Mephisto / Мефистофель. Книга для чтения на немецком языке - Клаус Манн 3 стр.


Man hatte Wetten darüber abgeschlossen, in welcher Phantasieuniform der Dicke heute abend erscheinen würde. Es war eine asketische Koketterie von ihm, nun die Gesellschaft durch den allerschlichtesten Aufzug zu verblüffen. Die flaschengrüne Litewka, die er trug, wirkte fast wie eine streng geschnittene Hausjacke. Auf der Brust blitzte ihm nur ein ganz kleiner silberner Ordensstern. In den grauen Hosen wirkten seine Beine die er sonst gerne unter langen Mänteln verbarg besonders umfangreich: es waren Säulen, auf denen er sich langsam dahinbewegte. Die kolossalische Größe und Breite seiner monströsen Figur waren geeignet, Schrecken und Ehrfurcht um sich zu verbreiten zumal kein Anlass bestand, irgend etwas an ihm komisch zu finden: Dem Kühnsten verging das Lachen, wenn er erwog, wieviel Blut schon auf den Wink des Speck-und-Fleisch-Riesen geflossen war und wie unermesslich viel Blut vielleicht noch strömen würde zu seinen Ehren. Auf dem kurzen, wulstigen Hals erschien sein massives Haupt wie übergossen von dem roten Safte: das Haupt eines Cäsars[12], von dem man die Haut abgezogen hat. An diesem Gesicht war nichts Menschliches mehr: Es war aus rohem, umgeformtem Fleische ein Klotz.

Der Ministerpräsident schob seinen Bauch, dessen enorme Wölbung in die der Brust überging, majestätisch durch die strahlende Versammlung. Der Ministerpräsident grinste.

Sein Weib Lotte grinste nicht, sondern verschenkte Lächeln, eine Königin Luise in jedem Zoll. Auch ihre Robe, deren Kostbarkeit den Gesprächsstoff der Damen gebildet hatte, war einfach bei allem Pomp: glatt fließend, aus einem schimmernden Silbergewebe, endend in einer königlich langen Schleppe. Das Brillantendiadem aber in der ährenblonden Frisur, die Perlen und Smaragde auf dem Busen übertrafen an Gewicht und Strahlenglanz alles, was es sonst noch zu bewundern gab in dieser üppigen Runde. Das riesenhafte Geschmeide der Provinzschauspielerin repräsentierte Millionenwerte: Sie verdankte es der Galanterie eines Gatten, der gerne die Prunksucht und Korrumpiertheit republikanischer Minister und Bürgermeister in öffentlicher Rede geißelte, und der Treue einiger wohlsituierter und bevorzugter Untertanen. Sie galt als uneigennützig, unantastbar rein. Sie war zur Idealgestalt geworden unter den deutschen Frauen. Sie hatte große, runde, etwas hervortretende Kuhaugen von einem feuchtstrahlenden Blau; schönes blondes Haar und einen schneeweißen Busen. Übrigens war auch sie schon ein wenig zu dick man speiste gut und reichlich im Präsidentenpalais. Man erzählte sich bewundernd von ihr, dass sie sich gelegentlich bei ihrem Gatten für Juden aus der guten Gesellschaft einsetze die Juden kamen trotzdem ins Konzentrationslager. Man nannte sie den guten Engel des Ministerpräsidenten; indessen war der Fürchterliche nicht milder geworden, seitdem sie ihn beriet. Eine ihrer berühmtesten Rollen war die Lady Milford in Schillers Kabale und Liebe gewesen: jene Matresse eines Gewaltigen, die den Glanz ihres Geschmeides und die Nähe ihres Fürsten nicht mehr erträgt, da sie erfahren hat, womit man Edelsteine bezahlt. Als sie zum letztenmal im Staatstheater auftrat, spielte sie die Minna von Barnhelm[13]: So deklamierte sie, ehe sie in den Palast des Fliegergenerals übersiedelte, noch einmal die Sätze eines Dichters, den ihr Gemahl und seine Spießgesellen hetzen und verfolgen lassen würden, lebte er heute und hier. In ihrer Gegenwart wurden die schauerlichen Geheimnisse des totalen Staates besprochen: Sie lächelte mütterlich. Morgens, wenn sie ihrem Gatten neckisch über die Schulter lugte, sah sie Todesurteile vor ihm auf dem Renaissance-schreibtisch und er unterzeichnete sie; abends zeigte Sie den weißen Busen und die ährenblonde Kunstfrisur in Opernpremieren oder an den geschmückten Tafeln der Bevorzugten, die ihres Umgangs gewürdigt wurden. Sie war unberührbar, unangreifbar; denn sie war ahnungslos und sentimental. Sie glaubte sich umgeben von der Liebe ihres Volkes, weil zweitausend Ehrgeizige, Käufliche und Snobs Lärm machten zu ihren Ehren. Wie sie dahinschritt, erhobenen Hauptes, übergossen vom Licht und von der allgemeinen Bewunderung, gab es keinen Zweifel in ihrem Herzen an der Haltbarkeit solchen Zaubers. Niemals so meinte sie zuversichtlich , niemals würde abfallen von ihr dieser Glanz; niemals würden die Gemarterten sich rächen, niemals würde die Finsternis nach ihr greifen.

