Der beiden Quitzows letzte Fahrten - Karl May 16 стр.


»Stellt Euch dies nicht so leicht vor! Es hat mancher kühne und starke Mann unsere Verließe kennen gelernt, der sich erst wie ein Löwe geberdete und dann als geduldiges Lamm in unseren Willen fügte. Die Eurigen werden mit ihrer Hilfe nicht so gar bald zur Stelle sein!«

»Meint Ihr?« erklang es hinter ihm.

Wie von einer Vieper gestochen, fuhr er herum und starrte mit vor Erstaunen und Schrecken weitgeöffneten Augen den Jüngling an, welcher ruhig lächelnd auf ihn herniederblickte.

»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier? Wie seid Ihr hierhergekommen?« stieß er endlich hervor und griff an die linke Seite, als wolle er nach dem Schwerte langen, welches ihm doch in diesem Augenblicke fehlte.

»Wer ich bin, das laßt Euch nicht anfechten; ich frage vielmehr, wer Ihr seid, der Ihr es wagt, mit Herrn Henning von Bismarck in diesem Tone zu sprechen.«

»Wer ich bin, junger Mensch, das sollt Ihr bald erfahren, der Ihr Euch ohne mein Wissen und Willen in diese Burg einschleicht! Also noch einmal, wer seid Ihr, was wollt Ihr, und wie seid Ihr bierhergekommen?«

»Ich bin Einer von Denen, auf deren Beistand und Hülfe Herr von Bismarck mit so festem Vertrauen wartet; ich komme auf einem Wege, den es mir gefallen hat, zu gehen, und will Euch zeigen, daß der edle Ritter hier Euch nichts als die Wahrheit gesagt hat, wenn er von Eurem Unvermögen sprach.«

»Wahrt Euch, Mann, oder Ihr seid verloren, sobald ich Hülfe rufe!«

»Also Ihr bedürft doch der Hülfe, obgleich Ihr der Herr dieses Schlosses seid, wie ich aus Euren Worten vernahm. Wir aber, die wir allein und schutzlos dastehen inmitten Eurer Mauern, wir rufen Niemanden zum Beistande herbei, weil wir desselben nicht bedürfen. Habt die Gewogenheit, Ritter, mir zu folgen! Ihr seid Eures Wortes entbunden, denn Eure Befreiung geht nicht von Euch, sondern von mir, Einem der Eurigen aus!«

Diese letzten Worte waren an Herrn Henning gerichtet, dessen Erstaunen über das für unmöglich gehaltene Erscheinen Detlevs ebenso groß gewesen war, wie dasjenige des alten Boldewin, nur daß man es in seinen Zügen nicht so leicht zu lesen vermochte, wie in denjenigen des alten Humpenstechers, dem der Schreck so stark in die Glieder gefahren war, daß das Zipperlein sich einstellte und er mit zitternden Beinen und schmerzverzerrtem Gesichte sich trotz seiner mannhaften Rede an die Wand lehnen mußte.

»Welch' eine Freude, Euch frei und unverletzt hier zu sehen!« lautete die Antwort, und der Sprecher reichte dem Jünglinge, welcher vorsichtig unter der Thür stehen geblieben war, die Hand entgegen. »Ich soll Euch folgen? Steht es denn wirklich in Eurer Macht, mich von hinnen zu führen?«

»Das mögt Ihr mir wohl glauben, Herr, da ich sonst entweder gar nicht oder wenigstens nicht unverletzt hier stehen würde.«

»Nun wohl! Ich will Euch nicht fragen, wie Ihr hereingekommen seid, das werde ich ja zu passenderer Zeit erfahren, doch «

»Halt,« unterbrach ihn Boldewin, der seine Schmerzen überwand, um einen Versuch der Einschüchterung zu machen. »Ihr werdet nicht von der Stelle gehen; der Gang ist besetzt!«

»Macht Euch nicht lächerlich, Herr Boldewin,« lachte ihm Detlev entgegen. »Ich bin hinter Euch hergegangen und weiß also ebenso gut wie Ihr, was wir zu fürchten haben! Uebrigens werden wir Euch kein Leid zufügen, da Ihr Herrn Henning bisher in ritterlicher Haft gehalten habt; aber es wird Euch wohl belieben, an seiner Stelle auf einige Zeit dies Wohngemach hier zu hüten, dessen Lieblichkeit ich unten in dem dunklen Gange nicht geahnt habe.«

Die Treppe nämlich, welche er herauf gestiegen war, führte in das Innere eines alten, unbewohnten Thurmes, dessen Zugang man in weiser Absicht zugemauert hatte. Niemand hätte hier ein menschliches Wesen vermuthet, und doch waren die kleinen Räume wohnlich eingerichtet und ein Blick durch die zwar engen Mauerscharten lohnte mit der prächtigsten Fernsicht. Henning von Bismarck hätte hier wenigstens in Beziehung auf des Leibes Nahrung und Nothdurft keinen Schaden gelitten, und zudem hatte seine Gefangenschaft ja auch nur einige Stunden gewährt, so daß versöhnlichere Gefühle nicht ganz ungerechtfertigt waren.

