Aufgaben zum Text
1. Beschreiben Sie einen Tag im Heidelager.
2. Neben den Baracken befindet sich das Russenlager. Wie verhält man sich zu den Gefangenen?
3. Erzählen Sie über den Besuch des Vaters. Was braucht Pauls Mutter? Warum weiß sein Vater nicht, wieviel die Operation kostet?
4. Was bedeutet der Kartoffelpuffer für Paul?
Texterläuterungen
Siebzehn-und-vier ein Kartenspiel
Bernhardiner, der ein großer, kräftiger Hund, mit dem man besonders die Leute sucht, die von einer Lawine verschüttet wurden revidieren (noch einmal) prüfen
Friesland das ganze von den Friesen bewohnte Gebiet zwischen Rhein- und Wesermündung
Ruhr, die eine Infektion des Darmes, die zu starkem Durchfall führt
Juchten, das meist mit Weidenrinden gegerbtes und mit Birkenöl eingefettetes, gutes Rindsoder Rossleder
Mettwurst, die Wurst aus magerem, gewürztem Hackfleisch
Zuflucht, die ein Ort oder eine Person, die jemandem Schutz und Hilfe geben, wenn er in Gefahr, Not ist
Choral, der ein feierliches Lied, das besonders bei religiösen Anlässen gesungen wird
Überstunde, die (eine Stunde) Arbeit, die man zusätzlich zur normalen Arbeitszeit macht
9
Wir fahren einige Tage. Die ersten Flieger erscheinen am Himmel. Wir rollen an Transportzügen vorüber. Geschütze, Geschütze. Die Feldbahn übernimmt uns. Ich suche mein Regiment. Niemand weiß, wo es gerade liegt. Irgendwo übernachte ich, irgendwo empfange ich morgens Proviant und einige vage Instruktionen. So mache ich mich mit meinem Tornister und meinem Gewehr wieder auf den Weg. Als ich ankomme, ist keiner von uns mehr in dem zerschossenen Ort. Ich höre, dass wir zu einer fliegenden Division geworden sind, die überall eingesetzt wird, wo es brenzlig* ist. Das stimmt mich nicht heiter. Man erzählt mir von großen Verlusten, die wir gehabt haben sollen. Ich forsche nach Kat und Albert. Es weiß niemand etwas von ihnen.
Ich suche weiter und irre umher, das ist ein wunderliches Gefühl. Noch eine Nacht und eine zweite kampiere* ich wie ein Indianer. Dann habe ich bestimmte Nachricht und kann mich nachmittags auf der Schreibstube melden.
Der Feldwebel behält mich da. Die Kompanie kommt in zwei Tagen zurück, es hat keinen Zweck mehr, mich hinauszuschicken. »Wie wars im Urlaub?« fragt er. »Schön, was?«
»Teils, teils«, sage ich.
»Jaja«, seufzt er, »wenn man nicht wieder weg müsste. Die zweite Hälfte wird dadurch immer schon verpfuscht.«
Ich lungere umher, bis die Kompanie morgens einrückt, grau, schmutzig, verdrossen und trübe. Da springe ich auf und dränge mich zwischen sie, meine Augen suchen, dort ist Tjaden, da schnaubt Müller, und da sind auch Kat und Kropp. Wir machen uns unsere Strohsäcke nebeneinander zurecht. Ich fühle mich schuldbewusst, wenn ich sie ansehe, und habe doch keinen Grund dazu. Bevor wir schlafen, hole ich den Rest der Kartoffelpuffer und der Marmelade heraus, damit sie auch etwas haben.
Die beiden äußeren Puffer sind angeschimmelt, man kann sie aber noch essen. Ich nehme sie für mich und gebe die frischeren Kat und Kropp.
Kat kaut und fragt: »Die sind wohl von Muttern?«
Ich nicke.
»Gut«, sagt er, »das schmeckt man heraus.«
Fast könnte ich weinen. Ich kenne mich selbst nicht mehr. Doch es wird schon wieder besser werden, hier mit Kat und Albert und den übrigen. Hier gehöre ich hin.
»Du hast Glück gehabt«, flüstert Kropp mir noch beim Einschlafen zu, »es heißt, wir kommen nach Russland.« Nach Russland. Da ist ja kein Krieg mehr.
In der Ferne donnert die Front. Die Wände der Baracken klirren.
