Vielleicht lag April gar nicht so falsch, dachte Riley. Zumindest was sie und die anderen beiden Kinder betraf. Dennoch war sie froh, dass die FBI Agenten vor dem Haus stationiert waren.
April zuckte mit den Schultern und sagte, „Das Leben geht weiter. Wir müssen alle dort weitermachen, wo wir aufgehört haben.”
Jilly sagte, „Das gilt auch für dich, Mama. Es ist gut, dass du früher nach hause gekommen bist. So hast du reichlich Zeit, dich für heute Abend fertig zu machen.”
Für eine Sekunde konnte sich Riley nicht erinnern, was Jilly meinte.
Dann kehrte die Erinnerung zurück—heute Abend hatte sie eine Verabredung mit ihrem attraktiven ehemaligen Nachbarn, Blaine Hildreth. Blaine gehörte eines der schönsten ungezwungenen Restaurants von Fredericksburg. Der Plan war, dass er vorbeikäme, Riley abholte und sie zu einem wunderbaren Abendessen einlud.
April sprang auf die Füße.
„Hey, das stimmt!” sagte sie. „Komm schon, Mama. Lass uns hoch gehen, dann helfe ich dir, etwas zum Anziehen auszusuchen.”
*
Später am Abend saß Riley auf der kerzenerleuchteten Veranda von Blaines Restaurant, genoß das wundervolle Wetter, exzellente Essen und die charmante Begleitung. Ihr gegenüber am Tisch sitzend machte Blaine wie immer eine gute Figur. Er war nur wenig jünger als Riley, schlank und fit, mit einem leicht rückläufigen Haaransatz über den er sich keine Gedanken zu machen schien
Riley fand zudem, dass man sich sehr gut mit ihm unterhalten konnte. Während die eine vorzügliche Hühnchen-Rosmarin Pasta zum Abendessen aßen, unterhielten sie sich über die neusten Vorkommnisse, Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, Reisen und alles, was in Fredericksburg sonst noch so los war.
Riley war erfreut, dass das Thema nicht einmal auf ihre Arbeit am BAU kam. Sie war nicht in der Stimmung, auch nur daran zu denken. Blaine schien dies zu spüren, und das Thema zu vermeiden. Was Riley besonders an ihm mochte, war wie sensibel er auf ihre Stimmung einging.
Tatsächlich gab es wenig, das Riley an Blaine nicht gefiel. Es stimmte, vor einiger Zeit hatten sie eine kleine Auseinandersetzung gehabt. Blaine hatte versucht, Riley mit einer Freundin eifersüchtig zu machen, und es war ihm ein bisschen zu gut gelungen. Jetzt konnten sie beide darüber lachen, wie kindisch sie sich verhalten hatten.
Vielleicht lag es auch am Wein, doch Riley fühlte sich warm und entspannt. Blaine war angenehme Begleitung—frisch geschieden, wie Riley, und drauf bedacht, sein Leben weiterzuleben, auch wenn er nicht ganz wusste, wie.
Endlich kam der Nachtisch—Rileys Lieblingssüßspeise, Himbeer-Cheesecake. Sie musste lächeln, als sie sich daran erinnerte, wie April Blaine vor einer früheren Verabredung heimlich angerufen hatte, um ihn auf Dinge hinzuweisen, die sie mochte, wie Himbeer-Cheesecake und ihr Lieblingslied—„One More Night” von Phil Collins.
Während sie den Cheesecake genoß, sprach Riley von ihren Kindern, vor allem darüber, wie Liam sich eingewöhnte.
„Zuerst habe ich mir etwas Sorgen gemacht”, gab sie zu. “Doch er ist ein furchtbar guter Junge, und wir alle lieben es, wenn er zuhause ist.”
Riley hielt einen Moment inne. Es war ein angenehmer Luxus, mit jemandem über ihre häuslichen Zweifel und Sorgen reden zu können. „Blaine, ich weiß nicht, was ich auf Dauer mit Liam anfangen soll. Ich kann ihn einfach nicht zu diesem versoffenen Kerl von einem Vater zurückschicken und nur Gott weiß, was aus seiner Mutter geworden ist. Doch ich wüsste nicht, wie ich ihn offiziell adoptieren könnte. Jilly aufzunehmen war bisher sehr kompliziert, und es ist nicht nichts in trockenen Tüchern. Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal durchstehe.”
Blaine lächelte sie voller Zuneigung an.
„Lass die Dinge auf dich zukommen, würde ich sagen,” schlug er vor. „Und was auch immer du tust, für ihn wird es das Beste sein.”
Riley schüttelte traurig ihren Kopf.
„Ich wünschte, ich wäre mir da so sicher”, sagte sie.
