Bald stand der Bruder, zur Reise gerüstet, in der vorderen Stube vor der Schwester. Mit leuchtendem Blicke ruhte ihr Auge auf seiner herrlichen Gestalt, die im Schmucke der glänzenden Waffen auf jeden Begegnenden einen ungewöhnlichen Eindruck machen mußte. Sie war beschäftigt, ihm eine köstlich gestickte Binde um den Leib zu befestigen.
»Nimm dieses Zeichen meiner Liebe mit hinaus in die Kämpfe des Lebens, Detlev. Ich habe an ihr gearbeitet so manche Nacht und dabei daran denken müssen, daß unsere Zukunft an der Spitze Deines Schwertes geschrieben steht. Lebe wohl! Gott der Herr sei mit Dir jetzt und immerdar, und niemals werden die Gedanken und Gebete Deiner Schwester von Dir weichen!«
»Lebe wohl, Marie!« Mehr sprach er nicht, aber als er sie bei diesen drei zitternden Worten voll herzlicher Innigkeit an seine Brust zog, glänzte die Feuchtigkeit der Thränen in seinen Augen und seine Lippen zuckten unter dem Einflusse des männlich niedergekämpften Schmerzes.
Da traten die beiden Männer aus dem hintern Raume.
»Lebt wohl, Ritter,« sprach Bismarck. »Ich wiederhole Euch das Wort des Fürsten, Dietrich von Quitzow für jetzt ihm zu überlassen. Seid wachsam und haltet treue Huth über den Hamburger Zug. Der Herr bedarf in Costnitz des Geldes, und es wäre viel verloren, wenn es verspätet einträfe oder gar verloren ginge! «
Einige Minuten später trabten zwei Reiter, gefolgt von einem Knechte, auf der Straße dahin, welche von Tangermünde über Osterburg nach Lenzen führt.
4. Bei »Mutter Quail«
Bristol, die Hauptstadt der im südwestlichen Theile von England liegenden Grafschaft Somersett, ist an die Ufer der beiden Flüsse Avon und Farne gebaut und seit den ältesten Zeiten berühmt wegen seiner Schifffahrt, zu welcher es fast niemals weniger als dreihundert eigne Fahrzeuge stellte. Zur Zeit, von welcher wir erzählen, lag in der Nähe des alten, nun längst abgebrochenen Rathhauses ein zwar nur einstöckiges aber desto längeres Gebäude, über dessen niedriger Thür in grellen Farben ein Haifisch abgebildet war, welcher im Begriffe stand, einen Matrosen zu verschlingen, und für Denjenigen, welcher sich über die Bedeutung dieses Meisterstückes der edlen Malerkunst nicht klar werden konnte, ragte ein Brett im rechten Winkel aus der Mauer hervor, an dessen beiden Seiten in hohen Buchstaben zu lesen stand: »Taverne zum heiligen Menschenfresser.«
Dieser Taverne, zu deutsch Schankstätte, wird in den Annalen der Stadt Bristol des Oefteren Erwähnung gethan, denn die Besitzer derselben waren von je her Leute, welche sich Gäste herbeizuziehen verstanden, und sowohl bei der Gefangenschaft des Königs Stephan als auch während der früher abgehaltenen Sclavenmärkte wurden in den Stuben des niedrigen Menschenfressers die Zusammenkünfte Derer abgehalten, welche entweder unbelauscht einen politischen Streich zu berathen oder irgend ein einträgliches Handelsgeschäft miteinander abzuschließen hatten. Niemals aber, weder früher noch später, war der Verkehr ein so bedeutender wie zur Zeit, da Mutter Quail hinter dem Schänktische ihr kräftiges Scepter schwang. Wie sie in das Haus gekommen und wie ihr eigentlicher Name lautete, das wußte keiner von ihren Gästen. So weit nur irgend Einer zurücksinnen konnte, hatte sie ihren Platz zwischen den Flaschen, Gläsern und Krügen inne gehabt und »Quail« war nicht ihr richtiger, sondern ein Spitzname, den sie sich gar wohl verdient hatte, denn das Wort lautet im Deutschen »Wachtel«, und die resolute Frau verstand sich auf das »Schlagen« so gut wie nur irgend einer von ihren wetterharten Gästen. Bei allen Streitigkeiten, welche vorkamen, und deren gab es bei der bekannten Derbheit und dem raschen Temperamente des Seevolkes fast alle Tage welche, pflegte sie Niemanden zu Rathe zu ziehen, sondern den Schiedsrichter in eigner Person zu machen, und wenn da »Mutter Wachtel« ihre hohe, corpulente Gestalt durch die Menge der Anwesenden drängte und zu »schlagen« begann, so hatten die Besucher des Haifisches Nichts zu thun, als einfach Platz zu machen und der Störenfried lag, ehe er sich dessen versah, draußen vor der Thür und konnte sich den heiligen Menschenfresser in der bequemsten Stellung von der Welt betrachten. Und wehe ihm, wenn er es einmal wagte, das Haus wieder zu betreten. Mutter Quail besaß ein ganz besonderes Gedächtniß für Diejenigen, welche die Kraft ihrer dicken Arme gefühlt hatten er wurde ohne Gnade und Barmherzigkeit fortgewiesen.
