Der beiden Quitzows letzte Fahrten - Karl May 13 стр.


Schon hielten sie hinter ihm, als er erst an dem Schnauben der Pferde ihre Gegenwart bemerkte. Der Jüngling trieb das seinige bis an ihn heran und frug:

»Höre, Mann, wir haben uns verirrt. Kannst Du uns sagen, wo der nächste bewohnte Ort ist?«

»Ja, das kann ich sagen,« antwortete er kurz, indem er in seiner Arbeit fortfuhr. Der Gang seiner Gedanken hatte ihn in eine nicht freundliche Stimmung versetzt, und er fühlte sich daher nicht zu der gewünschten ausführlichen Antwort aufgelegt.

»Nun, wie ist derselbe geheißen?«

»Grabsdorf.«

»Und wo liegt er?«

»Dort,« berichtete er, mit der ausgestreckten Hand die Richtung bezeichnend, in welcher der Ort lag.

»Ist es dort möglich, eine Erfrischung zu bekommen?«

»Vielleicht.«

»Höre, Bursche,« mengte sich jetzt einer der beiden Begleiter mit in das Gespräch, »Du scheinst mir ein sehr einsylbiger Kauz zu sein, aber ich mache Dich darauf aufmerksam, den Mund etwas besser aufzuthun, wenn wir ihn Dir nicht etwa öffnen sollen!«

Dietrichs Auge überflog den Sprecher mit einem verächtlichen Blicke; dann drehte er sich zur Seite und fuhr in seiner Beschäftigung fort.

»Nun?« frug der junge Herr, jetzt selbst etwas ungeduldig. »Kannst Du uns Niemanden nennen, uns den Weg zeigen oder, was noch besser wäre, uns nach Grabsdorf führen?«

»Namen brauche ich Euch nicht zu sagen, denn Ihr werdet abgewiesen oder aufgenommen von einem Jeden, wie es ihm eben paßt. Den Weg habe ich Euch schon gezeigt; da hinter der Waldesecke liegt das Dorf, und mein Mitgehen ist also nicht nothwendig.«

»Aber wir halten es doch für besser, daß Du uns begleitest,« entgegnete der Reisige. »Lege Deine Hacke weg und komme mit uns!«

»Das werde ich wohl bleiben lassen!«

»Das wirst Du wohl thun müssen!« lautete die drohende Erwiderung, indem der Sprecher sein Pferd näher an Dietrich drängte.

»Wollt Ihr es mir vielleicht gebieten?« frug dieser, indem seine Hand sich fester um den Stiel der Hacke legte und sein dunkles Auge kampfeslustig blitzte. »Ich bin ein armer Bauersmann, aber ich habe Niemandem Gehorsam zu leisten als unserm Herrn, dem Ritter Werner von Holzendorf!«

»Dem Herrn Werner gehört Grabsdorf? Daran habe ich gar nicht gedacht!« fiel der Jüngling ein, indem er sich an seine Begleitung wendete. »Wie ist es denn da um unsere Sicherheit bestellt, Ihr Mannen?«

»Der Ritter Werner von Holzendorf sitzt als Markgräflicher Hauptmann auf Schloß Bötzow; er ist ein Diener des gnädigen Herrn, und so dürfen wir wohl auf seinem Grund und Boden weilen.«

»Das lügt Ihr!« rief ihm Dietrich, sich vergessend, dazwischen. »Wer hat Herrn Werner zum markgräflichen Hauptmann gemacht? Wohl der Burggraf? Und wer ist es, der Euch die Unwahrheit berichtete, daß der Ritter ein Diener des »gnädigen Herrn« sei, wie Ihr zu sagen beliebt? Wohl auch der Burggraf selbst?«

»Sei ruhig Gesell, sonst schlagen wir Dich auf den Mund! Wie kannst Du es wagen, den Herrn Markgrafen Friedrich von Zollern einen Lügner zu nennen, da sein erlauchter Sohn, der Prinz Johann, selbst sich vor Dir befindet!«

Bei diesen Worten leuchtete es blitzartig über Dietrichs Angesicht. Welch' ein Glück, welch' ein Zufall! Bot sich hier nicht eine treffliche Gelegenheit zur Rache, eine Gelegenheit, sich die theuersten Vortheile zu erringen? Doch schnell beherrschte er sich und antwortete mürrisch:

»Das habe ich nicht gewußt und bekümmere mich auch gar nicht um Eure dummen Geschichten. Aber da Ihr der Prinz seid, so will ich Euch den Weg zeigen!«

Seine Hacke auf die Schulter nehmend, schritt er von dannen, ohne sich viel umzusehen, ob die Drei ihm auch folgten.

