Das Eulenhaus - Eugenie Marlitt 26 стр.


Nun ging auch Beate noch einmal an der Tafel hinunter und blieb kopfschüttelnd vor dem Platz stehen, den sie, nach der Bestimmung Lothars, neben Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Thekla einnehmen sollte, heute abend zum erstenmal und dann täglich vier Wochen lang. Wie würde sie das nur aushaken? Da lag die Suppenkelle, das Symbol ihrer Hausfrauenwürde. Lothar hatte gewünscht, daß sie dieses Amt wie immer verwalten möge, »denn wir sind auf Rittergut Neuhaus, meine beste Beate, und nicht bei Hofe, und nichts in der Welt ist mir unangenehmer, als ein Umhertragen der gefüllten Suppenteller, sie haben so leicht überlaufende Ränder.«

Dies war aber auch so ziemlich das einzige, was in Hinsicht seines hohen Besuches von ihm angeordnet worden war, alles übrige hatte er vertrauensvoll ihrem klugen Kopf und ihren geschickten Händen überlassen und allen Fragen gegenüber nur geantwortet: »Aber du wirst es schon gut machen, tue ganz nach deinem Gefallen,«

Nun war sie auch dieser Riesenarbeit Herr geworden. Sie hatte ein weißes Tuch über ihre glänzend braunen Haare gebunden und war in Hauskleid und Wirtschaftsschürze, mit Schlüsselbund, Staubtuch und Besen im Hause umhergezogen, hatte dem Dienstpersonal »Beine gemacht«, wie sie sich ausdrückte, Möbel rücken, Vorhänge aufstecken, Teppiche auf Treppen und Gängen ausbreiten lassen und Truhen und Spinden das Feinste und Beste entnommen. Und eben war das letzte getan, sie konnte sich noch ein paar Stündchen ausruhen, ehe sie ihren Gästen als Hausfrau gegenübertreten mußte.

Das ganze obere Stockwerk hatte man für die durchlauchtigste Schwiegermutter und die Schwägerin Lothars hergerichtet, der Hofdarme war ein nettes Zimmer neben Frau von Berg eingeräumt, der Kammerherr nebst Diener im Gartenpavillon untergebracht worden und die Kammerfrau ihrer Durchlaucht in der Nähe ihrer Damen. Lothar behielt sein Zimmer rechts vom Hausflur, das liebe alte Wohnzimmer und die Schlafstube Beates sollten ganz und gar abgeschieden bleiben. Einen Zufluchtsort mußte man doch haben.

Beate war eben den Flur entlang geschritten und näherte sich der Tür ihrer Wohnstube, dann nahm sie ein Kreidestückchen aus dem Schlüsselkorb, schrieb auf die braune Täfelung »Verbotener Eingang!« und trat nun lächelnd in ihr Reich. Sie saß ein Weilchen ruhend im Lehnstuhl, dann sprang sie auf und eilte in die Schlafstube. Nach ein paar Augenblicken kam sie zurück, sie hatte einen großen braunen Strohhut aufgesetzt und einen leichten Umhang um die Schultern geworfen. Im Hinausgehen zog sie ein Paar Leinwandhandschuhe an und trat in die Küche, wo die Mamsell mit rotem Kopf vor dem Backofen stand und Mürbkuchen herauszog.

Beate war eben den Flur entlang geschritten und näherte sich der Tür ihrer Wohnstube, dann nahm sie ein Kreidestückchen aus dem Schlüsselkorb, schrieb auf die braune Täfelung »Verbotener Eingang!« und trat nun lächelnd in ihr Reich. Sie saß ein Weilchen ruhend im Lehnstuhl, dann sprang sie auf und eilte in die Schlafstube. Nach ein paar Augenblicken kam sie zurück, sie hatte einen großen braunen Strohhut aufgesetzt und einen leichten Umhang um die Schultern geworfen. Im Hinausgehen zog sie ein Paar Leinwandhandschuhe an und trat in die Küche, wo die Mamsell mit rotem Kopf vor dem Backofen stand und Mürbkuchen herauszog.

