Beamte und hervorragende Personen?, antwortete nun Old Shatterhand. Wir sind weder Beamte noch bilden wir uns ein, über andere emporzuragen. Wir sagen Euch Dank für die Einladung, bitten aber, hier bleiben zu dürfen.
Ganz wie Ihr wollt, Sir. Wir hätten nur so gern die Ehre gehabt, mit so berühmten Westmännern einen guten Drink tun und uns mit ihnen unterhalten zu dürfen.
Der Unterhaltung werden wir uns nicht entziehen. Ich vermute, dass Ihr Beamter dieser Bahnstrecke seid?
Ich heiße Leveret und bin der Engineer; hier seht Ihr meinen Aufseher und meinen Verwalter und dort sitzt der Scout, den wir angestellt haben, für unsere Sicherheit zu sorgen.
Er zeigte bei diesen Worten mit der Hand auf die Personen, die er nannte. Old Shatterhand warf einen sehr kurzen, ganz unauffälligen, aber dabei doch scharf forschenden Blick auf den Mischling und fragte dann: Ein Scout für eure Sicherheit? Wie heißt der Mann?
Yato Inda[8]. Er hat einen indianischen Namen, weil er von einer roten Mutter stammt.
Der weiße Jäger musterte den Mestizen mit einem längeren, schärferen Blick und wandte sich dann mit einem so leisen Hm!, dass nur der Apatsche es hörte, ab. Was er dachte, war seinem Gesicht nicht anzusehen. Der Häuptling aber schien Grund zu haben, nicht ebenso zu schweigen; er wandte sich an den Scout: Mein Bruder mag mir erlauben, ihn anzureden! Jedermann muss hier vorsichtig sein, und wenn zur Sicherheit dieses Camps ein Scout notwendig ist, so muss es Feinde geben, die das Lager bedrohen. Wer sind diese Leute?
Der Mestize antwortete höflich, aber immerhin etwas kühl: Es scheint, dass den Komantschen nicht zu trauen ist.
Winnetou machte mit dem Kopf eine horchende Bewegung, als wolle er jedes Wort des Sprechenden besonders abschätzen. Auch nach erhaltener Antwort wartete er noch mehrere Sekunden, wie in sich hineinlauschend; dann fuhr er fort: Hat mein Bruder einen Grund zu diesem Verdacht?
Einen wirklichen Grund nicht, nur eine Vermutung.
Mein Bruder heißt Yato Inda. Yato heißt gut und ist der Navajosprache entnommen, Inda heißt Mann und gehört der Apatschensprache an. Die Navajos sind auch Apatschen und so vermute ich, dass die rote Mutter meines halbfarbigen Bruders eine Apatschin gewesen ist.
Dem Mischling war diese Frage sichtlich unangenehm; er versuchte, um die Antwort herumzukommen, indem er in abweisendem Ton erwiderte: Wie kommt es, dass der große Winnetou sich um eine unbekannte Indianer-Squaw bekümmert?
Weil sie deine Mutter ist, erklang es fest und scharf aus dem Mund des Häuptlings. Und weil ich, wenn ich mich hier befinde, wissen will, was für ein Mann für die Sicherheit dieses Ortes zu sorgen hat. Welchem Stamm gehörte deine Mutter an?
Bei diesem Ton und bei dem großen Auge, mit dem Winnetou ihn anleuchtete, konnte der Scout nicht schweigen. Er antwortete: Dem Stamm der Pinal-Apatschen.
Und von ihr hast du das Reden gelernt?
Natürlich, ja.
Ich kenne alle Sprachen und Dialekte der Apatschen. Sie sprechen viele Laute mit Zunge und Kehle zugleich aus, zu denen du nur die Zunge nimmst, genau so, wie die Komantschen es machen.
Da fuhr der Mestize auf: Willst du damit etwa sagen, dass ich der Sohn einer Komantschin sei?
Und wenn ich dies behaupte?
Eine Behauptung ist noch kein Beweis. Und wenn meine Mutter eine Komantschin gewesen wäre, so folgt daraus noch lange nicht, dass ich es mit den Komantschen halte.
Allerdings nicht; aber kennst du Tokvi Kava, den Schwarzen Mustang, welcher der grimmigste Häuptling der Komantschen ist?
Ich habe von ihm gehört.