Die Gedanken, welche er vor Ankunft der drei Reiter gehegt hatte, waren vollständig verschwunden und ganz anderen gewichen, welche jetzt gleich eilenden Pfeilen seinen Kopf durchschwirrten. Es dünkte ihm, als sei es ihm jetzt in die Hand gegeben, sein Schicksal auf glücklichere und hoffnungsreichere Wege zu bringen. Das Vorhaben war kühn und gewagt, ja, es war vielleicht nur durch eine That auszuführen, welche, wenn auch von seinen Freunden bewundert und gutgeheißen, doch vom Munde seiner Feinde mit dem Namen eines Verbrechens bezeichnet würde. Sollte er den günstigen Augenblick muthvoll ergreifen oder ihn unbenutzt vorübergehen lassen? Nicht Unentschlossenheit oder gar Feigheit war es, welche ihn diese Frage aussprechen oder vielmehr denken ließ, nein, aber die Folgen seiner That, wenn er sie wirklich ausführte, waren so gewaltige, so tief eingreifende und weittragende, daß sie wohl überlegt werden mußten.

So schritt er, in tiefes Sinnen versunken, langsam dahin, und die Drei folgten ihm, ein wortloses Schweigen beobachtend. Da plötzlich rief Einer der beiden Reisigen:

»Gottlob, dort kommen einige von unserer Gesellschaft, die uns suchen werden, aus dem Busche. Ich erkenne den Herrn Nymand von Löben an seinem großen Schecken, mit welchem er voranreitet!«

So war es auch. Eine Anzahl Reiter nahten von der Seite her, und aus der Richtung, welche sie innehielten, war zu schließen, daß auch sie die Absicht gehegt hatten, Grabsdorf zu erreichen. Jetzt hielt der Vorderste von ihnen seinen Schecken an und beschattete mit der vorgehaltenen Rechten das Auge; er hatte den Prinzen erkannt, wandte sich mit einem frohen Rufe an die ihm Folgenden und kam nun mit ihnen im Galoppe über die Felder dahergesprengt.

»Dank sei der heiligen Jungfrau, Prinz, daß wir Euch endlich wiederfinden!« rief er. »Wir haben große Sorge wegen Euch gelitten, als wir sahen, daß Ihr uns verloren seiet. Darum meine ich jetzt, daß « er unterbrach bestürzt seine Rede; sein Auge war auf Dietrich gefallen. »Um Gott, mein lieber Junker, in welcher Gesellschaft muß ich Euch da treffen! Irrt sich mein Auge nicht, so ist dieser Knecht kein Anderer, als der Ritter Dietrich von Quitzow, den wir verfolgen und suchen. Der Holzendorf hat ihn in Grabsdorf vor unserm Forschen versteckt gehalten!«

Wie eine zündende Rakete fuhr dieses Wort unter die Reiter.

»Dietrich von Quitzow?!« rief's wie aus einem Munde, und aller Hände streckten sich nach ihm aus. »Haltet ihn, haltet ihn fest, damit er uns nicht entrinne!«

War er bisher darüber unschlüssig gewesen, was er thun und beginnen werde, jetzt gebot ihm die gefährliche Lage, in welcher er sich befand, zu handeln. Mit einem raschen Sprunge saß er hinter dem Prinzen auf dessen Pferde, rieß ihm die Zügel aus der Hand und zog, die Hacke in der gewaltigen Faust schwingend, das Thier vorn in die Höhe, um es durch die Feinde zu treiben.

»Ja haltet mich, Ihr feilen Memmen, haltet mich, wenn Ihr könnt!« donnerte er und schlug den Nächsten von ihnen über den Kopf, daß er zusammensank. »Noch bin ich frei, und wer mich haben will, der mag mich greifen!«

Der Schrecken über die Kühnheit seines Handelns und die Gefahr, in welcher sich demzufolge der Prinz befand, hielt ihre Glieder gelähmt, und als nun endlich Bewegung unter sie kam, war er längst zwischen sie hindurch und jagte in weiter Entfernung von ihnen über den Bruch.

»Ihm nach, ihm nach!« rief es. Flüche und Verwünschungen erschollen; mit lauten Rufen und kräftigen Stößen suchte man die Pferde anzufeuern, und es begann eine Jagd, die für Dietrich gefährlich hätte werden können, wenn nicht der Vorsprung, welchen er hatte, so groß und sein Pferd das beste im ganzen Trupp gewesen wäre. Aller Grimm, alle Schnelligkeit, der man sich jetzt befleißigte, halfen nichts; der rasch entschlossene und verwegene Mann und mit ihm der Prinz waren und blieben für die Nachfolgenden verschwunden.

Auf der Straße von Lenzen nach Grabow, welche wir schon kennen, ritten zwei Männer dahin, denen ein reisiger Knecht folgte. Es waren Herr Henning von Bismarck und der junge Detlev aus dem Zauberhause zu Tangermünde.

