Im Westen nichts Neues / На Западном фронте без перемен. Книга для чтения на немецком языке - Эрих Мария Ремарк 20 стр.


Es ist vergeblich. In wirrem Durcheinander summen mir die Gedanken im Schädel ich höre die warnende Stimme meiner Mutter, ich sehe die Russen mit den wehenden Barten am Gitter lehnen, ich habe die helle, wunderbare Vorstellung einer Kantine mit Sesseln, eines Kinos in Valenciennes*, ich sehe quälend, scheußlich in meiner Einbildung eine graue gefühllose Gewehrmündung, die lauernd lautlos mitgeht, wie ich auch den Kopf zu wenden versuche: mir bricht der Schweiß aus allen Poren.

Immer noch liege ich in meiner Mulde. Ich sehe auf die Uhr; es sind erst wenige Minuten vergangen. Meine Stirn ist nass, meine Augenhöhlen sind feucht, die Hände zittern, und ich keuche leise. Es ist nichts anderes als ein furchtbarer Angstanfall, eine einfach gemeine Hundeangst davor, den Kopf herauszustrecken und weiterzukriechen.

Wie ein Brei zerquillt meine Anspannung zu dem Wunsch, liegenbleiben zu können. Meine Glieder kleben am Boden, ich mache einen vergeblichen Versuch sie wollen sich nicht lösen. Ich presse mich an die Erde, ich kann nicht vorwärts, ich fasse den Entschluss, liegenzubleiben.

Aber sofort überspült mich die Welle erneut, eine Welle aus Scham, Reue und doch auch Geborgenheit. Ich erhebe mich ein wenig, um Ausschau zu halten. Meine Augen brennen, so starre ich in das Dunkel. Eine Leuchtkugel geht hoch; ich ducke mich wieder.

Ich kämpfe einen sinnlosen, wirren Kampf, ich will aus der Mulde heraus und rutsche doch wieder hinein, ich sage, »du musst, es sind deine Kameraden, es ist ja nicht irgendein dummer Befehl«, und gleich darauf: »Was geht es mich an, ich habe nur ein Leben zu verlieren «

Das macht alles dieser Urlaub, entschuldige ich mich erbittert. Aber ich glaube es selbst nicht, mir wird entsetzlich flau, ich erhebe mich langsam und stemme die Arme vor, ziehe den Rücken nach und liege jetzt halb auf dem Rande des Trichters.

Da vernehme ich Geräusche und zucke zurück. Man hört trotz des Artillerielärms verdächtige Geräusche. Ich lausche das Geräusch ist hinter mir. Es sind Leute von uns, die durch den Graben gehen. Nun höre ich auch gedämpfte Stimmen. Es könnte dem Tone nach Kat sein, der da spricht.

Eine ungemeine Wärme durchflutet mich mit einemmal. Diese Stimmen, diese wenigen, leisen Worte, diese Schritte im Graben hinter mir reißen mich mit einem Ruck aus der fürchterlichen Vereinsamung der Todesangst, der ich beinahe verfallen wäre. Sie sind mehr als mein Leben, diese Stimmen, sie sind mehr als Mütterlichkeit und Angst, sie sind das Stärkste und Schützendste, was es überhaupt gibt: es sind die Stimmen meiner Kameraden.

Ich bin nicht mehr ein zitterndes Stück Dasein allein im Dunkel ich gehöre zu ihnen und sie zu mir, wir haben alle die gleiche Angst und das gleiche Leben, wir sind verbunden auf eine einfache und schwere Art. Ich möchte mein Gesicht in sie hineindrücken, in die Stimmen, diese paar Worte, die mich gerettet haben und die mir beistehen werden.

* * *

Vorsichtig gleite ich über den Rand und schlängele mich vorwärts. Auf allen vieren schlurfe ich weiter; es geht gut, ich peile die Richtung an, schaue mich um und merke mir das Bild des Geschützfeuers, um zurückzufinden. Dann suche ich Anschluss an die andern zu bekommen.

Immer noch habe ich Angst, aber es ist eine vernünftige Angst, eine außerordentlich gesteigerte Vorsicht. Die Nacht ist windig, und Schatten gehen hin und her beim Aufflackern des Mündungsfeuers*. Man sieht dadurch zu wenig und zu viel. Oft erstarre ich, aber es ist immer nichts. So komme ich ziemlich weit vor und kehre dann im Bogen wieder um. Den Anschluss habe ich nicht gefunden. Jeder Meter näher zu unserm Graben erfüllt mich mit Zuversicht allerdings auch mit größerer Hast. Es wäre nicht schön, jetzt noch eins verpasst zu kriegen.