* * *Es wird mächtig geputzt. Ein Appell jagt den andern. Von allen Seiten werden wir revidiert. Was zerrissen ist, wird umgetauscht gegen gute Sachen. Ich erwische dabei einen tadellosen neuen Rock, Kat natürlich sogar eine volle Montur*. Das Gerücht taucht auf, es gäbe Frieden, doch die andere Ansicht ist wahrscheinlicher: dass wir nach Russland verladen werden. Aber wozu brauchen wir in Russland bessere Sachen? Endlich sickert* es durch: der Kaiser kommt zur Besichtigung. Deshalb die vielen Musterungen.
Acht Tage lang könnte man glauben, in einer Rekrutenkaserne zu sitzen, so wird gearbeitet und exerziert. Alles ist verdrossen und nervös, denn übermäßiges Putzen ist nichts für uns und Parademarsch noch weniger. Gerade solche Sachen verärgern den Soldaten mehr als der Schützengraben. Endlich ist der Augenblick da. Wir stehen stramm, und der Kaiser erscheint. Wir sind neugierig, wie er aussehen mag. Er schreitet die Front entlang, und ich bin eigentlich etwas enttäuscht: nach den Bildern hatte ich ihn mir größer und mächtiger vorgestellt, vor allen Dingen mit einer donnernderen Stimme.
Er verteilt Eiserne Kreuze und spricht diesen und jenen an. Dann ziehen wir ab.
Nachher unterhalten wir uns. Tjaden sagt staunend: »Das ist nun der Alleroberste, den es gibt. Davor muss darin doch jeder strammstehen, jeder überhaupt!« Er überlegt: »Davor muss doch auch Hindenburg strammstehen, was?«
»Jawoll«, bestätigt Kat.
Tjaden ist noch nicht fertig. Er denkt eine Zeitlang nach und fragt: »Muss ein König vor einem Kaiser auch strammstehen?«
Keiner weiß das genau, aber wir glauben es nicht. Die sind beide schon so hoch, dass es da sicher kein richtiges Strammstehen mehr gibt.
»Was du dir für einen Quatsch ausbrütest«, sagt Kat. »Die Hauptsache ist, dass du selber strammstehst.«
Aber Tjaden ist völlig fasziniert. Seine sonst sehr trockene Phantasie arbeitet sich Blasen.
»Sieh mal«, verkündet er, »ich kann einfach nicht begreifen, dass ein Kaiser auch genauso zur Latrine muss wie ich.«
»Darauf kannst du Gift nehmen*«, lacht Kropp.
»Verrückt und drei sind sieben«, ergänzt Kat, »du hast Läuse im Schädel, Tjaden, geh du nur selbst rasch los zur Latrine, damit du einen klaren Kopp kriegst und nicht wie ein Wickelkind redest.«
Tjaden verschwindet.
»Eins möchte ich aber doch noch wissen«, sagt Albert, »ob es Krieg gegeben hätte, wenn der Kaiser nein gesagt hätte.«
»Das glaube ich sicher«, werfe ich ein, »er soll ja sowieso erst gar nicht gewollt haben.«
»Na, wenn er allein nicht, dann vielleicht doch, wenn so zwanzig, dreißig Leute in der Welt nein gesagt hätten.«
»Das wohl«, gebe ich zu, »aber die haben ja gerade gewollt.«
»Es ist komisch, wenn man sich das überlegt«, fährt Kropp fort, »wir sind doch hier, um unser Vaterland zu verteidigen. Aber die Franzosen sind doch auch da, um ihr Vaterland zu verteidigen. Wer hat nun recht?«
»Vielleicht beide«, sage ich, ohne es zu glauben.
»Ja, nun«, meint Albert, und ich sehe ihm an, dass er mich in die Enge treiben will, »aber unsere Professoren und Pastöre und Zeitungen sagen, nur wir hätten recht, und das wird ja hoffentlich auch so sein; aber die französischen Professoren und Pastöre und Zeitungen behaupten, nur sie hätten recht, wie steht es denn damit?«
»Das weiß ich nicht«, sage ich, »auf jeden Fall ist Krieg, und jeden Monat kommen mehr Länder dazu.«
Tjaden erscheint wieder. Er ist noch immer angeregt und greift sofort wieder in das Gespräch ein, indem er sich erkundigt, wie eigentlich ein Krieg entstehe.
»Meistens so, dass ein Land ein anderes schwer beleidigt«, gibt Albert mit einer gewissen Überlegenheit zur Antwort.
Doch Tjaden stellt sich dickfellig. »Ein Land? Das verstehe ich nicht. Ein Berg in Deutschland kann doch einen Berg in Frankreich nicht beleidigen. Oder ein Fluss oder ein Wald oder ein Weizenfeld.«
»Meistens so, dass ein Land ein anderes schwer beleidigt«, gibt Albert mit einer gewissen Überlegenheit zur Antwort.