Immer noch wurde Tusch gespielt, ebenso laut wie ausführlich; immer noch dauerte das huldigende Geschrei. Inzwischen waren Lotte und ihr Dicker beim Propagandaminister und bei Höfgen angekommen. Die drei Herren hoben flüchtig die Arme, die Grußzeremonie lässig andeutend. Dann neigte Hendrik sich mit einem ernsten und innigen Lächeln über die Hand der großen Dame, die er so oft auf der Bühne hatte umarmen dürfen. Hier standen sie, dargeboten der brennenden Neugier einer gewählten Öffentlichkeit: vier Mächtige in diesem Lande, vier Gewalthaber, vier Komödianten der Reklamechef, der Spezialist für Todesurteile und Bombenflugzeuge, die geheiratete Sentimentale und der fahle Intrigant. Die gewählte Öffentlichkeit beobachtete, wie der Dicke dem Herrn Intendanten auf die Schulter schlug, dass es krachte, und sich mit einem grunzenden Lachen erkundigte: Na, wie gehts, Mephisto?

Die Sentimentale sagte mit seelenvollem Blick zum Intendanten, für den sie eine geheime jedoch nicht gar zu geheime Zuneigung im Busen trug: Ich habe Ihnen noch gar nicht gesagt, Hendrik, wie wunderschön ich Ihren Hamlet finde. Er drückte ihr schweigend die Hand, wobei er einen Schritt näher an sie herantrat und ebenso innig zu blicken versuchte, wie es ihr von der Natur gegeben war. Der Versuch musste missglücken: Seine fischigen Juwelenaugen gaben soviel sanfte Wärme nicht her. Deshalb machte er ein ernstes, beinah etwas ärgerliches, offizielles Gesicht und murmelte: Ich muss ein paar Worte sprechen. Dann erhob er die Stimme. Sie hatte einen leuchtenden, raffiniert geschulten Metallton und war bis in die entferntesten Winkel des großen Saales hörbar und wirksam, als sie ausrief: Herr Ministerpräsident! Hoheiten, Exzellenzen, meine Damen und Herren! Wir sind stolz ja, wir sind stolz und froh, dass wir dieses Fest heute in diesem Hause mit Ihnen, Herr Ministerpräsident, und mit Ihrer wundervollen Gattin begehen dürfen

Mit dem ersten seiner Worte war das bewegte Gespräch der Zweitausend-Personen-Gesellschaft verstummt. In vollkommener Stille, in devoter Regungslosigkeit lauschte man der langen, pathetischen und platten Glückwunschrede, die der Intendant, Senator und Staatsrat für seinen Ministerpräsidenten hielt. Alle Augen waren auf Hendrik Höfgen gerichtet. Alle bewunderten ihn. Er gehörte zur Macht. Seine Stimme brachte, anlässlich des dreiundvierzigsten Geburtstages seines Herrn, die überraschendsten Jubeltöne hervor. Er hielt das Kinn hochgereckt, die Augen schimmerten, seine sparsamen und kühnen Gesten hatten den schönsten Schwung. Er vermied es aufs sorgsamste, ein wahres Wort zu sagen. Der skalpierte Cäsar, der Reklamechef und die Kuhäugige schienen darüber zu wachen, dass nur Lügen, nichts als Lügen von seinen Lippen kämen: Eine geheime Verabredung verlangte es so, in diesem Saale wie im ganzen Land.

Während er sich dem Ende seiner Ansprache mit bravourös gesteigertem Tempo näherte, flüsterte eine hübsche, kindlich aussehende kleine Dame die Gattin eines bekannten Filmregisseurs , die im Hintergrund des Raumes ein bescheidenes Plätzchen hatte, tonlos ihrer Nachbarin zu: Wenn er fertig ist, muss ich hingehen und ihm die Hand schütteln. Ist es nicht fantastisch? Ich kenne ihn doch noch von früher ja, wir sind in Hamburg zusammen engagiert gewesen. Das waren ulkige Zeiten! Und was hat der Mensch seitdem für eine Karriere gemacht!!

