»Ihr seid von dem Herrn Markgrafen abgesandt, wie Ihr mir sagen ließet?« frug Suteminn, das Gespräch beginnend.
»So ist es, und da Ihr mich sonder Zweifel noch nicht gesehen habt, so erlaubt, daß ich Euch meinen Namen nenne! Er heißt: Henning von Bismarck.«
Ueber das Angesicht des Hörers flog ein Zug freudiger Ueberraschung, und schneller vielleicht als gewöhnlich streckte sich seine Hand zum herzlichen Willkommen aus.
»Henning von Bismarck, Herrn Clausens Bruder, den ich kenne? Er ist ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn, so wie auch Ihr; viel Gutes habe ich von Euch gehört, und zwar aus hohem Munde. Seid willkommen und macht es Euch behaglich!«
Während er ihm den breiten Lehnstuhl hinschob, blieb er selbst mit über die Brust geschlagenen Armen erwartungsvoll vor ihm stehen. Bismarck nahm mit jener Unumständlichkeit, die den selbstständigen Character kennzeichnet, auf dem alten Sessel Platz, streckte, sich dehnend, die in gewaltigen Stiefeln steckenden Beine von sich und warf dabei einen prüfenden Blick auf die Umgebung.
»Das also ist das Zauberhaus,« begann er endlich, »vor dem das ganze Land sich fürchtet! Herr Ritter, könnt Ihr wirklich hexen?«
Mit lächelnder Miene hatte der Gefragte das ungenirte Benehmen seines Gastes verfolgt; bei dieser aufrichtigen Frage wurde das Lächeln zum leisen, kurzen Lachen.
»Was nennt Ihr hexen, Herr? Zur Erreichung gewisser Zwecke Kräfte gebrauchen, welche Anderen unbekannt, ja furchtbar sind, und die sie deshalb übernatürliche nennen? Ja, dann kann ich hexen.«
»Gut, so macht einmal aus der alten schweinsledernen Gelehrsamkeit hier auf dem Tische so rasch wie möglich einen Imbiß mit einem guten, kräftigen Schlucke irgend einer Flüssigkeit! Ich bin gar weit geritten, und die Bismarck's haben sich mit Fasten und Kasteiung nie befreundet.«
Statt aller Antwort ergriff Suteminn den mächtigen Folianten, schob ihn unter den Tisch und zog statt seiner den unter der Tischplatte angebrachten Kasten hervor, den er an die Stelle des Buches placirte. Er enthielt einen Laib schwarzen Brodes, einen hölzernen Teller mit einem umfangreichen Stücke Schinkens, ein Gefäß mit Salz und Pfeffer und alle zum Essen nothwendigen Schneid-, Hieb- und Stechwerkzeuge.
»Das trockne Element ist Eurem Zauberspruche gehorsam,« lachte Henning, nach dem Messer greifend; »das nasse «
»Wird mir ebenso gehorsamen,« fiel ihm der Wirth in die Rede, »sobald ich in die Unterwelt hinabsteige.«
Er langte nach einem vielverheißenden irdenen Kruge, welcher in brüderlicher Eintracht mit den Büchern auf dem Brette stand, und verschwand durch eine kleine Thür, die in der Nähe des Heerdes abwärts führte. Bismarck griff, wie um das augenblickliche Alleinsein auszufüllen, nach einer neben ihm an der Wand stehenden Pergamentrolle, die er unwillkürlich entfaltete. Kaum aber hatte er den ersten Blick darauf geworfen, so stieß er einen Ruf des Erstaunens aus. Er hatte einen Namen gelesen, der vor nicht langen Jahren in Schweden und Dänemark viel genannt worden war, und welchen eine auch in Mecklenburg ansässige Familie trug.
»Moltke sollte dieser räthselhafte Mann vielleicht derselbe Moltke sein, welcher « er unterbrach sein Selbstgespräch und stellte die Rolle eilig an ihren früheren Platz zurück. »Der Zufall führt mich auf die Spur des Geheimnisses, und ich werde mir den Faden nicht wieder entreißen lassen!«
Als Suteminn mit dem gefüllten Kruge wieder in die Stube trat, verrieth keine Miene Bismarcks, daß seine Theilnahme für ihn seit einigen Sekunden eine doppelte sei; er nahm den gastlich credenzten Trunk in Empfang und machte sich mit einem Eifer über das Essen her, als habe er seit Wochen gehungert, oder müsse seinen Körper für lange Zeit mit Proviant versorgen. Suteminn leistete ihm dabei »nach löblichem Schick und Brauch,« wie er bemerkte Gesellschaft, und es dauerte eine geraume Weile, bis die beiden Männer ihre gastronomische Thätigkeit einstellten und sich zur Fortsetzung ihres von Herrn Henning so drastisch unterbrochenen Gespräches anschickten.
