Dore Brandt - Alice Berend 3 стр.


»Möchten Sie bei solchem Wetter hoch oben in einem kleinen möblierten Zimmer sitzen?«

»Warum nicht?« Er blickte Dore ins Gesicht.

»Finden Sie es so schlimm, hier mit klugen, heiteren Menschen zu plaudern?«

»Klugen, heiteren Menschen? Egoistische Neidhammel würde ich sagen. Schlimm find' ich es nicht, aber unschön. Die Frau, die ich liebte, dürfte nicht hier sitzen.« Bergmann suchte bei diesen Worten gleichmütig in den Zeitungen, welche auf dem Tisch lagen.

»Übrigens las ich zufällig die Kritik von Fritz Schmidt über Sie. Schmidts Kritiken sind die einzigen, die ich lese. Ich hatte beinahe Lust, mir diese Elvstedt anzusehen. Ohne daß ich ahnte, daß jene Dore Brandt meine Hafendame ist.«

»Dann kommen Sie doch einmal hinein, wenn ich spiele.« Dores Stimme klang hell und froh. Ihre Augen strahlten, die zarten Wangen waren leicht gerötet, und eine kleine, krause Strähne ihres schönen Haares hing in die Stirn hinein.

Bergmann sah sie lächelnd an. Dore schlug die Augen nieder und wiederholte unsicher, was sie eben gesagt hatte.

»Ja, vielleicht«, sagte Bergmann, indem er sich lässig erhob. »Wenn man so ziemlich jeden Abend selber den Harlequin macht, meidet man an den wenigen freien Abenden gern jede Art von Kunststätte. Aber möglich ist alles.«

Er verbeugte sich formell vor Dore, drückte einen leichten Kuß auf ihre Hand, rief den Kellner, zahlte, ließ sich in den Überzieher helfen und ging langsam durch den großen, stimmenerfüllten Raum zur Türe. Die eben geführte Unterhaltung schien lange vergessen zu sein.

»Aber ich muß nun auch fort«, sagte Dore und verließ ihren Platz. Sie wehrte Hans Jägers Begleitung heftig ab, verabschiedete sich flüchtig von den wenigen, die noch am Tische saßen und eilte hinaus.

Die kühle Luft tat ihr gut nach dem Dunst dort drinnen. Langsamen Schrittes ging sie in dem feinen Sprühregen dem Theater zu.

* * *

Tag für Tag rieselte der feine Regen in kalten, peinigenden Tropfen hernieder. Wie eine große Wolke Mißmut lag der Himmel über der brausenden Stadt. Man sah aus dem rastlos brodelnden Dampfkessel der Arbeit finster nach oben. Wenn das so weiter geht, ist das Weihnachtsgeschäft verdorben, dachten die Leute.

Den Theaterdirektoren war dieses Wetter willkommen. Wie nasse Pudel, die einen Unterschlupf suchten, kamen die Menschen in Scharen herbeigeströmt, sobald die elektrischen Lampen über den Eingängen aufflammten.

Das glattrasierte Patergesicht Gollbergs glänzte, als habe er eben ein Fläschchen köstlich süffigen Weines geleert. Er hatte den Kassenrapport erstattet bekommen und mit dem raschen Schritt der Freude eilte er über die dicken Teppiche des Foyerganges seinem Privatbureau zu. Von der Bühne drangen gedämpfte Worte heraus, der erste Akt mußte bald zu Ende sein.

Er sah nach der Uhr, um neun Uhr wollte er bei Borchardt sein, um Käte Anker zu treffen. Er wußte selbst nicht, wie es gekommen war, daß sich dieses Verhältnis so fest geschmiedet hatte. Die Zeit, daß er bei Käte Ankers Anblick erbebte, war lange vorüber. Aber er liebte keine großen einschneidenden Veränderungen im Leben, ihm gab gerade die Gewohnheit Kraft zur Arbeit.

Wenige Schritte vor der Tür seines Privatzimmers bemerkte er Dore Brandt, die im zweiten Akt aufzutreten hatte und darum jetzt erst kam. Im dunkelblauen Jacketkleid, schlank und leicht kam sie die Treppe empor, ernst vor sich hinblickend.

»Sie ist doch ganz entzückend«, dachte Direktor Gollberg in seiner frohen Laune und blieb stehen.

»Nun, kleine Brandt, so ernsthaft?«

Dore fuhr zusammen.

»Guten Abend, Herr Direktor«, sagte sie dann, den feinen Kopf ein wenig verlegen neigend.

»Ich erwarte jetzt Werkenthin, um Hebbels Maria Magdalene zu besprechen. Wie wär's, wenn wir Sie die Klara versuchen ließen?« Er faßte Dore leicht unters Kinn und sah ihr lächelnd in die Augen, die ihm in unfaßbarem Glück entgegenleuchteten.