I

H. K

In den letzten Jahren des Weltkrieges und in den ersten Jahren nach der Novemberrevolution[14] hatte das literarische Theater in Deutschland eine große Konjunktur. Um diese Zeit erging es auch dem Direktor Oskar H. Kroge glänzend, den schwierigen Wirtschaftsverhältnissen zum Trotz. Er leitete eine Kammerspielbühne in Frankfurt am Main. In dem engen, stimmungsvoll intimen Kellerraum traf sich die intellektuelle Gesellschaft der Stadt und vor allem eine angeregte, von den Ereignissen aufgewühlte, diskussions- und beifallsfreudige Jugend, wenn es die Neuinszenierung eines Stückes von Wedekind[15] oder Strindberg[16] gab oder eine Uraufführung von Georg Kaiser[17], Sternheim[18], Fritz von Unruh[19], Hasenclever[20] oder Toller[21]. Oskar H. Kroge, der selbst Essays und hymnische Gedichte schrieb, empfand das Theater als die moralische Anstalt: von der Schaubühne sollte eine neue Generation erzogen werden zu den Idealen, von denen man damals glaubte, dass die Stunde ihrer Erfüllung gekommen sei zu den Idealen der Freiheit, der Gerechtigkeit, des Friedens. Oskar H. Kroge war pathetisch, zuversichtlich und naiv. Am Sonntagvormittag, vor der Aufführung eines Stückes von Tolstoi oder von Rabindranath Tagore[22], hielt er eine Ansprache an seine Gemeinde. Das Wort Menschheit kam häufig vor; den jungen Leuten, die sich im Stehparkett drängten, rief er mit bewegter Stimme zu: Habet den Mut zu euch selbst, meine Brüder! und er erntete Beifallsstürme, da er mit den Schillerworten schloss: Seid umschlungen, Millionen!

Oskar H. Kroge war sehr beliebt und angesehen in Frankfurt am Main und überall dort im Lande, wo man an den kühnen Experimenten eines geistigen Theaters Anteil nahm. Sein ausdrucksvolles Gesicht mit der hohen, zerfurchten Stirn, der schütteren, grauen Haarmähne und den gutmütigen, gescheiten Augen hinter der Brille mit schmalen Goldrand war häufig zu sehen in den kleinen Revuen der Avantgarde; zuweilen sogar in den großen Illustrierten. Oskar H. Kroge gehörte zu den aktivsten und erfolgreichsten Vorkämpfern des dramatischen Expressionismus.

Es war ohne Frage ein Fehler von ihm gewesen nur zu bald sollte es ihm klarwerden sein stimmungsvolles kleines Haus in Frankfurt aufzugeben. Das Hamburger Künstlertheater, dessen Direktion man ihm im Jahre 1923 anbot, war freilich größer. Deshalb akzeptierte er. Das Hamburger Publikum aber erwies sich als längst nicht so zugänglich dem leidenschaftlichen und anspruchsvollen Experiment wie jener zugleich routinierte und enthusiastische Kreis, der den Frankfurter Kammerspielen treu gewesen war. Im Hamburger Künstlertheater musste Kroge, außer den Dingen, die ihm am Herzen lagen, immer noch den Raub der Sabinerinnen[23] und Pension Schöller[24] zeigen. Darunter litt er. Jeden Freitag, wenn der Spielplan für die kommende Woche festgesetzt wurde, gab es einen kleinen Kampf mit Herrn Schmilz, dem geschäftlichen Leiter des Hauses. Schmilz wollte die Possen und Reißer angesetzt haben, weil sie Zugstücke waren; Kroge aber bestand auf dem literarischen Repertoire. Meistens musste Schmilz, der übrigens eine herzliche Freundschaft und Bewunderung für Kroge hatte, nachgeben. Das Künstlertheater blieb literarisch was seinen Einnahmen schädlich war.

