Spreemann Co - Alice Berend 6 стр.


So säuberte sich Spreemann mit der großen Serviette Lippen und Bart und erhob sich.

Mamsell Schmidt nahm den großen Hausschlüssel von der Wand, versenkte ihn in ein wollenes Beutelchen, damit er keinen Schaden in Herrn Spreemanns Tasche anrichte und reichte ihn dann, ergeben, dem Hausherrn. Die Herren verließen das Haus. Mamsell Schmidt sah hinter der Gardine, wie sie unter ihren großen Regenschirmen die breiten Pfützen umsegelten, in die der Regen prasselte. Gerade kam der Nachtwächter um die Ecke und blies die achte Stunde aus. Mamsell Schmidt seufzte. In später Nacht noch fortzugehen in dieser Zeit, bei solchem Wetter! Ein rechter Leichtfuß war Herr Spreemann manchmal. Hätte er eine Frau, sie würde dies sicher nicht zugeben.

»Sie haben es gut,« sagte inzwischen der Herr Kreisrat zu Spreemann.

»Inwiefern?« sagte dieser, die Blicke vorsichtig auf dem glitschenden. Boden.

»Ich meine nur so mein Hausschlüssel hängt nicht so lose an der Wand.«

Spreemann kannte diese Klagen des Herrn Kreisrat. Darum lenkte er ab und sagte, daß die Ehe dafür andere Vorzüge habe. Darauf schwieg der Herr Kreisrat.

Wahrscheinlich, weil ihm so viel Gutes einfiel, daß er es nicht aufzuzählen vermochte . . .

Man war nun in der Zimmerstraße und sah die Laterne vor Klausings Bierstube. Vor der Tür klaffte ein tiefes Loch im Pflaster, eine Wunde von gestern.

Drinnen ging es lebhaft zu. Durch den säuerlichen Bierdunst und den steifen Tabakqualm sausten die Stimmen.

Heute gab es keine umständliche Begrüßung. Keiner wollte unterbrochen werden.

Herr Lehrer Pritzel war feuerrot im Gesicht und schon heiser. Er schrie, daß es der alte Herr Jung nicht wert sei, Enkel zu haben, die einmal stolze, freie Bürger sein würden, weil er nicht einsehen wollte, daß der gestrige Tag notwendig gewesen.

Herr Jung aber, von dessen hoher Stimme die Jahre nur noch eine dünne Schicht übriggelassen hatten, blieb dabei, daß er keinen Segen darin finden könne, wenn ihm zwanzig Tauben ertränken. Die wilde Menge hatte alle seine Wasserbehälter demoliert und dadurch den Taubenstall überschwemmt.

»Dann hätten Sie eben Enten halten sollen,« schrie Herr Lehrer Pritzel, »dann hätte sich die ganze Sache aufs Glücklichste erledigt.«

»Andermal werde ich Sie vorher um Rat fragen, Sie Mann der Wissenschaft,« rief Herr Jung mit einer Stimme, hoch wie ein Kirchturm.

Spreemann bestellte sich erst mal eine große Weiße mit Himbeer. Dann sagte er:

»Die Herren sprechen von gestern?«

»Allerdings,« antwortete der Lehrer und stieß eine Wolke Tabaksqualm aus.

»Ja, der gestrige Tag wird uns lange im Gedächtnis bleiben,« beeilte sich der Kreisrat einzuschalten.

»Das walte Gott,« sagte der Lehrer und qualmte wie die neuen Lokomotiven vorm Tor.

Der Kreisrat hüstelte, und dann sagte er, daß er bei aller Achtung vor dem Herrn Lehrer nicht zu begreifen vermöge, wie man, als ein Mann von Bildung, ein Parteigänger des Radaus sein könne und fügte noch hinzu, daß er zum Beispiel das eigenmächtige Vorgehen des Volkes keineswegs billige.

»Das sehe ich nicht ein,« mischte sich nun Herr Gerbermeister Ziehlke, Spreemanns beleibter Onkel, ins Gespräch. »Wenn man recht hat, kann man auch dreinhauen. Recht muß sein.«

Der Lehrer sagte, daß dies das erste Vernünftige sei, was er heute abend gehört habe.

Spreemann behauptete darauf, daß er das nicht auf sich beziehen könne; denn er hätte sich überhaupt noch nicht geäußert. Aber bedauerlich fände er die gestrigen Vorgänge auch. Und er wiederholte, was er schon gestern zu Mamsell Schmidt gesagt hatte, daß er überhaupt nicht begreife, warum die Leute immer unzufrieden wären.

»Na, zum Beispiel aus Hunger, werter Herr Spreemann,« knurrte der Lehrer und zerrte an seinem schwarzen Bart, als risse er damit allen seinen Tischgenossen die Haare aus.