Blaine griff über den Tisch nach ihrer Hand.
„Also, ich gebe dir mein Wort”, sagte er. „Was du bisher für Liam und Jilly getan hast, war wunderbar und großzügig. Dafür bewundere ich dich sehr.”
Riley fühlte einen Klos in ihrer Kehle. Wie oft sagte ihr schon jemand so etwas? Sie war schon oft für ihre Arbeit am BAU gelobt worden und hatte kürzlich eine Auszeichnung für ihre Ausdauer gewonnen. Doch war sie es nicht gewohnt, für ihre Menschlichkeit gelobt zu werden. Sie wusste kaum, wie sie damit umgehen sollte.
Dann sagte Blaine, „Du bist eine tolle Frau, Riley Paige.”
Riley fühlte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie lachte nervös und wischte sie weg.
„Oh, schau, was du angerichtet hast”, sagte sie. „Wegen dir weine ich.”
Blaine zuckte mit den Schultern und sein Lächeln wurde noch breiter.
„Verzeih mir. Ich versuche bloß, brutal ehrlich zu sein. Die Wahrheit tut manchmal weh, denke ich.”
Für ein paar Minuten lachten sie gemeinsam.
Schließlich sagte Riley, „Ich habe mich noch gar nicht nach deiner Tochter erkundigt. Wie geht es Crystal?”
Blaine schaute mit einem wehmütigen Lächeln zur Seite.
„Crystal geht es sehr gut—gute Noten, zufrieden und fröhlich. Sie ist über die Frühjahrsferien mit ihren Cousinen und meiner Schwester an den Strand gefahren.”
Blaine seufzte ein wenig. „Sie ist erst ein paar Tage weg, es ist unglaublich, wie schnell ich sie vermisse.”
Es war alles, was Riley tun konnte, um nicht erneut zu weinen. Sie hatte immer gewusst, dass Blaine ein wundervoller Vater war. Wie es wohl wäre, in einer festen Beziehung mit ihm zu leben?
Vorsicht, beschwichtigte sie sich. Lass es uns langsam angehen.
In der Zwischenzeit hatte sie ihren Himbeer-Cheesecake fast aufgegessen.
„Danke, Blaine”, sagte sie. „Ich hatte so einen schönen Abend.”
Sie schaute ihm in die Augen und fügte hinzu, „Es ist schade, dass er vorbeigeht.”
Blaine drückte ihre Hand und schaute ihr ebenfalls tief in die Augen.
„Wer sagt denn, dass er enden muss?” fragte er.
Riley lächelte. Sie wusste, ihr Lächeln genügte, seine Frage zu beantworten.
Warum hätte der Abend hier auch enden sollen? Das FBI bewachte ihre Familie und kein neuer Mörder beanspruchte ihre Aufmerksamkeit.
Vielleicht war es an der Zeit, dass sie sich amüsierte.
KAPITEL FÜNF
George Tully gefiel die Beschaffenheit eines Fleckchens Erde hinten bei der Straße nicht. Wieso wusste er selbst nicht so genau.
Es gibt keinen Grund zur Sorge, sagte er zu sich selbst. Das Morgenlicht speilte ihm wahrscheinlich bloß einen Streich.
Er sog die frische Luft tief ein. Dann griff er nach unten und hob eine Handvoll loser Erde auf. Wie immer fühlte sie sich weich und kostbar an. Außerdem roch sie gut, reich an Nährstoffen von vergangenen Maisernten—Schalen und Ähren, die zurück in den Boden gepflügt wurden.
Guter alter schwarzer Iowa Dreck, dachte er, während einige Klumpen davon zwischen seinen Fingern zerbröselnd zur Erde fielen.
Seit vielen Jahren befand sich dieses Land im Besitz von Georges Familie, er kannte diese feine Erde folglich schon sin ganzes Leben. Doch wurde er ihrer nie müde, und sein Stolz, das fruchtbarste Land der Welt zu bewirtschaften, verging nie.
Er schaute auf und überblickte die Felder, die so weit reichten, wie er sah. Die Erde war vor ein paar Tagen gepflügt worden. Sie war bereit und wartete darauf, dass die von lilanem Insektenschutzmittel bestäubten Maiskörner dort platziert würden, wo bald die neuen Pflanzen aus dem Boden schießen würden.
Er hatte bis heute mit dem Pflanzen gewartet, um mit dem Wetter auf der sicheren Seite zu sein. Natürlich konnte man nie sicher sein, dass es auch so spät im Jahr keinen Frost mehr geben würde, der die Ernte ruinierte. Er erinnerte sich an einen verrückten Schneesturm im April damals in den 70ern, der seinen Vater überrascht hatte. Doch als George einen warmen Windhauch spürte und zu einigen hohen Wolken aufblickte, die über den Himmel strichen, fühlte er sich so zuversichtlich, wie er hoffen konnte.
