Der Zauberberg. Volume 2 - Томас Манн 7 стр.


Naphta hatte zugehört. Er sprach nach hinten:

"Des Mönchs! Man dankt den Mönchen die Kultur des euro-päischen Bodens! Man dankt ihnen, daß Deutschland, Frank-reich und Italien nicht mit Wildwald und Ursümpfen bedeckt sind, sondern uns Korn, Obst und Wein bescheren! Die Mön-che, mein Herr, haben sehr wohl gearbeitet "

"Ebbe, nun also!"

"Ich bitte. Die Arbeit des Religiösen war weder Selbstzweck, das heißt: Betäubungsmittel, noch lag ihr Sinn darin, die Welt zu fördern oder geschäftliche Vorteile zu erlangen. Sie war reine asketische Übung, Bestandteil der Bußdisziplin, Heilsmittel. Sie gewährte Schutz gegen das Fleisch, diente der Abtötung der Sinnlichkeit. Sie trug also erlauben Sie mir, das festzustellen völlig unsozialen Charakter. Sie war ungetrübtester religiöser Egoismus."

"Ich bin Ihnen für die Aufklärung sehr verbunden und freue mich, den Segen der Arbeit auch gegen den Willen des Men-schen sich bewähren zu sehen."

"Ja, gegen seine Absicht. Wir bemerken da nichts Geringeres, als den Unterschied zwischen dem Nützlichen und dem Huma-nen."

"Ich bemerke vor allem mit Unmut, daß Sie schon wieder Weltentzweiung treiben."

"Ich bedauere, mir Ihr Mißfallen zugezogen zu haben, aber man muß die Dinge scheiden und ordnen und die Idee des Homo Dei von unreinen Bestandteilen freihalten. Ihr Italiener habt das Wechslergeschäft und die Banken erfunden; das verzeih' euch Gott. Aber die Engländer erfanden die ökonomistische Gesellschaftslehre, und das wird der Genius des Menschen ihnen niemals verzeihen."

"Ah, der Genius der Menschheit war auch in den großen ökonomischen Denkern jener Inseln lebendig! Sie wollten sprechen, Ingenieur?"

Das leugnete Hans Castorp, sagte aber dennoch und Naphta sowohl wie Settembrini hörten ihm mit einer gewissen Span-nung zu:

"An dem Beruf meines Vetters müssen Sie demnach Gefallen haben, Herr Naphta, und einverstanden sein mit seiner Unge-duld, ihn zu ergreifen Ich bin ja Zivilist durch und durch, mein Vetter macht es mir öfters zum Vorwurf. Ich habe nicht mal gedient und bin ganz ausgesprochen ein Kind des Friedens und habe sogar schon manchmal gedacht, daß ich sehr gut auch Geistlicher hätte werden können, fragen Sie meinen Vetter, ich habe verschiedentlich so was geäußert. Aber wenn ich von meinen persönlichen Neigungen absehe und vielleicht brauch' ich, genau genommen, gar nicht so ganz davon abzuse-hen , so habe ich eine Menge Verständnis und Neigung für den militärischen Stand. Es hat ja eine verteufelt ernsthafte Be-wandtnis damit, eine 'asketische', wenn Sie wollen Sie waren vorhin so freundlich, den Ausdruck irgendwie zu gebrauchen , und immer muß er damit rechnen, es mit dem Tode zu tun zu bekommen, mit dem ja letzten Endes auch der geistliche Stand es zu tun hat, womit denn sonst. Daher hat der Solda-tenstand die bienséance und die Rangordnung und den Gehor-sam und die spanische Ehre, wenn ich so sagen darf, und es ist ziemlich gleich, ob er einen steifen Uniformkragen trägt oder eine gestärkte Halskrause, es kommt auf dasselbe hinaus, auf das 'Asketische', wie Sie vorhin so hervorragend sich ausdrück-ten Ich weiß nicht, ob es mir gelingt, Ihnen meinen Gedankengang "

"Doch, doch", sagte Naphta und warf einen Blick zu Settembrini hinüber, der seinen Stock drehte und den Himmel be-trachtete.