»Dann müssen sie arbeiten. Wer arbeitet, kommt vorwärts.«

Spreemann sah bei diesen Worten seine eigenen Züge ruhig und würdig im Weißbier schaukeln.

»Besonders, wenn man eine Frau und fünf Kinder hat und der Lohn kaum für einen selbst ausreicht,« antwortete der Lehrer. Und dann drehte er sich ganz zu Herrn Spreemann und sagte ihm, mitten ins Gesicht hinein, daß ein Junggeselle überhaupt nicht über Volkswirtschaft mitreden rönne, ein Mann, der sich der allereinfachsten Bürgerpflicht entziehe.

Darüber lachte Gerbermeister Ziehlke laut auf. Dieser Lehrer war ein Kerl. Der gab es ihm.

Schadenfreude ist zwar nicht die edelste aller Freuden, aber sie macht Spaß. Nur ist sie, wie alle Laster, gefährlich und überrumpelt leicht ihre Anhänger. Ziehlke vergaß in diesem vergnüglichen Augenblick vollkommen, daß es der Erbonkel seiner Enkel war, den man da zum Heiraten aufreizte.

»Großartig,« gluckste er. »Allereinfachste Bürgerpflicht. Großartig.«

Aber Spreemann war nun auch heftig geworden und erklärte mit lauter Stimme, er würde sich in jeder Lebenslage zu benehmen wissen. Er würde genau wie jetzt in seinem Haushalt für alles eine Reservekasse anlegen. Auch für die fünf Kinder. Man erfahre doch immer eine geraume Zeit vorher, daß man Nachwuchs zu erwarten habe.

»Daß ich nicht lache,« sagte der Lehrer, kehrte ihm den Rücken zu und nahm eine Zeitung.

»Er hat's zu gut,« sagte der Kreisrat, der am Stammtisch durchaus nicht parteifest war. »Er hat's zu gut, der Herr Spreemann.«

Jetzt hatte sich aber der alte Herr Jung wieder zusammengerafft.

»Natürlich, man hat's zu gut,« piepste er. »Wenn einem zwanzig Tauben ersaufen, hat man's zu gut. Wenn dem soliden Herrn Spreemann, der gar keine Kinder hat, für jene große, neue Zeit, von der da trompetet wird, sein Ladenschild eingeschlagen wird, hat er's zu gut. Ich gratuliere Ihnen zu dieser Anschauung, meine Herren.«

Seine Stimme war in solche Höhe geraten, daß sie nicht weiter konnte. Herr Jung verstummte, nahm seine Weißbierschale und schmatzte Schluck für Schluck über seine dünnen Lippen, als schlürfe er heiße Medizin.

Nur eine Tabakswolke verriet, daß der Lehrer noch hinter der Zeitung saß.

Spreemanns Onkel aber sagte:

»Was ich hör, sie haben dir dein Ladenschild eingeschmissen, Kläuschen, das wußte ich ja noch gar nicht.«

»Eingeschmissen ist zu viel gesagt,« dämpfte der Herr Kreisrat sofort diese verwandtschaftliche Anteilnahme. »Ein wenig lädiert. Leicht wieder geleimt.«

»Ach so,« sagte Onkel Ziehlke.

Spreemann aber schwieg. Er war beleidigt. Den krausen Kopf zwischen die breiten Schultern gezogen, trommelte er mit den Fingern auf den Tisch. Er ärgerte sich, daß er diesem Lehrer, diesem Federfuchser, nicht schon morgen beweisen könne, daß er auch mit fünf Kindern, mit sechs, mit neun, ja mit zwölf und dreizehn ordentlich auskommen würde.

»Er hat's zu gut, unser Spreemann,« wiederholte inzwischen Kreisrat Giesecke.

Er war immer neidisch auf seinen Nachbarn. Heute reizte ihn insbesondere die große Weiße mit Himbeer. Seine Rätin hatte nur den Groschen für eine kleine ohne bewilligt. Alles wurde für die Mitgift der Mädchen auf die hohe Kante gelegt. Recht hatte der Lehrer. Was wußte solch Junggeselle vom Leben?

»Wenn Ihre Mamsell Schmidt Sie verläßt, werden Sie doch noch Hals über Kopf in die Ehe springen,« sagte er aus diesem Gedanken heraus. »Solche Wirtschafterin finden Sie nicht zum zweitenmal.«

»Na, na,« sagte Onkel Ziehlke, dem endlich die Verfänglichkeit dieses Themas aufzufallen begann.

Spreemann hörte auf zu trommeln. »Warum soll Mamsell Schmidt mich verlassen?« fragte er.