Heute ist der Tag, dachte er.
Als George dort stand und schaute, kam sein Feldarbeiter Duke Russo in einem Traktor angefahren, der eine vierzig Fuß lange Pflanzmaschine hinter sich herzog. Die Maschine würde sechzehn Reihen gleichzeitig säen, jeweils dreißig Zoll voneinander entfernt und ein Korn nach dem anderen, Dünger auf jede Saat schütten, sie überdecken und weiter rollen.
Georges Söhne, Roland und Jasper, hatten im Feld auf die Ankunft des Traktors gewartet und liefen jetzt auf ihn zu, da er die eine Seite des Feldes entlang rumpelte. George lächelte in sich hinein. Duke und die Jungs waren ein gutes Team. Es gab keinen Grund, dass George für den Saatvorgang da bleib. Er winkte den drei Männern zu und drehte sich um, um zu seinem Wagen zurückzulaufen.
Doch dieses seltsame Fleckchen Erde neben der Straße zog erneut seine Aufmerksamkeit auf sich. Was war da los? Hatte die Pinne den Fleck ausgelassen? Er konnte sich nicht vorstellen, wie das hätte passiert sein sollen.
Vielleicht hatte ein Murmeltier dort gegraben.
Doch als er auf die Stelle zulief, konnte er sehen, dass das kein Murmeltier gewesen war. Es gab keine Öffnung und die Erde war glattgestrichen.
Es sah aus, als läge dort etwas begraben.
George knurrte leise.Vandalen und Witzbolde machten ihm manchmal Ärger. Einige Jahre zuvor hatten einige Jungs aus der Nähe von Angier einen Traktor gestohlen und damit einen Lagerschuppen zerstört. Neulich hatten andere Obszönitäten an Zäune, Wände und sogar Vieh gesprüht. Es war zum aus der Haut fahren—und schmerzhaft.
George hatte keine Ahnung warum diese Jugendlichen hierher kamen, um ihm Ärger zu bereiten. So weit er wusste, hatte er ihnen doch nichts getan. Er hatte die Vorfälle Joe Sinard, dem Polizeichef von Angier, gemeldet, doch es war bislang nie etwas passiert.
„Was haben diese Bastarde dieses Mal angestellt?” sagte er laut und klopfte mit dem Fuß gegen die Erde.
Er dachte sich, es sie besser, es herauszufinden. Was auch immer hier vergraben war, könnte seine Maschinen kaputt machen..
Er drehte sich zu seinen Leuten um und wies Duke mit einem Winken an, den Traktor zu stoppen. Als der Motor ausging, schrie George zu seinen Söhnen hinüber.
„Jasper, Roland—holt mir den Spaten aus der Traktorkabine.”
„Was ist los, Paps?” rief Jasper zurück.
„Keine Ahnung. Mach einfach.”
Einen Moment später, liefen Duke und die Jungs auf ihn zu. Jasper gab seinem Vater den Spaten.
Während die Gruppe neugierig zusah, stocherte George mit seinem Spaten auf dem Boden herum. Als er das tat, traf ein seltsamer, saurer Geruch seine Nasenlöcher. Er fühlte wie ihn eine düster Ahnung überkam.
Was zur Hölle liegt da unten?
Er schaufelte noch ein paar Ladungen Dreck hervor, bis er auf etwas Festes, aber weiches, traf. Er schaufelte nun vorsichtiger, und versuchte freizulegen, was auch immer dort lag. Bald wurde etwas Blasses sichtbar.
George brauchte einen Moment, bis er erkannte, was es war.
„Oh mein Gott!” er schluckte und vor Entsetzen drehte sich ihm der Magen um.
Es war eine Hand—die Hand eines jungen Mädchens.
KAPITEL SECHS
Am nächsten Morgen schaute Riley zu, als Blaine ein Frühstück mit Eggs Benedict, frisch gepresstem Orangensaft und starkem, dunklen Kaffee zubereitete. Sie stellte im Stillen fest, dass leidenschaftliche Liebesspiele nicht für Exmänner reserviert waren. Und sie bemerkte, dass es neu für sie war, gemütlich neben einem Mann aufzuwachen.
Sie war dankbar für diesen Morgen, insbesondere auch gegenüber Gabriela, die ihr versichert hatte, dass sie sich um alles kümmern würde, als Riley sie gestern Abend angerufen hatte. Dennoch konnte sie nicht anders, als sich zu fragen, ob eine Beziehung bei all den Komplikationen in ihrem Leben überleben konnte.
