»Der Bruder von Klaudine Gerold?«
»Ja, Durchlaucht.«
»Das Eulenhaus ist ja wohl sehr nahe, lieber Gerold«, erkundigte sich Prinzeß Thekla und nahm Salz in die Suppe.
»In einer halben Stunde zu erreichen«, erwiderte er.
»Wenn die gnädigsten Herrschaften befehlen, fahre ich vorüber an der Klosterruine. Sie ist sehenswert.«
»Danke!« unterbrach ihn kühl die alte Prinzessin.
»Danke!« betonte ebenso kühl Prinzeß Helene.
Er sah verwundert von seinem Teller auf. »Durchlaucht werden diesen Anblick kaum vermeiden können, denn unser schönster Waldweg führt an der Ruine vorbei.«
»Ich hoffe, Baron«, nahm Prinzeß Helene das Wort, »ich hoffe, Sie werden mich auf meinen Ritten begleiten. Komtesse Moorsleben ist zuweilen auch dabei.«
»Durchlaucht brauchen nur zu befehlen«, erwiderte er.
Prinzessin Thekla sprach jetzt von einer Milchkur, die sie unternehmen wolle. Sie war mit einem Male sehr liebenswürdig, scherzte mit Lothar über seine idyllische Häuslichkeit und nannte Beate ein Mal über das andere: »MeineTeure«. Niemals hatte sie so schmackhafte Forellen gegessen, und als Lothar sich erhob, das gefüllte Glas mit dem perlenden Champagner in der Hand, für die große Ehre dankend, die ihm durch den Besuch der durchlauchtigsten Großmama zuteil geworden, reichte sie ihm huldvoll die reich beringte schmale Hand zum Kuß und drückte das spitzenbesetzte Tuch einen Moment gerührt an die Augen.
Unter dem Vorwand, sie sei ermüdet, hob sie die Tafel noch vor dem Nachtisch auf und die Damen zogen sich in ihre Gemächer zurück. Frau von Berg durfte noch lange am Bette der Prinzessin Thekla sitzen, und als sie endlich ihr Zimmer aufsuchte, geschah es mit erhobenem Kopfe. Sie setzte dann noch eine Nachschrift unter den nachmittags begonnenen Brief:
»Es ist alles in schönster Ordnung, die Kleine brennt lichterloh in Liebe und Haß. Für wen die erstere Flamme leuchtet, wissen wir, und die letztere flackert für Klaudine.
In wenigen Tagen werden die Bäume im Walde sich eine große Neuigkeit erzählen. Im übrigen, anfangs der nächsten Woche findet hier ein Fest statt. Prinzeß Helene schwärmt von einem Tanz unter den Linden im Garten. Sie hat bei aller Bosheit eine gewisse Gutmütigkeit, so daß man sich bei ihr eines törichten Streiches wohl versehen kann und vorsichtig sein muß!
Sie siegelte den Brief und trug ihn hinunter. Eins der Küchenmädchen empfing ihn im Halbdunkel des Kellergeschosses und steckte schmunzelnd einen Taler in die Tasche. Frau von Berg mußte hohes Porto zahlen.
In der dämmerigen Wohnstube aber erscholl ein herzliches Frauenlachen. Als Beate hereintrat, saß da noch immer eine Gestalt in ihrem Lehnstuhl auf der Estrade und schrieb an ihrem Nähtischchen im allerletzten Tagesschein.
»Aber, Joachim!« rief sie mit ihrer klingenden Stimme, »wollen Sie sich durchaus die Augen verderben?«
Er fuhr empor, denn er hatte ganz vergessen, wo er war. »Mein Gott«, sagte er erschreckt und faßte nach dem Hut, »ich habe mich über dem alten Buche da verspätet. Verzeihen Sie, Cousine, ich räume sofort das Feld.«
»Jetzt nicht!« erklärte sie noch immer lachend, »denn Lothar wird Sie auch sehen wollen. Ihm gilt ja wohl Ihr Besuch?« Und sie drückte ihn sanft auf den Sessel zurück und suchte ihren Bruder.
Er stand in seinem Zimmer am Fenster und starrte auf die Landstraße hinaus.
»Lothar«, bat sie, »kommt herüber! Joachim sitzt noch immer dort und hat Zeit und Weile vergessen über dem alten Reisetagebuch aus Spanien, weißt du, das vom Großvater, in dem weißen Lederband.«
»Wie kam er denn eigentlich hierher, der Joachim nämlich?« fragte Lothar und nahm eine Zigarrentasche nebst Aschenbecher von dem eleganten Rauchtischchen.