Beide beobachteten ein tiefes Schweigen. Sie näherten sich jetzt immer mehr der Gegend, in welcher das Ziel ihres Rittes lag, dessen Resultat ein höchst zweifelhaftes war. Herr Henning trug sich mit gar ernsten Gedanken. Er kannte den Ruf, in welchem die Bewohner von Garlosen standen, wußte auch, daß sie ihm nicht freundlich gesinnt seien und hegte jetzt in Beziehung auf seine Sicherheit Bedenken, welche desto größer wurden, je näher sie dem Schlosse kamen. Und Detlev war trotz seiner Jugend in diesem Augenblicke ebenso gedankenreich wie sein Gefährte. Er befand sich auf dem ersten Ausfluge, welcher ihm vielleicht Gelegenheit gab, seinen Muth und seine Geschicklichkeit in Führung der Waffen zu beweisen, und vor der ersten Probe klopft das Herz eines Jeden, auch des festesten und sichersten Mannes lebhafter als zu anderen Zeiten. Da endlich brach Bismarck das Schweigen.

»Ihr seid so still und nachdenklich, mein junger Freund. Reut es Euch vielleicht, Euch mit mir in eine Gefahr begeben zu haben?«

»Wie könnt Ihr so fragen, Herr Ritter! Ich fühle mich hochbeglückt, in Eurer Nähe weilen zu können, und wünsche nur, daß bald eine günstige Gelegenheit komme, Euch zu beweisen, daß ich die Gefahr nicht fürchte.«

»Ich will Euch das wohl recht gern glauben, aber die Gefahr, in welche wir uns begeben, ist eine solche, welcher sich nicht mit dem Schwerte begegnen läßt. Wer sich auf Schloß Garlosen begiebt, um die Boldewins wegen einer ihrer Thaten zur Rede zu stellen, der setzt sich sehr der Gefahr aus, von ihnen gefangen genommen und im Burgverließe untergebracht zu werden. Eine Gegenwehr würde da nur Wahnsinn sein. Wollt Ihr es mit mir wagen?«

»Fragt doch nur nicht, Herr! Ich bin mit Euch gegangen und werde bei Euch bleiben in jeder Fährlichkeit, so lange Ihr mich in Eurer Nähe behalten möget!«

Der Ritter reichte dem jungen Manne mit anerkennendem Lächeln die Hand hin.

»Das habe ich von Euch erwartet; aber es könnte mir wohl wenig nützen, Euch mit mir in die gleiche Gefahr zu bringen; ich habe Eure Begleitung vielmehr begehrt, damit Ihr mir auf andre Weise Beihülfe leisten könntet.«

»So wollt Ihr mich von Euch weisen?«

»Nein, ich will Euch vielmehr das Amt eines Wächters anvertrauen, der dafür sorgt, daß mir die Rathschläge der Feinde keinen Schaden bringen.«

»O sagt, was ich thun und beginnen soll! Ich werde Alles treulich ausführen.«

»Das hoffe ich von Euch. Also hört: Ich werde in Begleitung meines Knechtes jetzt nach Garlosen reiten, Ihr bleibt zurück und hütet die Straße. Wenn ich bis zum Anbruche des Abends nicht wieder zurück bin, so haben sie mich gewaltsam zurückgehalten, und Ihr begebt Euch unverzüglich zu meinem Bruder Claus auf Burgstall, welcher das Weitere dann schleunig verfügen wird. Wollt Ihr das für mich thun?«

Es verging eine Zeit, ehe die Antwort auf diese Frage erfolgte, und als sie endlich ausgesprochen wurde, geschah es in einem Tone, welchem nicht viel Freudigkeit anzuhören war.

»Entschuldigt mein Zögern, ja zu sagen zu Euren Anforderungen; ich bin von dem Leben noch nicht geprüft worden, aber ich weiß und fühle, daß ich nie ein Freund des Wartens und Zögerns, sondern ein Mann der That sein werde. Könnte ich mitgehen und für Euch mit dem Schwerte drein schlagen, so würde ich das viel lieber thun, als mich an die Straße stellen, um es widerstandslos geschehen zu lassen, daß man Euch Leides thut. Doch werdet Ihr besser wissen als ich, was zu Eurem Heile dient, und so will ich Eurem Willen nicht widerstreben. Ich werde bis zum Abend warten. Kehrt Ihr nicht wieder, so soll die größte Eile mich zu Herrn Claus tragen, und Ihr werdet mir erlauben, auch meinem Vater Kunde zu geben. Es führt mein Weg durch Tangermünde, und er wird nicht säumen, Euch hilfreich beizuspringen.«

