Wahrscheinlich nichts, dachte sie. Menschen führen ihre Scheckbücher unterschiedlich, das ist alles.
Trotzdem lohnt es sich, sich das anzuschauen.
Während sie an die Abkürzungen dachte, die sie im Sterlings Scheckbuch gesehen hatte, fuhr Mackenzie fort. Als sie ihren Mund öffnete, um zu sprechen, hörte sie Harrisons Handy in seiner Tasche vibrieren. Er überprüfte es schnell und ignorierte dann den Anruf. “Tut mir leid”, sagte er.
Sie ignorierte die Störung und fragte: “Wissen Sie, ob Julie oder Josh in irgendeiner Art von Organisation oder vielleicht Klubs oder Sportzentren involviert sind? Die Art von Ort, wo man regelmäßig Gebühren zahlt?”
Julie dachte einen Moment darüber nach und schüttelte ihren Kopf. “Nicht dass ich wüsste. Wie ich sagte … sie haben nicht wirklich viel Geld ausgegeben. Die einzige monatliche Ausgabe von der ich weiß, war ihr Spotify Konto und das kostet nur zehn Dollar.”
“Und wurden Sie schon von Jemanden kontaktiert, von einem Anwalt oder so darüber was mit ihren Finanzen passiert?”, fragte Mackenzie. “Es tut mir leid zu fragen, aber das könnte dringend sein.”
“Nein, noch nicht”, sagte sie. “Sie waren so jung. Ich weiß nicht einmal, ob sie ein Testament gemacht haben. Mist … Ich denke, das kommt alles auf mich zu, oder?”
Mackenzie stand auf, unfähig die Frage zu beantworten. “Danke, dass Sie mit uns gesprochen haben, Sara. Bitte, wenn Ihnen noch etwas einfällt, hinsichtlich der Fragen, die ich Ihnen gestellt habe, würde ich einen Anruf zu schätzen wissen.”
Damit überreichte sie Sara eine Visitenkarte. Sara nahm sie und steckte sie weg während sie sie zur Tür brachte. Sie war nicht unhöflich, aber es war klar, dass sie sie so schnell wie möglich los werden wollte.
Als die Türen sich hinter ihnen geschlossen hatten, fand Mackenzie sich selbst auf Sara’s Veranda mit Harrison wieder. Sie überlegte ihn dafür zu rügen, dass er Sara so schnell wissen lassen hatte, dass es mehr als einen Mord gab, der mit dem Mord ihrer Schwester in Verbindung gebracht werden konnte. Aber es war ein ehrlicher Fehler, einer den sie ein oder zweimal gemacht hatte, als sie begonnen hatte. Also sagte sie nichts.
“Kann ich dich was fragen?”, fragte Harrison.
“Klar”, sagte Mackenzie.
“Warum bist du so fixiert auf ihre Finanzen? Hat es etwas damit zu tun, was du bei den Sterlings gesehen hast?”
“Ja. Es ist nur ein Hinweis bis jetzt, aber einige der Überweisungen waren –“
Harrisons Handy vibrierte wieder. Er nahm es mit einem peinlich berührten Blick auf seinem Gesicht aus seiner Tasche. Er schaute auf das Display, ignorierte es beinahe, aber hielt es dann in der Hand, während sie zum Auto gingen.
“Tut mir leid, ich muss da rangehen”, sagte er. “Es ist meine Schwester. Sie hat schon angerufen während wir drinnen waren, was merkwürdig ist.”
Mackenzie achtete nicht auf ihn, während sie ins Auto stiegen. Sie hörte kaum zu, was Harrison in dem Gespräch sagte. Als sie das Auto auf die Straße lenkte, konnte sie jedoch schon an seinem Ton erkennen, dass etwas nicht in Ordnung war.
Als er den Anruf beendete, lag ein schockierter Ausdruck auf seinem Gesicht. Seine Unterlippe war nach unten gezogen, es sah wie etwas zwischen einer Grimasse und ein Stirnrunzeln aus.
“Harrison?”
“Meine Mutter ist heute Morgen gestorben”, sagte er.
“Oh mein Gott”, sagte Mackenzie.
“Herzinfarkt … einfach so. Sie ist –“
Mackenzie sah, dass er darum kämpfte, nicht in Tränen auszubrechen. Er drehte sich von ihr weg und schaute aus dem Fenster und heulte los.