Er hatte eine Tochter, welche die Squaw eines Bleichgesichts wurde; sie starben beide und hinterließen einen halbblütigen Knaben, der von dem Schwarzen Mustang zu größter Feindschaft gegen die Weißen erzogen wurde. Dieser Knabe wurde einst von einem Gespielen mit dem Messer in das rechte Ohr geschnitten. Wie kommt es, dass du wie ein Komantsche sprichst und einen Schlitz in demselben Ohr hast?
Da sprang der Scout in die Höhe und rief zornig aus: Diesen Schnitt verdanke ich gerade der Feindschaft der Komantschen; ich habe ihn im Handgemenge mit ihnen bekommen. Wenn du daran zweifelst, fordere ich dich auf, mit mir zu kämpfen.
Pshaw!
Nur dieses eine Wort sagte Winnetou in unbeschreiblich nachlässigem Ton; dann wendete er sich ab und griff zu dem Ingwerbier, das der Wirt soeben brachte.
Wie gewöhnlich auf so unliebsame Szenen folgte eine tiefe Stille, ehe an den beiden Tischen das Gespräch wieder aufgenommen wurde. Nachher erkundigte sich der Engineer, ob Old Shatterhand und Winnetou die Absicht hätten, im Camp zu übernachten; als er eine bejahende Antwort erhielt, bot er ihnen seine Wohnung an und unterstützte seine Gastlichkeit mit dem Hinweis: Den beiden vor euch gekommenen Gentlemen hat der Shopman ihr Lager bei sich angewiesen; da gibt es keine Plätze mehr. In der Nässe draußen werdet ihr doch nicht schlafen. Und hier im Schuppen, bei den schnarchenden, unreinlichen Chinamännern? Keineswegs! Wir haben uns Chinesen aus dem Westen verschreiben müssen, weil wir keine weißen Arbeiter finden konnten und weil sie billiger und auch leichter in Zucht zu halten sind als das Gesindel, auf das wir sonst angewiesen gewesen wären. Sagt, Sir, ob Ihr meine Einladung annehmen wollt!
Old Shatterhand warf einen fragenden Blick auf Winnetou, sah, dass dieser leise bejahend den Kopf neigte, und antwortete: Ja, wir nehmen sie an, vorausgesetzt, dass auch unsere Pferde eine sichere Unterkunft finden können.
Die finden sie. Wir haben die Pferde der beiden andern Gentlemen auch schon in Verwahrung genommen. Wollt ihr meine Wohnung vielleicht einmal ansehen?
Ja, zeigt sie uns! Es ist immer gut, den Ort, wo man die Nacht zubringt, vorher zu kennen.
Winnetou und Old Shatterhand nahmen ihre Waffen und folgten dem Engineer nach einem nicht sehr entfernt liegenden, niedrigen Gebäude, dessen Wände aus Stein gemauert waren, weil es später die Wohnung der Brückenwache bilden sollte. Der Beamte öffnete und brannte ein Licht an. Es gab da einen Herd, einen Tisch, einige Stühle und außer verschiedenen Geräten und Geschirr eine breite Lagerstätte, auf der es an Platz nicht fehlte. Die beiden Gäste drückten ihre Zufriedenheit aus und wollten gehen, um nun auch ihre Pferde unterzubringen.
Da meinte der Engineer: Wollt ihr nicht eure Sachen gleich hier lassen, warum die Decken und Gewehre unnötigerweise herumtragen?
Es war kein Grund vorhanden, ihm Unrecht zu geben. Die Mauern waren stark und die Fenster so klein, dass kein Mensch einsteigen konnte; die aus starkem Holz hergestellte Tür hatte ein gutes Schloss und die genannten Gegenstände schienen also hier ganz sicher aufbewahrt zu sein; so wurden sie hier gelassen und dann brachte man die Pferde nach dem Schuppen, wo schon diejenigen der beiden Timpes standen. Sie erhielten Wasser und Futter und dann kehrte man nach dem Shop zurück.
Unterwegs erklärte er, dass sie auch in Beziehung auf das Nachtessen seine Gäste sein möchten, und fügte dann hinzu:
Ich werde also heute Abend mit euch und nicht mit meinen Leuten speisen, zumal euch einer von ihnen, nämlich der Scout, nicht gefallen zu haben scheint. Sagt einmal, Mister Winnetou, habt Ihr Grund, ihm zu misstrauen?
Winnetou tut und sagt niemals etwas ohne Grund, antwortete der Häuptling.
Aber er ist stets treu und zuverlässig gewesen!
Aber er ist stets treu und zuverlässig gewesen!
