Meine Stadt auf Яussisch
Valeria Fedchenko
Übersetzer Rupert Ossweil
Korrektor Rupert Ossweil
Fotograf Kristina Podolyakova
© Valeria Fedchenko, 2021
© Rupert Ossweil, Übersetzung, 2021
© Kristina Podolyakova, Fotos, 2021
Erstellt mithilfe des Intelligenten Verlagssystems Ridero
MEINE STADT
AUF ЯUSSISCH
Aus dem Russischen übersetzt
von Rupert Ossweil
Ludwigsburg
2021
Inhalt
Kapitel 1
August 2019
Deutschland, Ludwigsburg, Marktplatz
Kapitel 2
Januar 2020
Deutschland, Ludwigsburg, Rathaus
Kapitel 3
Januar 2020
Deutschland, Ludwigsburg, Marstall
Kapitel 4
Herbst 2005
Deutschland, Ludwigsburg, Volkshochschule
Kapitel 5
Februar 2019
Deutschland, Monte Scherbelino bei Stuttgart
Kapitel 6
Winter 20052006
Ein kleines Dorf am Bodensee
Kapitel 7
Winter 20052006
Deutschland, ein altes kleines Haus nahe Ludwigsburg
Kapitel 8
Herbst 2006
Deutschland, Marbach
Freundschaft mit Anita aus Bosnien
Kapitel 9
Januar 2008, Russland, Smolensk
Anton Denisjenko. Zwanzig Jahre danach
Kapitel 10
11. März 2009
Deutschland, Winnenden unweit von Stuttgart
Tim Kretschmer
Kapitel 11
Herbst 2009, Deutschland
Russisch für Tochter Katharina
Kapitel 12
19781988
Sowjetunion, ein Städtchen nahe Kaluga
Meine Liebe zum Russischen und zur Literatur
Kapitel 13
Herbst 2009
Der Name für die russische Schule
Kapitel 14
Herbst 2009
Deutschland, Marbach
Die ersten Klienten
Kapitel 15
Winter 2010
Umzug nach Ludwigsburg
Kapitel 16
August 2011
Die Gruppe «Mama und Kind»
Kapitel 17
Schuljahr 20112012
Übergesiedelte Mütter
Kapitel 18
Winter 2012, Ludwigsburg
Artikel der «Ludwigsburger Kreiszeitung»
Kapitel 19
Winter 2012
Marika
Kapitel 20
Frühjahr 2012
Ein unruhiger Nachbar
Kapitel 21
Frühjahr 2012
Die Rache des Nachbarn: Wir sind eine illegale Kindergartengruppe
Kapitel 22
August 2013
Flug Moskau Frankfurt Stuttgart; Ludwigsburg
Der verschwundene rosa Koffer
Kapitel 23
August 2013
Deutschland, Ludwigsburg
Ein Interview mit der Smolensker Zeitung «Gorod» (,Die Stadt»)
Kapitel 24
Polizei
Kapitel 25
Wie wir uns vergrößerten
Rechtsanwalt Stein
Wie wir uns vergrößerten
Kapitel 26
August 2017
Die Schule zieht um
Kapitel 27
2017. Ludwigsburg, Sonntag, spätabends
Valentina
Kapitel 28
2018, Ludwigsburg
Chila. Wenn du fest an dein Kind glaubst
Kapitel 29
Valeria
Kapitel 30
Die Zahlungsmoral der Russen
Kapitel 31
Warteraum in der Schule
Marina
Kapitel 32
Die einfach Verschwundenen
Kapitel 33
Januar 2019
Marbach, Schillers Geburtshaus
Kapitel 34
2018. Alina
Kapitel 35
Februar 2019
Marbach, Ausflug zum Schiller-Geburtshaus (Teil 2)
Kapitel 36
Juli 2019
Deutschland, Ludwigsburg, Café beim Brunnen
Melina, Marina und Christian
Kapitel 37
August 2019. Ludwigsburg
Ljuba Kraft: eine Wiederbegegnung nach vierzehn Jahren
Kapitel 38
Herbst 2019
Ludwigsburg, Kulturzentrum
Kapitel 39
Frühherbst 2019
Ludwigsburg
Karin
Kapitel 40
Dima
Kapitel 41
Jelena. Neun Jahre später
Kapitel 42
8. März 2020
Ludwigsburg, die Räume der russischen Schule
«Russisches Frühstück»
Kapitel 43
10. März 2020
Ludwigsburg. Markt 8 (Haus der evanglischen Kirche)
Kapitel 44
15. März 2020
Ludwigsburg. Der Beginn der Pandemie
Briefe an die Schülereltern
Kapitel 44
15. März 2020
Ludwigsburg. Der Beginn der Pandemie
Briefe an die Schülereltern
Kapitel 45
17. Juni 2020
Deutschland, Ludwigsburg, Marktplatz
Kapitel 46
Ein Brief an den Oberbürgermeister
Kapitel 47
31. Juli 2020
Ludwigsburg
Bildungszentrum «Katharina»
Epilog
Deutschland, Ludwigsburg
Ein Jahr später 2021
Gewidmet dem zehnjährigen Bestehen der russischen Schule in Ludwigsburg
Gewidmet dem zehnjährigen Bestehen der russischen Schule in Ludwigsburg
Allen Eltern und Schülern, die ich das Glück hatte kennenzulernen.
