»Zugleich hörte ich, daß Sie durch den Besitz von zweihundert Papierthalern imstande sein würden, sich aus dieser Knechtschaft zu befreien. Würden Sie mir nun gestatten, Ihnen diese Summe zur Verfügung zu stellen?«
Er blickte mich groß an. Der Betrag war zwar nicht bedeutend, nur zweiunddreißig Mark nach deutschem Gelde, aber für einen armen Theesammler doch wohl nicht gering. Die Lage des Mannes hatte meine Teilnahme erregt, und einem glücklichen Instinkte folgend, wollte ich ihm das Geld schenken, obgleich ich selbst keineswegs ein wohlhabender Mann war.
»Ist das Ihr Ernst, Sennor?« fragte er. »Welchen Zweck verfolgen Sie dabei?«
»Keinen andern als nur den, Sie in den Besitz Ihrer geschäftlichen Selbständigkeit zu bringen.«
»Also Mitleid?«
»Nein, sondern Teilnahme. Das Wort Mitleid hat eine Nebenbedeutung, welche nicht geeignet sein würde für den caballeresken Eindruck, welchen Sie auf mich machen.«
Sein Gesicht, welches sich verfinstert hatte, erhellte sich.
»Sie halten mich also trotz meiner Armut für einen Caballero?« fragte er. »Aber wie stimmt ein Almosen mit dem Worte Caballero überein?«
»Von einem Almosen ist keine Rede.« »Also ein Darlehen?« »Wenn Sie es so nennen wollen, ja. Werden Sie dasselbe annehmen?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Welche Bedingung stellen Sie?«
»Sie verzinsen mir die Summe zu drei Prozent. Kündigung ist auf ein Jahr. Jeder von uns beiden hat bei unsrer nächsten Begegnung das Recht, zu kündigen, worauf Sie das Geld nach Ablauf eines Jahres an mich zu entrichten haben.«
»Und wenn wir uns nicht wieder treffen?«
»So behalten Sie es oder schenken es nach fünf Jahren einem Manne, welcher ärmer ist als Sie.«
Da streckte er mir die Hand entgegen, drückte die meine in herzlichster Weise und sagte:
»Sennor, Sie sind ein braver Mann. Ich nehme Ihr Darlehen mit Vergnügen an und weiß, daß Sie keinen Peso verlieren werden. Darf ich fragen, wer und was der fremde Sennor ist, welcher sich so freundlich meiner annimmt?«
Ich gab ihm meine Karte.
»Ein Alemano!« sagte er im Tone der Freude, als er den Namen gelesen hatte. »Nehmen Sie auch die meinige, Sennor!«
Er langte in seine zerfetzte Jacke, zog aus derselben ein sehr feines, kunstvoll gesticktes Visitenkartentäschchen hervor und gab mir aus demselben eine Karte. Auf derselben stand:
»Sennor Mauricio Monteso, Guia y Yerbatero.«
Also Fremdenführer und Theesammler war er. Das schien ein guter Fund für mich zu sein.
»In welchen Gegenden seid Ihr bewandert, Sennor?« fragte ich ihn. »Ich will nach Santiago und Tucuman und stand im Begriff, mich nach einem zuverlässigen Führer zu erkundigen.«
»Wirklich? Dann werde ich Ihnen einen meiner besten Freunde empfehlen. Er ist ein Mann, auf welchen Sie sich vollständig verlassen können, kein Arriero, dessen Sinn einzig nur dahin steht, den Fremden nach Kräften auszunützen.«
»Sie selbst haben wohl nicht Lust oder Zeit, den Auftrag anzunehmen?«
Er sah mich freundlich prüfend an und fragte dann:
»Hm! Sind Sie reich, Sennor?«
»Nein.«
»Und dennoch borgen Sie mir Geld! Darf ich fragen, was Sie da drüben wollen? Sie gehen doch nicht etwa als Goldsucher oder aus andern spekulativen Gründen nach Argentinien?«
»Nein.«