Winnetou glaubt nicht an diese Treue. Mein Bruder wird wohl erfahren, wie lange sie währt. Der Bursche nennt sich Yato Inda, den Guten Mann, sein wirklicher Name aber wird wohl lauten Ik Senanda, was in der Sprache der Komantschen so viel wie Böse Schlange heißt.
Gibt es einen Komantschen dieses Namens?
Der Mischling, von dem Winnetou vorhin sprach, heißt so, nämlich der Enkel des Schwarzen Mustangs.
Mister Winnetou, Euern Scharfsinn und Euer Urteil in allen Ehren, aber diesmal müsst Ihr Euch irren! Der Scout hat mir so viele Beweise von Treue gegeben, dass ich ihm vertrauen muss.
Mein weißer Bruder kann tun, was ihm beliebt; aber wenn Old Shatterhand und Winnetou nachher so sprechen, dass der Scout es hört, so wird alles, was sie sagen, nur zum Schein sein. Howgh!
Als sie wieder im Shop angekommen waren, bestellte der Engineer bei dem Wirt ein gutes Abendessen für fünf Personen, denn er betrachtete die beiden Timpes nun auch als seine Gäste und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Hier fragte Old Shatterhand den langen, blonden Kas, was ihn jetzt in diese Gegend geführt habe und wohin er von hier aus wolle. Der Genannte erzählte in kurzen Worten seine Erbschaftsgeschichte und auf welch sonderbare Weise er heute mit einem Vetter und Miterben zusammengetroffen war.
Nun müssen wir nach Santa Fe, fuhr er fort, können aber leider nicht den nächsten Weg einschlagen.
Warum nicht?
Der Komantschen wegen. Wir wenden uns von hier aus östlich und biegen dann nach Süden um.
Hm! Vielleicht können wir zusammen reiten. Wir wollen ebenfalls nach Santa Fe, wenn auch nicht einer Erbschaft wegen.
Da schlug Kas die Hände zusammen, dass es nur so knallte, und rief vor Entzücken überlaut: Das ist ein Glück! Has, hörst du es? Wir dürfen mit Old Shatterhand und Winnetou reiten! Nun schere ich mich den Kuckuck um das ganze Komantschengesindel. Wir brauchen keinen Umweg zu machen, sondern reiten mitten hindurch.
Schreit doch nicht so!, lächelte Old Shatterhand. Zu solchem Jubel habt Ihr keinen Grund. Es kann auch uns nicht einfallen, mitten durch das Gebiet der Komantschen zu reiten, sondern wir waren, wie Ihr, entschlossen, nach Osten auszubiegen.
Ganz wie Ihr wollt. Wann meint Ihr, dass wir von hier aufbrechen, Sir?
Morgen, sobald wir ausgeschlafen haben. Da erreichen wir am Abend den Alder-Spring[9], wo wir bis früh lagern werden.
Er legte auf diesen Namen einen besonderen Ton, denn er beobachtete während dieses Gesprächs den halbblütigen Scout heimlich und sah gar wohl, mit welcher Aufmerksamkeit dieser herüberhorchte, obwohl er sich den Anschein zu geben suchte, als nehme er nicht den geringsten Anteil. Er war übrigens nicht der Einzige, der ein so großes und heimliches Interesse für die beiden berühmten Freunde hegte.
Nämlich ganz nahe an der Bretterwand, die den großen, nur von Chinesen besetzten Raum von dem kleinen trennte, saßen schon vor Eintritt der beiden Timpes zwei Söhne des Himmels[10] rauchend und trinkend beieinander. Sie mochten eine Art Vorarbeiter darstellen oder im Besitz einer sonstigen kleinen Würde sein, weil keiner ihrer Landsleute sich zu ihnen setzte. Sie konnten alles, was nebenan gesprochen wurde, hören und verstanden es auch, denn sie befanden sich schon seit mehreren Jahren in den Vereinigten Staaten und waren in San Francisco mit der englischen Sprache vertraut geworden.
Auf die Ankunft von Has und Kas hatten sie nicht mehr geachtet als alle andern auch; als aber drin im kleinen Raum von den Gewehren Old Shatterhands und Winnetous gesprochen wurde und von ihrem Wert, horchten sie schärfer hin. Dann kamen so ganz unerwartet diese beiden Männer und die Chinesen blickten erst mit Neugier und dann mit Verlangen durch die Bretterlücken nach ihnen, und es schien, als ob sie ihre Augen gar nicht von den kostbaren Gewehren der beiden wenden könnten. Als später der Engineer mit seinen Gästen zurückkehrte und die Letzteren ihre Gewehre nicht mehr bei sich hatten, schien es mit der bisherigen Ruhe der Chinesen aus zu sein. Ihre dünnen Augenbrauen gingen auf und nieder; ihre Lippen zuckten, ihre Finger bewegten sich krampfhaft, sie rutschten auf ihren Sitzen hin und her; sie hatten beide das gleiche Gefühl und den gleichen Gedanken, doch wollte keiner zuerst sprechen.
