Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке - Цвейг Стефан 10 стр.


Aber man soll, wie ein weises Sprichwort sagt, auch nicht ein Haar von des Teufels Bart streifen, sonst faßt er einen unversehens am Genick. Und ähnlich erging es auch hier der kampfbegierig eitlen Streiterin. Denn ungewohnt des Weins, dessen lüsterne Beize sie nicht ahnte, verwirrt von dem allmählich aufschwülenden Duft des Rauchwerks, süß entkräftet vom saugenden Getön der Flöten, wurden ihr die Sinne allmählich verworren. Ihr Lachen schwankte in Lallen, ihr Übermut in Kitzel hinüber, und kein Doktor beider Fakultäten hätte vermocht, vor Gericht zu bekunden, ob es im Wachen geschehen oder im Schlummer, ob in Nüchternheit oder Trunkenheit, ob mit ihrem Willen oder dawider – kurz, es geschah, noch lange, bevor es Mitternacht schlug, was Gott oder sein Widerpart will, dass zwischen Frau und Mann schließlich geschehe. Mit einmal klirrte aus gelöstem Kleide der heimlich gerüstete Dolch auf den marmornen Estrich; doch sonderbar, die ermüdete Fromme hob ihn nicht als eine andere Lukretia empor, um ihn gegen den gefährlichen nahen Jüngling zu zücken, kein Weinen und Wehren wurde vernommen im Nebengemach. Und als triumphierend um Mitternacht die verderbte Schwester mit ihrer Dienerschar einbrach in die bräutlich gewordene Kammer und eine neugierige Fackel über das Lager der Besiegten schwang, da gab es kein Verschweigen mehr und kein Sich-Schämen. So streuten die frechen Mägde nach heidnischer Art Rosen auf das Ruhebett, röter als die Wangen der Errötenden, die jetzt taumelnd und zu spät ihr frauliches Missgeschick gewahrte. Aber die Schwester nahm die Verwirrte heiß in die Arme, die Flöten jauchzten, die Zimbeln schmetterten, als wäre Pan wieder heimgekehrt auf die christliche Erde, frech entblößt tanzten die Mägde und riefen Eros, den verstoßenen Gott, lobpreisend an. Dann aber entzündete die bacchantisch wirbelnde Schar ein Feuer von duftenden Hölzern, und mit gierigen Zungen fraßen die Flammen das zum Spott erniedrigte fromme Gewand. Der neuen Hetäre aber, die sich schämte, ihre Niederlage zu gestehen, und wirr lächelnd tat, als habe sie freien Willens dem schönen Jüngling sich hingegeben, legten sie die gleichen Rosen wie ihrer Schwester um, und nun die beiden nebeneinander standen, glühend die eine vor Scham und die andere im Feuer des Triumphes, hätte keiner mehr vermocht, Sophia und Helena, die Scheinbar-Demütige von der Hoffärtigen, zu unterscheiden, und des Jünglings Blicke schwankten begehrend zwischen beiden hin, in erneutem und zwiefach ungeduldigem Gelüst.

Unterdes hatte die übermütige Rotte unter Lärm Tore und Fenster des Palastes geöffnet. Nachtschwärmer und rasch erwecktes lockeres Volk strömte lachend herzu, und noch ehe die Sonne über die Dächer floss, lief die Kunde schon wie Wasser von allen Traufen durch die Straßen, welchen herrlichen Sieg Helena über die weise Sophia, die Unkeuschheit über die Keuschheit errungen. Kaum aber vernahmen die Männer der Stadt, dass diese langbewahrte Tugend gefallen, so eilten sie schon hitzig herbei, und sie fanden (die Schande sei nicht verschwiegen) guten Empfang, denn Sophia blieb, ebenso rasch umgewandelt wie umgewandet, bei Helena, ihrer Schwester, und suchte es ihr gleich zu tun an Eifer und Feurigkeit. Nun war alles Streitens und Neidens ein Ende, und seit sie dem gleichen schnöden Gewerbe sich zugewandt, lebten die schlimmen Schwestern fortan in munterster Eintracht nebeneinander im Hause. Sie trugen gleiche Haartracht, gleichen Schmuck, genau dieselbe Gewandung, und da die Zwillinge auch in Lachen und Liebeswort nicht mehr unterscheidbar waren, so begann für die Lüstlinge ein immer erneutes, üppiges Spiel, ein Rätselraten mit Blicken und Küssen und Zärtlichkeit, welche es sei, die sie gerade im Arm hielten, die buhlerische Helena oder die einstens fromme Sophia. Doch nur selten gelang es einem, zu wissen, bei welcher er sein Geld vertan, so vollkommen ähnlich erschienen die beiden, und überdies machte das kluge Paar sich’s zur besonderen Lust, die Neugierigen zu narren.