»So, so! Will es mir überlegen. Wann aber wollen Sie hinüber?«
»So bald wie möglich.«
»Da werde ich wohl nicht können, denn ich habe noch einiges abzumachen, was nicht aufgeschoben werden darf. Uebrigens befindet sich der Freund, den ich Ihnen empfehlen will, auch nicht hier. Ich müßte Sie zu ihm führen, und das ist ein weiter Weg ins Paraguay hinein. Dieser Umweg würde sich aber gewiß lohnen, denn er ist ein Mann, an den kein zweiter kommt, der berühmteste und gewandteste Sendador, den es nur geben kann. Wollen Sie sich die Sache nicht wenigstens überlegen? Sie kommen trotz des Umweges mit ihm weit eher und wohlbehaltener ans Ziel, als mit einem Führer, mit welchem Sie sofort aufbrechen können, dessen Unkenntnis Ihnen aber bedeutende Zeit- und auch andre Verluste bereiten würde.«
»Wann und wo kann ich Sie treffen, um Ihnen meinen Entschluß mitzuteilen?«
»Eigentlich wollte ich nur bis morgen hier bleiben; aber ich will noch einen Tag zulegen. In meine Herberge mag ich Sie nicht bemühen; lieber komme ich zu Ihnen.«
»Schön! Kommen Sie morgen am Mittag nach dem Hotel Oriental, wo Sie mich in meinem Zimmer treffen werden. Ich glaube, bis dahin eine Entscheidung getroffen zu haben.«
»Ich werde mich pünktlich einstellen, Sennor. Darf ich fragen, ob Sie mit Sennor Tupido in geschäftlicher Verbindung stehen?«
»Das ist nicht der Fall. Ich gab ein Empfehlungsschreiben ab.«
»Hat er Sie eingeladen?«
»Ja. Für heute abend acht Uhr in seine Privatwohnung.«
»Die kenne ich. Sie befindet sich auf der Straße, welche nach La Union führt. Es ist eine kleine, prächtige Villa, welche Ihnen sehr gefallen wird. Leider möchte ich bezweifeln, daß die Bewohner Ihnen ebenso gefallen.«
»Wenn sie dem Sennor ähneln, so werde ich mich bei ihnen nicht übermäßig amüsieren.«
»So! Hm! Seine Person hat also auch Ihnen nicht behagt?«
»Gar nicht. Es kam sogar zu einem kleinen Zusammenstoße zwischen ihm und mir.«
Er hatte während der letzten Minuten den Blick meist draußen auf der Straße gehabt, als ob er dort nach etwas forsche. Da ich mit dem Rücken nach dieser Richtung saß, konnte ich nicht sehen, was seine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch nahm. Jetzt fuhr er im Tone der Besorgnis auf:
»Caramba! Haben Sie ihn etwa dabei beleidigt?«
»Einige scharfe Worte hat es gegeben, aber von einer eigentlichen, wirklichen Beleidigung ist wohl keine Rede.«
»Und Sie werden trotz der Differenz, welche Sie mit ihm hatten, zu ihm gehen?«
»Ja. Warum nicht?«
»Thun Sie es immerhin! Aber nehmen Sie sich in acht! Man vergißt Beleidigungen hier nicht so leicht. Die Rache trägt zuweilen ein außerordentlich freundliches Gesicht.«
»Haben Sie Grund zu dieser Warnung?«
Ich vermute es. Bitte, drehen Sie sich doch einmal um! Sehen Sie den Mann, welcher grad gegenüber an der Gitterthüre lehnt?«
Der Mensch, welchen der Yerbatero meinte, stand vis-à-vis am verschlossenen Eingange des Hauses, ganz in der nachlässigen Haltung eines Mannes, dessen einzige Absicht es ist, zu seiner Unterhaltung das Treiben der Straße zu beobachten. Er war in Hose, Weste und Jacke von dunklem Stoffe gekleidet, trug einen breitrandigen Sombrero auf dem Kopfe und rauchte mit sichtbarem Behagen an einer Cigarette.