"Und darum meine ich", fuhr Hans Castorp fort, "daß die Neigungen meines Vetters Ziemßen Ihnen sympathisch sein müßten, nach allem, was Sie sagen. Ich denke da nicht an 'Thron und Altar' und solche Verbindungen, womit manche Leute, so schlechthin ordnungsliebende und einfach bloß wohl-gesinnte Leute, die Zusammengehörigkeit manchmal rechtferti-gen. Sondern ich denke daran, daß die Arbeit des Soldatenstan-des, das heißt der Dienst in diesem Falle spricht man von Dienst absolut nicht um geschäftlicher Vorteile willen ge-schieht und zur "ökonomischen Gesellschaftslehre', wie Sie sag-ten, gar keine Beziehungen hat, weshalb denn auch die Engländer nur wenig Soldaten haben, ein paar für Indien und ein paar zu Hause für die Parade "

"Es ist zwecklos, daß Sie fortfahren, Ingenieur", unterbrach ihn Settembrini. "Die soldatische Existenz ich sage das, ohne unseren Leutnant zu nahe treten zu wollen ist geistig indiskutabel, denn sie ist rein formal, an und für sich ohne Inhalt, der Grundtypus des Soldaten ist der Landsknecht, der sich für diese oder auch jene Sache anwerben ließ, kurzum, es gab den Soldaten der spanischen Gegenreformation, den Soldaten der Re-volutionsheere, den napoleonischen, den Garibaldis, es gibt den preußischen. Lassen Sie mich über den Soldaten reden, wenn ich weiß, wofür er sich schlägt!"

"Daß er sich schlägt", versetzte Naphta, "bleibt immerhin ei-ne greifbare Eigentümlichkeit seines Standes, lassen wir das gut sein. Es ist möglich, daß sie nicht hinreicht, diesen Stand in Ih-rem Sinne 'geistig diskutabel' zu machen, aber sie rückt ihn in eine Sphäre, worein bürgerlicher Lebensbejahung jeder Einblick verwehrt ist."

"Was Sie bürgerliche Lebensbejahung zu nennen belieben", entgegnete Herr Settembrini mit dem vorderen Teil der Lippen, während seine Mundwinkel unter dem geschwungenen Schnurrbart sich straff in die Breite zogen und sein Hals sich auf ganz eigentümliche Art schräg und ruckweise aus dem Kragen herausschraubte, "wird immer bereit gefunden werden, für die Ideen der Vernunft und der Sittlichkeit und für ihren rechtmä-ßigen Einuß auf junge schwankende Seelen in jeder beliebi-gen Form einzutreten."

Ein Schweigen folgte. Die jungen Leute blickten betroffen vor sich hin. Nach einigen Schritten sagte Settembrini, der Kopf und Hals wieder in natürliche Stellung gebracht hatte:

"Sie dürfen sich nicht wundern, dieser Herr und ich, wir zan-ken uns oft, aber es geschieht in aller Freundschaft und auf Grund manchen Einverständnisses."

Das tat wohl. Es war ritterlich und human von Herrn Settembrini. Aber Joachim, der es ebenfalls gut meinte und das Gespräch harmlos fortzuführen gedachte, sagte trotzdem, als stünde er unter irgendeinem Druck und Zwang, und gleichsam gegen seinen Willen: "Zufällig sprachen wir vom Kriege, mein Vetter und ich, vorhin, als wir hinter Ihnen gingen."

"Das hörte ich", antwortete Naphta. "Ich ng das Wort auf und sah mich um. Politisieren Sie? Erörterten Sie die Weltlage?"

"Oh, nein", lachte Hans Castorp. "Wie sollten wir dazu wohl kommen! Für meinen Vetter hier wäre es von Berufs wegen ge-radezu unpassend, sich um Politik zu kümmern, und ich ver-zichte freiwillig darauf, verstehe gar nichts davon. Seit ich hier bin, habe ich noch nicht einmal eine Zeitung in der Hand ge-habt "

Settembrini fand das, wie früher schon einmal, tadelnswert. Er zeigte sich sofort aufs beste unterrichtet über die großen Ver-hältnisse und beurteilte sie beifällig insofern, als die Dinge einen der Zivilisation günstigen Verlauf nähmen. Die europäische Gesamtatmosphäre sei von Friedensgedanken, von Abrüstungs-plänen erfüllt. Die demokratische Idee marschiere. Er erklärte, vertrauliche Informationen zu besitzen, dahingehend, das Jung-türkentum beende soeben seine Vorbereitungen zu grundstür-zenden Unternehmungen. Die Türkei als National und Verfas-sungsstaat, welch ein Triumph der Menschlichkeit!

"Liberalisierung des Islam", spottete Naphta. "Vorzüglich. Der aufgeklärte Fanatismus, sehr gut. Übrigens geht das Sie an", wandte er sich an Joachim. "Wenn Abdul Hamid fällt, ist es mit Ihrem Einuß in der Türkei zu Ende, und England wirft sich zum Protektor auf Sie müssen die Verbindungen und Informationen unseres Settembrini durchaus ernst nehmen", sagte er zu beiden Vettern, und auch dies klang impertinent, da er sie für geneigt zu halten schien, Herrn Settembrini nicht ernst zu nehmen. "In national-revolutionären Dingen weiß er Bescheid. Bei ihm zu Hause unterhält man gute Beziehungen zum englischen Balkankomitee. Was wird aber aus den Abma-chungen von Reval, Lodovico, wenn Ihre Fortschrittstürken Glück haben? Eduard der Siebente wird den Russen die Öff-nung der Dardanellen nicht mehr zugestehen können, und wenn Österreich sich trotzdem zu einer aktiven Balkanpolitik aufrafft, so "

"Mit Ihrer Katastrophenprophetie!" wehrte Settembrini ab. "Nikolaus liebt den Frieden. Man verdankt ihm die Konferenzen im Haag, die moralische Tatsachen ersten Ranges bleiben."