So hatte, und nicht zum erstenmal in unserer trüglichen Welt, Helena gesiegt über Sophia, Schönheit über Weisheit, das Laster über die Tugend, das allzeit willige Fleisch über den schwanken und selbstherrlichen Geist, und abermals wurde bewiesen, was schon Hiob beklagte in seiner denkwürdigen Rede, dass es dem Bösen wohl erginge auf Erden, indes der Fromme zuschanden komme und ein Spott werde der Gerechte. Denn kein Zollmeister und kein Steuereinnehmer, kein Küfer und Pfandleiher, kein Goldschmied und Bäckermeister, kein Beutelschneider und Kirchenräuber im ganzen Land sackte mit saurer Arbeit so viel Geld wie die beiden Schwestern mit ihrem linden Eifer. Treulich gesellt, melkten sie die dicksten Felleisen und löcherten sie die vollsten Truhen, Geld und Juwelen liefen ihnen hurtig wie Mäuse allnächtens ins Haus. Und da die beiden von ihrer Mutter zu der Schönheit auch den sorglichen Krämersinn geerbt hatten, vertaten die Zwillingsschwestern dieses Gold durchaus nicht, wie die meisten ihrer Art, in eitlen Nichtigkeiten; nein, klüger als jene, liehen sie ihr Geld sorglich auf Wucher und Zins, gaben es zur Mästung an Christen, Heiden und Juden und scharrten so kräftig mit dem Wucherrechen, dass bald nirgends so viel Reichtum aufgehäuft war an Münzen und Kameen, sicheren Verschreibungen und gültigen Pfandbriefen wie in jenem argen Haus. Kein Wunder, dass, mit solchem Beispiel vor Augen, die jungen Mädchen des Landes nicht mehr Scheuerfrauen werden wollten und sich die Finger blaufrieren am Waschtrog, und bald war diese Stadt berüchtigt unter den Städten als ein neues Sodom dank der schlimmen Gegenwart der endlich einig gewordenen Schwestern.

Doch auch dies ist wahr in den alten Sprüchen, wenn sie sagen: Wie rasch der Teufel auch reitet, schließlich bricht er doch vor dem Ziele das Bein. Und so sollte auch hier das Ärgernis noch erbaulich enden. Denn wie die Jahre gingen und vergingen, wurden die Männer des immer gleichen Rätselspiels allmählich müde. Seltener kamen Gäste, früher löschten die Fackeln im Haus, schon wussten längst alle anderen, und nur die Schwestern wussten es nicht, was der Spiegel stumm den flackernden Lichtern erzählte: dass kleine Falten nisteten unter den übermütigen Augen und das Perlmutter zu blättern begann von der mählich erschlaffenden Haut. Vergebens, dass sie jetzt mit Künsten rückzukaufen suchten, was Natur, die mitleidlose, stündlich ihnen nahm, vergebens, dass sie das Grau löschten um die Schläfen, die Runzeln mit elfenbeinernen Messern strichen und rot sich die Lippen malten und um den ermüdeten Mund; die Jahre, die stürmisch durchlebten, waren nicht länger zu verhehlen, und kaum dass die Jugend von den Schwestern ging, wurden auch die Männer der beiden satt. Denn indes jene abblühten, wuchsen rings in den Straßen immer wieder junge Mädchen auf, jedes Jahr ein anderes Geschlecht, süße Wesen mit kleinen Brüsten und schelmischen Locken, doppelt verlockend der männlichen Neugier durch Unberührtheit des Leibes. Immer stiller wurde es darum im Hause auf dem Marktplatz, die Angeln der Türe begannen zu rosten, vergeblich brannten die Fackeln und dufteten die Harze, niemandem zur Wärme wartete der Kamin und der Schwestern geschmückter Leib. Gelangweilt übten die Flötenspieler, denen keiner zu lauschen kam, statt ihrer schmeichlerischen Kunst endlose Würfelspiele, und der Pförtner[44] , der allnächtens der Gäste warten sollte, wurde rundlich vom Übermaß unbehelligten Schlafes. Ganz einsam aber saßen oben die beiden Schwestern an der langen Tafel, die einstmals klirrte vom Andrang des Gelächters, und da kein Liebhaber mehr Zeitvertreib brachte, hatten sie höchlichst Musse, sich des Vergangenen zu erinnern. Insbesondere Sophia dachte mit Wehmut der Zeiten, da sie, abgewandt von aller irdischen Wollust, einzig ernstem und gottgefälligem Wandel gedient; oftmals nahm sie darum wieder die verstaubten frommen Bücher zur Hand, denn gern zieht ja die Weisheit bei Frauen ein, sobald die Schönheit flieht. Und so bereitete sich allmählich eine wunderbare Umkehr des Sinnes in den beiden Schwestern vor, denn so wie in den Tagen ihrer Jugend Helena, die Buhlerin, gesiegt über Sophia, die Fromme, so geschah es, dass Sophia nun spät allerdings und nach reichlicher Sündigkeit – bei ihrer allzu irdischen Schwester Gehör fand, wenn sie zu Verzicht mahnte. Ein heimlich Kommen und Gehen begann in den Morgenstunden: erst war es Sophia, die in das Siechenhaus schlich, das sie so beleidigend verlassen, um Verzeihung zu erbitten, dann war es Helena, die sie begleitete, und als die beiden erklärten, sie wollten ihr lästerlich zusammengerafftes Geld restlos diesem Hause für alle Ewigkeit übermachen, durften selbst die Misstrauischsten nicht länger den Ernst ihrer Buße bezweifeln.