“Es tut mir so leid, Harrison”, sagte sie. “Lass uns dich nach Hause bringen. Ich suche sofort einen Flug. Brauchst du sonst noch etwas?”
Er schüttelte nur kurz den Kopf, schaute immer noch aus dem Fenster, während er ein wenig offener weinte.
Mackenzie rief zuerst in Quantico an. Sie konnte McGrath nicht ans Telefon bekommen, also hinterließ sie eine Nachricht bei seiner Sekretärin, erzählte ihr was passiert war, und das Harrison den nächsten Flug nach DC nehmen würde. Dann rief sie die Fluggesellschaft an und buchte den ersten möglichen Flug, der in dreieinhalb Stunden ging.
Sobald der Flug gebucht war und sie den Anruf beendet hatte, klingelte ihr Handy. Sie warf Harrison einen aufmunternden Blick zu und beantwortete den Anruf. Es fühlte sich schrecklich an zurück zur Arbeit zu gehen, geistlich, nach Harrisons Nachrichten, aber sie hatte einen Job zu erledigen – und es gab immer noch keine zuverlässigen Spuren.
“Agentin White”, sagte sie.
“Agentin White hier ist Beamtin Dagney. Ich dachte, Sie wollten vielleicht wissen, dass wir eine potenzielle Spur haben.”
“Potenziell?”, fragte sie.
“Naja, er passt auf jeden Fall ins Profil. Es ist ein Mann, der mehrere Einbrüche begangen hat, zwei von denen enthielten Gewalt und sexuelle Übergriffe.”
“In derselben Gegend wie von den Kurtzes und den Sterlings?”
“Da wird es interessant,” sagte Dagney. “Einer der Fälle, die einen sexuellen Übergriff beinhalteten, geschah in der selben Stadthäusergruppe in der die Kurtzes wohnten.”
“Haben wir eine Adresse von dem Mann?”
“Ja. Er arbeitet in einer Werkstatt. Einer Kleinen. Und wir haben die Bestätigung, dass er dort auch jetzt ist. Sein Name ist Mike Nell.”
“Schicken Sie mir die Adresse und ich spreche mit ihm. Gibt es schon etwas wegen den Finanzberichten, die Harrison angefordert hat?”, fragte Mackenzie.
“Noch nicht. Es arbeiten aber einige Leute daran. Sollte nicht zu lange dauern.”
Mackenzie beendete das Gespräch und gab ihr bestes, Harrison seinen Moment der Trauer zu geben. Er weinte nicht länger, aber musste sich redlich Mühe geben, nicht zusammenzubrechen.
“Danke”, sagte Harrison und wischte eine Tränenspur von seinem Gesicht.
“Für was?”, fragte Mackenzie.
Er zuckte die Schultern. “Dafür, dass du McGrath und den Flughafen angerufen hast. Tut mir leid, dass das jetzt solche Umstände inmitten eines Falles macht.”
“Das ist es nicht”, sagte sie. “Harrison, es tut mir sehr leid für deinen Verlust.”
Anschließend wurde es still im Auto, und ob es ihr gefiel oder nicht, Mackenzies Gedanken gingen zurück in den Arbeitsmodus. Da war ein Mörder da draußen, der anscheinend eine merkwürdige Rache an glücklichen Paaren ausübte. Und er wartete vielleicht jede Sekunde auf sie.
Mackenzie konnte es kaum erwarten, ihn zu erwischen.
KAPITEL SIEBEN
Harrison am Motel abzusetzen war bittersüß. Sie wünschte sich, sie könnte mehr für ihn tun, zumindest ein paar mehr tröstende Worte liefern. Am Ende gab sie ihm ein halbherziges Winken, als er in sein Zimmer ging und seine Sachen packte und sich ein Taxi rief, dass ihm zum Flughafen bringen sollte.
Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, kopierte Mackenzie die Adresse die Dagney ihr geschickt hatte, in ihr GPS. Die Lipton Auto Garage war genau siebzehn Minuten vom Motel entfernt, eine Entfernung, die sie sofort begann abzufahren.