Kroge klagte über die Indifferenz der Hamburger Jugend im besonderen und über die Ungeistigkeit einer Öffentlichkeit im allgemeinen, und Paul von Schönthan, in der es um ein Theaterstück geht, das Gymnasialprofessor Gollwitz als Student geschrieben hat eine Jugendsünde, wie er es nennt. die sich allem Höheren entfremdet habe. Wie schnell es gegangen ist! stellte er mit Bitterkeit fest. Im Jahre 1919 lief man noch zu Strindberg und Wedekind; 1926 will man nur mehr Operetten. Oskar H. Kroge war anspruchsvoll und übrigens ohne prophetischen Geist. Hätte er sich beschwert über das Jahr 1926, wenn er sich hätte vorstellen können, wie das Jahr 1936 aussehen würde? Nichts Besseres zieht mehr, grollte er noch. Sogar bei den Webern[25] gestern ist das Haus halb leer gewesen.

Immerhin kommen wir doch zur Not noch auf unsere Rechnung. Direktor Schmilz bemühte sich, den Freund zu trösten: Aber wie! Kroge wollte sich durchaus nicht trösten lassen. Aber wie kommen wir denn auf unsere Rechnung! Berühmte Gäste aus Berlin müssen wir uns einladen so wie heute abend , damit die Hamburger ins Theater gehen.

Hedda von Herzfeld Kroges alle Mitarbeiterin und Freundin, die schon in Frankfurt Dramaturgin und Schauspielerin bei ihm gewesen war bemerkte: Du siehst wieder mal alles schwarz in schwarz, Oskar H.! Es ist ja schließlich keine Schande, Dora Martin gastieren zu lassen sie ist wundervoll , und übrigens kommen unsere Hamburger auch, wenn Höfgen spielt. Während sie Höfgens Namen aussprach, lächelte Frau von Herzfeld klug und zärtlich. Über ihr großes, matt gepudertes Gesicht mit der fleischigen Nase, den großen, goldbraunen, wehmütig intelligenten Augen ging ein bescheidenes Aufleuchten.

Kroge sagte brummig: Höfgen wird überzahlt.

Die Martin übrigens auch, fügte Schmilz hinzu. Ihren ganzen Zauber in Ehren und zugegeben, dass sie ungeheuer zieht: aber tausend Mark Abendgage, das ist doch wohl ein bisschen toll.

Berliner Staransprüche, machte Hedda spöttisch. Sie hatte in Berlin nie zu tun gehabt und behauptele, den Betrieb der Hauptstadt zu verachten.

Tausend Mark im Monat für Höfgen ist auch übertrieben, behauptete Kroge, plötzlich gereizt. Seit wann hat er denn eigentlich tausend? fragte er herausfordernd Schmilz. Es sind doch immer nur achthundert gewesen, und das war reichlich genug.

Was soll ich machen? Schmilz entschuldigte sich. Er ist zu mir ins Büro gesprungen, und er hat sich mir auf den Schoß gesetzt. Frau von Herzfeld konnte mit Belustigung feststellen, dass Schmilz etwas rot wurde, während er dies erzählte. Er hat mich am Kinn gekitzelt und hat immer wieder gesagt: ,Tausend Mark müssen es sein! Tausend, Direktorchen! Es ist eine so schöne runde Summe! Was sollte ich da machen, Kroge? Sagen Sie selbst!

Es war Höfgens schlaue Gewohnheit, wie ein nervöser kleiner Sturmwind in Schmitzens Büro zu fahren, wenn er Vorschuss oder Gagenerhöhung wollte. Zu solchen Anlässen spielte er den übermütig Launischen und Kapriziösen, und er wusste, dass der ungeschickte dicke Schmilz verloren war, wenn er ihm die Haare zauste und den Zeigefinger munter in den Bauch stieß. Da es sich um die Tausend-Mark-Gage handelte, hatte er sich ihm sogar auf den Schoß gesetzt: Schmilz gestand es unter Erröten.

Das sind Albernheiten! Kroge schüttelte ärgerlich das versorgte Haupt. Überhaupt ist Höfgen ein grundalberner Mensch. Alles an ihm ist falsch, von seinem literarischen Geschmack bis zu seinem sogenannten Kommunismus. Er ist kein Künstler, sondern ein Komödiant.

Was hast du gegen unseren Hendrik? Frau von Herzfeld zwang sich zu einem ironischen Ton; in Wahrheit war ihr keineswegs nach Ironie zumute, wenn sie von Höfgen sprach, für dessen geübte Reize sie nur zu empfänglich war, Er ist unser bestes Stück. Wir können froh sein, wenn wir ihn nicht an Berlin verlieren.

Ich bin gar nicht so besonders stolz auf ihn, sagte Kroge. Er ist doch nicht mehr als ein routinierter Provinzschauspieler, und das weiß er übrigens im Grunde selbst ganz genau.

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