Meinen Töchtern Katharina und Julia.
Geschrieben für die Frauen und Mädchen, die sich danach sehnen,
ihr Heimatland zu verlassen, um ein besseres Leben zu suchen.
Geschrieben für alle, die sich für andere Kulturen
und Länder interessieren.
Kapitel 1
August 2019
Deutschland, Ludwigsburg, Marktplatz
Zwei Kirchen eine größere, die evangelische, und eine kleinere, die katholische ragen einander gegenüber und schauen schweigend auf das Treiben am Fuß ihrer Mauern. Ein Treiben, das im Vergleich zu anderen Tagen, wenn hier der Wochenmarkt oder ein Konzert stattfindet, heute nicht sehr lebhaft ist.
Ein paar Kinder rennen den Tauben nach; müdegejagt, sehen einige Vögel, einträchtig aufgereiht auf dem Sims eines Hauses, von oben zu.
Auf dem Platz halten Leute, sich in den Schatten der mächtigen Kirchenmauern bergend, Rast auf Stühlen. Die Stadt hat vorausschauend Sorge getragen, dass die Stühle nicht etwa festgeschraubt sind so können die Einwohner sie, dem Lauf der Sonne folgend, ins Schattige rücken.
Andere haben sich in den kleinen Cafés und Restaurants niedergelassen, die um den ganzen weiten Platz herum verteilt sind, und schlürfen gemächlich leichte alkoholische Getränke den hellgelb-klaren «Hugo» mit Minzeblättern oder den rötlichen Aperol mit Eiswürfeln. Sie essen eine Pizza oder löffeln ein Eis, in leisem Gespräch.
Viele, so ist zu spüren, genießen die letzten warmen Tage des Sommers.
Für mich ist es schon mehr der Herbst allmählich sickert er von überall her ein. Er ist in der warmen Luft. Ist in dem gelben Blatt, das da von irgendwoher angeflattert kommt. Auf den dunkler gewordenen Blättchen der Pflanzen in den riesigen Töpfen rund um den Marktbrunnen in der Mitte des Platzes.
Meine Mädchen und ich überqueren den Platz in der Hoffnung, ein freies Tischchen draußen vor unserem Lieblingscafé zu finden, dessen italienischer Name, «Baci», auf Deutsch Kuss bedeutet. Wir haben Glück; die Mädchen machen sichs auf dem Lederbänkle bequem, das dicht vor den hohen Fenstern des Cafés steht; ich auf einem Stuhl. Das niedrige Tischchen reicht mir gerade bis zu den Knien.
Diesen Platz vor den Café-Fenstern liebe ich noch mehr, wenn ich ohne die Kinder komme. Er bietet Schutz: hinter dir die Fensterscheibe, vor dir die Säulen der Arkaden. Dabei siehst du alle, die an den Tischchen sitzen. Mit den Mädchen setze ich mich lieber an die gewöhnlichen etwas höheren runden Tische, aus Sorge, dass ihnen an den niedrigen Tischchen das Eis auf die Knie kleckert.
Es sind sehr viele Besucher da, doch die Kellnerinnen lassen es sich nicht nehmen, uns als alten Bekannten freundlich zuzunicken, während sie sich flink von Tisch zu Tisch bewegen. Eine von ihnen, die Besitzerin selbst, Angelina, ist eine schöne Italienerin mittleren Alters. Dunkelhaarig, stets geschmackvoll gekleidet, bedient sie die Gäste gemeinsam mit ihren Angestellten. Im Sonnenlicht glitzert der Schmuck, der, kundig gewählt, ihre Kleidung ergänzt.