Da durchfährt mich ein neuer Schreck. Ich kann die Richtung nicht mehr genau wiedererkennen. Still hocke ich mich in einen Trichter und versuche mich zu orientieren. Es ist mehr als einmal vorgekommen, dass jemand vergnügt in einen Graben sprang und dann erst entdeckte, dass es der falsche war.

Nach einiger Zeit horche ich wieder. Immer noch bin ich nicht richtig. Das Trichtergewirr erscheint mir jetzt so unübersichtlich, dass ich vor Aufregung überhaupt nicht mehr weiß, wohin ich mich wenden soll. Vielleicht krieche ich parallel zu den Gräben, das kann ja endlos dauern. Deshalb schlage ich wieder einen Haken.

Diese verfluchten Leuchtschirme! Sie scheinen eine Stunde zu brennen, man kann keine Bewegung machen, ohne dass es gleich um einen herum pfeift.

Doch es hilft nichts, ich muss heraus. Stockend arbeite ich mich weiter, ich krebse über den Boden weg und reiße mir die Hände wund an den zackigen Splittern, die scharf wie Rasiermesser sind. Manchmal habe ich den Eindruck, als wenn der Himmel etwas heller würde am Horizont, doch das kann auch Einbildung sein. Allmählich aber merke ich, dass ich um mein Leben krieche.

Eine Granate knallt. Gleich darauf zwei andere. Und schon geht es los. Ein Feuerüberfall. Maschinengewehre knattern. Jetzt gibt es vorläufig nichts anderes, als liegenzubleiben. Es scheint ein Angriff zu werden. Überall steigen Leuchtraketen. Ununterbrochen.

Ich liege gekrümmt in einem großen Trichter, die Beine im Wasser bis zum Bauch. Wenn der Angriff einsetzt, werde ich mich ins Wasser fallen lassen, so weit es geht, ohne zu ersticken, das Gesicht im Dreck. Ich muss den toten Mann markieren*.

Plötzlich höre ich, wie das Feuer zurückspringt. Sofort rutsche ich nach unten ins Grundwasser, den Helm ganz im Genick, den Mund nur so weit hoch, dass ich knapp Luft habe.

Dann werde ich bewegungslos; denn irgendwo klirrt etwas, es tappt und trappst näher, in mir ziehen sich alle Nerven eisig zusammen. Es klirrt über mich hinweg, der erste Trupp ist vorbei. Ich habe nur den einen zersprengenden Gedanken gehabt: Was tust du, wenn jemand in deinen Trichter springt? Jetzt zerre ich rasch den kleinen Dolch heraus, fasse ihn fest und verberge ihn mit der Hand wieder im Schlamm. Ich werde sofort losstechen, wenn jemand hereinspringt, hämmert es in meiner Stirn, sofort die Kehle durchstoßen, damit er nicht schreien kann, es geht nicht anders, er wird ebenso erschrocken sein wie ich, und schon vor Angst werden wir übereinander herfallen, da muss ich der erste sein.

Nun schießen unsere Batterien. In meiner Nähe schlägt es ein. Das macht mich irrsinnig wild, es fehlt mir noch, dass mich die eigenen Geschosse treffen; ich fluche und knirsche in den Dreck hinein; es ist ein wütender Ausbruch, zuletzt kann ich nur noch stöhnen und bitten.

Das Gekrach der Granaten trifft mein Ohr. Wenn unsere Leute einen Gegenstoß machen, bin ich befreit. Ich presse den Kopf an die Erde und höre das dumpfe Donnern wie ferne Bergwerksexplosionen und hebe ihn wieder, um auf die Geräusche oben zu lauschen.

Die Maschinengewehre knarren. Ich weiß, dass unsere Drahtverhaue fest und fast unbeschädigt sind; ein Teil davon ist mit Starkstrom* geladen. Das Gewehrfeuer schwillt an. Sie kommen nicht durch, sie müssen zurück. Ich sinke wieder zusammen, gespannt bis zum Äußersten. Das Klappern und Schleichen, das Klirren wird hörbar. Ein einzelner Schrei gellend dazwischen. Sie werden beschossen, der Angriff ist abgeschlagen.

Es ist noch etwas heller geworden. An mir vorüber hasten Schritte. Die ersten. Vorbei. Wieder andere. Das Knarren der Maschinengewehre wird eine ununterbrochene Kette. Gerade will ich mich etwas umdrehen, da poltert es, und schwer und klatschend fällt ein Körper zu mir in den Trichter, rutscht ab, liegt auf mir

Ich denke nichts, ich fasse keinen Entschluss ich stoße rasend zu und fühle nur, wie der Körper zuckt und dann weich wird und zusammensackt. Meine Hand ist klebrig und nass, als ich zu mir komme.