»Ich fand ihn hier vor, als ich vom Eulenhause zurückkam, und da ich noch allerlei zu besorgen hatte, wie du dir denken kannst, das mich hinderte, ihm Gesellschaft zu leisten, so fiel mir das Buch ein. Du siehst, er hat sich trefflich damit unterhalten.«
Er blickte sie lächelnd an, indem er neben ihr durch die erleuchtete Halle schritt und in den Korridor einbog.
»Sage einmal, Beate«, fragte er, »hast du die Warnung an der Tür dort geschrieben, als er schon drinnen saß, oder vorher?«
»Sage einmal, Beate«, fragte er, »hast du die Warnung an der Tür dort geschrieben, als er schon drinnen saß, oder vorher?«
»Natürlich vorher«, erwiderte sie unbefangen, und dann ward sie rot. »Ich verstehe dich nicht!« fügte sie ärgerlich hinzu.
»Nun, weißt du, Schwester«, sagte er mit einem Anflug von Schelmerei, »Verbotener Eintritt! schreibt man mitunter an Türen, die etwas verschließen, das man am liebsten ganz allein für sich behalten will.«
»O du abscheulicher Mensch«, schmollte Beate verlegen und wischte eilig mit der Hand über die Kreideschrift. Und dann saßen sie alle drei in der Wohnstube beim Glase Wein und Joachim erzählte, an das Buch anknüpfend, von seinen Reiseerlebnissen. Er sprach und Beate vergaß alles, vergaß, daß die Wachskerzen auf dem Kronleuchter im Eßsaal unnütz verbrannten, vergaß, die Reste der Tafel in die Speisekammer zu verschließen und das Frühstück für morgen anzuordnen. Vor den Fenstern flüsterten die Linden in dem Abendwind und der Duft vom frisch gemähten Gras zog in das Gemach.
Es war spät, als Lothar seinen Vetter durch den Wald nach dem Eulenhause fuhr. Auf dem Rückwege kam ihm der Wagen der Herzogin entgegen. In rasendem Tempo jagte er an dem Gefährt vorüber. Als er vor der Neuhäuser Rampe hielt, klirrte über ihm ein Fenster zu, und in dem Zimmer dort oben barg sich ein leidenschaftliches junges Gesicht wieder in die Kissen.
Prinzessin Helene hatte ihn fortfahren sehen, dort hinaus, wo das Eulenhaus lag. Gottlob, jetzt war er daheim!
14.
Im Eulenhause war eine Veränderung eingetreten. Fräulein Lindenmeyer hatte Besuch.
Es war erst ein mächtiges Hin- und Herschreiben gewesen, und dann war am Morgen nach dem Tage, als Klaudine mit der Herzogin spazieren fuhr, Fräulein Lindenmeyer mit verlegenem Gesicht in die Stube Klaudines getreten, einen offenen Brief in der Hand.
»Ach, Fräulein Klaudinchen, gnädiges Fräulein, ich hätte so eine rechte Herzensbitte.«
»Nun, meine liebe gute Lindenmeyer, dann ist sie bereits gewährt«, hatte Klaudine erwidert, indem sie für Joachims Frühstück Tee aufgoß.
»Aber Sie müssen es ehrlich sagen, gnädiges Fräulein, wenn es nicht paßt. Ich werde alles tun, damit keinerlei Störung zu bemerken ist, aber «
»Nur heraus damit, Lindenmeyerchen«, hatte das schöne Mädchen sie freundlich ermutigt, »ich wüßte nicht, was ich Ihnen abschlagen könnte, es sei denn, daß Sie das Eulenhaus verlassen wollten, denn das würde ich nicht zugeben.«
»Ich von hier? O gnädiges Fräulein, das würde ich ja nicht überleben! Ach nein, das ist es nicht. Ich erwarte ich soll ich bekomme Besuch, wenn es die Herrschaft erlauben will.«
»Ei, wen denn, meine liebe Lindenmeyer?«
»Frau Försters Zweite, die Ida. Sie soll so ein bißchen Schick bekommen und feine Handarbeit lernen. Da hat sich nun die Försterin in den Kopf gesetzt, daß sie das bei mir altem Wurm am schönsten lernen würde. Ich tue es ja auch sehr gern, wenn Sie es erlauben. Sie könnte in dem Kämmerchen wohnen hinter meiner Stube, wenn «
Die alte gute Seele hatte die Hände über ihren Brief gefaltet und ihre Augen sahen mit gespannter Erwartung zu der jungen Herrin hinüber.
