Liebe deinen Nächsten / Возлюби ближнего своего. Книга для чтения на немецком языке - Эрих Мария Ремарк 6 стр.


Kern. Ludwig Kern.

Ich bin für jeden Rat dankbar, Herr Kern. Ganz außerordentlich dankbar, wirklich!

Es ist kaum ein Rat. Nur etwas Erfahrung. Sie versuchen, Staubsauger und Grammophone zu verkaufen. Lassen Sie es. Es ist Zeitverschwendung. Hunderte von Emigranten versuchen das hier. Es ist ebenso sinnlos, wie Lebensversicherungen abschließen zu wollen.

Das wollte ich gerade nächstens versuchen, unterbrach ihn der Professor lebhaft. Jemand hat mir gesagt, es wäre leicht, und es wäre etwas damit zu verdienen.

Er hat Ihnen eine Provision für jeden Abschluss angeboten, nicht wahr?

Ja, natürlich, eine gute Provision.

Aber sonst nichts? Keine Spesen und kein Fixum?

Nein, das nicht.

Das kann ich Ihnen auch anbieten. Es bedeutet gar nichts. Herr Professor, haben Sie schon einen Staubsauger verkauft? Oder ein Grammophon?

Der Professor sah hilflos auf. Nein, sagte er sonderbar beschämt, aber ich hoffe, in der nächsten Zeit

Geben Sie es auf, erwiderte Kern. Das ist mein Rat. Kaufen Sie eine Handvoll Schnürsenkel. Oder ein paar Büchsen Stiefelwichse. Oder einige Pakete Sicherheitsnadeln. Kleine Sachen, die jeder brauchen kann. Handeln Sie damit. Sie werden nicht viel daran verdienen. Aber Sie werden ab und zu etwas verkaufen. Auch damit handeln Hunderte von Emigranten. Aber man verkauft Sicherheitsnadeln leichter als Staubsauger.

Der Professor blickte ihn nachdenklich an. Daran habe ich noch gar nicht gedacht.

Kern lächelte verlegen. Das glaube ich. Aber überlegen Sie es einmal. Es ist besser. Ich weiß es. Ich habe früher auch Staubsauger verkaufen wollen.

Vielleicht haben Sie recht. Der Professor reichte ihm die Hand. Ich danke Ihnen. Sie sind sehr freundlich Seine Stimme war plötzlich sonderbar leise und fast unterwürfig, als wäre er ein Schüler, der schlecht gelernt hatte.

Kern biss sich auf die Lippen. Ich war in jeder Ihrer Vorlesungen, sagte er.

Ja, ja Der Professor machte eine flatternde Geste. Ich danke Ihnen, Herr Herr

Kern. Aber es ist nicht wichtig.

Doch, es ist wichtig, Herr Kern. Entschuldigen Sie bitte. Ich bin etwas vergeßlich in der letzten Zeit. Und haben Sie vielen Dank. Ich glaube, ich werde es versuchen, Herr Kern.

* * *

Das Hotel Bristol war ein baufälliger, kleiner Kasten, der von der Flüchtlingshilfe gemietet worden war. Kern bekam ein Bett in einem Zimmer angewiesen, in dem zwei andere Flüchtlinge wohnten. Er war nach dem Essen sehr müde geworden und legte sich gleich schlafen. Die beiden andern waren noch nicht da, und er hörte auch nicht, dass sie kamen.

Mitten in der Nacht wachte er auf. Er hörte Schreie und sprang sofort empor. Ohne nachzudenken, griff er nach seinem Koffer und seinen Kleidern und rannte aus der Tür, den Korridor entlang.

Draußen war alles still. Am Treppenabsatz blieb er stehen. Er stellte den Koffer ab und lauschte dann strich er sich mit den Fäusten über das Gesicht. Wo war er? Was war los? Wo war die Polizei?

Langsam kam ihm die Erinnerung. Er blickte an sich herunter und lächelte erleichtert und entspannt. Er war in Prag im Hotel Bristol, und er hatte für vierzehn Tage eine Aufenthaltserlaubnis. Es gab keinen Grund, so zu erschrecken. Sicher hatte er irgend etwas geträumt. Er kehrte um. Das darf nicht wieder passieren, dachte er. Es fehlt noch, dass ich nervös werde. Dann ist alles aus.

Er öffnete die Tür und tastete im Dunkeln nach seinem Bett. Es war das rechte an der Wand. Er stellte seinen Koffer leise ab und hängte seine Kleider unten über den Bettpfosten. Dann tastete er nach der Decke. Plötzlich spürte er, gerade als er sich hinlegen wollte, unter seiner Hand etwas Weiches, warm Atmendes und schoss bolzengerade hoch.