»Gut, Rikchen, daß ein paar fertig sind«, sagte Beate und nahm ein halbes Dutzend des zierlichen Gebäckes, »gebt etwas Papier so ich mache noch einen Spaziergang und bin pünktlich zurück. Begeht nur keine Dummheiten mit den Kücken und setzt die Schoten nicht zu früh an, den Rehrücken knapp eine Stunde im Ofen! Ich sag's Ihnen noch einmal, ich habe keine Zeit, danach zu sehen, wenn ich bei Tische sitze, und daß nur die Forellen schön blau und krumm sind und im Grünen serviert werden. Es kommt alles auf Sie, Rikchen.«

Sie nickte noch einmal und ging raschen Schrittes direkt aus der Küche, einen Seitenweg durch den Park nehmend, auf die Landstraße. Eigentlich war es nicht zu rechtfertigen, daß sie davonlief, heute, wo ihr Ruf als Hausfrau geprüft werden sollte. Wie, wenn irgend etwas mißlang?

»Auch gleich!« sagte ihr eine innere Stimme, »denn wenn die ganze Hatz hier eingezogen ist, komme ich fürs erste nicht wieder nach dem Eulenhause zu Klaudine und zu der Kleinen.«

Sie ging in wahrem Sturmschritt und nahm allerhand Richtwege. Dunkelrot glühte ihr Gesicht, als nach einer halben Stunde das Eulenhaus aus grünen Wipfeln auftauchte. Es war just drei Uhr nachmittags.

Im Schatten der alten Mauer spielte die Kleine mit ihrem Puppenwagen, nun kam sie mit wehenden Locken auf die Tante zugestürmt, und diese hockte sich an die Erde und fing das Kind mit beiden Armen auf.

»Es war gar nicht hübsch, Tante Beate«, klagte es, »immerzu hat es geregnet und Tante Klaudine ist so oft fortgefahren.«

»Aber heute scheint die Sonne und du kannst wieder im Garten spielen. Gelt, das gefällt dir?«

Die Kleine nickte und trippelte neben ihr her. »Und Tante Klaudine ist auch zu Hause«, plapperte sie, »sie sitzt in ihrer Stube und schreibt und ist so fein angezogen.« An der Haustür blieb das Kind stehen und schüttelte den blonden Kopf. »Ich gehe wieder zu Heinemann«, erklärte sie und lief eilends davon.

Beate stieg die schmale Treppe empor und klopfte an die Tür ihrer Cousine. Klaudine saß in der Tat am Schreibtisch, aber sie schrieb nicht mehr. Vor ihr lag ein fertiger Brief.

»O Beate, du?« sagte sie müde und kam der Eintretenden entgegen.

»Ei, ei!« scherzte diese. »In Weiß mit blauen Schleifen? Was ist denn los? Willst du nach Altenstein?«

Das Mädchen nickte.

»Ich hatte abgesagt heute früh, aber die Herzogin ließ es nicht gelten. Sie schrieb mir, wenn ich nicht kommen wolle, würde sie zu mir kommen. Sie will hier vorüberfahren und mich abholen.« Sie schaute dabei ergeben an Beate vorüber. »Es ist so heiß«, fuhr sie fort, »ich sehnte mich nach einem lichten Kleide. Man sagt immer, die Farbe der Kleidung habe Einfluß auf die Stimmung, nun ich könnte ebensogut «

»Schwarzen Flor anhaben«, ergänzte Beate und setzte sich. »Was ist dir denn? Du siehst aus, als ob du Kopfweh hättest!« und sie sah befremdet in die abgespannten Züge Klaudines.

»Mir fehlt eigentlich gar nichts, Beate.«

»Eigentlich? Na, das hast du noch vom Hofe, so eine unglückliche Hofdame muß sich immer wohl befinden, wie ein Ballettmädel immer lächeln muß, auch wenn sie kaum noch Atem kriegt.«

»Beate, du übertreibst«, sagte Klaudine ruhig, »nein, ich bin nicht krank, aber denke vielleicht verreise ich auf einige Zeit.«

»Du?« rief die Cousine, »jetzt?«

»Ja, ja! Schweige aber darüber. Joachim weiß es noch nicht«, erwiderte sie. Und ehe noch Beate die Frage aussprechen konnte, die auf ihren Lippen schwebte, fiel Klaudine ein: »Ist dir Joachim nicht begegnet?«

»Nein!« antwortete Beate leise.