»So,« begann dieser; »dem Leibe ist sein Recht geschehen, und ich kann Euch zuschwören, daß der alte verzauberte Foliant mir ganz prachtvoll gemundet hat. Uebrigens liegt Schweinsleder und Schinken nicht sehr weit auseinander, und ich hatte Euch also eine nicht sehr schwierige Aufgabe gestellt. Vielleicht gelingt es mir, Euch mit einer andern in Verlegenheit zu setzen.«
Bei diesen Worten überflog er die Gestalt Suteminns mit einem rasch prüfenden Blicke, den dieser gleichmüthig aushielt.
»Ihr habt über diese Aufgabe schon mit dem Markgrafen gesprochen?«
»Ja, vor Friesack.«
»Und über ihre Ausführung nachgedacht?«
»Nein; ich erwarte erst nähere Weisungen.«
»Die ich Euch zu überbringen habe!«
»Nun wohl, ich bin bereit, sie zu hören.«
»Habt Ihr schon gehört von der Eule zu Rom?«
»Nein.«
»Aber Ihr wißt, daß Balthasar Cossa, welcher trotz seiner Abscheulichkeit unter dem Namen Johann XXIII. den päpstlichen Thron bestiegen hat, jüngst ein Concilium nach Rom berief, weil er den beiden Gegenpäpsten gegenüber die Nothwendigkeit erkannte, dem allgemeinen Wunsche nach Verbesserung der Kirche eine, wenn auch nur scheinbare Beachtung zu schenken. Daß diese Versammlung nichts als eine leere Spiegelfechterei bedeute, war leicht einzusehen, und so erschienen auch nur wenig Prälaten, welche es nicht weiter als zu zwei erfolglosen Sitzungen brachten. Bei der ersten erschien eine große Eule in der Kirche, setzte sich grad vor den Papst hin und blickte ihn starr an. Ihr könnt Euch denken, welches Entsetzen ihn und die Versammlung ergriff, als der unheilverkündende Schuhu in die von dem heiligen Geiste regierte Versammlung einbrach. Er wurde zwar mit Mühe verscheucht, aber die heiligen Väter fühlten sich von diesem unglückseligen Omen so angegriffen, daß sie auseinander gingen. Vor der nächsten Sitzung wurde das Gotteshaus einer sorgfältigen Durchsuchung unterworfen, und da keine Spur des Vogels zu finden war, so nahten sich die furchtsamen Patres mit der Hoffnung eines besseren Resultates. Kaum aber hatte seine Heiligkeit das Wort ergriffen, so vernahm man von dem Hochaltar her einen markerschütternden Ruf und der Vogel flog herbei, setzte sich wie vorher vor den Stellvertreter Gottes auf Erden und blickte ihn, ängstlich die Flügel schlagend, starr mit den großen, nächtlichen Augen an. Da bemächtigte sich Grausen und Entsetzen der frommen Versammlung, und Alle, Johann an der Spitze, stürzten nach der Thür, um der Unglück weissagenden Erscheinung zu entgehen. Zwar wurde der Vogel später gefangen und erschlagen, und dadurch der Beweis geliefert, daß man es nicht mit einem überirdischen Wesen zu thun habe, aber das Vorkommniß gilt doch als ein böses Zeichen und wird auf das Schicksal des Papstes beim Concile zu Costnitz gedeutet.
