gehört.«

Bärbchen geriet in große Verwirrung und wurde bis über die Ohren rot, besonders als Herr Sagloba sagte:

»Verzeihen, Ehrwürden, Jugend hat keine Tugend, aber betreffs der Kandidaten habe ich oft gesagt, über die Fremdlinge wird unsere Freiheit weinen.«

»Auch ich fürchte das,« versetzte der Prälat; »aber wollten wir auch einen Piasten, Blut von unserem Blut, und Fleisch von unserem Fleische wählen,  sagt mir doch, nach welcher Seite hin sollen sich unsere Herzen wenden? Schon Euer Gedanke an einen Piast ist groß und verbreitet sich gleich einer Flamme durch das ganze Land, denn ich höre, daß überall auf den Landtagen, wo die Korruption nicht überhandgenommen hat, nur eine Stimme laut wird: Ein Piast, Ein Piast!«

»Gewiß, gewiß,« sagte Sagloba.

»Indessen,« fuhr der Unterkanzler fort, »ist es leichter, einen Piasten zu wählen, als den Erwählten zu finden. Wundert Euch darum nicht, wenn ich frage: An wen dachtet Ihr?«

»An wen ich dachte?« wiederholte Sagloba; er schob die Lippen vor und runzelte die Brauen. Es wurde ihm schwer, sogleich eine Antwort zu finden, denn er hatte bisher nicht nur an niemanden gedacht, er hatte überhaupt diese Gedanken gar nicht gehabt, die ihm der geschickte Priester bereits eingeredet hatte. Er wußte das übrigens selbst und begriff, daß der Kanzler ihn nach einer bestimmten Richtung lenken wollte; aber er ließ sich absichtlich locken, denn es schmeichelte ihm das außerordentlich.

»Ich habe nur aus Grundsatz behauptet, wir müssen einen Piasten haben,« antwortete er endlich, »aber es ist wahr, ich habe noch keinen genannt.«

»Ich habe nur aus Grundsatz behauptet, wir müssen einen Piasten haben,« antwortete er endlich, »aber es ist wahr, ich habe noch keinen genannt.«

»Ich habe von den ehrgeizigen Absichten des Fürsten Boguslaw Radziwill vernommen,« brummte Olschowski so für sich hin.

»Solange Atem in meinem Munde, solange noch ein Tropfen Blutes in meiner Brust ist,« rief Sagloba mit der Kraft einer tiefen Überzeugung aus, »wird daraus nichts. Ich wollte nicht leben unter einem Volke, das so geschändet ist, daß es seinen Verräter und Judas zum Lohne zum Könige wählt.«

»Das ist nicht nur die Stimme der Vernunft, sondern auch der Bürgertugend,« murmelte wieder der Unterkanzler.

»Ha!« dachte Sagloba, »willst du mich fangen, so fange ich dich.«

Und Olschowski versetzte wiederum: »Wohin steuerst du, schwankendes Schifflein meines Vaterlandes, welche Stürme, welche Riffe harren dein? Wahrlich, es wird schlimm sein, wenn ein Fremdling dein Steuermann wird, aber es kann nicht anders sein, denn es gibt unter deinen Söhnen keinen Würdigeren.«

»Condé also, der Lothringer, oder der Fürst von Neuburg? Es gibt kein anderes Mittel.«

»Das kann nicht sein! Ein Piast!« antwortete Sagloba.

»Und wer?« fragte der Priester, dann folgte Schweigen.

Und wieder nahm der Priester das Wort:

»Gibt es auch nur einen, auf den sich alle Stimmen vereinigen würden? Wo ist jemand, der dem Adel so gefiele, daß niemand gegen seine Wahl murren sollte? Einen hat es gegeben, der Größte, der Verdienteste: Deinen Freund, braver Ritter, der wie die Sonne in Ruhm erstrahlte. Einen hat es gegeben!«

»Fürst Jeremias Wischniowiezki.«

»Ja, Fürst Jeremias! Aber er liegt im Grabe.«

»Sein Sohn lebt,« antwortete Sagloba.

Der Kanzler schloß die Augen und saß eine Zeitlang schweigend da. Dann hob er den Kopf, blickte Sagloba an und begann langsam:

»Ich danke Gott, daß er mir eingegeben hat, Eure Bekanntschaft zu suchen! Es ist wahr, der Sohn des großen Jeremias lebt, ein junger, hoffnungsvoller Fürst, gegen den die heutige Republik bis zum heutigen Tage eine unbezahlte Schuld abzutragen hat. Aber von dem ungeheuren Besitz ist ihm als einziges Erbe nur der Ruhm geblieben. Darum, in den heutigen verderbten Zeiten, wo jeder seine Augen nur dorthin lenkt, wo das Gold anlockt wer wird seinen Namen aussprechen, wer den Mut haben, seine Kandidatur aufzustellen, Herr Sagloba?  Wohl, aber werden sich viele solcher finden? Kein Wunder, daß ein Mann, der sein ganzes Leben in heldenhaftem Ringen auf allen Schlachtfeldern dahingelebt hat, nicht zurückschreckt, und auch auf dem Felde der Wahl laut der Gerechtigkeit huldigt Aber werden die anderen ihm folgen?«

Hier versank der Prälat in Gedanken, dann erhob er die Augen und sprach weiter:

»Gott ist mächtig über alle,  wer weiß, welches seine Entschlüsse sind, wer weiß! Wenn ich bedenke, wie der gesamte Adel Euch glaubt und vertraut, so beobachte ich wahrhaftig mit Erstaunen, daß mir Hoffnung ins Herz kommt. Sagt mir aufrichtig, hat es für Euch je etwas Unmögliches gegeben?«

»Nie!« antwortete Sagloba mit Überzeugung.

