Statt aber geschwisterlich sich zu bescheiden und ein Genügen daran zu haben, dass die eine die Reichste sei und die andere die Reinste der Stadt, beide umschwärmt von Bewunderung und Ehre, pochten den beiden Ehrgeizigen grimmig die Herzen, welcher Art sie einander Abbruch tun könnten. Sophia zerbiss die Lippen im Zorn, wenn sie vernahm, wie jene ihren aufopfernden Wandel in sündhaftem Maskenspiel schändete. Helena wiederum schlug mit Peitschen ihre Wut unter die Knechte[41] , berichteten ihr jene, dass fremde Pilger[42] sich ehrfürchtig vor ihrer Schwester beugten und Frauen den Staub küssten, den sie mit ihren Schuhen berührt. Je mehr die beiden Ungestümen aber einander übelwollten, je grimmiger sie einander Hassten, desto mehr heuchelten sie Mitgefühl eine für die andere. Helena beklagte bei der Tafel mit ergriffener Stimme die Schwester, dass sie Lust und Jugend so sinnlos mit der Pflege verhutzelter Greise verhärme, die das Leben ohnehin doch sichtbarlich für den Tod bestimmt habe. Sophia wieder endete alltäglich ihr Abendgebet mit einem besonderen Spruch für arme Sünderinnen, die törichterweise um flüchtiger und vergänglicher Genüsse willen die höhere Genugtuung versäumten, ihr Leben in frommes und hilfreiches Werk zu verwandeln. Als sie aber beide merkten, dass sie weder durch Boten noch durch Zuträger einander von dem betretenen Weg ablenken könnten, begannen sie allmählich sich wieder eine der ändern zu nähern, wie zwei Ringer, die, indes sie absichtslos scheinen, mit Blick und Hand schon den Griff vorbereiten, mit dem sie den Gegner zu Boden zu schleudern gedenken. Immer häufiger hüben sie an, eine die andere zu besuchen und zärtliche Sorge zu heucheln, indes jede ihre eigene Seele dafür gegeben hätte, der Schwester das Schlimmste zu tun.
Nun war Sophie, die aus Hoffart Demütige, wieder einmal nach dem Vesperläuten zu ihrer Schwester gekommen, um sie neuerdings von dem ärgerlichen Lebenswandel abzumahnen. Abermals hatte sie in umschweifiger Rede der schon Ungeduldigen vorgehalten, wie unrecht sie tue, ihren gottergebenen Leib zu einem Dickicht der Sünde zu erniedrigen. Helena, die diesen ihren gottergebenen Leib eben salben ließ von den Mägden[43] , damit er rüstig sei zu ihrem frevlerischen Gewerbe, hörte halb zornig und halb lachend zu und überlegte, ob sie die langweilige Mahnerin mit blasphemischen Scherzen tollwütig machen oder besser noch ein paar Knaben zur Verwirrung ihrer Blicke ins Gemach rufen solle. Da war ihr, als ob, leise schwirrend wie eine Fliege, ein sonderbarer Gedanke ihr die Schläfe gestreift hätte, ein recht teuflischer Gedanke, schalkig und gefährlich, so dass sie kaum ein innerliches Lachen verhalten konnte. Und plötzlich änderte die eben noch Freche ihr Gehaben, jagte Mägde und Badeknechte aus dem Zimmer, um, kaum mit der Schwester allein, sich eine Maske von Zerknirschung über die innen funkelnden Augen zu schatten. Ach, die Schwester möge nicht meinen – so begann die in allen Künsten der Verstellung Geübte -, sie habe nicht selber oft Scham darüber empfunden, ein wie sündhafter und törichter Wandel sie umstricke. Oft und oft schon habe sie ein Ekel vor der hündischen Wollust der Männer überkommen, oft schon habe sie beschlossen, sich jener für immer zu erwehren und ein schlichtes, ehrliches Leben zu beginnen. Aber sie fühle es schon, vergeblich sei da jede Gegenwehr, denn Sophia, die Stärke der Seele besitze und nicht wie sie der Schwäche des Fleisches anheimfalle, sie ahne ja nichts von der verführerischen Macht der Männer, der keine wissende Frau widerstehen könne. Ach, sie ahne nicht, sie, Sophia, die Glückliche, wie gewaltig der Andrang des Mannes sei, aber eben in dieser Gewalt wirke auch eine sonderbare Süße, der man sich wider das eigene Wollen willig ergeben müsse.