»Na wollen sehen«, fügte Gollberg hinzu, indem er in der Tür seines Zimmers verschwand.

Daß der Direktor seinen plötzlichen Einfall nicht geändert hatte, erfuhr Dore schon am nächsten Tage, als man ihr die Rolle der Klara ins Haus brachte. Gerade, als sie sich anschickte, in das Café Metropol zu fahren, das sie jetzt jeden Nachmittag aufsuchte.

Sie legte voll stiller Freude das umfangreiche Rollenheft auf den Tisch, und gefeit gegen Wind und Regen wanderte sie unter den entlaubten Bäumen des Tiergartens den langen Weg zur Stadt hinein. Sie ging als Klara. Dreimal hatte sie seit gestern Abend dieses Werk Friedrich Hebbels gelesen. Eigentlich nichts anderes seitdem getan und gedacht. Ein starkes Glücksgefühl durchschwellte sie.

Als sie vor der Tür des Cafés stand, hatte sie eigentlich gar nicht mehr den Wunsch, hineinzugehen. Aber nach einigem Zögern schritt sie doch durch die Tür und auf den ersten Blick sah sie, daß Bergmann heute da war. Das erste Mal wieder, nachdem sie vor bald einer Woche miteinander gesprochen hatten.

»Da kommt ja Käte Anker Nachfolger«, sagte die Hollwitz, die heute hellblau erschienen war, mit spitzer Stimme. Trotzdem die Rolle, die Dore zuerteilt war, gar nicht ihr Fach betraf, beneidete sie Dore brennend.

»Gratuliere,« rief Bergmann, als Dore an den Tisch trat, »man hat eine große Rolle bekommen, nicht wahr?«

»Ja, aber woher wissen Sie?« . . .

»Ach, Fräulein Hollwitz deutete es eben an«, sagte Bergmann ruhig, worauf ein allgemeines Gelächter ausbrach.

Dore war verwirrt. Es rauschte in ihren Ohren, sie hatte Bergmanns Stimme gehört, ohne die Worte zu erfassen.

Man lachte noch immer und sprach durcheinander.

»Bin ich das Karnickel, das herhalten muß«, sagte sie lächelnd, als sie auf ihrem gewohnten Platz saß und die Befangenheit sich verlor.

»Wo haben Sie denn gestern Abendbrot gespeist, Brandt?« rief die Larsen, die ihre überschlanke Burne-Jones-Gestalt mit einem glatten Stück schwarzen Taffet umhüllt hatte, das nicht einmal mit dem reformiertesten Reformkleid mehr etwas gemeinsam hatte und höchstens mit einem Schirmbezug vergleichbar war. Dazu trug sie auf dem blondgescheitelten Haar einen großen roten Hut mit grünen Weintrauben.

»Ich will Sie nur zu der neuen Rolle beglückwünschen«, fügte sie den Lärm durchkreischend hinzu, denn sie glaubte, nicht deutlich gewesen zu sein.

Die Hollwitz quiekte vor Vergnügen.

»Sie wissen ja, daß ich Gollbergs Schülerin war, ehe er Direktor wurde. Vielleicht hat er daher Interesse für mich«, sagte Dore ruhig zu der neben ihr sitzenden Hollwitz.

»Schülerin is jut«, rief die Larsen, die mit der Hand am Ohr Dores Worten gelauscht hatte.

»Zankt Euch in Eurer Garderobe, Weibsvolk«, brummte Ingler, der ganz in eine Kritik über seinen Falstaff vertieft war.

»Sehen Sie,« sagte Bergmann leise, »das kommt davon. In dem kleinen möblierten Zimmer, hoch oben, würden Sie so etwas nicht zu hören bekommen.« Er sah Dore herzlich in die Augen.

Dore schwieg. Sie fühlte sich erniedrigt und kämpfte stark mit Tränen. Am Tisch drehte sich das Gespräch schon längst um anderes. Nur die Larsen sah noch giftig zu Dore herüber.

»Da werden Weiber zu Hyänen«, zitierte etwas verspätet Haller, der mit weit über die mageren, gelblichen Hände gerutschten Manschetten weiße Papierstreifen mit Versen füllte.

»Mensch, dichten Sie doch nicht in einem fort. Es kann einem ja übel werden«, warf Köhler, der Dramaturg, hinter einem großen Zeitungsblatt dazwischen. Er war, wie Ingler feststellte, jetzt bei der siebzehnten Zeitung angelangt. Boshafte Leute sagten von ihm, daß seine Haupttätigkeit darin bestand, Zeitungen aus aller Welt nach Berichten über das Theater, dem er angehörte, zu durchsuchen.