»Ich sehe den Mann,« antwortete ich. »Kennen Sie ihn?«
»Ja. Er ist bekannt als einer der verwegensten Agenten für gewisse Geschäfte, bei denen es auf einige Unzen Blut nicht ankommt. Er beobachtet Sie.«
»Nicht möglich!«
»Bitte! Ich sage es Ihnen, und Sie können es glauben. Als ich an der Ecke der Plaza de la Independencia auf Sie wartete, bemerkte ich ihn, daß er ebenso stand wie jetzt, scheinbar ganz unbefangen, aber den Blick doch scharf auf das Geschäftshaus von Sennor Tupido gerichtet. Als Sie aus demselben traten, ging er uns nach und stellte sich da drüben auf. Mir kann seine Aufmerksamkeit unmöglich gelten, folglich gilt sie Ihnen.«
»Vielleicht irren Sie sich doch. Es ist nur ein Zufall, daß er in gleicher Richtung mit uns ging.«
»Und auch Zufall, daß er sich da drüben aufstellte? Nein. Solche Zufälle giebt es hier nicht. Beobachten Sie ihn unbemerkt, wenn Sie von hier fortgehen, und Sie werden ganz gewiß sehen, daß er es auf Sie abgesehen hat. Sagen Sie mir morgen wieder, ob ich recht gehabt habe oder nicht. Ich bitte Sie wirklich, meine Beobachtung zu beherzigen.«
»Und auch Zufall, daß er sich da drüben aufstellte? Nein. Solche Zufälle giebt es hier nicht. Beobachten Sie ihn unbemerkt, wenn Sie von hier fortgehen, und Sie werden ganz gewiß sehen, daß er es auf Sie abgesehen hat. Sagen Sie mir morgen wieder, ob ich recht gehabt habe oder nicht. Ich bitte Sie wirklich, meine Beobachtung zu beherzigen.«
»Aber, Sennor, wenn es sich wirklich um eine Rache handelt, so muß ich doch sagen, daß ich Tupido nicht in der Weise beleidigt habe, daß er mir einen Bravo auf den Hals schicken könnte.«
»Vielleicht nennt man in Ihrem Vaterlande eine Beleidigung geringfügig, welche hier nur mit Blut abzuwaschen ist. Sie haben es mit Abkömmlingen der alten Spanier zu thun, was Sie ja nicht vergessen dürfen. Oder giebt es außer Tupido vielleicht einen andern, dessen Zorn Sie erregt haben?«
»Schwerlich! Einen sehr komischen Sennor, dessen Besuch ich empfing und welcher mir bei seinem Fortgehen allerdings sogar mit der Faust drohte, kann ich unmöglich zu den gefährlichen Leuten zählen.«
»Hm! Was nennen Sie komisch, und was nennen Sie gefährlich? Kennen Sie den Namen des betreffenden Mannes?«
»Er nannte sich Esquilo Anibal Andaro.«
»Lieber Himmel! Der ist gar kein komischer Mann. Der ist einer der eingefleischtesten Blancos, die es giebt. Ihm ist alles, alles zuzutrauen. Ich kenne ihn, ich kenne ihn! Wenn Sie mir doch anvertrauen wollten, welchen Zweck sein Besuch hatte und wie derselbe abgelaufen ist!«
Ich erzählte ihm das kleine, mir lustig vorkommende Abenteuer meiner Verwechslung mit dem Obersten Latorre. Die Miene des Yerbatero wurde immer ernster. Er sagte, als ich geendet hatte:
»Sennor, ich wette, daß dieser Andaro Ihnen den Bravo zum Aufpasser gegeben hat. Nehmen Sie sich in acht, und gehen Sie nicht ohne Waffen aus!«
»Kennen Sie den Obersten auch?«
»Ich habe ihn noch nie gesehen, sonst würde Ihre Aehnlichkeit mit ihm auch mir aufgefallen sein. Aber ich weiß, daß es eine Partei giebt, welche große Hoffnungen auf ihn setzt. Daß Sie in Ihrem Aeußeren eine solche Aehnlichkeit mit ihm besitzen, kann, wie Sie sehen, unter Umständen bedenklich für Sie werden. Kein Parteigänger ist hier seines Lebens sicher, und wenn man Sie für einen solchen hält, so kann sich leicht eine Kugel oder ein Messer zu Ihnen verirren.«
»Das ist einerseits fatal, andererseits aber hoch interessant.«
»Ich danke für das Interessanteste, wenn es möglich ist, daß ich es mit dem Leben bezahlen muß! Wie nun, wenn dieser Esquilo Anibal Andaro Ihnen nach dem Leben trachtet, weil er Sie für Latorre hält?«
»Das ist geradezu unmöglich.«
»Meinen Sie? Warum?«
»Weil beide zu einer und derselben Partei gehören. Er kam ja doch, um Latorre ein Geschäft anzubieten!«
»Daran glaube ich nicht.«
»Aber, Sennor, er hat es ja doch mir angeboten, weil er mich für den Obersten hielt!«
Ueber sein Gesicht glitt ein außerordentlich pfiffiges Lächeln.