КОНЕЦ ОЗНАКОМИТЕЛЬНОГО ОТРЫВКА

Der andere röchelt*. Es scheint mir, als ob er brüllt, jeder Atemzug ist wie ein Schrei, ein Donnern aber es sind nur meine Adern, die so klopfen. Ich möchte ihm den Mund zuhalten, Erde hineinstopfen, noch einmal zustechen, er soll still sein, er verrät mich; doch ich bin schon so weit zu mir gekommen und auch so schwach plötzlich, dass ich nicht mehr die Hand gegen ihn heben kann.

So krieche ich in die entfernteste Ecke und bleibe dort, die Augen starr auf ihn gerichtet, das Messer umklammert, bereit, wenn er sich rührt, wieder auf ihn loszugehen aber er wird nichts mehr tun, das höre ich schon an seinem Röcheln.

Undeutlich kann ich ihn sehen. Nur der eine Wunsch ist in mir, wegzukommen. Wenn es nicht bald ist, wird es zu hell; schon jetzt ist es schwer. Doch als ich versuche, den Kopf hochzunehmen, sehe ich bereits die Unmöglichkeit ein. Das Maschinengewehrfeuer ist derartig gedeckt, dass ich durchlöchert werde, ehe ich einen Sprung tue.

Ich probiere es noch einmal mit meinem Helm, den ich etwas emporschiebe und anhebe, um die Höhe der Geschosse festzustellen. Einen Augenblick später wird er mir durch eine Kugel aus der Hand geschlagen. Das Feuer streicht also ganz niedrig über das Terrain. Ich bin nicht weit genug von der feindlichen Stellung entfernt, um nicht von den Scharfschützen* gleich erwischt zu werden, wenn ich versuche, auszureißen.

Das Licht nimmt zu. Ich warte brennend auf einen Angriff von uns. Meine Hände sind weiß an den Knöcheln, so presse ich sie zusammen, so flehe ich, das Feuer möge aufhören und meine Kameraden möchten kommen.

Minute um Minute versickert. Ich wage keinen Blick mehr zu der dunklen Gestalt im Trichter. Angestrengt sehe ich vorbei und warte, warte. Die Geschosse zischen, sie sind ein stählernes Netz, es hört nicht auf, es hört nicht auf.

Da erblicke ich meine blutige Hand und fühle jähe Übelkeit. Ich nehme Erde und reibe damit über die Haut, jetzt ist die Hand wenigstens schmutzig, und man sieht das Blut nicht mehr.

Das Feuer lässt nicht nach. Von beiden Seiten ist es jetzt gleich stark. Man hat mich bei uns wahrscheinlich längst verlorengegeben.

Es ist heller, grauer, früher Tag. Das Röcheln tönt fort. Ich hake mir die Ohren zu, nehme aber die Finger bald wieder heraus, weil ich sonst auch das andere nicht hören kann. Die Gestalt gegenüber bewegt sich. Ich schrecke zusammen und sehe unwillkürlich hin. Jetzt bleiben meine Augen wie festgeklebt hängen. Ein Mann mit einem kleinen Schnurrbart liegt da, der Kopf ist zur Seite gefallen, ein Arm ist halb gebeugt, der Kopf drückt kraftlos darauf. Die andere Hand liegt auf der Brust, sie ist blutig.

Er ist tot, sage ich mir, er muss tot sein, er fühlt nichts mehr was da röchelt, ist nur noch der Körper. Doch der Kopf versucht sich zu heben, das Stöhnen wird einen Moment stärker, dann sinkt die Stirn wieder auf den Arm zurück. Der Mann ist nicht tot, er stirbt, aber er ist nicht tot. Ich schiebe mich heran, halte inne, stütze mich auf die Hände, rutsche wieder etwas weiter, warte weiter, einen grässlichen Weg von drei Metern, einen langen, furchtbaren Weg. Endlich bin ich neben ihm.

Da schlägt er die Augen auf. Er muss mich noch gehört haben und sieht mich mit einem Ausdruck furchtbaren Entsetzens an. Der Körper liegt still, aber in den Augen ist eine so ungeheure Flucht, dass ich einen Moment glaube, sie würden die Kraft haben, den Körper mit sich zu reißen. Hunderte von Kilometern weit weg mit einem einzigen Ruck. Der Körper ist still, völlig ruhig, ohne Laut jetzt, das Röcheln ist verstummt, aber die Augen schreien, brüllen, in ihnen ist alles Leben versammelt zu einer unfassbaren Anstrengung, zu entfliehen, zu einem schrecklichen Grausen vor dem Tode, vor mir.

Ich knicke in den Gelenken ein und falle auf die Ellbogen. »Nein, nein«, flüstere ich.

Die Augen folgen mir. Ich bin unfähig, eine Bewegung zu machen, solange sie da sind.