»Ich glaube, er wollte Lothars Besuch erwidern! Du weißt, das ist ein Entschluß für ihn. Er ging vorhin erst fort, ich bin überzeugt, er braucht drei Stunden zu dem Wege, denn beim Gehen wird ihm allerlei einfallen, und da setzt er sich dann hin und schreibt und notiert und vergißt Zeit und Ort.«

»Er wird Lothar nicht antreffen«, sagte zögernd Beate. »Lothar ist nach Lobstedt.«

»Nach Lobstedt?« fragte Klaudine, »will er verreisen?«

»Nein, er erwartet Prinzeß Thekla mit Tochter. Weißt du das noch nicht? Sie will vier Wochen in Neuhaus bleiben, um ihr Enkelchen zu genießen.«

»Nein « sagte Klaudine tonlos.

Es war so still in dem Zimmer, daß selbst das leise Ticken der kleinen brillantbesetzten Taschenuhr hörbar ward, die auf dem Schreibtischchen in zierlichem Perlmutterständer hing. Beate schaute sehnsüchtig durchs Fenster, sie wäre am liebsten gegangen. Sie dachte an ihren Hausfrauenposten, den sie heute, gerade heute treulos verlassen hatte, und dann sah sie eine Männergestalt in dem dämmerigen Flur des Neuhäuser Schlosses, wie sie vor einer Tür stand, auf der in Kreideschrift zu lesen war: »Verbotener Eingang!« Und sie sah, wie dieser Mann den Kopf schüttelte und wieder umwendete. Er durfte nicht so fort, nein, nein! Vielleicht käme er nie wieder!

Sie sprang plötzlich empor.

»Verzeih, Klaudine, ich möchte doch lieber heim, du weißt, es ist allerlei zu besorgen.« Die Lüge erstarb ihr auf den Lippen, sie war jäh errötet. »Leb wohl, mein Schätzchen!«

»Leb wohl, Beate!«

»Um Himmels willen, du bist krank, Klaudine!« rief Beate und starrte ihre Cousine an, erst jetzt bemerkend, daß deren Antlitz völlig entfärbt war.

»Nein, o nein!« wehrte diese. Und jetzt zog eine wahre Purpurglut über Stirn und Wangen. »Ich bin gesund, ganz gesund! Geh nur«, drängte sie dann, »geh, ich bin völlig kräftig, ich begleite dich hinunter. O, sicher hast du noch vieles vorzubereiten, und sage Joachim, wenn du ihn triffst, daß er gehen soll, ehe die Damen anlangen, er ist so scheu, weißt du, so sonderbar.«

»Er braucht sie gar nicht zu sehen! Ich habe mein Zimmer für mich«, murmelte Beate.

»O, da kennst du Prinzeß Helene nicht!« klang es bitter.

»So?« fragte Beate, indem sie neben Klaudine die Treppe hinunterschritt. »Na, da gib mir doch einige Winke über diese kleine Prinzessin, von Lothar ist kein Wort herauszubringen.«

»Beate ich weißt du, ich bin nicht unparteiisch genug, um gerecht zu sein. Sie mag mich nicht, glaube ich, und kehrt mir gegenüber stets die schnippische Seite heraus. Diejenigen, denen sie wohl will, sind entzückt von ihr. Sie ist ein Sprühteufelchen, anziehend, ohne gerade hübsch zu sein, voller Leben, launisch « Sie stockte. »Ja, ja«, sagte sie dann leise, »sie ist sehr reizend, sehr und nun leb wohl, Beate!«

»Willst du weinen?« fragte die Cousine, »du hast so glänzende Augen!«

»Nein«, sagte Klaudine, »ich will nicht weinen.«

»Na, dann leb wohl, Herzenskind, und denke an frische Toiletten. Lothar will ein Fest geben. Ich meine, du wirst dann selbst diese sehr reizende Prinzessin ausstechen, und nicht wahr, du leihst mir ein wenig deinen Rat, ich hin in der Hofsitte so unerfahren wie ein kleines Kind. Leb wohl, Schatz, leb wohl!«

Klaudine eilte ins Haus zurück in ihr kleines Stübchen. Ihr war, als sei die Welt aus den Fugen gegangen seit gestern. Sie wußte ja nur zu gut, warum Prinzeß Thekla ihr zweites Töchterchen nach Neuhaus brachte!

»Verloren!« flüsterte sie, »verloren für immer! Aber kann man denn etwas verlieren, was man nie besaß?«

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