Sophia, höchlichst erstaunt von derart unverhofftem Bekenntnis, wie sie es niemals aus dem Munde ihrer geld- und lustfreudigen Schwester erwartet, raffte eiligst alle ihre Beredsamkeit an die Lippe. So habe auch Helena endlich ein Strahl des Göttlichen berührt, begann sie ihren Sermon, denn schon der Abscheu vor dem Sündhaften sei der rechten Erkenntnis Anbeginn. Doch Irrtum und Selbstverzagen befremde noch ihren Sinn, wenn sie behaupte, es sei nicht möglich, dank des gefestigten Willens den Anfechtungen des Fleisches zu obsiegen: der Wille zum Guten könne, wenn ehern im Herzen gehärtet, jede Versuchung besiegen, und dafür biete doch bei Heiden und Gläubigen die Geschichte Beispiele ohne Zahl. Doch Helena senkte nur wehmütig den Kopf. Ach ja, klagte sie, auch sie habe mit Bewunderung von dem heldischen Kampfe wider den Teufel der Sinnlichkeit gelesen. Doch den Männern habe Gott nicht nur stärkere Körperkraft, sondern auch einen härteren Geist verliehen und sie auserlesen zu siegreichen Kriegern im Gottesstreit. Niemals aber könne – und sie seufzte sehr, da sie dies letztere sagte – ein schwaches Weib den Tücken und Verführungen der Männer widerstehen, und zeitlebens habe sie niemals ein Beispiel gesehen, dass eine Frau, sobald man wider sie dringlich geworden, der Mannesliebe sich hätte erwehren können.
„Wie kannst du derlei sagen“, fauchte Sophia in ihrem unbändigen Hochmut herausgefordert. „Bin ich nicht selbst Beispiel dafür, dass ein entschlossener Wille sich wohl des hündischen Zudranges der Männer zu erwehren vermag? Von morgens bis abends umlagert mich die Rotte, bis ins Siechenhaus schleichen sie mir nach, und abends finde ich Briefe mit den abscheulichsten Lockungen auf meinem Lager. Und doch hat niemand gesehen, dass ich je nur einen Blick einem gewährt hätte, denn mich schirmt mein Wille gegen jede Versuchung. Unwahr ist also, was du sagst: sofern eine Frau wahrhaften Willens bleibt, vermag sie sich zu wehren, dessen bin ich selber ein Beispiel.“
„Ach, ich weiß es wohl, dass du allerdings bisher jeder Versuchung dich erwehren konntest“, heuchelte Helena, voll falscher Demut zur Schwester aufschielend, „aber dies vermagst du nur, weil du Glückliche geschützt bist durch dein Kleid und den strengen Dienst, den du auf dich genommen. Du bist umhütet von frommen Schwestern und in die schirmende Mauer der Gemeinschaft gebannt – du bist nicht allein, nicht wehrlos wie ich! Meine aber nicht darum, dass du deiner eigenen Kraft deine Lauterkeit dankst, denn ich bin sogar gewiss, Sophia, dass auch du, sofern du einmal einem Jüngling gegenüberstündest, ihm nicht Trotz bieten könntest und wolltest. Auch du würdest ihm so erliegen, wie wir alle ihm erlegen sind.“
„Niemals! Ich niemals!“ fuhr die Ehrgeizige ihr entgegen. „Ich mache mich anheischig, auch ohne den Schutz meines Kleides, jede Probe einzig kraft meines Willens zu bestehen.“