»Hängt diese Mähr mit Eurem Auftrage zusammen?«
»Vielleicht. Die Herren Prälaten sind in Rom mit dem Bemerken auseinander gegangen, daß der heilige Geist unter ihnen in einer seltsamen Gestalt erschienen sei, und wenn die Fürsten der Kirche sich einer solchen Gotteslästerung schuldig machen, so ist es kein Wunder, wenn die weltlichen Herren und Leute es müde werden, einen Mann an der Spitze der Christenheit zu sehen, von dem man nichts als Laster und Verbrechen zu berichten hat. Der König Ladislaus von Neapel, von ihm in den Bann gethan, ist unvermuthet mit seinen Schaaren vor Rom erschienen, hat die Stadt erobert und den Papst vertrieben, welcher sich nach Oberitalien flüchtete. Dort hat ihn der Kaiser gezwungen, eine allgemeine Kirchenversammlung nach Costnitz zu berufen, wo die vorhandenen Wirren geschlichtet und geordnet werden sollen. Und dort dort,« fuhr er mit sinkender Stimme fort, »will der rothe Adler der Marken über ihn herfallen und seine starken Fänge um ihn schlagen, um der Welt zu zeigen, daß der Schuhu nicht falsch geweissagt habe!«
Es entstand eine Pause, während welcher die beiden Männer sich ernsten Gedanken hingaben. Endlich nahm Henning wieder das Wort:
»Seid Ihr nicht erfüllt von Bewunderung über die Größe und Kühnheit dieses Gedankens? Ein kleines, unscheinbares Burggräflein kommt herbei, wirft sich binnen wenigen Wochen den trotzigen, kraftvollen und weit überlegenen Adel des Landes zu Füßen, und noch ist die Ruhe und der Frieden nicht hergestellt, noch gährt es und bebt der Boden auf allen Seiten, die Grenzen sind bedroht, die Polen, Pommern, Mecklenburger, die Herren von Wenden, die Herzöge zu Sachsen erheben drohend die Schwerter da wagt es das Burggräflein, den mächtigsten Mann der Christenheit, den Beherrscher von Millionen und Abermillionen Gewissen, den Stellvertreter Gottes auf Erden beim Schopfe zu nehmen, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen vor den Augen des gesammten Volkes!«
Die Augen des Sprechers leuchteten und die Röthe der Begeisterung lag auf seinen Wangen.
»Seit es Weltgeschichte giebt,« fuhr er fort, »ist es zum ersten Male, daß der Norden zum Bewußtsein seiner Kräfte kommt und an der Sendung zu arbeiten beginnt, die ihm von dem Herrn der Welten anvertraut worden ist. Finsterniß bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker, aber es wird, es muß der Schleier reißen, welcher Jahrhunderte dazu diente, die Wahrheit zu erfüllen, und nicht ein Kaiser oder König, nicht ein Gewaltiger unter den Kronenträgern ist es, welcher den ersten Riß thun wird, sondern der kleine Zollern, der sich bis heut nicht anders nennen darf als einen Statthalter, einen Diener des Schwächling Sigismund. Und wer sind die Männer, die er sich zu diesem verwegenen Vorhaben ausersehen hat? Niemand nennt sie im großen Reiche, kaum daß man sie im eigenen Lande kennt; der Eine saß über seinen Büchern, der Andere jagte den Hirsch in seinen Wäldern; Größeres thaten sie nicht. Der Eine hat keinen Namen, der Andere kaum einen Bismarck, nur Wenige haben ihn bisher gehört Beide aber werden ohne Wanken und mit treuen Kräften an ihrem Werke schaffen hier meine Hand!«
Er streckte Suteminn die Rechte entgegen, in welche dieser mit kräftigem Schlage die seinige legte.
»Ihr habt gleichen Auftrag wie ich vom Fürsten bekommen?« frug er.
»Den Auftrag, an der gleichen Aufgabe zu arbeiten, ja, aber nicht mit den gleichen Werkzeugen. Ihr, Ritter, sollt das scharfe, schneidige Schwert sein, ich der Hüter, welcher dafür sorgt, daß Euch das Hochwild nicht entgehe. Und nun laßt Euch den Plan mittheilen, welche Se. Gnaden in dieser hochwichtigen Angelegenheit gefaßt haben!«
Lange saßen die beiden Männer, bald flüsternd, bald in lauten, energischen oder begeisterten Ausrufungen sich ergehend, beisammen; das Licht brannte trübe und immer trüber, und schon warf der anbrechende Wintertag seine dämmernde Helle durch die kleinen Fenster, als Henning sich erhob und damit andeutete, daß die Einigung zwischen ihnen endlich zu Stande gekommen sei.
»Und nun laßt mich noch den jungen Mann sprechen, in dessen Eigenschaften Ihr ein so großes Vertrauen setzt!« sprach er.