Ich gebe rasch unsere Bestellung auf, ohne dafür in die Karte zu gucken. Weil ich für gewöhnlich, bei schönem Wetter im Sommer, immer das gleiche bestelle: kalten Kaffee mit Eiswürfeln, Vanilleeis und Sahne. Hier heißt das «Eiskaffee», ist aber was ganz anderes als der Eiskaffee in Moskau. Dort ist das eine Kugel Vanilleeis, die man in heißen Kaffee legt du kannst da zusehen, wie diese Kugel deinen schwarzen heißen Kaffee allmählich in warmen Kaffee mit Milch verwandelt.
Lustigerweise bereiten die Italiener ihnen gehören hierzulande in aller Regel die Eisdielen diese Art kalten Eiskaffee nur in Deutschland; in Italien selbst ist dieses Getränk praktisch nirgendwo anzutreffen.
Meine ältere Tochter bestellt sich eine Eisschokolade: kalter Kakao mit Eiswürfeln, Vanilleeis und ohne Sahne. Mit Sahne findet sie das Getränk zu fett und sattmachend.
Die Jüngere bittet, ob sie eine Erwachsenen-Portion «Spaghetti-Eis» bekommen darf: Vanilleeis, durch ein Gerät in Nudelform gepresst, übergossen mit einer Erdbeersoße. Das Ganze sieht aus wie ein Teller Spaghetti mit Tomatensoße.
Unbemerkt von der Jüngeren wechsle ich einen Blick mit ihrer Schwester Katharina: uns ist klar, dass sie das nicht alles schaffen wird und jemand diese Portion wird aufessen müssen was uns nicht lieb ist.
Die Jüngere zu überreden versuchen, eine Kinder-Portion mit einem «Überraschungs-Ei» zu nehmen, möchte ich aber auch nicht, aus Furcht, durch einen Disput die entspannte mediterrane Stimmung und die Atmosphäre, von der die Luft erfüllt ist, zu zerstören.
In dem Wissen, dass ein Teil der Portion auf dem Teller bleiben wird, erlaube ich ihr, die Bestellung zu machen. Bestellen, das mag sie gerne selber; sie tippt dann mit ihrem Fingerchen auf die Karte und heftet den Blick auf die freundlich lächelnde Kellnerin.
Ciao, bella.
Aus meinem Rucksack krame ich einen Kugelschreiber und einen langen Quittungszettel aus dem Supermarkt hervor; und mit fliegendem Stift notiere ich die Zeilen eines Gedichts, die mir im Kopf kreisen.
Dann, während ich meinen Eiscafé trinke, versuche ich, das Entstandene ein wenig in Form zu bringen.
Der Herbst
Mit durchsichtigem Flügel, fein und zart
Hat er, mit zärtlichem Seufzer,
Alles gestreift
Und goldenen Puder verstreut.
Hat Gras, Bäume, Blätter bestäubt
Und den Feldern einen Luftkuss gesandt.
Den Sonnenstrahl vergaß er in der azurblauen Spinnwebe
Und ist allmählich Sieger geblieben.
Aus dem Himmel tönt der Abschiedsruf
Derer, die sich kampflos ergeben haben.
Ich lese es meiner Tochter Katharina vor.
«Wie schön das klingt!» sagt sie.
Kapitel 2
Januar 2020
Deutschland, Ludwigsburg, Rathaus
Traut euch, unpopulär zu sein. Ihr müsst nicht jeden Moment liebe Mädchen sein.
Caroline Link, Filmregisseurin
Ein Treffen der Vertreterinnen von Organisationen, Vereinen und sozialen Einrichtungen für Frauenfragen, zur Vorbereitung von Veranstaltungen rund um den Internationalen Frauentag am 8. März.
Das Fotoshooting für Frauen unter dem Motto «Ich bin eine Blume», das ich beim vorigen Treffen vorgeschlagen habe, fällt unter den Veranstaltungen, die die Stadt im Laufe der zurückliegenden Jahre durchgeführt hat, aus der Reihe. Und ich begreife auch, warum.
Was haben die anderen denn vorgeschlagen? Ich blättere in meinem Notizblock, wo die Veranstaltungen der anderen Organisationen eingetragen sind, damit es keine zeitlichen Überschneidungen gibt.
Montag, 2. März, bis Freitag, 13. März: Ausstellung «Machen Sie mehr aus Ihrem Minijob», ausgerichtet von der Agentur für Arbeit.
Mittwoch, 4. März, 1517 Uhr: «Mobbing».
Mittwoch, 4. März, 1820 Uhr: Rentenberatung.
Mittwoch, 4. März, 1820 Uhr: Workshop «Mut zum Nein».