Genau dies aber war es, was Helena von Sophia hatte hören wollen. Schritt für Schritt die Hoffärtige näher heranlockend an die aufgerichtete Falle, ließ sie nicht ab, die Möglichkeit solchen Widerstandes zu bezweifeln, bis schließlich Sophia selber ungebärdig auf einer entscheidenden Prüfung bestand. Sie begehre diese Probe, ja sie fordere sie, damit die Schwachmütige endlich einmal erkennen möge, dass sie nicht fremdem Schütze, sondern innerer Kraft ihre Unberührtheit verdanke. Da schien Helena langwierig nachzudenken – und das Herz klopfte ihr vor böser Ungeduld im Leibe —, dann sagte sie endlich: „Höre, Sophia, vielleicht wäre dies die rechte Probe. Morgen abend erwarte ich Sylvander, den schönsten Jüngling des Landes, dem noch keine Frau widerstand und der doch mich vor allen begehrt. Achtundzwanzig Meilen kommt er geritten um meinetwegen und bringt sieben Pfund reinen Goldes sowie andere Geschenke einzig darum, mein Nachtgefährte zu sein. Doch käme er auch mit leeren Händen, ich würde ihn nicht von mir weisen, ja mit gleichem Gewicht von Gold sein Beilager erkaufen, denn schöner ist keiner als er und feinerer Art. Nun hat uns Gott so leibesähnlich geschaffen an Antlitz, Rede und Gestalt, dass, trügest du mein Kleid, dann keiner eine Täuschung mutmaßen würde. So erwarte du morgen Sylvander an meiner Statt in meinem Haus und teile mit ihm die Tafel. Begehrt er aber dann, mich vermeinend, deines Leibes, so verwehre dich mit allerlei Ausflüchten. Ich aber will im Nachbargemach warten und horchen, ob du vermagst, bis Mitternacht deine Sinne wider ihn zu verschließen. Aber nochmals, Schwester, ich warne dich; groß ist die Versuchung seiner Gegenwart und noch gefährlicher die Schwachheit unseres eigenen Herzens. Ich fürchte, Schwester, leicht könntest du, verwirrt von deiner Abgeschiedenheit, in unvermutete Versuchung fallen, darum beschwöre ich dich, lieber abzulassen von so verwegenem Spiel.“
Indem die Tückische dermaßen ihre Schwester gleichzeitig lockte und abmahnte, träufte derart glatte Rede nur öl in die brennende Flamme ihres Hochmuts. Wenn es nichts sei als solch eine kleine Probe, rühmte Sophia sich stolz, so wolle sie leichtlich bestehen, und nicht nur bis Mitternacht, sondern bis zum Morgengrauen vermesse sie sich, seines Zudranges Herrin zu bleiben – nur dies eine verlange sie, einen Dolch mit sich fuhren zu dürfen, falls der Freche wagen sollte, Gewalt zu versuchen.
Bei dieser stolzen Rede fiel Helena in die Knie vor ihrer Schwester, scheinbar bemeistert von Bewunderung, in Wirklichkeit aber, um die böse Freude zu bergen, die in ihren Augen glänzte, und sie kamen überein, dass am folgenden Abend Sophia, die Fromme, Sylvander empfangensolle; Helena hinwieder schwor, für immer von ihrem schlimmen Wandel zu lassen, falls ihrer Schwester die Abwehr gelänge. Eilends begab sich Sophia zu ihren Gefährtinnen, um die eigene Kraft an der jahrelang erprobten dieser herrlich weitabgewandten Frauen zu stärken, die nur fremdem Elend und Siechtum lebten. Sie pflegte mit doppelter Hingebung die Schwersten und Schwierigsten unter den Kranken, um an ihren gebrechlichen und zerstörten Leibern die Vergänglichkeit alles Irdischen zu empfinden; denn waren diese eingefallenen, morschen Gestalten nicht auch einmal Liebende gewesen und der Leidenschaft verschworen: was war geblieben – ein lebender Moder, eine mühsam nur atmende Hinfälligkeit.