»Ich stimme Euch bei,« fügte Bismarck hinzu, »und werde aus dem Umstande, daß Ihr Euch jetzt in unserer Gewalt befindet, für meine Person keinen Nutzen ziehen. Was hindert mich, Gewalt an Euch zu legen oder Euch mit mir zu nehmen, um mich zu rächen und ein Erkleckliches von Euch zu erpressen!«

»Ich, ich selbst würde Euch hindern!« rief Boldewin, indem er sich zusammenraffte, mit einem raschen Schritte vor Detlev stand und diesem mit einem unvermutheten Griffe das Schwert zu entreißen suchte. Aber er hatte sich verrechnet, denn der junge Mann erfaßte die Hand und hielt dieselbe mit solchem Drucke umschlossen, daß er vor Schmerz aufschrie; dazu gesellten sich die Qualen der plötzlich zurückgekehrten Krankheit, die so furchtbar waren, daß er beinahe in die Kniee sank.

»Also für mich verlange ich nichts; aber wo habt Ihr die Juden? Sie sollen auch frei sein!«

»Sucht sie Euch!« klang die Antwort.

»Kommt Ritter,« sprach Detlev, den der Zustand des alten Mannes erbarmte, der in der verzweifelten Lage sich befand, an sich und den Seinen zum Verräther zu werden. »Wir werden sie wohl zu finden wissen!«

Er erfaßte Laterne und Schlüssel, schob den widerstrebenden und nach Hülfe rufenden Schloßherrn in das Gemach hinein, warf die Thür in das Schloß und schob die schweren, dicken Eisenriegel vor. Dann führte er den befreiten Gefangenen durch den Neben- und Hauptgang bis an das Bild an der Rückseite des Altars. Dasselbe war weder mit Schloß noch Riegel versehen, sondern paßte ganz genau und lückenlos in die Umfassung und konnte sowohl nach innen als auch nach außen hin wie eine Thür geöffnet werden. Boldewin hatte also vorhin nur vergessen, sie in ihre gewöhnliche Lage zurückzuschieben. Da es schwer in den Angeln ging und einem gewöhnlichen Drucke der Hand Widerstand leistete, so war diese Einrichtung trotz ihrer scheinbaren Mängel doch eine kluge und vorsichtige zu nennen. Detlev schloß die Oeffnung und bat den Ritter:

»Bleibt hier hinter dem Eingange und haltet Wache, damit wir nicht überrascht werden! Ihr habt Eure Waffen nicht?«

»Man hat sie mir abgenommen.«

»Hier ist mein Schwert; es befindet sich in kundiger und guter Hand.«

Er schritt in den Gang zurück bis an die Thür der Zelle, in welcher Boldewin vorhin gewesen war, und öffnete dieselbe mit Hülfe des Schlüsselbundes. Als er eintrat, bemerkte er einen alten Mann, welcher, an Händen und Füßen gefesselt, auf dem Strohlager saß und ihn keines Blickes würdigte.

»Erschreckt nicht vor der frohen Kunde, welche ich Euch bringe! Ihr seid «

Der Mann blickte auf, und ein unbekanntes Gesicht erblickend, fiel er ihm in die Rede:

»Geht fort von mir und sagt Eure Thorheit Einem, der Eures Spottes würdig ist! Für mich giebt es hier keine frohe Kunde.«

Detlev hatte keine Zeit zu einer langen Erklärung; er setzte die Laterne auf den Boden und suchte sich unter den Schlüsseln den passenden aus, um die Fesseln von des Mannes Gliedern zu lösen. Erstaunt sah dieser ihm zu.

»Wahrhaftig, Ihr scheint die Wahrheit gesprochen zu haben! Sagt, seid Ihr ein Mensch oder ein Engel?«

»Ein Mensch, wie Ihr, bin ich; aber haltet still, damit wir nicht säumen, wir haben keine Zeit!«

»Dann sagt mir jetzt nur das Eine: Wer hat Euch erlaubt, meine Banden wegzunehmen?«

»Niemand. Ich bin heimlich in das Schloß gedrungen, um einen edlen Ritter zu befreien, und stand vorhin an Eurer Thür, als dieselbe geöffnet war. Da nun der Ritter frei ist, sollt auch Ihr es sein.«