Kreisrat Giesecke zuckte die Achseln und sagte, daß es allerdings nur eine bescheidene Hypothese von ihm sei, aber er wäre nun mal überzeugt davon, daß Mamsell Schmidt, sobald sie genug erspart habe, einen jungen Mann oder auch einen älteren Witwer heimführen werde. Das sei das Ziel jeder Haushälterin.

Kreisrat Giesecke zuckte die Achseln und sagte, daß es allerdings nur eine bescheidene Hypothese von ihm sei, aber er wäre nun mal überzeugt davon, daß Mamsell Schmidt, sobald sie genug erspart habe, einen jungen Mann oder auch einen älteren Witwer heimführen werde. Das sei das Ziel jeder Haushälterin.

Der Lehrer steckte den Kopf hervor und bemerkte, daß dabei durchaus nichts Lächerliches sei. Jeder wolle sein Tröpfchen Liebe vom Leben.

Onkel Ziehlke schüttelte den Kopf und erklärte, daß er weder in Mamsell Schmidts Aussehen noch in ihrem Benehmen je etwas bemerkt hätte, was auf solche Vermutungen schließen ließe.

Spreemann atmete durch die Nase vor Erregung. Er sagte, daß es einfach eine Gemeinheit sei, einer hochanständigen Person solche lüsternen Frivolitäten anzudichten.

Herr Kreisrat blieb ruhig und erwiderte ganz langsam, daß er sich, bei aller Freundschaft für Herrn Spreemann, gegen das Wort Gemeinheit verwahren müsse, und daß er es leider bedeutend unpassender fände, wenn jemand die Ehe als lüsterne Frivolität hinzustellen versuche.

»Nee, mein Junge, da hast du einen ganz falschen Begriff von der Sache,« sagte Onkel Ziehlke einlenkend.

Spreemann trommelte.

Kreisrat Giesecke, der keinen Hausschlüssel hatte, sagte, daß es nicht seine Absicht war, den geschätzten Herrn Spreemann zu kränken.

Eine Höflichkeit erzeugt die andere. Spreemann hob sein Glas und stieß mit seinem Nachbar an.

»Nichts für ungut,« sagte Herr Kreisrat noch einmal, als seine kleine Schale an das große Weißbierbassin des anderen pochte.

Die anderen Herren kamen nach.

»Auch Prost ist'n Trost,« knurrte der Lehrer versöhnlich, als er mit Herrn Jung anstieß.

»Man muß die Meinungsverschiedenheiten nicht übertreiben,« antwortete dieser und gähnte.

Gähnen steckt an. Man wurde ruhiger.

Als man sich erhob, einigte alle die gleiche Zufriedenheit. Man war müde und wußte sich nicht weit von seinem guten Bette.

»Es war doch wieder mal recht gemütlich,« sagte Gerbermeister Ziehlke, als er aufstand, seinen schweren Körper streckte und zum Pelz griff.

Spreemann und der Herr Kreisrat tappten vorsichtig über den schlammigen, dunklen Platz. Der Regen hatte aufgehört, aber die Pfützen waren größer geworden.

Als Spreemann die Haustür aufschloß, fragte Giesecke, schon halb im Schlaf:

»Wieviel Tauben sind dem Herrn Jung eigentlich ertrunken? Sie verstehen meine Frau ich muß da genau berichten können.«

»Fünfundzwanzig, so viel ich weiß,« sagte Spreemann. Er war ganz mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. So machte er auch bei dieser Summe den gewohnten, kleinen Aufschlag, ohne sich bewußt zu werden, daß es hier nicht nötig gewesen wäre. Aber Gewohnheit ist eine Macht.

Womit nicht gesagt sein soll, daß es ein Unrecht ist, mehr zu tun, als die Notwendigkeit verlangt.

Fünftes Kapitel

Wenige Tage können viel verändern.

Preußen ging einer neuen Verfassung entgegen. Herr Spreemann aber war ganz außer Fassung geraten.

Sein Heim war anders geworden. Mamsell Schmidt hatte sich verändert. Er selbst war nicht mehr der Gleiche. Die ganze Welt lief in einem andern Schritt.

Zwischen großen und kleinen Aufregungen war man schwindelnd schnell in den April geschoben worden. Wo die ersten Stare kommen und ihre Nester bauen. Der Mai stand schon bereit.

Die Sommersäson war aus dem Lagerraum in den Laden gerückt.

Während Spreemann die ersten leichten Stoffe anpries, abmaß und von den vollen Stoffen schnitt, hämmerte und polterte es vor seiner Ladentür, daß sie zitterte. Die neue Zeit klopfte draußen. Man pflasterte den Dönhoffsplatz.

Mamsell Schmidt war wenig erbaut über den Staub, der in die saubern Stuben flog. War es durchaus nötig, Herrn Spreemann den Weg zur Bierstube zu ebnen? Aber sie äußerte sich nicht darüber. Seit jenem furchtbaren Märztage mußte man auf alles gefaßt sein.