Doch auch Helena blieb indes nicht müssig. Wohlbelehrt in den Künsten, die Eros, den launischen Gott, herbeirufen und den gerufenen zurückhalten, ließ sie zunächst von ihrem kalabrischen Küchenmeister Gerichte sonderlichster Art bereiten, gefährlich durchwürzt mit allen Inzitantien der Wollust. In die Pastete ließ sie Biberbrunst mischen, Geilkraut und kantharidisches Pfefferwerk, den Wein aber durchdunkelte sie mit Bilse und schweren Krautern, die blaue Müdigkeit vorzeit auf die Sinne legen. Zudem bestellte sie Musik, damit auch dieser Erzkuppler nicht fehle, der sich einschleicht wie lauer Wind in die sehnsüchtig geöffnete Seele. Schmeichlerische Flötenspieler und hitzige Zimbelschläger hieß sie im Nebenzimmer sich bergen, unsichtbar dem Blick und darum noch gefährlicher für das ahnungslos schwärmende Gefühl. Nachdem sie derart vorsorglich den Ofen des Teufels geheizt, wartete sie voll Ungeduld des Wettkampfes, und als dann abends Sophia, die Hoffärtig-Fromme, erschien, blass vom Wachen und erregt von der Nähe selbstbeschworener Gefahr, umfing sie an der Hausschwelle schon eine drängende Schar junger Dienerinnen, die sogleich die Erstaunte hingeleiteten zu einem mit duftenden Krautern durchwürzten Bade. Dort nahmen sie der Errötenden die grau alltägliche Kutte von dem jungen Leib und rieben ihr Arme, Schenkel und Rücken mit zerknitterten Blüten und scharfduftenden Salben so zärtlich und hart, dass sie ihr Blut durch die Poren sprickelnd vorfahren fühlte. Bald strömte kühlrieselndes Wasser, bald warmglühende Welle über ihre schauernde Haut; dann glätteten fliegende Hände mit weichem Narzissenöl den gehitzten Leib, kneteten ihn sanft und rieben den erstrahlenden derart feurig mit knisternden Katzenfellen, dass die Funken blau von den Spitzen der Haare sprangen: kurz, sie rüsteten die Fromme, ohne dass sie Widerstand zu leisten wagte, genau wie sie Helena allabendlich rüsteten zum Liebesspiele. Dazwischen atmeten zag und drängend die Flöten, und von den Wänden duftete mit tropfigem Wachs die brennende Sandel der Fackeln. Als endlich Sophia, sehr verwirrt von diesem fremden Gehaben, auf dem Ruhebett sich hinlöste und die metallenen Spiegel ihr Antlitz zurückwarfen, schien sie sich selber fremd und doch schön wie nie. Sie spürte ihren Körper leicht und als eine lebendige Lust und schämte sich wiederum sehr, dies Wohlige so wohlig zu fühlen. Doch nicht lange ließ ihre Schwester ihr Zeit zu solchem Zwiespalt des Gefühls. Zart wie eine Katze kam sie heran und umschmeichelte der Schwester Schönheit mit glitzernden Worten, bis jene ihr verwirrt und barsch dies verwies. Noch einmal umarmten einander heuchlerisch die Schwestern, zitternd die eine vor Unruhe und Angst, zitternd die andere vor Ungeduld und böser Begier. Dann ließ Helena die Lichter entzünden und verschwand wie ein Schatten in den Nebenraum, das kühn ersonnene Schauspiel zu belauschen.
Nun hatte die Buhlerin längst Sylvander Botschaft zugesandt, welch sonderbares Abenteuer seiner warte, und ihn mit vieler Dringlichkeit angewiesen, durch zurückhaltende Art und große Züchtigkeit die Hochmütige zunächst unvorsichtig und sorglos zu machen. Und als Sylvander, neugierig und eitel, in so eigenartigem Wettkampf zu siegen, endlich eintrat und Sophia unwillkürlich mit der Linken nach dem Dolche tastete, den sie zum Schutz gegen Gewalt mitgenommen, war sie verwundert, mit wie ehrerbietiger Höflichkeit dieser vermeintlich freche Buhler ihr entgegentrat. Denn weder versuchte er – wohl unterrichtet von der Schwester – die ängstlich Atmende in die Arme zu ziehen, noch grüßte er sie mit vertraulicher Anrede, sondern zartdemütig bog er vorerst das Knie. Dann nahm er von dem zurückweichenden Diener eine goldene Kette schwersten Gewichtes sowie ein purpurnes Obergewand