"Ei, Rußland mußte sich nach seinem kleinen Mißgeschick im Osten noch etwas Erholung gönnen!"

"Pfui, mein Herr. Sie sollten die Sehnsucht der Menschheit nach ihrer gesellschaftlichen Vervollkommnung nicht verhöh-nen. Das Volk, das solche Bestrebungen durchkreuzt, wird sich unzweifelhaft der moralischen Achtung aussetzen."

"Wozu wäre die Politik auch da, als einander Gelegenheit zu geben, sich moralisch zu kompromittieren!"

"Sie huldigen dem Pangermanismus?"

Naphta zuckte die Schultern, die nicht ganz gleichmäßig standen. Er war wohl eigentlich etwas schief, zu seiner sonstigen Häßlichkeit. Er verschmähte es, zu antworten. Settembrini urteilte:

"Jedenfalls ist es zynisch, was Sie da sagen. In den hochherzigen Anstrengungen der Demokratie, sich international durchzu-setzen, wollen Sie nichts erblicken, als politische List"

"Sie verlangen wohl, daß ich Idealismus oder gar Religiosität darin erblicke? Es handelt sich um letzte, schwächliche Regun-gen des Restes von Selbsterhaltungsinstinkt, über den ein verur-teiltes Weltsystem noch verfügt. Die Katastrophe soll und muß kommen, sie kommt auf allen Wegen und auf alle Weise. Neh-men Sie die britische Staatskunst. Englands Bedürfnis, das indi-sche Glacis zu sichern, ist legitim. Aber die Folgen? Eduard weiß so gut wie Sie und ich, daß die Machthaber von Petersburg die mandschurische Scharte auswetzen müssen und die Ableitung der Revolution so notwendig brauchen wie das liebe Brot. Trotzdem lenkt er er muß es wohl! den russischen Ausdehnungsdrang nach Europa, weckt eingeschlummerte Riva-litäten zwischen Petersburg und Wien "

"Ach, Wien! Sie sorgen sich um dieses Welthindernis, ver-mutlich, weil Sie in dem morschen Imperium, dessen Haupt es ist, die Mumie des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation erkennen!"

"Und Sie nde ich russophil, vermutlich aus humanistischer Sympathie mit dem Cäsaro-Papismus."

"Mein Herr, die Demokratie hat selbst vom Kreml mehr zu hoffen, als von der Hofburg, und es ist eine Schande für das Land Luthers und Gutenbergs "

"Es ist außerdem wahrscheinlich eine Dummheit. Aber auch diese Dummheit ist ein Werkzeug der Fatalität "

"Ach, gehen Sie mir mit der Fatalität! Die menschliche Ver-nunft braucht sich nur stärker zu wollen als die Fatalität, und sie ist es?"

"Gewollt wird immer nur das Schicksal. Das kapitalistische Europa will das seine."

"Man glaubt an das Kommen des Krieges, wenn man ihn nicht hinlänglich verabscheut!"

"Ihre Abscheu ist logisch abrupt, solange Sie ihn nicht beim Staate selbst beginnen lassen."

"Der nationale Staat ist das Prinzip des Diesseits, das Sie dem Teufel zuschreiben möchten. Machen Sie aber die Nationen frei und gleich, schützen Sie die kleinen und schwachen vor Unter-drückung, schaffen Sie Gerechtigkeit, schaffen Sie nationale Grenzen "

"Die Brennergrenze, ich weiß. Die Liquidation Österreichs. Wenn ich nur wüßte, wie Sie sie ohne Krieg zu bewerkstelligen gedenken!"

"Und ich wüßte wahrhaftig gern, wann jemals ich den nationalen Krieg verdammt haben soll."