So kam es, dass eines Morgens, als der Pförtner noch schlummerte, zwei Frauen, einfach gekleidet und verhüllten Gesichts, wie Schatten aus dem üppigen Hause am Marktplatz traten, nicht unähnlich in ihrem scheudemütigen Gang jener Frau, ihrer Mutter, da sie vor fünfzig Jahren aus raschem Reichtum zurückschlich in die niedere Gasse ihrer Armut. Vorsichtig glitten sie durch den zaghaft geöffneten Türspalt, und die ein Leben lang in wetteiferndem Unmaß der Eitelkeit die Aufmerksamkeit eines ganzen Landes für sich gefordert, nun deckten sie ängstlich ihr Antlitz, dass keiner um ihren Weg wisse und in verborgener Demut ihr Schicksal vergessen sei: in einem Frauenkloster fremden Landes, wo niemand ihre Herkunft ahnte, sollen sie – niemand weiß es genau – nach Jahren schweigsamer Zurückgezogenheit gestorben sein. So reichlich aber waren die Schätze, die sie dem frommen Asyl[45] hinterließen, so viele Scheffel Goldes wurden aus den Spangen und Münzen und Edelsteinen und Schuldverschreibungen gelöst, dass man beschloss, ein neues und herrliches Siechenhaus zu Schmuck und Krönung der Stadt zu entrichten, schöner und größer, als jemals eines gesehen wurde im aquitanischen Land. Ein nordischer Meister entwarf den Riss, zwanzig Jahre baute Tag und Nacht die werkende Schar, und als endlich das hohe Werk sich enthüllte, stand abermals staunend die Menge. Denn nicht wie bislang Brauch war, hob hier über das Viereck des Hauses ein einziger Turm sein vierkantiges Haupt trotzig gequadert zur Höhe – nein, hier stieg weibisch schlank und in steinerne Spitzen gehüllt zur Rechten einer empor und einer zur Linken, so völlig einander gleich in Wuchs und Maßen und der zarten Anmut des gemeißelten Steins, dass bereits vom ersten Tage an die Leute die beiden Türme „die Schwestern“ nannten – mag sein, bloß um ihrer äußeren Ebenmäßigkeit willen, vielleicht aber auch, weil man im Volke, das ja allezeit denkwürdige Begebenheiten durch Jahre und Jahrhunderte gerne überliefert, die ungebührliche Legende von Weltfahrt und Wandlung der beiden gleichungleichen Schwestern nicht vergessen wollte, die mir jener biedere Bürger, vielleicht ein wenig vom Weine beschwingt, im Mondlicht der Mitternacht erzählte.

Die Liebe der Erika Ewald

Camill Hoffmann in inniger Freundschaft

… Aber das ist die Geschichte aller jungen Mädchen, dieser sanften Dulderinnen. Sie sagen nie, dass sie leiden. Die Frauen sind zum Dulden geschaffen. Es ist gewiss so ihr Schicksal, sie erfahren es früh und sind darüber so wenig erstaunt, dass sie noch immer sagen, das Übel sei nicht da, wenn es längst gekommen…

Barbey d’Aurevilly

Erika Ewald trat langsam ein, mit dem vorsichtigleisen Gang einer Zuspätkommenden. Der Vater und die Schwester saßen schon beim Abendessen; beim Geräusch der Türe blickten sie auf, um der Eintretenden flüchtig zuzunicken, dann klang nur wieder das Klingen der Teller und das Klappern der Messer durch den matterhellten Raum. Gesprochen wurde selten, nur hie und da fiel ein Wort, und das flatterte wie ein aufgeworfenes Blatt haltlos in der Luft, um dann ermattet zu Boden zu sinken. Sie hatten sich alle wenig zu sagen. Die Schwester war unscheinbar und hässlich; eine jahrelange Erfahrung, stets überhört oder bespöttelt zu werden, hatte ihr jene altjüngferliche stumpfe Resignation gegeben, die jeden Tag mit einem Lächeln scheiden sieht. Den Vater hatte eine langjährige gleichfarbige Bureautätigkeit der Welt entfremdet, und insbesondere seit dem Tode seiner Frau umfing ihn jene harte Verstimmung und trotzige Schweigsamkeit, mit der alte Leute gerne ihre physischen Leiden verbergen.