Endlich konnte sich der eine nicht länger beherrschen; er fragte leise: Hast du alles gehört?
Ja, antwortete der andere.
Und gesehen?
Und gesehen!
Auch die Gewehre?
Auch!
Wie kostbar sie sind!
Ja.
Wenn wir sie hätten! Wie müssen wir arbeiten, wie müssen wir uns plagen und uns schinden, damit unsere Gebeine in der Heimat bei den Ahnen begraben werden können!
Es trat eine Pause ein, sie überlegten. Nach einer Weile tat der eine einen langen Zug aus seiner Pfeife und fragte, während er listig mit den schiefen Augen blinzelte:
Ahnst du, wo die Gewehre liegen?
Ich weiß es, lautete die Antwort.
Nun wo?
Im Hause des Engineers. Wenn wir sie hätten, könnten wir sie vergraben und niemand wüsste, wer sie geholt hat.
Und später könnten wir sie in Frisco[11] verkaufen. Wir bekämen viel, sehr viel Geld dafür; dann wären wir reiche Herren und könnten nach dem Reich der Mitte zurückkehren und alle Tage Schwalbennester essen.
Ja, das könnten wir wirklich, wenn wir nur wollten!
Nach einer abermaligen Pause, während der sie in den gegenseitigen Mienen und Blicken zu lesen suchten, wurde das Gespräch fortgesetzt: Das Haus des Engineers ist steinern und niemand kann durch die Fenster!
Und die Tür ist stark und hat ein sehr festes, eisernes Schloss!
Aber das Dach! Weißt du nicht, dass es aus Shingles[12] gemacht ist?
Ich weiß es. Wenn man eine Leiter hat, kann man eine Öffnung machen und einsteigen.
Leitern gibt es genug!
Ja; aber wo würde man die Gewehre vergraben? In der Erde? Da verderben sie.
Man müsste sie gut einwickeln. Im Lagerschuppen liegen mehr als genug Bastmatten umher.
Sie hatten bisher im Flüsterton miteinander gesprochen; jetzt rückten sie noch näher zusammen und die Art und Weise, wie sie weitersprachen, konnte nur noch als ein fast unhörbares Zuraunen bezeichnet werden. Darauf verließen sie den Schuppen, der eine mehrere Minuten später als der andere.
Eben als dieser Letztere verschwunden war, trat ein neuer Ankömmling ein. Es war ein Indianer, dessen Anzug aus einem blauen Kalikohemd, ledernen Leggins und ebensolchen Mokassins bestand. Bewaffnet war er nur mit einem Messer, das im Gürtel steckte. Das Haar hing ihm lang und voll auf den Rücken hinab und am Hals trug er an einem Riemen einen großen Medizinbeutel.
Er blieb im Eingang stehen, um sein Auge an das plötzliche Licht zu gewöhnen, warf einen Blick durch die große Abteilung und ging dann langsamen Schrittes in die kleinere.
Ein Roter war hier natürlich keine seltene Erscheinung und so wurde dieser Indsman von den Chinesen kaum beachtet. Auch in dem kleinen Raum, wo die Weißen saßen, hatte sein Erscheinen keine andere Wirkung, als dass man ihn mit einem kurzen Blick überflog und dann nicht mehr beachtete. Er ging in der demütigen Haltung eines Menschen, der sich nur geduldet weiß, zwischen den Tischen hindurch und kauerte sich in der Nähe des Herdes nieder.
Als der Scout diesen Indianer kommen sah, ging ein schnelles Zucken über sein Gesicht, so blitzschnell, dass es von keinem der Anwesenden bemerkt wurde. Die beiden gaben sich den Anschein, als seien sie füreinander gar nicht vorhanden; aber hie und da flog doch unter den gesenkten Wimpern hervor ein Blick herüber oder hinüber, und diese Blicke schienen gegenseitig verstanden zu werden. Dann stand der Scout von seinem Tisch auf und schritt dem Ausgang zu, langsam und nachlässig schlendernd, wie jemand, der bei dem, was er tut, ganz ohne Absicht und Gedanken ist.