»Na, Köhler, wie wär's mit einem Tarok? Gerad' ein Stündchen hätt' ich noch Zeit«, rief Ingler herüber. »Oder müssen Sie sehen, ob in Hongkong einer über unseren Direktor schimpft, Sie Papierratte?«

»Haben wir denn einen Dritten?« Köhler fuhr aus seiner Zeitung hervor.

»Ja, ja, nur los.« Und beide begaben sich in das Spielzimmer.

Dore und Bergmann blieben allein am Ende des Tisches.

»Spielen Sie heute Abend?« fragte Bergmann.

»Nein, heute nicht.«

»Würde es Ihnen Spaß machen, in das Theater zu kommen und mich als Hjalmar Ekdal zu sehen?« Bergmann sprach ruhig und gleichgültig. Dore aber war dunkel errötet.

»Sehr gern«, sagte sie hastig und bereute im selben Augenblick ihre ungeschickte Schnelligkeit. »Ich wollte heute allerdings mit dem Studium der Klara beginnen«, fügte sie hinzu.

»Ganz wie Sie wollen«, sagte Bergmann liebenswürdig und erhob sich. »Ich muß jetzt gehen. Wenn Sie kommen wollen, lasse ich ein Billet für Sie an der Kasse zurücklegen?«

»Ja, dann bitte ich darum«, sagte Dore leise.

»Das ist nett. Sie können noch gut eine halbe Stunde hier sitzen.« Bergmann drückte ihr herzlich die Hand, warf bei dem Mantelüberziehen noch ein Scherzwort zu Grete Hollwitz herüber und ging.

Auch die Larsen und Grete Hollwitz erhoben sich bald darauf. Die Larsen spielte heute und Grete Hollwitz wollte mit ihrem Fritz in das Trianon gehen.

Dore saß still versonnen da und wartete, daß die Zeiger der gegenüberliegenden Uhr vorrückten.

Als Dore aus dem Café trat, war der Regen versiegt, ein kühler Wind versuchte, die Straßen zu trocknen, und die Leute gingen, die Köpfe endlich wieder unbeschirmt in die frische Luft erhoben, mit raschen Schritten.

»Wie ist man vom Wetter abhängig«, dachte Dore und schob auch ihre frohe Stimmung dem frischen Winde zu, der droben an dem abendlichen Himmel die Wolken zerteilen half.

Und dann saß Dore im Theater, sie hatte einen Logenplatz dicht an der Bühne und keine Einzelheit von Bergmanns feinem, geistvollem Spiel entging ihr. Die ganze Aufführung der Wildente war auf das künstlerischste abgetönt, und Dore durchlebte einen vollen Kunstgenuß. Erst nachdem der eiserne Vorhang sich rasselnd gesenkt hatte, ging sie still zum Theater hinaus.

Durch die großen, zwischen den Hinauseilenden schwerfällig sich auf und zu bewegenden Glastüren drang frische Winterluft herein, und als Dore in das Freie gelangte, sah sie über dem hellen trockenen Pflaster der Straße die Sterne blinken und sich im kalten Wasser der Spree spiegeln. Der frische Wind war eisig geworden, der erste Frost war da.

»Hab' ich Sie also doch erwischt?« Hinter einer der Säulen, welche den Eingang des Theaters umfaßten, trat Bergmann mit schnellen Schritten hervor. Seine Stimme hatte im Unterschiede zu sonst einen lebhaften Klang. Gang und Sprache waren hastig. Sein ganzes Wesen glühte und zitterte noch von dem eben beendeten Spiel.

»Nun, was sagen Sie zu dem Weihnachtswetter«, sagte er froh und zog seinen Arm durch Dores Arm, als wäre dies ganz etwas Selbstverständliches.

»Ich bin froh, wieder die Sterne zu sehen«, antwortete Dore und versuchte, ihrer Stimme einen muntern Klang zu geben. Das Herz klopfte ihr bis zum Halse.

Arm in Arm gingen sie schweigend weiter den dunklen Weg am Spreeufer entlang. Vor ihnen, immer näher rückend, lag wie eine große erleuchtete Butterglocke der Friedrichstraßen-Bahnhof, und Gebrause und Getöse drang dumpf von dort herüber. Um sie herum war es still. Nur das dunkle Wasser der Spree gluckste und platschte.

»Sie überlegen doch nicht etwa, wie Sie mir auf geschickte Weise ein Kompliment beibringen können«, unterbrach Bergmann das Schweigen.

Dore lachte. »Ich glaube, ich dachte an gar nichts« sagte sie. »Aber es scheint mir, daß Sie darauf warten?« Sie sah lächelnd zu ihm auf.

Sie reichte Bergmann gerade bis zu den Schultern und nahm sich neben seiner breiten Gestalt doppelt schlank und zierlich aus.