»Ihr wißt aber nicht, wer ich bin?«

»Nein. Ihr bedürft meiner Hülfe, und ich biete sie Euch.«

»Du braver junger Mann, auch ich kenne Dich nicht,« rief der Gefangene; er stand jetzt von den Fesseln befreit grad und aufrecht vor Detlev, dessen Hände er erfaßt hielt, »aber Du sollst mich kennen lernen und meinen Dank empfinden, so lang mein Auge offen bleibt und weit darüber hinaus!«

»Sprecht nicht von Dank, sondern eilt, daß Ihr von hinnen kommt. Geht hier nach vorn, da steht der Ritter, um den Ausgang zu behüten, und Ihr mögt mit ihm auf mich warten!«

Nun klopfte er an jede der anderen Thüren, welche sich in dem Gange befanden und frug, ob Jemand hinter ihnen sich befinde, der frei zu sein wünsche. Bei allen, außer der letzten, war dieses Klopfen vergeblich, dort aber ertönte eine Antwort, die allerdings wegen der Dicke und Festigkeit des Verschlusses nicht deutlich verstanden werden konnte. Nach langem Bemühen gelang es ihm, zu öffnen, und kaum hatte er die Thür zurückgezogen, so traten zwei Männer mit solcher Eile in den Gang, daß sie ihn fast umgerissen hätten.

»Ist es möglich, was wir haben gehört,« rief der Eine, »daß der Gott unserer Väter schickt seine Jerubim und Seraphim, welche klopfen an die Thüren der Hölle, um zu befreien die frommen Männer Aron Itzig und Veit Schmuel aus den Schatten des Todes und der Finsterniß?!«

»Schreit nicht so laut,« raunte ihnen der Jerubim mit dem Schlüsselbunde zu, »sonst stecke ich Euch auf der Stelle wieder hinein!«

»Um Gott, Herr Ritter, was Ihr doch könnt machen für einen Spaß mit zwei armen Juden aus der Stadt Gardelegen! Ihr klopft an die Thüren, um zu erlösen die Gefangenen, und nun wir Euch leisten Gehorsam, wollt Ihr uns wieder bringen zurück in das grausame Loch!«

»Wo habt Ihr Eure Tochter?«

»Meine Tochter?« antwortete Itzig, »welche ist schön wie Sulamith und herrlich wie Judith zu Bethulia? Die haben gerissen die Räuber von mir, und ich weiß nicht, wo hingekommen ist der Stolz und die Freude meines Lebens; aber Sarah, mein Weib, das mir geboren hat fünf Söhne und sieben Töchter, ist in meinem Hause zu Gardelegen und wartet mit Schmerzen auf Aron, ihren Geliebten, welchen sie «

»Schweigt mit Eurer Sarah. Ich frug nach Eurer Tochter, um zu wissen, ob sie Euch wiederzugeben sei! Wenn heut nicht, so wird es doch später wohl geschehen; jetzt aber kommt mit mir zu Herrn Henning von Bismarck!«

»Herr Henning von Bismarck ist gekommen, zu gedenken der Kinder Juda, welche da sitzen unter den Weiden zu Babylon und hängen ihre Harfen «

»Schweigt und kommt!«

Der Ton dieser Unterbrechung klang jetzt so barsch, daß sie endlich beherzigt wurde. Die beiden glücklichen Kinder Israels folgten dem Voranschreitenden bis an den Ort, an welchem Bismarck stand, dem gegenüber sie sich zu voluminösen Lobes- und Dankesüberhebungen anschickten, dabei aber von ihm mit zwar leiser, jedoch scharfer Mahnung abgewiesen wurden:

»Was schreit Ihr da in dem Gange, als stäkt Ihr an dem Spieße? Es gilt hier, vorsichtig zu sein, und mir scheint, ich habe Stimmen in der Kapelle vernommen.«

Keiner wagte auf diese Warnung ein Wort zu sagen. Der Ritter und Detlev öffneten die Thür, um zu lauschen. Wirklich vernahmen sie ein Wechselgespräch zwischen einer männlichen und weiblichen Stimme, und als sie es wagten, bis an die Ecke des Altares vorzutreten, sahen sie den Pater Eusebius, welcher vor einer weiblichen Gestalt stand, die in einem der Kirchenstühle Platz genommen hatte.