Alleine im Auto zu sein fühlte sich komisch an, aber sie lenkte sich selbst mit der Miami Landschaft ab. Es war anders, als die anderen Strand Städte, in denen sie je gewesen war. Wo kleinere Städte am Strand ein wenig sandig und schon fast verblasst schienen, schien in Miami alles zu glänzen und zu glitzern, trotz des nahen Strands und Salz, das vom Ozean spritzte. Hier und da konnte sie ein Gebäude sehen, das nicht hier herzugehören schien, vernachlässigt und verlassen - eine Erinnerung daran, dass alles seine Schandflecken hatte.
Sie kam eher als erwartet an der Werkstatt an, sie musste abgelenkt gewesen sein, von den Anblicken der Stadt. Sie parkte auf einem Parkplatz, der voll mit kaputten Autos und Lkws war, die offensichtlich da waren, um für Ersatzteile geplündert zu werden. Es sah aus wie die Art von Betrieb, der sich für immer in einem Status des Fast Bankrottes befand.
Ehe sie reinging, verschaffte sie sich einen kurzen Überblick über den Ort. Es gab ein heruntergekommenes Büro, das im Moment unbesetzt war. Die benachbarte Garage enthielt drei Buchten, nur eine davon enthielt ein Auto. Es stand auf der Hebebühne, aber es sah nicht so aus, als wenn daran gearbeitet wurde. In der Werkstatt wühlte ein Mann in einem regalförmigen Werkzeugkasten. Ein weiterer Mann befand sich im Hintergrund der Werkstatt auf einer kleinen Leiter und durchwühlte eine Reihe von alten Kartons.
Mackenzie ging zu dem Mann, der ihr am nächsten war, derjenige, der die Werkzeugkiste durchsuchte. Er war wohl fast vierzig, mit langem, fettigem Haar, das auf seine Schultern fiel. Die Stoppeln auf seinem Gesicht konnte man nicht wirklich einen Bart nennen. Als er hochblickte und sie bemerkte, lächelte er breit.
“Hey, Süße”, sagte er mit einem kleinen südlichen Akzent. “Wie kann ich dir weiterhelfen?”
Mackenzie zog ihr Abzeichen. “Zuerst, hören Sie mal auf mich Süße zu nennen. Dann können Sie mir sagen, ob Sie Mike Nell sind.”
“Ja, das bin ich”, sagte er. Er starrte mit ein wenig Angst auf ihr Abzeichen. Er schaute dann wieder auf ihr Gesicht, als wenn er versuchte herauszufinden, ob das eine Art Scherz war.
“Herr Nell, ich würde gerne –“
Er wirbelte schnell herum und schubste sie. Hart. Sie taumelte zurück und ihr Fuß streifte einen Reifen, der auf dem Boden lag. Als sie das Gleichgewicht verlor und nach hinten fiel, sah sie noch, wie Nell weglief. Er verließ die Werkstatt, rannte und schaute über seine Schulter.
Das ist schnell eskaliert, dachte sie. Er ist garantiert schuldig wegen irgendwas.
Ihr Instinkt wollte nach der Waffe greifen. Aber das würde Aufsehen erregen. Also wollte sie aufstehen und hinterher rennen. Aber während sie sich hochdrückte, fiel ihre Hand auf etwas, das auf dem Boden liegen geblieben war. Es war ein Radkreuz – wahrscheinlich das, das von dem Rad abgenommen worden war, über das sie gefallen war.
Sie nahm es hoch und kam schnell auf ihre Füße. Sie rannte nach draußen vor die Werkstatt und sah Nell auf dem Bürgersteig, wo er gerade die Straße überquerte. Mackenzie schaute schnell nach rechts und links, sah, dass es keine Autos in der Nähe gab, und warf ihren Arm zurück.
Sie warf das Drehkreuz durch die Luft, mit so viel Kraft sie konnte. Es segelte viereinhalb Meter oder so, die sie und Nell trennten, und traf ihn direkt am Rücken. Er ließ einen Schrei der Überraschung und des Schmerzes los, bevor er nach vorne taumelte und auf die Knie fiel, fast landete er mit dem Gesicht auf der Straße.
Sie lief zu ihm, drückte ihm ein Knie in den Rücken, noch ehe er überhaupt daran denken konnte, wieder auf die Beine zu kommen.