Aber ebenso treu war ihr Gedächtniß für solche Gäste, welche sich mit Anerkennung ihrem weisen Regimente fügten; sie waren willkommen zu jeder Zeit und konnten sich keine aufmerksamere Pflege und Bedienung wünschen. Und gehörten sie gar zu den Wenigen, welche in Folge ihres ehrbaren Wandels und einer längeren Anhänglichkeit an den Menschenfresser die besondere Gewogenheit der Wirthin besaßen, so bekamen sie die Erlaubniß, die nach hinten liegenden kleinen Stübchen zu betreten, und das war nicht nur eine große und ehrenvolle Auszeichnung, sondern war auch mit gewissen Annehmlichkeiten verbunden, denn die sogenannten »Hinterleute« durften ohne Bedenken den Credit des Hauses in Anspruch nehmen und wurden von der Besitzerin desselben mit einer Rücksicht und Zärtlichkeit behandelt, wie sie sonst nur eine Mutter für ihre Kinder an den Tag zu legen pflegt.
Wie gewöhnlich, so war auch heut Abend der ansehnlich in die Länge und Breite gehende Raum so vollständig von Gästen besetzt, daß die noch Ankommenden stehend ihren Krug nahmen und auf einen leer werdenden Platz warten mußten. Mutter Quail hatte mit vollen Händen zu thun und arbeitete für drei Personen; trotzdem aber entging ihrem Auge nicht das Geringste und keiner der Anwesenden durfte über eine Säumniß klagen. Da vorn, nicht weit vom Eingange, hatte sich ein Wortwechsel erhoben, der immer lauter wurde und in Thätlichkeiten auszubrechen drohte. Schon brachen die Gäste ihre Gespräche ab, um dem Streite ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden, und nur Mutter Quail schien nichts von ihm zu bemerken.
»Die Alte hat heut' weder Augen noch Ohren, sonst hätten wir längst schon Ruhe!« bemerkte Einer.
»Laß es gut sein, Jan; sie kennt schon ihre Zeit. Ich wette unser Schiff gegen ein altes Theerfaß, daß sie bei dem ersten Schlage richtig zur Stelle ist. Schau, da hast Du es!«
Die Zankenden hatten sich erhoben und standen im Begriffe, einander zu fassen, da stellte Mutter Quail das Glas, welches sie eben in der Hand hielt, auf den Tisch und war im nächsten Augenblicke nach dem Orte unterwegs, an welchem die Rauferei beginnen sollte. Noch aber hatte sie denselben nicht erreicht, als sich die Thür öffnete und ein Mann eintrat, bei dessen Anblicke sie sofort stehen blieb, während ihr Gesicht von freudiger Ueberraschung erglänzte.
»Willkommen Piet, alter Swalker,« rief sie mit voller Stimme durch das entstehende Getümmel. »Nimm doch einmal den kleinen Jungen dort, den mit dem großen Maule, und trage ihn hinaus. Aber nimm Dich in Acht und greife etwas leise zu, sonst könntest Du ihn zerbrechen!«
»Schön, Mama Haifisch,« nickte er mit freundlichem Grinsen seines breiten, ehrlichen Gesichtes. »Werde die Sache in Ordnung pringen!«
Die im Wege Stehenden rechts und links auseinander schiebend, stand er nach wenigen Schritten vor dem Bezeichneten, faßte ihn an den Hüften, hob ihn leicht wie einen Federball über die Köpfe der Anderen empor und war im nächsten Augenblicke mit ihm durch die Thür verschwunden.
Alle waren erstaunt, nicht nur über die Riesenkraft dieses, den Meisten von ihnen unbekannten Mannes, sondern mehr darüber, daß ihm Mutter Quail den Auftrag gegeben hatte, an ihrer Stelle zu handeln. Das war, so weit man sich entsinnen konnte, noch niemals vorgekommen, und es ließ sich annehmen, daß er das ganz besondere Wohlwollen der Wirthin besitzen müsse, zumal diese schon im Voraus die Thür eines der Hinterzimmer öffnete und den jetzt wieder Eintretenden mit außergewöhnlicher Freundlichkeit zu sich winkte.