Doch Tjaden stellt sich dickfellig. »Ein Land? Das verstehe ich nicht. Ein Berg in Deutschland kann doch einen Berg in Frankreich nicht beleidigen. Oder ein Fluss oder ein Wald oder ein Weizenfeld.«
»Bist du so dämlich oder tust du nur so?« knurrt Kropp. »So meine ich das doch nicht. Ein Volk beleidigt das andere «
»Dann habe ich hier nichts zu suchen«, erwidert Tjaden, »ich fühle mich nicht beleidigt.«
»Dir soll man nun was erklären«, sagt Albert ärgerlich, »auf dich Dorfdeubel kommt es doch dabei nicht an.«
»Dann kann ich ja erst recht nach Hause gehen«, beharrt Tjaden, und alles lacht.
»Ach, Mensch, es ist doch das Volk als Gesamtheit, also der Staat «, ruft Müller.
»Staat, Staat« Tjaden schnippt schlau mit den Fingern ,
»Feldgendarmen, Polizei, Steuer, das ist euer Staat. Wenn du damit zu tun hast, danke schön.«
»Das stimmt«, sagt Kat, »da hast du zum ersten Male etwas Richtiges gesagt, Tjaden, Staat und Heimat, da ist wahrhaftig ein Unterschied.«
»Aber sie gehören doch zusammen«, überlegt Kropp, »eine Heimat ohne Staat gibt es nicht.«
»Richtig, aber bedenk doch mal, dass wir fast alle einfache Leute sind. Und in Frankreich sind die meisten Menschen doch auch Arbeiter, Handwerker oder kleine Beamte. Weshalb soll nun wohl ein französischer Schlosser oder Schuhmacher uns angreifen wollen? Nein, das sind nur die Regierungen. Ich habe nie einen Franzosen gesehen, bevor ich hierherkam, und den meisten Franzosen wird es ähnlich mit uns gehen. Die sind ebensowenig gefragt wie wir.«
»Weshalb ist dann überhaupt Krieg?« fragt Tjaden.
Kat zuckt die Achseln. »Es muss Leute geben, denen der Krieg nützt.«
»Na, ich gehöre nicht dazu«, grinst Tjaden.
»Du nicht, und keiner hier.«
»Wer denn nur?« beharrte Tjaden. »Dem Kaiser nützt er doch auch nicht. Der hat doch alles, was er braucht.«
»Das sag nicht«, entgegnet Kat, »einen Krieg hat er bis jetzt noch nicht gehabt. Und jeder größere Kaiser braucht mindestens einen Krieg, sonst wird er nicht berühmt. Sieh mal in deinen Schulbüchern nach.«
»Generäle werden auch berühmt durch den Krieg«, sagt Detering.
»Noch berühmter als Kaiser«, bestätigt Kat.
»Sicher stecken andere Leute, die am Krieg verdienen wollen, dahinter«, brummt Detering.
»Ich glaube, es ist mehr eine Art Fieber«, sagt Albert. »Keiner will es eigentlich, und mit einem Male ist es da. Wir haben den Krieg nicht gewollt, die andern behaupten dasselbe und trotzdem ist die halbe Welt feste dabei.«
»Drüben wird aber mehr gelogen als bei uns«, erwidere ich, »denkt mal an die Flugblätter der Gefangenen, in denen stand, dass wir belgische Kinder fräßen. Die Kerle, die so was schreiben, sollten sie aufhängen. Das sind die wahren Schuldigen.«
Müller steht auf. »Besser auf jeden Fall, der Krieg ist hier als in Deutschland. Seht euch mal die Trichterfelder an!«
»Das stimmt«, pflichtet selbst Tjaden bei, »aber noch besser ist gar kein Krieg.«
Er geht stolz davon, denn er hat es uns Einjährigen nun mal gegeben. Und seine Meinung ist tatsächlich typisch hier, man begegnet ihr immer wieder und kann auch nichts Rechtes darauf entgegnen, weil mit ihr gleichzeitig das Verständnis für andere Zusammenhänge aufhört. Das Nationalgefühl des Muskoten besteht darin, dass er hier ist. Aber damit ist es auch zu Ende, alles andere beurteilt er praktisch und aus seiner Einstellung heraus.
Albert legt sich ärgerlich ins Gras. »Besser ist, über den ganzen Kram* nicht zu reden.«
»Wird ja auch nicht anders dadurch«, bestätigt Kat.
Zum Überfluss müssen wir die neu empfangenen Sachen fast alle wieder abgeben und erhalten unsere alten Brocken* wieder. Die guten waren nur zur Parade da.