Wer ist da? fragte eine Mädchenstimme schlaftrunken.

Kern hielt den Atem an. Er hatte die Zimmer verwechselt.

Ist jemand da? fragte die Stimme noch einmal.

Kern blieb stocksteif stehen. Er fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach.

Nach einiger Zeit hörte er einen Seufzer und dann, wie jemand sich umdrehte. Er wartete noch ein paar Minuten. Als alles still blieb und nur noch das tiefe Atmen im Dunkel zu hören war, griff er lautlos nach seinen Sachen und schlich vorsichtig aus dem Zimmer.

Auf dem Korridor stand jetzt ein Mann im Hemd. Er stand vor dem Zimmer, in dem Kern wohnte, und starrte ihn durch eine Brille an. Er beobachtete, wie er mit seinen Sachen aus dem Zimmer nebenan kam. Kern war zu verwirrt, um etwas zu erklären. Er ging wortlos durch die offene Tür, an dem Mann vorbei, der ihm keinen Platz machte, packte seine Sachen weg und legte sich zu Bett. Vorher strich er zur Vorsicht über die Decke. Es lag niemand darunter.

Der andere Mann stand noch eine Weile im Türausschnitt. Seine Brille blinkte im schwachen Licht des Korridors. Dann kam er herein und machte die Tür mit einem trockenen Knack zu.

Im selben Augenblick fing das Schreien wieder an. Kern verstand es jetzt. Nicht schlagen! Nicht schlagen! Um Christi willen, nicht schlagen! Bitte, bitte! Oh

Das Schreien ging in ein entsetzliches Gurgeln über und erstarb. Kern richtete sich auf. Was ist denn das? fragte er in das Dunkel hinein.

Ein Schalter klickte, und es wurde hell. Der Mann mit der Brille stand auf und ging zum dritten Bett. Darin lag ein keuchender, schweißüberströmter Mensch mit irren Augen. Der andere nahm ein Glas, füllte es mit Wasser und hielt es dem im Bett an den Mund. Trinken Sie das mal. Sie haben geträumt. Sie sind in Sicherheit.

Der Mann trank gierig. Der Adamsapfel an seinem dünnen Halse stieg auf und ab. Dann ließ er sich erschöpft zurückfallen und schloss tief atmend die Augen.

Was ist das? fragte Kern noch einmal.

Der Mann mit der Brille kam an sein Bett. Was das ist? Jemand, der träumt. Laut träumt. Vor ein paar Wochen aus dem Konzentrationslager entlassen. Nerven, verstehen Sie?

Ja, sagte Kern.

Wohnen Sie hier? fragte der Mann mit der Brille.

Kern nickte. Ich scheine auch etwas nervös zu sein. Vorhin, als er schrie, bin ich hinausgelaufen. Ich dachte, es wäre Polizei im Hause. Da habe ich hinterher die Zimmer verwechselt.

Ach so

Entschuldigen Sie, bitte, sagte der dritte Mann. Ich werde jetzt wach bleiben. Entschuldigen Sie.

Ach, Unsinn! Der mit der Brille ging zu seinem Bett zurück. Das bisschen Träumen stört uns gar nicht. Nicht wahr, junger Mann?

Gar nicht, wiederholte Kern.

Der Lichtschalter knackte, und es wurde wieder dunkel. Kern streckte sich aus. Er konnte lange nicht einschlafen. Sonderbar war das gewesen, vorhin, in dem Zimmer nebenan. Die weiche Brust unter dem dünnen Leinen. Er fühlte es immer noch als wäre seine Hand anders geworden dadurch.

Später hörte er, wie der Mann, der geschrien hatte, aufstand und sich ans Fenster setzte. Sein gebeugter Kopf hob sich schwarz vor dem heraufdämmernden Grau des Morgens ab wie das finstere Monument eines Sklaven. Kern betrachtete ihn eine Zeitlang. Dann überfiel ihn der Schlaf.

Josef Steiner kam leicht über die Grenze zurück. Er kannte sie gut und war als alter Soldat das Patrouillegehen gewohnt. Er war Kompanieführer gewesen und hatte bereits 1915 für eine schwierige Patrouille, von der er einen Gefangenen mitgebracht hatte, das Eiserne Kreuz erhalten.

Nach einer Stunde war er außer Gefahr. Er ging zum Bahnhof. Es waren nicht viele Leute im Wagen.

Der Schaffner sah ihn an. Schon zurück?

Eine Fahrkarte nach Wien, einfach, erwiderte Steiner.