»Euern Vater? Ihr meint doch Suteminn?«

»Ja.«

»Ist er Euer rechter Vater?«

»Nein, aber er ist mir lieb und werth gleich einem Vater; ich habe der Liebe und Pflege so viel von ihm genossen, als mir die Eltern nicht hätten angedeihen lassen können, und werde Dankbarkeit und Treue gegen ihn hegen, so lange als mein Leben währt.«

»So habt Ihr Eure Eltern wohl gar nicht gekannt?«

»Wohl habe ich sie gekannt, aber die Länge der Zeit hat die Schärfe der Bilder verwischt, welche ich aus meiner Kindheit mit herübergenommen habe in das spätere Leben. Ich erinnere mich des Vaters als eines großen, stolzen Mannes, dessen Augen immer so tief und ernst auf mir und dem Schwesterlein ruhten, und die Mutter- ja die Mutter, die kann ich Euch gar nicht beschreiben. Wenn ich an sie denke, so ist es mir immer, als weilte ich in dem Paradiese, wo lichte Engel und gütige Feen ihr frommes, segnendes Wesen treiben.«

»Und wie habt Ihr Beide verloren, wie seid Ihr von ihnen gekommen?«

»Das geschah in einem Augenblicke, dessen Schrecken sich meiner Seele tief eingeprägt haben, und den ich nimmer, nimmer vergessen werde. Es war in einem tiefen, dunklen Walde, wo wir reisten; da fielen wilde Männer über uns her und schlugen erst unsere Knechte und dann auch den Vater nieder, obgleich ihnen ein wackerer Gesell zu Hilfe eilte, der brav darein schlug, um uns beizustehen. Der Anführer der Strolche war ein schwarzer Mann, der auf einem eben so schwarzen Pferde unter den Bäumen hielt und nicht eher an dem Kampfe Theil nahm, als bis ein Zweiter herbeigeeilt kam, der unsere Hilferufe vernommen hatte und nun wie ein Teufel unter den Strauchdieben aufräumte. Dann griff der Schwarze an und lockte ihn durch eine Flucht von dem Kampfplatze hinweg; währenddem wurden wir alle gefesselt; einige von den Räubern schleppten die Mutter fort, deren herzbrechendes Klagen und Wimmern mir heut noch in die Ohren klingt, die Anderen trugen den Vater mit sich fort und mit ihm den wackern Burschen, welcher uns Hilfe geleistet hatte und auch niedergeschlagen worden war, und wir beiden, das Schwesterlein und ich, blieben gebunden liegen, bis wir von dem Ritter gefunden worden, der den Schwarzen vergeblich verfolgt hatte und nun zurückkehrte, um nachzusehen, ob auf dem Kampfplatze vielleicht Jemand noch des Beistandes bedürfe. Er nahm uns mit sich, und da es ihm unmöglich war, die Eltern aufzufinden, so beschloß er, uns bei sich zu behalten an Kindesstatt.«

»So war dieser Ritter Suteminn?«

»Ja, und der Anführer der Bande war der schwarze Dietrich, von dem auch Ihr vernommen haben werdet.«

»Wie sollte ich nicht von ihm gehört haben; er ist ja ein Schrecken des Landes gewesen lange Zeit, bis er mit sammt den Seinen plötzlich verscholl. Doch sollte ich meinen, daß Eure Eltern noch am Leben sein könnten, denn mich will bedünken, daß der schwarze Dietrich nicht ihr Leben geschont haben würde, wenn er nicht Ursache gehabt hätte, es zu erhalten. Es sind mir längst schon in Beziehung auf seine Person gewisse Gedanken im Kopfe herumgegangen, und wenn sich mir einst Gelegenheit bietet, Gewißheit zu erhalten, so werde ich nicht säumen, auch nach den Eurigen zu forschen.«

»Ritter,« rief Detlev erregt, »was Ihr da sagt, weckt Hoffnungen in meinem Herzen, die bisher noch niemals darin wach gewesen sind. O, wenn es Euch möglich sein sollte, auch nur eine kleine Spur meiner Eltern aufzufinden, ich würde Euch dafür tausend Leben opfern, wenn ich sie besäße! Wollt darum dieses Eures Versprechens nicht vergessen, sondern seiner gedenken zur günstigen Zeit!«

»Das werde ich; Ihr dürft Euch darauf verlassen! Jetzt aber scheint mir die Zeit gekommen, daß Ihr mich ohne Eure Begleitung weiter ziehen laßt. Es kann uns von Vortheilen sein, wenn die Ritter von dem Kruge nicht wissen, daß ich einen Getreuen in der Nähe habe, welcher die Meinen von dem benachrichtigen wird, was mir widerfährt. Also verbergt Euch wohl, und reitet sofort von dannen, wenn ich bis zum Abende noch nicht zurückgekehrt bin!«

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