Als der Genannte auf den Ruf Suteminns erschien, trat Bismarck überrascht einen Schritt zurück. Der Jüngling war, was vorher in der Vorderstube bei der gebückt sitzenden Stellung desselben nicht bemerkt worden war, um einen Kopf länger als er, und in richtigem Verhältnisse zu dieser außerordentlichen Körperhöhe waren seine Glieder geformt. Er konnte ohne alle Uebertreibung ein wahrer Enackssohn genannt werden, und wer ihn so in voller strotzender Jugendkraft erschaute, dem wurde nicht schwer zu glauben, daß er vielleicht selbst Suteminn überlegen sein könne. Mit Genugthuung bemerkte dieser den Eindruck, welcher sich in den Zügen seines Gastes unverhohlen zu erkennen gab, und stolze Freude leuchtete aus seinem Angesichte bei den Worten:
»Ich darf Euch versichern, daß er in der Führung der Waffen nicht ungeschickter ist, als ich.« Und mit der Hand nach dem Fenster zeigend, fügte er hinzu: »Wir haben gar manchen ernsten Gang da draußen mit einander unternommen, nicht zum Spiele, sondern auf Tod und Leben, wie sichs gebührt unter Männern nach löblichem Schick und Brauch, und bei Tag und Nacht, um ihn für das Leben vorzubereiten, welches keine Nachsicht kennt. Das Klirren unsrer Schwerter ist bis hinunter in die Stadt gedrungen und hat dem Aberglauben willkommene Nahrung gegeben.«
Bismarck nickte. Er schien von dem, was er sah und hörte, vollständig zufriedengestellt zu sein und frug:
»Und wenn ich nun Eure Versicherungen einer nahen Prüfung unterzöge?«
»Zweifelt Ihr an der Wahrheit meiner Worte?«
»Nein, sondern ich wollte nur sagen, daß eine Gelegenheit für ihn vorhanden sei, die Wahrheit Eurer Worte zu bewähren. Ich habe in Gemeinschaft mit Herrn Gebhard von Alvensleben auf Schloß Gardelegen von zwei dortigen Juden eine Summe Geldes in Schwerin erheben lassen. Diese beiden Männer sind sammt ihrer Habe auf der Heimreise von Denen auf Garlosen und Stavenow überfallen und festgenommen worden und sollen nebst der mitgefangenen Tochter des Einen nur gegen ein Lösegeld ihre Freiheit zurückerhalten. Da die Juden ihr ganzes Vermögen in dem Transporte stecken hatten, so können sie weder ihre Auslösung selbst bestreiten, noch dürfen wir Hoffnung hegen, unser Geld auf friedlichem Wege zurückzuerhalten; dennoch aber will ich selbst einen Versuch machen und nach Garlosen reiten, um mit den Boldewins und Herrn Claus von Quitzow in Güte zu verhandeln. Für meine persönliche Sicherheit sollte ich eigentlich keine Gefahr befürchten, da ich aber als ein Freund und Helfer des Markgrafen bekannt bin, und ihm die Herren feindlich gesinnt sind, so fühle ich mich zur Vorsicht geneigt und möchte Euch bitten, mich zu begleiten!«
Diese letzten, an den jungen Mann gerichteten Worte ließen die Röthe der Freude auf seine Wangen treten, und mit einer raschen, zustimmenden Bewegung antwortete er:
»Herr Ritter, schon längst ist es mein Wunsch gewesen, mein Schwert in ernstem Kampfe zu erproben; voll Freuden gehe ich mit Euch, und ich hoffe, Ihr sollt mit meinem Arm zufrieden sein!«
»Möge diese Eure Hoffnung in Erfüllung gehen, dann wird Euer Thun auch reiche Lohnung finden!«
»Das ist es nicht, wonach ich strebe. Nicht auf Fürstengunst und äußeren Gewinn ist mein Sinn gerichtet. In des Menschen Thun selbst liegt der Segen oder der Fluch, welchen er zu erwarten hat; und ist sein Thun ein gutes, so wird es sich von selbst belohnen.«
»So recht, mein junger Freund! Eure Gedanken sind eines Mannes würdig, der an hohen Aufgaben arbeiten soll. Jetzt aber macht Euch bereit zum Aufbruche; mein Knecht wird wieder vor dem Thore sein, und unser Weg ist ein weiter.«
Bald stand der Bruder, zur Reise gerüstet, in der vorderen Stube vor der Schwester. Mit leuchtendem Blicke ruhte ihr Auge auf seiner herrlichen Gestalt, die im Schmucke der glänzenden Waffen auf jeden Begegnenden einen ungewöhnlichen Eindruck machen mußte. Sie war beschäftigt, ihm eine köstlich gestickte Binde um den Leib zu befestigen.
»Nimm dieses Zeichen meiner Liebe mit hinaus in die Kämpfe des Lebens, Detlev. Ich habe an ihr gearbeitet so manche Nacht und dabei daran denken müssen, daß unsere Zukunft an der Spitze Deines Schwertes geschrieben steht. Lebe wohl! Gott der Herr sei mit Dir jetzt und immerdar, und niemals werden die Gedanken und Gebete Deiner Schwester von Dir weichen!«
»Lebe wohl, Marie!« Mehr sprach er nicht, aber als er sie bei diesen drei zitternden Worten voll herzlicher Innigkeit an seine Brust zog, glänzte die Feuchtigkeit der Thränen in seinen Augen und seine Lippen zuckten unter dem Einflusse des männlich niedergekämpften Schmerzes.