"Ich höre doch wohl "

"Nein, das muß ich Herrn Settembrini bestätigen", mischte sich Hans Castorp in den Disput, dem er im Gehen gefolgt war, indem er den jeweils Sprechenden mit schrägem Kopfe auf-merksam von der Seite betrachtet hatte. "Mein Vetter und ich haben ja schon manchmal den Vorzug gehabt, uns mit ihm über diese und ähnliche Dinge zu unterhalten, das heißt, natürlich lief es darauf hinaus, daß wir ihm zuhörten, wie er seine Mei-nungen entwickelte und alles klarstellte. Und da kann ich denn bestätigen, und auch mein Vetter hier wird sich daran erinnern, daß Herr Settembrini mehr als einmal mit großer Begeisterung von dem Prinzip der Bewegung und der Rebellion und der Weltverbesserung sprach, das ja an sich kein so ganz friedliches Prinzip ist, sollte ich meinen, und daß diesem Prinzip noch gro-ße Anstrengungen bevorständen, ehe es überall gesiegt haben werde und die allgemeine glückliche Weltrepublik stattnden könne. Das waren seine Worte, wenn sie auch natürlich viel pla-stischer und schriftstellerischer waren als meine, das versteht sich von selbst. Was ich aber ganz genau weiß und wörtlich be-halten habe, weil ich als ausgepichter Zivilist direkt etwas dar-über erschrak, das war, daß er sagte, dieser Tag werde, wenn nicht auf Taubenfüßen, so auf Adlerschwingen kommen (über die Adlerschwingen erschrak ich, wie ich mich erinnere), und Wien müsse aufs Haupt geschlagen sein, wenn man das Glück in die Wege leiten wolle. Man kann also nicht sagen, daß Herr Settembrini den Krieg überhaupt verworfen hat. Habe ich recht, Herr Settembrini?"

"Ungefähr", sagte der Italiener kurz, indem er abgewandten Kopfes seinen Stock schwenkte.

"Schlimm", lächelte Naphta häßlich. "Da sind Sie von Ihrem eigenen Schüler kriegerischer Neigungen überführt. Assument pennas ut aquilae "

"Voltaire selbst hat den Zivilisationskrieg bejaht und Fried-rich dem Zweiten den Krieg gegen die Türken empfohlen."

"Statt dessen verbündete er sich mit ihnen, he, he. Und dann die Weltrepublik! Ich unterlasse es, mich zu erkundigen, was aus dem Prinzip der Bewegung und der Rebellion wird, wenn das Glück und die Vereinigung hergestellt sind. In diesem Augen-blick würde die Rebellion zum Verbrechen "

"Sie wissen sehr wohl, und auch diese jungen Herren wissen es, daß es sich um einen als unendlich gedachten Fortschritt der Menschheit handelt."

"Alle Bewegung ist aber kreisförmig", sagte Hans Castorp. "Im Raum und in der Zeit, das lehren die Gesetze von der Er-haltung der Masse und von der Periodizität. Mein Vetter und ich sprachen vorhin noch davon. Kann denn bei geschlossener Bewegung ohne Richtungsdauer von Fortschritt die Rede sein? Wenn ich abends so liege und den Zodiakus betrachte, das heißt: die Hälfte, die zu sehen ist, und an die alten weisen Völ-ker denke "

"Sie sollten nicht grübeln und träumen, Ingenieur", unterbrach ihn Settembrini, "sondern sich entschlossen den Instink-ten Ihrer Jahre und Ihrer Rasse anvertrauen, die Sie zur Tätigkeit drängen müssen. Auch Ihre naturwissenschaftliche Bildung muß Sie der Fortschrittsidee verbinden. Sie sehen in ungemessenen Zeiträumen das Leben vom Infusor zum Menschen sich fort-und emporentwickeln, Sie können nicht zweifeln, daß dem Menschen noch unendliche Vervollkommnungsmöglichkeiten offen stehen. Versteifen Sie sich denn aber auf die Mathematik, so führen Sie Ihren Kreislauf von Vollkommenheit zu Voll-kommenheit und erquicken Sie sich an der Lehre unseres acht-zehnten Jahrhunderts, daß der Mensch ursprünglich gut, glück-lich und vollkommen war, daß nur die gesellschaftlichen Irrtü-mer ihn entstellt und verdorben haben, und daß er auf dem Wege kritischer Arbeit am Gesellschaftsbau wieder gut, glück-lich und vollkommen werden soll, werden wir "

"Herr Settembrini versäumt, hinzuzufügen", el Naphta ein, "daß das Rousseausche Idyll eine vernünftlerische Verballhornung der kirchlichen Doktrin von der ehemaligen Staat und Sündlosigkeit des Menschen ist, seiner ursprünglichen Gottes-unmittelbarkeit und Gotteskindschaft, zu der er zurückkehren soll. Die Wiederherstellung des Gottesstaates nach Auösung aller irdischen Formen liegt aber dort, wo Erde und Himmel, Sinnliches und Übersinnliches sich berühren, das Heil ist trans-zendent, und was Ihre kapitalistische Weltrepublik anbelangt, lieber Doktor, so ist es recht sonderbar, Sie in diesem Zusam-menhang von 'Instinkt' reden zu hören. Das Instinktive ist durchaus auf Seiten des Nationalen, und Gott selbst hat den Menschen den natürlichen Instinkt eingepanzt, der die Völker veranlaßt hat, sich in verschiedenen Staaten voneinander zu sondern. Der Krieg "

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