»Man merkt es, daß Sie ein Bücherwurm sind,« sagte er. »Im Leben geht es weit anders zu als in Ihren Büchern. Latorre gehört nämlich nicht zur Partei Ihres Sennor Andaro, den Sie komisch nennen. Er hält zwar sehr mit seiner eigentlichen Meinung zurück, denn er ist nicht nur ein kühner, sondern auch ein vorsichtiger Mann; aber man weiß doch ziemlich genau, daß er zu den Roten hält und nicht zu den Weißen.«
»Warum aber trägt ihm Andaro ein Geschäft an?«
»Zum Schein nur, um ihn blamieren zu können. So wenigstens denke ich mir. Denken Sie sich doch das Aufsehen, wenn die Blancos sagen könnten: Wir haben eine Unterschrift Latorres, mit welcher er bestätigt, daß er von uns fünftausend Pesos erhalten hat, damit wir ihm die Waffen zum Aufstande liefern! Er hätte sich dadurch für alle Zeit unmöglich gemacht.«
»Ah, jetzt durchschaue ich diesen Andaro.«
»Entweder hält er Sie für Latorre und ärgert sich darüber, daß Sie sich nicht auf seine Leimrute gesetzt haben, oder er hat eingesehen, daß Sie wirklich ein anderer sind, und ärgert sich nun, einem Fremden Einblick in seine Pläne gewährt zu haben, was für ihn und seine Partei gefährlich werden kann, wenn Sie Latorre davon benachrichtigen. In beiden Fällen haben Sie nichts Gutes von ihm und den Blancos zu erwarten. Es muß ihnen daran liegen, Sie am Sprechen zu hindern. Und womit erreicht man das am sichersten? Beantworten Sie sich diese Frage selbst!«
»Wollen Sie mir wirklich Sorge machen, Sennor Monteso?«
»Ja, das will ich. Der Bravo steht nicht zum Scherze so lange da drüben. Darauf können Sie sich wohl verlassen. Ich kenne die hiesigen Verhältnisse besser als Sie.«
»So wäre ich ja gleich mit meinem ersten Sprunge an dieses schöne Land in ein Loch geraten, in welchem ich sehr leicht stecken bleiben kann!«
»Dieser Vergleich ist sehr richtig. Steigen Sie schnell heraus, und laufen Sie davon! Ich meine es gut mit Ihnen. Damit aber will ich nicht etwa sagen, daß Sie gleich heute von hier aufbrechen sollen. Nehmen Sie sich nur vor dem Bravo und andern Fallen in acht, welche man Ihnen legen könnte. Ich bin überzeugt, daß Sie bis morgen mittag, wo ich zu Ihnen komme, irgend etwas erlebt haben werden. Da sollte es mich freuen, zu erfahren, daß meine Warnung nicht unbeachtet geblieben ist.«
»Ich werde sie mir zu Herzen nehmen, Sennor. Und da ich sehe, daß Sie gehen wollen, so erlauben Sie mir, Ihnen die zweihundert Pesos jetzt auszuzahlen.«
Ich schob ihm fünf Diez Pesos Fuertes zu. Er wickelte sie zusammen und steckte sie mit einer Miene in die Westentasche, als ob es nur ein Stückchen Cigarettenpapier sei. Dann reichte er mir die Hand, machte mir eine höflich vertrauliche Verbeugung und entfernte sich.
Jetzt nahm ich seinen Platz ein, um den Bravo beobachten zu können. Dieser musterte den aus der Thüre tretenden Yerbatero mit einem kurzen Blicke und machte dann eine ungeduldige Bewegung. Nach einer Weile entfernte auch ich mich. Dabei that ich so, als ob ich den Menschen gar nicht bemerkte. Ich schritt durch mehrere Straßen, blieb an verschiedenen Schaufenstern stehen und überzeugte mich, daß der Mann mir allerdings unausgesetzt folgte.
So verging wohl eine Stunde, und die Dämmerung trat ein. Glockenton machte mich darauf aufmerksam, daß ich mich in der Nähe der Kathedrale befand. Auf meine Erkundigung erfuhr ich, daß man sich jetzt zum täglichen Ave Maria de la noche in die Kirche begebe, und ich schloß mich den gebetsbedürftigen Leuten an.
Der hehre, lichtdurchflossene Raum war von so vielen Gläubigen besucht, daß die Gemeinden mancher europäischen Hauptstädte sich ein Beispiel daran nehmen könnten. Ein gemischter Chor mit Orgelbegleitung tönte von dem Chore herab. Die Sänger waren ziemlich gut geschult, aber der Organist war ein Spieler fünften oder sechsten Ranges. Er verstand das Registrieren nicht und griff sogar sehr häufig fehl.
Die Orgel ist mein Lieblingsinstrument. Ich stieg hinauf, um mir den Mann, welcher die weihevolle Komposition von Palestrina so verdarb, einmal anzusehen. Der Kantor stand dirigierend vorn am Pulte. Der Organista war ein kleines, dünnes, bewegliches Männchen, dessen Gestalt unter den mächtigen Prospektpfeifen noch kleiner erschien, als sie war. Als er sah, daß ich, an der Ecke des Orgelgehäuses lehnend, ihn beobachtete, kam ihm sichtlich die Lust, mir zu imponieren. Er zog schleunigst Prinzipal und Kornett und einige sechzehnfüßige Register dazu. Das gab natürlich einen Lärm, welcher die Vokalstimmen ganz verschlang. Dennoch erhielt er von dem Dirigenten keinen Wink. Das Kirchenstück wurde in dieser Weise bis zu Ende gesungen.