»Willkommen in Bristol, Piet!« begrüßte sie ihn. »Bist endlich wieder einmal zu Lande?«
»Freilich, Du alte, liepe Porterkanne Du! Komme von Messina, wo ich Wein und Früchte geladen hape. Werde aper in einigen Stunden schon wieder in See stechen, hörst Du, und nach Deutschland gehen.«
»Nach Deutschland, Alter? Was hast Du denn dort zu suchen?«
»Ein Weniges oder viel; weiß es noch nicht! Hape nur den Pefehl pekommen, meinen Rheder, den Grafen von Warwick, nach Hampurg zu pringen und werde das Ueprige erst noch erfahren. Kann mir aper ungefähr denken, was er da drüpen zu suchen hat.«
»Nun, was denn?«
»Sie sind mit dem Vater Papst nicht zufrieden; ich glaupe gar, sie hapen drei Vater Päpste anstatt nur einen, und da kommen sie aus aller Herren Länder zusammen, um einmal das Fahrzeug der heiligen christlichen Kirche auf den richtigen Cours zu pringen, denn pisher hat es immer nur gegen den Wind gelenßt und geschlingert und gestampft, daß es zum Gotterparmen gewesen ist.«
»Und was geht das Deinem Grafen an?«
»Meinem Grafen? Du willst sagen dem Viscount Richardt Beauchamp, Herrn von Warwick, dem reichsten Mann in den drei Königreichen und tapfersten Ritter der Christenheit? Den wird der König peauftragt hapen, als sein Stellvertreter nach Costnitz zu gehen, wo die Herren alle zusammen kommen. Er ist mit seinem Gefolge hier im Somersetthouse apgestiegen und will am frühen Morgen mit der Eppe in See stechen. Jetzt sind wir darüper, Gepäck und Fracht in die Poote zu laden, um sie nach meiner »Schwalpe« zu pringen, welche draußen im Warwicker Kanale liegt, und Du glaupst gar nicht, was das für eine Pracht und Herrlichkeit mit den vielen und kostbaren Sachen ist; es schaut grad' so aus, als op der Kaiser von Indien oder der König von Golconda in See gehen wollte!«
»Und fürchtest Du Dich nicht vor den vielen Gefahren, welche Euch jetzt auf der See erwarten?«
»Gefahren? welche meinst Du wohl?«
»Nun, es ist doch noch Winterszeit, wo eigentlich die Schifffahrt in Ruhe liegt. Da giebt es böse Stürme; Du findest die Häfen erfroren, und wenn das Alles überwunden ist, so hausen da drüben in den deutschen Gewässern die Victualienbrüder, welche die Fahrzeuge überfallen und ausplündern und die Mannschaften tödten.«
»Stürme und Eis, die scheue ich nicht! Hape schon oft mit ihnen zu thun gehapt, daß wir vertraut mit einander geworden sind, und die Victualienprüder, die sollen sich vor mir und meinen praven Jungens nur immer in Acht nehmen! Es giept auf keinem Meere ein solches Schiff, wie meine »Schwalpe«. Du hast sie noch nicht gesehen, denn ich hape sie erst vorigen Herpst neu wie eine Jungfer vom Clyde geholt. Sie ist nach einer Art gepaut, die der Graf sich selper ausgesonnen hat, lang und schmal, mit niedrigen Masten und kleinerem Vor- und Hintercastell. Sie geht vor dem Winde wie eine Möve und tanzt auf der Seite wie eine Praut unter Segel. Ihr Kiel und Stewen ist scharf, so daß ihr kein Eis etwas anhapen kann; das Manövriren versteht der Piet Liepenow wie kein Anderer, so daß er sich vor den Stürmen nicht zu fürchten praucht, und was die Kaper petrifft, so weiß er sein Enterpeil zu handhapen so gut wie nur Einer, seine Mannen sind auserlesene, gutbewährte Seehunde, und außerdem hape ich sechs metallne Donnerpüchsen an Pord, die gelegentlich auch das ihrige thun werden. Also prauchst Du wohl keine Sorge zu tragen, Du alte, gute Menschenfresserei Du!«
Bei diesen Worten legte er seinen Arm um ihre umfangreiche Taille und zog sie mit einer Vertraulichkeit an sich, wie sie nur von ihm gewagt werden durfte. Sie erwiderte dieselbe mit einem zärtlichen Klapps, der jeden Anderen zu Boden geschlagen haben würde und meinte:
»Ja, das weiß ich, daß Du ein Manneskind bist, welches nicht nothwendig hat, sich vor irgend Etwas oder irgend jemandem zu fürchten. Das habe ich Dir gleich angesehen, weißt Du, als Du mit dem Grafen aus Deutschland kamst und den Haifisch zum ersten Male besuchtest. Und reputirlich bist Du auch, wie nur Einer, und geschickt und klug, sonst hättest Du es nicht vom Matrosen bis zum Kapitän gebracht. Seit mein Alter todt ist, hat es Keinen gegeben, der mir so an das Herz gewachsen ist wie Du, und wenn ich noch eine junge, schmucke Dirne oder Wittib wäre und Du nicht immer auf dem Wasser sein müßtest, so wüßte ich gar wohl, was geschehen könnte. So aber doch,« unterbrach sie sich, »da sitze ich und plaudere dummes und unnützes Zeug und lasse Dich hungern und dursten! So ist es, wenn man alt und faselig wird. Na, ich kenne Deinen Geschmack und werde nachholen, was ich versäumt habe!«
»Hast Recht, alte Kampüse! Geht mir auch so, wenn ich in den Pauch des Haifisches gerathe und an die alten Zeiten denke. Pring dem Piet Lipenow Etwas, was Palken und Planken zusammenhält!«
Die Wirthin eilte zur Thür und begegnete unter derselben einem Manne, welcher im Begriffe stand, einzutreten.