»O, nein, nein«, rief Bergmann sich zu ihr niederbeugend. »Aber ich werde Ihnen jetzt ein solches machen. Ich habe Sie neulich als Elvstedt gesehen. Alle Hochachtung. Ich erwarte viel von ihrer Klara.«

»Wirklich?« Dora sah glücklich zu ihm auf.

»Allerdings haben Sie auch ganz das irritierende Haar, das diese kleine Elvstedt braucht.« Bergmann versuchte eine der Locken zu haschen, die der Wind hervorgezaust hatte und an seine Schulter wehte.

Sie kamen langsam dem Bahnhof näher.

»Sehen Sie«, sagte Bergmann, »jetzt hören die Sterne auf, und die Bogenlampen beginnen.« Er deutete auf den hellen Lichtschein, der über der Friedrichstadt lagerte und die Sterne unsichtbar machte. »Ganz als wüßte der Himmel, daß alles, was da unten nach Nachtvergnügen giert, doch nicht hinaufschaut, ob seine Kerzen brennen.«

Jetzt standen sie an der Treppe zum Bahnhof, die Züge brausten über ihren Köpfen.

»Ich habe noch eine Verabredung in der Stadt«, sagte Bergmann hastig nach kurzem Zögern. »Entschuldigen Sie daher, wenn ich Sie nicht weiter begleite, gnädiges Fräulein.«

»Ich danke Ihnen für den Abend«, erwiderte Dore leise und legte ihre Hand in seine.

Er hielt sie fest. »Ich hätte gern gehört, was sie über meinen Hjalmar denken, darf ich Sie einmal zu einem Spaziergang abholen?«

»Gewiß. Aber wann? Ich habe an allen Vormittagen Probe.«

»Wie wär's, wenn wir gleich den morgigen Sonntag benutzten, um irgendwo draußen den jungen Winter zu begrüßen?«

Dore nickte stumm. Von seiner Hand, die noch immer die ihre umschlossen hielt, ging eine Wärme aus, die ihren ganzen Körper zu überfluten schien.

Ganz verwirrt eilte sie einige Minuten später die Stufen zum Bahnhof hinauf. Sie wußte von dem, was nun gesprochen worden war, nur, daß Bergmann sie morgen treffen wollte.

Noch lange stand Dore diesen Abend an dem Fenster ihres Zimmers, ließ sich den kalten Wind um die Stirne streichen, sah die Sterne und weiter dort über der Spree den hellen Lichtschein der Stadt.

Als sie schlafen gegangen war, flatterte die Wildente, die nicht mehr das Meer finden konnte, durch ihre wirren Träume.

In einem dunstigen Caféhaus saß Bergmann an einem klebrigen Tisch, der von vergossenen Spirituosen tropfte, Schulter an Schulter mit Leuten, die er am Tage kaum grüßte. Die Karten flogen und klappten, nur heisere, unartikulierte Ausrufe unterbrachen hier und da die gespannte Stille. Bergmanns Gesicht war rot und aufgedunsen, sein Atem keuchte, sein Rock war über und über mit Zigarrenasche bestaubt, und seine Hände, die zitternd die beschmutzten Karten hielten, sahen breit und gewöhnlich aus, man konnte zweifeln, ob dies wirklich Ernst Bergmann war.

Erst als der klare, frostige Wintermorgen über den Dächern zu fahlen begann, schwankte Bergmann nach Hause, um sofort in schweren, traumlosen Schlaf zu sinken.

* * *

Als Bergmann am anderen Tage in der klaren Wintersonne, Dore erwartend, auf und ab schritt, schämte er sich wie immer der durchwüsteten Nacht. Es schien ihm unbegreiflich, warum er nicht, wie er beabsichtigt hatte, das liebe Mädchen bis zur Haustür begleitet hatte, statt die Nacht mit den Schmutzgesellen zu verbringen und neue Schulden auf die alten zu häufen. Diese wilde Spielwut war stärker als alles. Sie trieb ihn, Vergessenheit suchend, von einem Weibe zum andern, und doch vermochte auch die Liebe ihn niemals länger als einige Tage vom Spieltisch fernzuhalten. Sobald der erste Rausch vorbei war, siegte die Leidenschaft zu den Karten und trieb ihn fort. Immer wiederholte sich das Gleiche. Jeden Morgen war er sich selbst zum Ekel, schwor keine Karte mehr zu berühren, und jeden Abend fand er sich wieder in einem Wirtshauszimmer, die schmutzigen Karten in den gierigen Händen. Wenige kannte ihn von dieser Seite, die meisten konnten sich ihn wohl nicht anders denken, als wie er hier daherschritt, ruhig, gemessen, kein Stäubchen auf Hut und Rock.

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