»Na, das wird ja sehr hübsch für Sie«, lautete die freundliche Antwort, »lassen Sie das junge Mädchen nur bald kommen. Sie mag hier bleiben, solange es ihr gefällt.«
So stand anderen Tages, als Klaudine in die Küche trat, eine kleine runde Mädchengestalt am prasselnden Herdfeuer und wirtschaftete dort mit Tassen und Teekessel umher, als ob es gar nie anders gewesen wäre. Ein Paar schelmische blaue Augen sahen über das Stumpfnäschen hinweg zu Klaudine hinüber, und die Besitzerin dieser Augen machte einen etwas unbeholfenen Knicks, als sie die schöne schlanke Gestalt über die Schwelle treten sah.
»Aber, liebes Kind!« sprach Klaudine verwundert.
»Ach, gnädiges Fräulein, lassen Sie mich das tun!« bat das Mädchen zutraulich. »Den ganzen Tag kann ich nicht bei Tante Doris in der Stube sitzen und sticken. Ich käme um dabei, wenn ich nicht ein bißchen Wirtschaft hätte. Bitte recht sehr, lassen Sie mich!«
»Aber das darf ich nicht annehmen, liebe Ida, gewiß nicht, ich verwöhne mich nur dadurch.«
»Ida möchte so gern etwas lernen«, sagte das Mädchen und schlug die schelmischen Augen nieder.
Klaudine lächelte. »Bei mir? 0, da sind Sie schlimm angekommen, ich bin selbst noch eine Lernende.«
»Gnädiges Fräulein, dann will ich nur die Wahrheit sagen, ich kann schon etwas in der Wirtschaft, aber in so manchen anderen Dingen fehlt es mir. Ich möchte nämlich gern eine Stelle als Kammerjungfer in S. annehmen, und da dachte ich, ich könnte, hier so ein wenig wegbekommen, wie man seine Dame zu behandeln hat beim Ankleiden, und so weiter. Lassen Sie mich das bißchen Wirtschaft hier tun und sich dafür meine ungeschickte Hilfe gefallen beim Nähen, Ankleiden und Schneidern.«
Die Blicke des Mädchens hingen so freudig erwartungsvoll an Klaudines Augen und sie selbst fühlte sich so müde und traurig, aber sie antwortete nicht und ging zu Fräulein Lindenmeyer.
»Gestehe es nur, Lindenmeyerchen«, sagte sie, sich zum Scherz zwingend und das alte Fräulein duzend, wie in ihrer Kinderzeit, »du hast dir Besuch eingeladen, um die Last der Wirtschaft von meinen Schultern zu nehmen?«
»Ach, Herzenskindchen«, jammerte das gutmütige Geschöpf, »so hat es die Ida doch dumm angefangen und wir hatten es uns so fein ausgedacht! Seien Sie nicht böse! Ich kann es nicht mit ansehen, wenn Sie des Morgens mit verwachten Augen herunterkommen und so blaß sind, so blaß! Es ist so ein altes Sprichwort: Rosenbeet und Ackerland gedeihen nie in einer Hand. Wenn Sie frisch sein wollen bei Hofe, dann müssen Sie auch Ihr Recht haben, sonst ist es bald vorbei mit Ihrem weißen klaren Teint. Heinemann sagt es auch, er hat sich mit mir um die Wette geängstigt Ihretwegen. Und, Fräulein Klaudine, die Ida hat ihren regelrechten Profit dabei. Sie könnte durch ihre Tante die Stelle bei der Gräfin Keller als Kammerfrau bekommen, aber so weg von der Waldwiese geht es doch nicht. Wahrhaftig, es ist so!« beteuerte die alte Seele.
So hatte Klaudine plötzlich eine Hilfe bekommen. Es war eine ordentliche Behaglichkeit in das Haus eingekehrt und eifriger ist wohl nie eine Herrin bedient, herzlicher nie ein Kind verwöhnt worden wie Klaudine und die kleine Elisabeth. Heinemann strahlte ordentlich, wenn er der flinken Dirne auf dem Treppchen begegnete oder sie in der Küche die alten Volkslieder mit halblauter Stimme singen hörte. Jetzt weinte auch die kleine Elisabeth nicht mehr, wenn Tante Klaudine in dem schönen Wagen der Frau Herzogin fortfuhr, und Klaudine saß nicht mehr so abgespannt bei Tische, wie bisher, ohne einen Bissen zu genießen.