»Halt!« rief sie ihm entgegen; »hier ist nicht Jedermanns Stube. Sucht Euch Platz da draußen bei den Andern!«
»Heiliges Pulver!« klang die mit schnarrender Baßstimme gesprochene Antwort. »Sagtest Du das zu mir, oder verstehe ich Dich miß?«
»Freilich sagte ich das zu Euch!« entgegnete sie und überflog dabei in kampfgerüsteter Haltung und mit einem herausfordernden Blicke seine angsterregend hagere Gestalt, auf welcher ein Kopf ruhte, dessen eine vordere Hälfte von der Nase bis zum Ohre und von der Stirn bis herab zum Halse vollständig schwarzgebrannt erschien. »Ich habe Euch noch nie hier gesehen, und für Fremde giebt es in diesem Zimmer keinen Einlaß.«
»Blitz und Kanone! Bin doch, seit mir die Ladung in's Gesicht gegangen ist, noch keinem solchen Drachen begegnet, und auch vorher nicht. Gieb Raum, alte Galione, sonst bohre ich Dich in den Grund!«
»Galione, sagt Er, und Du nennt Er mich, mich, die Mutter Quail, die in Respect steht bei Jedem, der seinen Fuß nur einmal in den Haifisch gesetzt hat? Mache Er, daß Er hinaus kommt, sonst breche ich Ihn mitten auseinander und schlitze mir aus den beiden Hälften Schwefelhölzer!«
»Potz Kugel und Blei! Die Mutter Quail seid Ihr? Ja, das giebt der Sache eine andere Wendung; ich will also Eure Reden ungeschehen sein lassen und winde für dies Mal meinen Zorn noch über. Aber merkt es Euch für später, daß ich nicht gewohnt bin, mit mir spaßen zu lassen!«
Wie zwei Eisenklammern legte er seine Hände um ihre Arme, hob die schwere Frau wie ein Kind zur Seite und trat zu dem Tische, an welchem der Kapitän saß. Die Wirthin machte sofort Miene, den Kampf mit ihm zu erneuern, aber Piet Liebenow, welcher dem kurzen Wortwechsel bis hierher mit sichtbarem Vergnügen zugehört hatte, beruhigte sie jetzt mit den Worten:
»Laß es gut sein, Mutter Menschenfresser; der Junge soll nicht da draußen sitzen! Er heißt Sam Haperland und ist mein Constapel, der mir Nachricht pringt von den Leuten, die an den Pooten arpeiten.«
»Da mag es sein!« antwortete sie, ihre Arme reibend. »Aber einen schlechten Constabel hast Du Dir nicht ausgesucht. Der Mann greift ja zu wie ein Bär. Hast Du lauter solche Riesen an Bord?«
»Denke es,« nickte er lächelnd, und auch Will Haberland verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, welche auf der einen Hälfte des von Wind, Wetter und Pulver mitgenommenen Gesichtes seine Befriedigung ausdrückte, auf der verbrannten Seite aber wahrhaft fürchterlich aussah. »Aper nun mache endlich, daß wir Etwas unter die Zähne pekommen!«
Während sie sich entfernte, um dem Auftrage nachzukommen, meldete der Constabel, daß die Boote mit dem letzten Theile der Ladung nach dem Schiffe abgegangen seien und bald wieder zurückkehren würden, um die Passagiere aufzunehmen.