Ging ja rasch, sagte der Schaffner.

Ging ja rasch, sagte der Schaffner.

Steiner blickte auf. Ich kenne das, fuhr der Schaffner fort. Jeden Tag kommen ein paar solcher Transporte da kennt man die Beamten bald. Es ist ein Kreuz. Sie sind in diesem Waggon herausgefahren, das wissen Sie wohl nicht mehr?

Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden.

Der Schaffner lachte. Sie werden es schon wissen. Stellen Sie sich hinten auf die Plattform. Wenn ein Kontrolleur kommt, springen Sie ab. Wahrscheinlich kommt keiner um diese Zeit. Sie sparen so die Fahrkarte.

Schön.

Steiner stand auf und ging nach hinten. Er spürte den Wind und sah die Lichter der kleinen Weindörfer vorüberfliegen. Er atmete tief und genoss den stärksten Rausch, den es gibt: den Rausch der Freiheit. Er fühlte das Blut in seinen Adern und die warme Kraft seiner Muskeln. Er lebte. Er war nicht gefangen; er lebte, er war entkommen.

Nimm eine Zigarette, Bruder, sagte er zu dem Schaffner, der nach hinten gekommen war.

Meinetwegen. Ich darf sie nur jetzt nicht rauchen. Dienst.

Aber ich darf meine jetzt rauchen?

Ja. Der Schaffner lachte gutmütig. Das hast du mir voraus.

Ja, sagte Steiner und zog den würzigen Rauch in die Lungen ein. Das habe ich dir voraus.

* * *

Er ging zu der Pension, in der die Polizei ihn erwischt hatte. Die Wirtin saß noch im Büro. Sie fuhr zusammen, als sie Steiner erblickte. Sie können hier nicht wohnen, sagte sie rasch.

Doch! Steiner legte den Rucksack ab.

Herr Steiner, es ist unmöglich! Die Polizei kann jeden Tag wiederkommen. Dann schließen sie mir die Pension!

Luischen, sagte Steiner ruhig, die beste Dekkung, die es im Kriege gab, war ein frisches Granatloch. Es kam fast nie vor, dass es gleich darauf noch einmal hineinschoss. Deshalb ist im Moment Ihre Bude eine der sichersten in Wien!

Die Wirtin fasste verzweifelt in ihr blondes Haar. Sie sind mein Untergang! erklärte sie pathetisch.

Wie schön! Das wollte ich immer schon mal sein! Jemandes Untergang! Sie sind eine romantische Natur, Luischen! Steiner sah sich um. Gibt es noch ein bisschen Kaffee? Und einen Schnaps?

Kaffee? Und Schnaps?

Ja, Luischen! Ich wusste, dass Sie mich verstehen würden. Eine so hübsche Frau! Ist da noch der Sliwowitz im Wandschrank?

Die Wirtin blickte ihn ratlos an. Ja, natürlich, sagte sie dann.

Genau das Richtige! Steiner nahm die Flasche und zwei Gläser heraus. Nehmen Sie auch einen?

Ich?

Ja, Sie! Wer sonst?

Nein.

Doch, Luischen! Tun Sie mir den Gefallen. Allein trinken hat was Herzloses. Hier Er füllte das Glas und hielt es ihr hin.

Die Wirtin zögerte. Dann nahm sie das Glas. Gut, meinetwegen! Aber Sie werden nicht hier wohnen, nicht wahr?

Nur ein paar Tage, sagte Steiner beruhigend, nicht länger als ein paar Tage. Sie bringen mir Glück. Ich habe was vor. Er lächelte. Und nun den Kaffee, Luischen!

Kaffee? Ich habe keinen Kaffee hier.

Doch, Kind. Da drüben steht er ja. Ich wette, dass er gut ist.

Die Wirtin lachte ärgerlich. Sie sind schon einer! Ich heiße übrigens nicht Luise. Ich heiße Therese.

Therese ist ein Traum!

Die Wirtin holte ihm den Kaffee. Da sind noch die Sachen vom alten Seligmann hier, sagte sie und zeigte auf einen Koffer. Was soll ich nur mit denen machen?

War das der Jude mit dem grauen Bart?

Die Wirtin nickte. Er ist tot, das habe ich gehört. Mehr nicht

Das ist auch schon genug für einen einzelnen Menschen. Wissen Sie nicht, wo seine Kinder sind?

Wie soll ich das wissen? Darum kann ich mich doch nicht auch noch kümmern!