Riley beschloss die Frage zu ignorieren und sich stattdessen auf ihr köstliches Mahl zu konzentrieren. Doch als sie aßen, vermerkte sie bald, dass Blaines Gedanken ganz woanders zu sein schienen.
„Was ist los?” fragte sie ihn.
Blaine antwortete nicht. Seine Augen wanderten Unruhen umher.
Sie fühlte, wie die Sorge sie überkam. Wo lag das Problem?
Bereute er die gestrige Nacht? War er weniger zufrieden damit, als sie?
„Blaine, was ist los?” fragte Riley mit leicht zittriger Stimme.
Nach einer Pause sagte Blaine, „Riley, ich fühle mich einfach nicht … sicher.”
Riley versuchte vergeblich, Blaines Worten einen Sinn zu geben. Waren all die Wärme und Zuneigung, die seit ihrer Verabredung gestern Abend geteilt hatten, plötzlich verschwunden? Was war zwischen ihnen passiert, das alles verändert hatte?
„Ich—Ich verstehe nicht”, stammelte sie. „Was meinst du mit, du fühlst dich nicht sicher?”
Blaine zögerte und sagte dann, „Ich glaube, ich sollte eine Pistole kaufen. Um mich zu hause schützen zu können.”
Seine Worte schreckten Riley auf. Damit hatte sie nicht gerechnet.
Vielleicht hätte ich damit rechnen müssen, dachte sie.
Sie saß ihm am Tisch gegenüber und konnte eine Narbe auf seiner Wange erkennen. Die narbe hatte er sich letzten November bei Riley zuhause zugezogen, als er versucht hatte, April und Gabriela vor einem nach Rache sinnenden Angreifer zu schützen.
Riley erinnerte sich an die schrecklichen Schuldgefühle, die sie überkommen hatten, als sie Blaine danach bewusstlos in einem Krankenhausbett liegen sah.
Und jetzt fühlte sie diese Schuld erneut.
Würde sich Blaine jemals sicher fühlen, solange Riley ein Teil seines Lebens war? Würde er jemals das Gefühl haben, dass seine Tochter in Sicherheit sei?
Und war eine Pistole wirklich was er brauchte, um sich sicherer zu fühlen?
Riley schüttelte ihren Kopf.
„Ich weiß nicht, Blaine”, sagte sie. „Ich bin kein großer Fan davon, dass Zivilisten Waffen zuhause aufbewahren.”
Sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, realisierte Riley, wie herablassend sie klangen.
Aus Blaines Gesichtsausdruck konnte sie nicht lesen, ob er beleidigt war oder nicht. Er schien darauf zu warten, dass sie weiter redete.
Riley schlürfte ihren Kaffee und sammelte ihre Gedanken.
Dann sagte sie: „Wusstest du, dass, statistisch gesehen, privater Waffenbesitz häufiger zu Tötungsdelikten, Suiziden und tödlichen Unfällen führt, als ein einfaches, jedoch funktionierendes Sicherheitssytem vor dem Haus. Um Genua zu sein haben Waffenbesitzer ganz allgemein ein höheres Risiko, Opfer von Tötungsdelikten zu werden, als Leute, die keine Waffen besitzen.”
Blaine nickte.
„Ja, das weiß ich alles”, sagte er. „Ich habe mich entsprechend informiert. Ich kenne mich auch mit Virginias Gesetzt zur Selbstverteidigung aus. Ebenfalls weiß ich, dass man hier in der Öffentlichkeit Waffen tragen darf.”
Riley neigte zustimmend ihren Kopf.
„Naja, du bist jetzt schon besser vorbereitet, als die meisten Menschen, die eine Pistole kaufen wollen. Dennoch …”
Ihre Worte verstummten. Sie zögerte, ihre Gedanken auszusprechen.
„Was ist los?” fragte Blaine.
Riley atmete lange und tief ein.
„Blaine, würdest du eine Waffe kaufen wollen, wenn ich nicht in deinem Leben wäre?”
„Oh, Riley—”
„Sag mir die Wahrheit. Bitte.”
Blaine saß für einen Moment einfach nur da und starrte in seinen Kaffee.
„Nein, würde ich nicht”, sagte er schließlich.
Riley griff über den Tisch und nahm Blaines Hand.
„Das dachte ich mir. Ich denke du verstehst, wie ich mach deswegen fühle. Du bedeutest mir sehr viel, Blaine. Es ist furchtbar, zu wissen, dass dein Leben meinetwegen gefährlich geworden ist.”
„Das verstehe ich”, sagte Blaine. „Doch jetzt möchte ich, dass du mir die Wahrheit über etwas sagst. Und, bitte versteh das nicht falsch.”