Da fällt seine Hand langsam von der Brust, nur ein geringes Stück, sie sinkt um wenige Zentimeter, doch diese Bewegung löst die Gewalt der Augen auf. Ich beuge mich vor, schüttele den Kopf und flüstere: »Nein, nein, nein«, ich hebe eine Hand, ich muss ihm zeigen, dass ich ihm helfen will, und streiche über seine Stirn.

Die Augen sind zurückgezuckt, als die Hand kam, jetzt verlieren sie ihre Starre, die Wimpern sinken tiefer, die Spannung lässt nach. Ich öffne ihm den Kragen und schiebe den Kopf bequemer zurecht.

Der Mund steht halb offen, er bemüht sich, Worte zu formen. Die Lippen sind trocken. Meine Feldflasche ist nicht da, ich habe sie nicht mitgenommen. Aber es ist Wasser in dem Schlamm unten im Trichter. Ich klettere hinab, ziehe mein Taschentuch heraus, breite es aus, drücke es hinunter und schöpfe mit der hohlen Hand das gelbe Wasser, das hindurchquillt.

Er schluckt es. Ich hole neues. Dann knöpfe ich seinen Rock auf, um ihn zu verbinden, wenn es geht. Ich muss es auf jeden Fall tun, damit die drüben, wenn ich gefangen werden sollte, sehen, dass ich ihm helfen wollte, und mich nicht erschießen. Er versucht sich zu wehren, doch die Hand ist zu schlaff dazu. Das Hemd ist verklebt und lässt sich nicht beiseite schieben, es ist hinten geknöpft. So bleibt nichts übrig, als es aufzuschneiden.

Ich suche das Messer und finde es wieder. Aber als ich anfange, das Hemd zu zerschneiden, öffnen sich die Augen noch einmal, und wieder ist das Schreien darin und der wahnsinnige Ausdruck, so dass ich sie zuhalten, zudrücken muss und flüstern: »Ich will dir ja helfen, Kamerad, camarade, camarade, camarade «,eindringlich das Wort, damit er es versteht.

Drei Stiche sind es. Meine Verbandspäckchen bedecken sie, das Blut läuft darunter weg, ich drücke sie fester auf, da stöhnt er.

Es ist alles, was ich tun kann. Wir müssen jetzt warten, warten.

* * *

Diese Stunden. Das Röcheln setzt wieder ein wie langsam stirbt doch ein Mensch! Denn das weiß ich: er ist nicht zu retten. Ich habe zwar versucht, es mir auszureden, aber mittags ist dieser Vorwand vor seinem Stöhnen zerschmolzen, zerschossen. Wenn ich nur meinen Revolver nicht beim Kriechen verloren hätte, ich würde ihn erschießen. Erstechen kann ich ihn nicht.

Mittags dämmere ich an der Grenze des Denkens dahin. Hunger zerwühlt mich, ich muss fast weinen darüber, essen zu wollen, aber ich kann nicht dagegen ankämpfen. Mehrere Male hole ich dem Sterbenden Wasser und trinke auch selbst davon.

Es ist der erste Mensch, den ich mit meinen Händen getötet habe, den ich genau sehen kann, dessen Sterben mein Werk ist. Kat und Kropp und Müller haben auch schon gesehen, wenn sie jemand getroffen haben, vielen geht es so, im Nahkampf ja oft

Aber jeder Atemzug legt mein Herz bloß. Dieser Sterbende hat die Stunden für sich, er hat ein unsichtbares Messer, mit dem er mich ersticht: die Zeit und meine Gedanken.

Ich würde viel darum geben, wenn er am Leben bliebe. Es ist schwer, dazuliegen und ihn sehen und hören zu müssen.

Nachmittags um drei Uhr ist er tot.

Ich atme auf. Doch nur für kurze Zeit. Das Schweigen erscheint mir bald noch schwerer zu ertragen als das Stöhnen. Ich wollte, das Röcheln wäre wieder da, stoßweise, heiser, einmal pfeifend leise und dann wieder heiser und laut.

Es ist sinnlos, was ich tue. Aber ich muss Beschäftigung haben. So lege ich den Toten noch einmal zurecht, damit er bequemer liegt, obschon er nichts mehr fühlt. Ich schließe ihm die Augen. Sie sind braun, das Haar ist schwarz, an den Seiten etwas lockig.

Der Mund ist voll und weich unter dem Schnurrbart, die Nase ist ein wenig gebogen, die Haut bräunlich, sie sieht jetzt nicht mehr so fahl aus wie vorhin, als er noch lebte. Einen Augenblick scheint das Gesicht sogar beinahe gesund zu sein dann verfällt es rasch zu einem der fremden Totenantlitze*, die ich oft gesehen habe und die sich alle gleichen.

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