Das ist wahr. Steiner zog den Koffer heran und öffnete ihn. Eine Anzahl Garnrollen mit verschiedenfarbenem Zwirn fiel heraus. Darunter lag sauber verpackt ein Paket Schnürriemen. Dann kamen ein Anzug, ein Paar Schuhe, ein hebräisches Buch, etwas Wäsche, ein paar Bogen mit Hornknöpfen, ein kleines Ledersäckchen mit Einschillingstücken, zwei Gebetsriemen und ein weißer Gebetsmantel, in Seidenpapier eingewickelt.

Nicht viel für ein ganzes Leben, was, Therese? sagte Steiner.

Manche haben noch weniger.

Auch richtig. Steiner untersuchte das hebräische Buch und fand zwischen den inneren Umschlagseiten einen Zettel eingeklemmt. Vorsichtig zog er ihn heraus. Er enthielt eine mit Tinte geschriebene Adresse. Aha! Da werde ich mal nachfragen. Steiner stand auf. Danke für den Kaffee und den Sliwowitz, Therese. Ich komme spät heute. Am besten quartieren Sie mich parterre nach dem Hof zu ein. Da kann ich dann rasch hinaus.

Die Wirtin wollte noch etwas sagen. Aber Steiner hob die Hand. Nein, nein, Therese! Wenn die Tür nicht offen ist, komme ich mit der gesamten Wiener Polizei. Aber ich bin sicher, sie wird offen sein! Die Heimatlosen beherbergen ist ein Gebot Gottes. Dafür gibt es tausend Jahre größter Glückseligkeit im Himmel. Meinen Rucksack lasse ich schon hier.

Er ging. Er wusste, dass es zwecklos war, das Gespräch fortzusetzen, und er kannte die merkwürdig eindringliche Wirkung zurückgelassener Sachen auf bürgerliche Menschen. Sein Rucksack würde ein besserer Quartiermeister für ihn sein als alle weiteren Überredungsversuche. Er würde die letzten Widerstände der Wirtin durch sein stummes Vorhandensein besiegen.

* * *

Steiner ging zum Café Sperler. Er wollte den Russen Tschernikoff treffen. Sie hatten während der Haft verabredet, am ersten und zweiten Tag der Freilassung Steiners nach Mitternacht dort aufeinander zu warten. Die Russen hatten als Staatenlose fünfzehn Jahre Praxis mehr als die Deutschen. Tschernikoff hatte Steiner versprochen, nachzuforschen, ob in Wien falsche Papiere zu kaufen seien.

Steiner setzte sich an einen Tisch. Er wollte etwas zu trinken bestellen; aber kein Kellner kümmerte sich um ihn. Es war nicht üblich, dass man etwas bestellen musste; die meisten hatten kein Geld dafür.

Das Lokal war die typische Emigrantenbörse. Es war voll von Menschen. Viele saßen auf den Bänken und Stühlen und schliefen; andere lagen auf dem Fußboden, die Rücken gegen die Wand gelehnt. Sie nutzten die Zeit aus, umsonst zu schlafen, bis das Café wieder geöffnet wurde. Es waren meistens Intellektuelle. Sie konnten sich am wenigsten zurechtfinden.

Ein Mann in einem karierten Anzug mit einem Vollmondgesicht setzte sich neben Steiner. Er beobachtete ihn eine Weile mit flinken, schwarzen Augen. Was zu verkaufen? fragte er dann. Schmuck? Auch alten? Ich zahle bar.

Steiner schüttelte den Kopf.

Anzüge? Wäsche? Schuhe? Der Mann blickte ihn dringlich an. Einen Trauring vielleicht?

Schieb ab, du Aasgeier, knurrte Steiner. Er hasste die Händler, die den ratlosen Emigranten ihre wenigen Sachen für ein paar Groschen abjagen wollten.

Er rief einen vorüberhuschenden Kellner an. Hallo! Einen Kognak!

Der Kellner warf einen zweifelnden Blick auf ihn und kam heran. Sagten Sie Anwalt? Heute sind zwei da. Drüben in der Ecke Rechtsanwalt Silber vom Kammergericht Berlin; ein Schilling die Beratung. Am runden Tisch neben der Tür Landgerichtsrat Epstein aus München; fünfzig Groschen die Konsultation. Unter uns: Silber ist besser.

Ich will keinen Anwalt, ich will Kognak, sagte Steiner.

Der Kellner hielt die Hand ans Ohr. Habe ich recht verstanden? Einen Kognak?

Ja. Ein Getränk, das besser wird, wenn die Gläser nicht zu klein sind.

Sehr wohl. Verzeihen Sie, ich bin etwas schwerhörig. Und dann bin ich es nicht mehr gewohnt. Hier wird fast nur Kaffee verlangt.

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