Niemand besuchte sie und das machte es einfacher diese Vortäuschung aufrechtzuerhalten. Sie war für sie nicht Lady Estella Sims und würde es nie sein. Wenn sie ihre Erbschaft erhielt, würde sie England verlassen und niemals zurückblicken. Die einzige Sache, die sie zu bleiben versuchte, war Donovan. Für ihn würde sie alles überdenken und alles tun.
»Er glaubt er kennt Euch«, sagte er geistesabwesend. »Sein Hirn muss noch immer in Alkohol eingelegt sein.«
»Unzweifelhaft«, stimmte sie zu. »Jetzt geh an die Arbeit.«
Er nickte und ging zurück zu Donovan. Der Vicomte kämpfte eine Weile und wurde dann komplett bewusstlos. Es war wahrscheinlich das Beste. Warum hatte er aufgegeben? Hatte es ihn so sehr beeinflusst sie zu verlieren? Möglicherweise war sie es überhaupt nicht. Vielleicht hatte er einen anderen Grund sich an den Rand des Todes zu trinken. Sie konnte nicht der einzige Grund sein, warum er am Leben verzweifelt war. Ihr Donovan war glücklich und charmant gewesen. Er hatte sie von ganzem Herzen geliebtbis sie es in Stücke zerschlagen hatte. Sie würde all seinen Schmerz von ihm nehmen, wenn sie könnte. Vor allem wollte sie niemals ihre Liebe zerstören. Als ihr böser Stiefvater ihre Beziehung entdeckt hatte, hatte er alles getan, was er konnte, um sie zu zerstören. Schließlich hatte er Erfolg gehabt. Estella hatte zwei Möglichkeiten: Einen alten Mann heiraten und Donovans Herz brechen, oder die Dinge mit ihm zu beenden. Beide hatten dasselbe Ergebnis, doch eine gab ihr die Hoffnung sich selbst zu erretten.
Vielleicht hatte ihr das Schicksal schließlich die Gelegenheit dafür gegeben
KAPITEL ZWEI
Estella schlenderte über das Deck ihres Schiffs und begutachtete es, um sicherzustellen, dass alles glatt lief. Der Wind war gut und sie machten gute Fahrt. Sie sollten den Abholpunkt gut vor der Dämmerung erreichen. Das würde ihnen genügend Zeit geben den Austausch vorzunehmen. Die Fässer mit Brandy würden einen netten Preis einbringen. Die Engländer mögen ihre Nase über die Franzosen rümpfen, aber sie genossen gewiss ihre Spirituosen. Sie konnte es ihnen nicht verdenken. Besonders da deren Wünsche ihre Rechnungen zahlten. So lange sie guten französischen Brandy wollten, würde sie liefern. Zumindest für weitere sechs Monatedann hätte sie ihr Erbe und könnte mit dem Schmuggelgeschäft aufhören. Vielleicht sogar ihr Schiff für legitimeren Handel nutzen. Sie hatte ein paar Ideen und hoffte diese auszubauen, sobald sie Zugang zu ihren Geldmitteln hatte. Der Herzog würde es hassen, aber er würde keine weitere Kontrolle über sie haben. Sobald sie ihren einundzwanzigsten Geburtstag erreichte, wäre sie in der Lage zu tun, was auch immer sie wollte.
»Käptn Estes«, rief ihr ein Mann zu.
Sie hielt an und blickte hoch. Er kletterte die Takelage herunter. Als er das Ende erreichte, rutschte er ein Tau hinab und landete vor ihr auf dem Deck. Estella wartete, dass er sie ansprach.
»Da kommt ein Schiff näher«, sagte er. »Französische Flaggen.«
Verflixt und zugenäht. Was würde sie deswegen tun? Sie waren ein englisches Schiff und sie würden es ihnen wahrscheinlich nicht erlauben friedlich vorbeizuziehen. Sie musste etwas finden, um sie damit zu bestechen.
»Bist du sicher?« Sie musste fragen.
»Aye«, bestätigte er. »Zumindest sind es keine Piraten.«
Estella verdrehte ihre Augen. Sie trafen auf diesen Unternehmungen nicht auf Piraten. Im Regelfall schlingerten sie nicht durch den Englischen Kanal. Wenn sie in Richtung der Westindischen Inseln oder etwas Ähnlichem segeln würden, könnte das ein Problem sein. Dennoch, ein Pirat wäre vielleicht vorzuziehen. Dann würden sie sich nicht erklären müssen.
»Zumindest haben wir unser Frachtgut noch nicht abgeholt. Sag der Mannschaft, dass sie verdecken sollen, was wir als Austausch bringen. Ich habe eine Idee, aber sie werden es nicht mögen. Oh, und schick Bertram zu mir. Er wird wissen warum.«
Sie drehte sich auf dem Absatz um und bewegte sich auf das Steuerrad zu. Der Erste Offizier bediente es und sie würde Bertram brauchen, um es für ihn zu übernehmen. Die meisten Menschen nahmen sie nicht ernst und mehr als sie es mochte, musste ihr Erster Offizier in Fällen wie diesem als Kapitän auftreten. Sie wollte das nicht tun, wenn sie es nicht musste. Leeland stieg das zu Kopf, wie oft sie ihn schon darum gebeten hatte. Wenn sie das nicht im Keim erstickte, würde er versuchen sie zu stürzen. Sie konnte nicht erlauben, dass dies passierte.
Leeland drehte seinen Kopf, als sie näherkam. Er nickte ihr zu und hielt das Steuer stabil. »Seid Ihr hier, um mich abzulösen?«