aus provenzalischer Seide und bat artig, das Gewand ihr anlegen und die Kette ihren Schultern umstreifen zu dürfen. So viel Anstand konnte Sophia nicht anders erwidern, denn ihm zu willfahren; reglos ließ sie sich die Kette umlegen und das reiche Gewand, nicht ohne zu fühlen, wie schmeichlerisch leicht seine heißen Finger zugleich mit der kühlen Kette längs ihres Nackens hinglitten. Doch da Sylvander weiterhin nichts Verwegenes unternahm, wurde Sophia keine Gelegenheit zu voreiligem Zürnen geboten. Statt dringlich zu werden, verbeugte sich der Heuchlerische abermals und sagte im Tone äußerster Beschämung, er fühle sich unwürdig, die Tafel mit ihr zu teilen, denn noch hafte der Staub der Straße auf seinem Gewände, und sie möge ihm gestatten, sich vorerst Haar und Leib zu säubern. Verlegen rief Sophia die Dienerinnen und hieß sie Sylvander in den Baderaum führen. Doch die Mägde, einem geheimen Befehle ihrer Herrin Helena gehorchend und mit Absicht Sophias Worte missverstehend, schälten hurtig dem Jüngling die Kleider ab, so dass er nackt und schön vor ihr enthüllt wurde, ähnlich jenem Bildnis des heidnischen Apoll, das vordem auf dem Marktplatz gestanden und das der Bischof in Stücke hatte schlagen lassen. Dann erst salbten sie ihn mit Öl, badeten ihm die Füße mit warmem Geström; ohne sich zu beeilen, flochten sie dem lächelnd Nackten Rosen ins Haar, bevor sie ihm endlich ein neues schimmerndes Gewand überwarfen. Und nun er neu geschmückt ihr entgegentrat, schien er noch schöner als vordem. Kaum aber bemerkend, dass sie seiner besonderen Anmut gewahr wurde, zürnte sie schon den eigenen Augen und vergewisserte sich rasch, dass griffnah der rettende Dolch in ihrem Kleide verborgen sei. Doch kein Anlass bot sich, ihn zu fassen, denn nicht anders als die gelehrten Magister im Siechenhause unterhielt sie in höflich bewahrter Distanz der schöne Jüngling mit freundlich belangloser Rede, und noch immer wollte – mehr schon zu ihrem Verdruss als zu ihrer Freude – keine Gelegenheit sich bieten, vor der nebenan lauschenden Schwester mit dem Beispiel weiblicher Standhaftigkeit zu prunken. Denn um Tugend zu verteidigen, ist bekanntlich nötig, dass sie vorerst bestürmt werde. Dieser Sturm der Leidenschaft aber wollte bei Sylvander sich durchaus nicht regen, nur ein kärglich blasses Windchen von Höflichkeit überkräuselte matten Atems sein Gespräch, und die Flöten, die allmählich vom Nebengemach her ihre dringlichen Stimmen erhoben, sprachen zärtlicher als dieses Knaben roter und sonst wohl begehrlicher Mund. Ununterbrochen erzählte er nur von Wettkämpfen und Kriegsfahrten, nicht anders, als ob er im Kreise männlicher Tafelgenossen säße, und seine Gleichgültigkeit war so meisterlich gespielt, dass sie Sophia vollkommen sorglos machte. Ohne Bedenken genoß sie die gefährlich gewürzten Speisen und den heimlich einlullenden Wein. Ja, ungeduldig und allmählich ärgerlich, dass dieser Kühle nicht die geringste Veranlassung bot, die Hartnäckigkeit ihrer Tugend zu beweisen und sich vor ihrer Schwester mit schönem Unmut zu bewähren, begann sie schließlich selber die Gefahr herauszufordern. Von ungefähr fand sie ein Lachen in der Kehle, ihr selber fremd, eine muntere Lust, auszufahren und sich zurückzuwerfen in heiterem Übermut, aber sie zähmte sich nicht und schämte sich nicht, war doch Mitternacht nicht mehr ferne, der Dolch nah ihrer Hand und dieser vorgeblich so hitzige Jüngling kälter als jenes Messers eiserne Schneide. Näher und näher rückte sie ihm zu, damit endlich ihre Tugend Gelegenheit fände zu glorreicher Verteidigung, und unwillentlich entfaltete die Eitle aus der ehrgeizigen Lust, ihre Festigkeit zu erweisen, genau dieselben Künste der Verlockung, die sonst ihre buhlerische Schwester um allzu irdischen Lohn ausübte.