* * *Statt nach Russland gehen wir wieder an die Front. Unterwegs kommen wir durch einen kläglichen Wald mit zerrissenen Stämmen und zerpflügtem Boden. An einigen Stellen sind furchtbare Löcher. »Donnerwetter, da hat es aber eingehauen«, sage ich zu Kat.
»Minenwerfer«, antwortet er und zeigt dann nach oben. In den Ästen hängen Tote. Ein nackter Soldat hockt in einer Stammgabelung, er hat seinen Helm noch auf dem Kopf, sonst ist er unbekleidet. Nur eine Hälfte sitzt von ihm dort oben, ein Oberkörper, dem die Beine fehlen.
»Was ist da los gewesen?« frage ich.
»Den haben sie aus dem Anzug gestoßen«, knurrt Tjaden.
Kat sagt: »Es ist komisch, wir haben das nun schon ein paarmal gesehen. Wenn so eine Mine einwichst, wird man tatsächlich richtig aus dem Anzug gestoßen. Das macht der Luftdruck.«
Ich suche weiter. Es ist wirklich so. Dort hängen Uniformfetzen allein, anderswo klebt blutiger Brei, der einmal menschliche Glieder war. Ein Körper liegt da, der nur an einem Bein noch ein Stück Unterhose und um den Hals den Kragen des Waffenrockes hat. Sonst ist er nackt, der Anzug hängt im Baum herum. Beide Arme fehlen, als wären sie herausgedreht. Einen davon entdecke ich zwanzig Schritt weiter im Gebüsch.
Der Tote liegt auf dem Gesicht. Da, wo die Armwunden sind, ist die Erde schwarz von Blut. Unter den Füßen ist das Laub zerkratzt, als hätte der Mann noch gestrampelt.
»Kein Spaß, Kat«, sage ich.
»Ein Granatsplitter im Bauch auch nicht«, antwortet er achselzuckend.
»Nur nicht weich werden«, meint Tjaden.
Das Ganze kann nicht lange her sein, das Blut ist noch frisch. Da alle Leute, die wir sehen, tot sind, lassen wir uns nicht aufhalten, sondern melden die Sache bei der nächsten Sanitätsstation. Schließlich ist es ja auch nicht unsere Angelegenheit, diesen Tragbahrenhengsten die Arbeit abzunehmen.
* * *Es soll eine Patrouille* ausgeschickt werden, um festzustellen, wie weit die feindliche Stellung noch besetzt ist. Ich habe wegen meines Urlaubs irgendein sonderbares Gefühl den andern gegenüber und melde mich deshalb mit. Wir verabreden den Plan, schleichen durch den Draht und trennen uns dann, um einzeln vorzukriechen. Nach einer Weile finde ich einen flachen Trichter, in den ich mich hineingleiten lasse. Von hier luge ich aus.
Das Gelände hat mittleres Maschinengewehrfeuer. Es wird von allen Seiten bestrichen, nicht sehr stark, aber immerhin genügend, um die Knochen nicht allzu hoch zu nehmen.
Ein Leuchtschirm entfaltet sich. Das Terrain liegt erstarrt im fahlen Lichte da. Um so schwärzer schlägt hinterher die Dunkelheit wieder darüber zusammen. Im Graben haben sie vorhin erzählt, es wären Schwarze vor uns. Das ist unangenehm, man kann sie schlecht sehen, außerdem sind sie als Patrouillen sehr geschickt. Sonderbarerweise sind sie oft ebenso unvernünftig; sowohl Kat als auch Kropp haben einmal auf Patrouille eine schwarze Gegenpatrouille erschossen, weil die Leute in ihrer Gier nach Zigaretten unterwegs rauchten. Kat und Albert brauchten nur die glimmenden Zigarettenköpfe als Ziel zu visieren.
Neben mir zischt eine kleine Granate ein. Ich habe sie nicht kommen gehört und erschrecke heftig. Im gleichen Augenblick fasst mich eine sinnlose Angst. Ich bin hier allein und fast hilflos im Dunkeln vielleicht beobachten mich längst aus einem Trichter hervor zwei andere Augen, und eine Handgranate liegt wurffertig bereit, mich zu zerreißen. Ich versuche mich aufzuraffen. Es ist nicht meine erste Patrouille und auch keine besonders gefährliche. Aber es ist meine erste nach dem Urlaub, und außerdem ist das Gelände mir noch ziemlich fremd.
Ich mache mir klar, dass meine Aufregung Unsinn ist, dass im Dunkel wahrscheinlich gar nichts lauert, weil sonst nicht so flach geschossen würde.