Auch Erika schwieg meistens an diesen eintönigen Abenden. Sie fühlte es, dass sich gegen die graue Stimmung, die sich wie dicke drohende Wetterwolken über diese Stunden legte, nicht ankämpfen lasse. Und dann war sie zu müde dazu. Die quälende Tagesarbeit, die sie von Stunde zu Stunde hetzte und sie zwang, Disharmonien, tastende Akkorde, unmusikalische Brutalitäten mit rastloser Sanftmut zu ertragen, löste in ihr ein dumpfes Ruhebedürfnis aus, ein wortloses Verströmen aller Empfindungen, die die Gewalt des Tages überwuchert hatte. Sie liebte es, in diesen wachen Träumen sich selbst anzuvertrauen, weil ihr eine fast überreizte Schamhaftigkeit nie gestattete, anderen nur eine Andeutung ihrer seelischen Erlebnisse zu geben, ob auch ihre Seele unter dem Drucke ihrer ungesprochenen Worte bebte, wie ein überreifer Obstbaumzweig unter der Last seiner Früchte schwankt. Und nur ein leichter, ganz unmerklich feiner Zug um die schmalen blassen Lippen verriet, dass Kampf und Ringen in ihr war und eine unbändige Sehnsucht, die sich nicht von Worten tragen lassen wollte und nur manchmal ein wildes Beben[46] um den festgeschlossenen Mund legte wie von jähem Schluchzen.

Das Abendessen war bald zu Ende. Der Vater erhob sich, sagte kurz einen Gutenachtgruß und ging in sein Zimmer, um sich die Pfeife anzuzünden. Das war so jeden Tag in diesem Hause, wo auch die gleichgültigste Tätigkeit zu starrer Gewohnheit versteinerte. Und auch Jeanette, ihre Schwester holte sich wie immer ihr Nähzeug her und begann beim Lampenlicht, stark vorgebeugt wegen ihrer Kurzsichtigkeit, mechanisch zu sticken.

Erika ging in ihr Zimmer und begann sich langsam zu entkleiden. Es war diesmal noch sehr früh. Sonst pflegte sie bis tief in die Nacht hinein zu lesen, oder sie lehnte in einem süßen Gefühle am Fenster und blickte hoch von oben über die hellen mondscheinbeleuchteten Dächer, die sich in lichter Silberflut badeten. Sie hatte da nie klare, zielstrebende Gedanken, nur das unbestimmte Gefühl einer Liebe für das Schimmernde, Blitzende und doch so sanft Verströmende des Mondlichtes, das die Tausende von Scheiben blank spiegelte, hinter denen sich die Geheimnisse des Lebens bargen. Aber heute empfand sie eine sanfte Mattigkeit, eine selige Schwere, die sich sehnt, von milden, warm anschmiegenden Decken getragen zu werden. Eine. Schläfrigkeit, die nichts anderes ist als Sehnsucht nach süßen, seligen Träumen, rann durch alle Glieder wie ein sacht erkaltendes, betäubendes Gift. Sie raffte sich auf, warf beinahe mit Hast die letzten Kleidungsstücke von sich, verlöschte die Kerze. Einen Augenblick noch – und dann dehnte sie sich im Bette…

Wie ein hurtiges Schattenspiel tanzten noch einmal die seligen Erinnerungen des Tages vorbei. Sie war heute bei ihm gewesen…. Gemeinsam hatten sie wieder geprobt zu ihrem Konzert, wo ihr Spiel seine Geige begleiten sollte. Und dann spielte er ihr vor – Chopin, die Ballade ohne Worte. Und dann die sanften lieben Worte, die er ihr sagte, die vielen lieben Worte!

Die Bilder eilten immer rascher vorbei, sie führten sie wieder nach Hause zu sich selbst, um rasch wieder hinwegzuirren in die Vergangenheit, zu dem Tag, da sie ihn zuerst kennengelernt hatte. Und bald stürmten sie heraus über die Enge der Zeit und des Erlebens und wurden immer wilder und bunter. Noch hörte Erika, wie ihre Schwester nebenan zu Bette ging. Und ein toller merkwürdiger Gedanke kam ihr, ob er sie wohl auch zu sich gebeten hätte. Ein frohes übermütiges Lächeln wollte sich noch matt auf ihre Lippen schleichen, aber sie war schon zu schlaftrunken. Und einige Minuten später trug sie ein sicherer Schlaf zu seligen Träumen.

Примечания

1

lapidar (oft überraschend) – kurz und präzise formuliert = prägnant

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