Auch Herrn Spreemann waren diese Tage nicht gut bekommen. Er war vollkommen verändert. Mamsell Schmidt verstand ihn nicht mehr.

Wenn sie die Speisen auftrug, starrte er sie unverwandt an. Die ersten Tage war sie jedesmal, kaum daß sie wieder draußen war, vor den Spiegel gestürzt. Vielleicht hatte sie Kohlenruß im Gesicht. Herr Spreemann war sehr eigen. Aber auf ihren Wangen lag nichts als eine sanfte Röte.

Sie begann nun sich aufs Sorgfältigste zu kleiden, ehe sie vor Herrn Spreemann erschien. Zu ihrer Freude bemerkte sie, daß sich aus dem vielen hellbraunen Haar, das sie in einen kleinen Knoten zusammengezwirbelt am Nacken trug, sehr leicht die hübsche Puffenfrisur herstellen ließ. An Hals und Ärmelausschnitt heftete sie sich weiße Spitzenrüschchen. Außerdem nähte sie sich eine zierliche Tändelschürze mit einer hellblauen Seidenschleife. Damit Herr Spreemann bei seinem häufigen Hinsehen nicht etwa unangenehm berührt werde.

Aber auch dies schien ihm nicht recht zu sein.

»Woher haben Sie denn auf einmal alle die Haare her? Für wen putzen Sie sich mit einmal so schön heraus, Sie, Mamsell, Sie?« schrie er plötzlich und schlug auf den Tisch.

Mamsell Schmidt hatte vor Schreck laut aufgeschrien. Unter einer Flut von Tränen versicherte sie, daß sie die Haare immer besessen hätte. Daß sie sich nur für Herrn Spreemann ein wenig nett zu machen versuche, weil doch niemand gern etwas Unangenehmes sähe. Und weil doch Herr Spreemann sie ohnedies immer anstarre, als wäre ihm garnichts mehr recht an ihr.

Herr Spreemann schrie, daß man sich bei drei Taler monatlichem Gehalte wohl seine Wirtschafterin ansehen dürfe, so oft es einem passe.

Aber als Mamsell Schmidt flehte, daß er ihr verzeihen solle und sie wieder genau wie früher aussehen wolle, wenn er es wünsche, wurde er plötzlich sanft.

Er räusperte sich mehrmals und sagte dann:

»Meinetwegen lassen Sie den Kram, so wie er ist. Es sieht ja ganz nett aus.«

Leider regte dies Mamsell Schmidt zu dem Einkauf eines schwarzen Sammetbandes an, woran sie ihr einziges Schmuckstück um den Hals binden wollte. Nämlich das goldne Kreuzchen, das man ihr im Waisenhaus als einziges Erbe ausgehändigt hatte.

Als sie die duftende Frühlingssuppe, sorgsam bereitet aus allen jungen Gemüsen, auf den Tisch setzte, bemerkte Herr Spreemann Sammetband und Kreuzchen.

Niemals hätte Mamsell Schmidt geglaubt, daß Herr Spreemann im Beisein eines so herrlichen Suppenduftes derartig wütend werden konnte.

»Was haben Sie da wieder angerichtet,« schrie er.

Lieschen dachte im Augenblick nur an die Suppe. Zitternd schnurrte sie das Rezept, eine halbe Seite Kochbuch, fehlerlos herunter, und endigte aufatmend:

»Dazu ein walnußgroßes Stück Butter und eine Mehlschwitze.

»Mehlschwitze,« wiederholte Herr Spreemann wütend. »Haben Sie mich nicht zum Narren. Woher das Kreuz, das da herumschwippelt bei jedem Schritt?«

»Von meinem Papa,« stammelte Lieschen.

Nichts scheint oft weniger wahrscheinlich als die Wahrheit.

Da Herr Spreemann um Lieschens Waisenschaft wußte, konnte ihn diese Antwort nicht zufriedenstellen.

Er erhob sich mit einem Ruck.

»Mit den Spitzen und Löckchen sind auch sofort die Lügen da,« schrie er und sah mit dem Ausdruck des höchsten Abscheus auf die hübschen Haarpuffen, die heute gerade besonders gut geraten waren.

Dann rannte er, ohne das Essen auch nur anzusehen, zurück in den Laden.

Hier schreckte er den Lehrling auf, der als einziger Ladenhüter in der Sicherheit mittäglicher Ruhe auf dem Kontorstuhl saß und Herrn Spreemanns Pfeife rauchte.

Spreemann gab ihm eine Ohrfeige und riß ihm die Pfeife aus dem Mund. Der Junge heulte.

Wer sich nicht an die übliche Zeiteinteilung hält, macht sich und seinen Mitmenschen Verdruß . . .

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