»Ja, es ruht ein schwerer Fluch auf Euch und Eurem irren Glauben. Ihr habt Eure Gesetze unter Donner und Blitz vom Sinai empfangen, und das Wetter hat seit jener Zeit fortgeleuchtet über Eurem starren Haupte bis auf den heutigen Tag. Der Messias ist gekommen, Euch das Heil zu bringen; Ihr aber wolltet ihn nicht erkennen, sondern habt ihn verfolgt, an das Kreuz geschlagen und gemartert bis zum Tode. Der Sohn Gottes mußte sterben wie ein gewöhnlicher Verbrecher, und diese Schuld liegt auf Euch und Eurem Volke bergesschwer. Und dennoch streckte die heilige christliche Kirche ihre versöhnende Hand aus auch nach Euch; sie will Euch von dem Fluche erlösen, Euch Gnade und Vergebung bringen; Ihr aber weist die Barmherzigkeit Gottes von Euch und schleppt Eure Last unter Seufzen und Weinen weiter. Willst auch Du so thöricht sein wie die Anderen, meine Tochter? Siehe, die Liebe sucht Dich, und das Erbarmen des Lammes, welches aller Welt Sünde trägt, will Dich erreichen. Du kannst Heil und Segen bringen auf Dich und die Deinen; warum willst Du die Langmuth Gottes in schnödem Eigensinne in Zorn und Rache verwandeln?«

»Laßt mich gehen mit Euren Reden,« hauchte es zurück. »Ich verstehe sie nicht und werde lieber sterben, als daß ich von dem Glauben meiner Väter weiche!«

»Gott der Gerechte,« stieß Itzig hervor; »das ist das Kind meines Herzens, Fleisch von meinem Fleische und Blut von meinem Blute! Der Baalspfaffe hat sie genommen in seine Krallen, um sie untreu zu machen, daß sie verläßt ihren Glauben und bringt Schande auf das graue Haupt ihres Vaters!«

»Sei ruhig, Jude,« befahl ihm Detlev. »Willst Du Dich und uns verrathen?«

»Was soll ich sein? Ruhig soll ich sein, wenn zerrissen wird meine Taube von dem Geier, welcher sie verschlingen will mit seinem Rachen?«

»Wenn Du nicht schweigest, so stecke ich Dich wieder hinter in das Loch; da magst Du schreien, so viel Du nur immer willst!«

»Gott Abrahams, Isaaks und Israels, was wollt Ihr thun? In das Loch wollt Ihr mich stecken? Ich werde schweigen und meine Zunge halten bis in alle Ewigkeit, Sela!«

»Du willst meine Rede nicht verstehen?« fuhr der Pater fort, indem er seine Hand hart auf die Schulter des Mädchens legte. »Gut, so werde ich auch Dein Weinen nicht verstehen, wenn Du um Deinen Vater jammerst, über den der Tod beschlossen ist! Deines Herzens Härtigkeit ist es zuzuschreiben, daß ich ihm meine Hilfe entziehe, wenn das Gericht über ihn ausgeführt wird.«

»Nein, nein,« weinte das Mädchen; »das werdet Ihr nicht thun! Ihr sprecht von der Liebe Eures Gottes und von seiner Gnade und Barmherzigkeit, und wenn Eure Worte Wahrheit enthalten, so könnt Ihr nicht grausam handeln an Denen, die Euch kein Leides zugefügt haben.«

»Du sprichst thöricht! Auch die Liebe muß streng sein, wenn ihr widerstrebt wird. Sie will den irrigen Sünder nicht fallen lassen und bringt ihn, wenn er sich gegen ihren heiligen Willen sträubt, mit Gewalt zum Heile. Ich werde Dich unterrichten in den Sätzen unseres alleinseligmachenden Glaubens und für Deine Seele sorgen, wie der Bräutigam sorgt für das Glück seines süßen Bräutleins. Du wirst die Gnade erkennen, die Dich ergreifen und zur Seligkeit führen will, und Deine Seele wird mit der meinigen verbunden sein, wie das Herz des Weibes hängt an dem des geliebten Mannes, denn mich erbarmt des verirrten Schäfleins, und ich will es zurückführen zur fetten Weide und es lieben und leiten, damit es sich nicht wieder hinaus in die Wüste verlaufe!«

Er bog sich tief zu ihr nieder und versuchte, den Arm um sie zu schlingen; sie aber schnellte empor und stieß ihn mit aller ihr zu Gebote stehenden Kraft von sich.

»Geht, Scheinheiliger! Ich habe Nichts mit Euch zu schaffen. Nie mag ich Eure Lehren hören, denn Ihr verbergt hinter ihnen nur die Tücke und Falschheit Eures Herzens!«

»Nein, mein süßes Jungfräulein, nicht Tücke ist es und Falschheit, welche in meinem Herzen wohnt, sondern Deine Schönheit hat mir den Sinn gerührt, daß ich Dich nicht möchte in das Verderben laufen lassen. Dein Zorn hilft Dir Nichts, denn die Hand des Heiles hat Dich erfaßt und wird Dich nicht wieder von sich lassen. Wehre Dich also nicht, sondern vertraue Dich meinem Arme an; er ist stark und warm, und es wird Dir behaglich dünken, von ihm geschützt und gehalten zu werden.«

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