»Zu schroff darf man diese Kandidatur nicht gleich aufstellen. Mag erst der Name an die Ohren der Menschen schlagen, aber mag er den Gegnern nicht zu drohend erscheinen. Mögen sie lieber lachen und höhnen, um nicht zu kräftige Hindernisse in den Weg zu legen Vielleicht gibt auch der Himmel, daß er plötzlich in die Höhe kommt, wenn die anderen Parteien gegenseitig ihre Bemühungen vernichten; bahnt ihm langsam den Weg, werdet nicht müde in der Arbeit, denn er ist Euer Kandidat, würdig Eures Verstandes, Eurer Erfahrung Gott segne Euch in diesen Bestrebungen!«

»Soll ich voraussetzen,« fragte Sagloba, »daß Ew. Hochwürden auch an den Fürsten Michael gedacht haben?«

Der Priester zog aus dem Ärmel ein kleines Büchlein, auf welchem in schwarzen Buchstaben der Titel stand: Censura candidatorum.

»Lest; diese Schrift soll für mich antworten.«

Bei diesen Worten schickte sich der Priester an aufzubrechen; Sagloba aber hielt ihn zurück und sagte:

»Gestattet mir, Hochwürden, noch etwas zu sagen. Vor allem danke ich Gott, daß das kleine Siegel sich in Händen befindet, welche die Menschen wie Wachs zu kneten verstehen.«

»Wie?« fragte der Kanzler verwundert.

»Dann aber sage ich Ew. Hochwürden von vornherein, daß die Kandidatur des Fürsten Michael mir sehr gefällt, denn ich habe seinen Vater gekannt und geliebt und habe mich unter seiner Führung samt meinen Freunden geschlagen, die auch aufjubeln werden bei dem Gedanken, daß sie dem Sohne die Liebe werden erzeigen können, die sie gegen den großen Vater hatten. Darum erfasse ich mit beiden Händen die Kandidatur; noch heute werde ich mit dem Herrn Unterkämmerer Krschyzki sprechen, mit dem ich nahe bekannt und befreundet bin, und der große Achtung beim Adel genießt, denn es ist wahrlich schwer, ihn nicht zu lieben. Wir werden dann beide tun, was in unseren Kräften steht, und gebe Gott, daß wir etwas erwirken!«

»Mögen Euch die Engel geleiten!« versetzte der Priester, »wenn dem so ist, so sind wir fertig.«

»Mit Erlaubnis, Hochwürden, noch sind wir nicht ganz fertig. Ich möchte nicht, daß Ew. Hochwürden denken: Ich habe ihm meine eigenen desiderata eingeredet, ich habe ihm eingeredet, daß er aus eigenem Verstande des Fürsten Michael Kandidatur erfunden hat; mit einem Worte, ich habe den Narren in meiner Hand geknetet, als ob es Wachs wäre Hochwürden, ich werde den Fürsten Michael darum aufstellen, weil ich ihn liebe da liegt's. Daß er Euer Hochwürden, wie ich sehe, auch gefällt desto besser Ich werde ihn aufstellen, der Fürstenwitwe zuliebe, meinen Freunden zuliebe, dem Vertrauen zuliebe, das ich zu dem Verstande habe« hier verneigte sich Sagloba »aus welchem diese Minerva entsprungen ist, aber nicht etwa deshalb, weil ich mir wie ein kleines Kind hätte einreden lassen, es wäre meine Invention; nicht deshalb endlich, weil ich ein Narr bin, sondern deshalb, weil der alte Sagloba, wenn ihm ein kluger Mann etwas Kluges sagt, einschlägt und Topp! ruft.«

Hier verneigte sich der Edelmann noch einmal und verstummte. Der Priester war anfänglich stark verwirrt, aber da er die gute Laune des Edelmannes sah, und da die Sache den gewünschten Verlauf nahm, so lachte er aus vollem Halse, faßte sich an den Kopf und wiederholte:

»Ulysses, Ulysses, beim Himmel, ein wahrer Ulysses! Mein lieber Freund und Bruder, wer was Gutes schaffen will, muß die Menschen verschieden zu nehmen wissen; aber mit Euch, sehe ich, muß man geradezu ins Schwarze. Ihr habt mir vortrefflich gefallen!«

»Ganz wie Fürst Michael mir.«

»Schenke Euch Gott Gesundheit. Ja, ich bin geschlagen, aber ich freue mich darüber! Ihr habt wohl Grütze im Kopf Und dieser Siegelring, wenn er sich zum Andenken an unsere Begegnung eignet «

Sagloba fiel ihm ins Wort: » Und dieser Siegelring bleibe an seinem Platze.«

»Tut es schon für mich!«

»Das kann nimmer sein; vielleicht ein andermal später einmal, nach der Wahl.«

Der Priester-Unterkanzler hatte begriffen und drängte nicht länger; aber er ging mit strahlendem Gesicht hinaus.

Sagloba begleitete ihn bis vor das Tor und brummte, als er zurückkam:

»Ha! Ich habe ihm eine Lehre gegeben, in mir hat er seinesgleichen gefunden Aber die Ehre! Hier werden die Würdenträger vor dem Tore Auffahrt halten, um einander zuvorzukommen bin doch neugierig, was die Frauen dort denken werden.«

Die Frauen waren in der Tat voll Bewunderung, und Sagloba wuchs bis zur Decke, besonders in den Augen der Frau Makowiezka. Sie rief ihm auch, kaum daß er sich zeigte, mit großem Feuer entgegen:

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