Sie drückte seine Arme auf seinen Rücken und drückte sie nach unten. Er versuchte sich zu befreien, aber merkte dann, dass das nur noch mehr Schmerzen verursachte, da seine Schultern zurückgezogen waren. Mit einer Schnelligkeit, die sie seit Monaten übte, zog sie die Handschellen aus ihrem Gürtel und schlang sie um Nells Handgelenke.
“Das war dumm”, sagte Mackenzie. “Ich wollte nur ein paar Fragen stellen … und Sie haben mir schon die Antwort gegeben, nach der ich suche.”
Nell sagte nichts, aber er akzeptierte endlich, dass er ihr nicht entkommen konnte. Als die Autos vorbeigefahren waren, kam der andere Mann aus der Werkstatt herübergeeilt.
“Was zum Teufel ist hier los?”, fragte er.
“Herr Nell hat gerade eine FBI–Agentin angegriffen”, antwortete Mackenzie. “Es tut mir leid, er wird den Tag für Sie nicht beenden können.”
***
Mackenzie beobachtete Mike Nell hinter dem Doppelglas des Verhörraums. Er sah verärgert und peinlich berührt aus – ein finsterer Blick war auf seinem Gesicht geblieben, seitdem Mackenzie ihn auf die Beine gestellt hatte, in Handschellen vor seinem Arbeitgeber. Er kaute nervös an seiner Lippe, ein Zeichen, das er sich wahrscheinlich nach einer Zigarette oder einem Drink sehnte.
Mackenzie wandte sich von ihm ab, um die Akte in ihrer Hand zu lesen. Sie erzählte die kurze, aber facettenreiche Geschichte von Mike Nell, der mit sechzehn von Zuhause weggelaufen und mit achtzehn das erste Mal wegen unbedeutenden Diebstählen und schwerem Überfall festgenommen worden wurde. Die letzten zwölf Jahre seines Lebens zeigten das Porträt eines Störenfrieds – Überfälle, Einbrüche, Diebstahl, Eindringen, ein paar Ausflüge ins Gefängnis.
Neben Mackenzie sahen Dagney und Sheriff Rodriguez Nell mit etwas wie Verachtung an.
“Ich nehme an, Sie haben ihn oft in der Vergangenheit gesehen?”, fragte Mackenzie.
“Haben wir”, sagte Rodriguez. “Und irgendwie haut das Gericht ihm immer nur auf die Finger und das war’s. Die längste Strafe, die er abgesessen hat, war die, von der er gerade freigelassen wurde und das war ein Jahr Haftstrafe. Wenn sich herausstellt, dass dieser Arsch für diese Morde verantwortlich ist, dann werden die Gerichte den Schwanz einziehen.”
Mackenzie übergab den Bericht Dagney und ging zur Tür. “Naja, dann schauen wir mal, was er zu sagen hat”, sagte sie.
Sie ging aus dem Zimmer und stand einen Moment im Flur, ehe sie weiter ging, um Mike Nell zu verhören. Sie nahm ihr Handy heraus, um zu sehen, ob sie einen Text von Harrison erhalten hatte. Sie nahm an, er war jetzt am Flughafen, vielleicht hatte er bereits mit anderen Familienmitgliedern gesprochen, um herauszufinden, was zu Hause vor sich ging. … Es tat ihr ehrlich Leid für ihn, und obwohl sie ihn gar nicht so gut kannte, wünschte sie sich, dass sie etwas für ihn tun könnte.
Sie schob ihre Gefühle für einen Moment zur Seite, packte ihr Handy weg und betrat den Verhörraum. Mike Nell schaute sie an und gab sich keine Mühe seinen verächtlichen Blick zu verstecken. Aber jetzt war da noch was anderes. Er machte auch keinen Versuch die Tatsache zu verstecken, dass er sie sich genau anschaute, seine Augen schauten länger als nötig auf ihre Hüften.
“Gefällt Ihnen, was Sie sehen, Herr Nell?”, fragte sie und nahm Platz.
Völlig perplex von der Frage kicherte Nell nervös und sagte: “Ich glaube schon.”
“Ich nehme an, Sie wissen, dass Sie in Schwierigkeiten sind, weil Sie eine FBI-Agentin angegriffen haben, auch wenn es nur ein Schubs war.”
“Was ist mit ihrem kleinen Drehkreuz Stunt?”, fragte er.
“Wäre Ihnen meine Waffe lieber gewesen? Ein Schuss direkt in die Wade oder Schulter, damit Sie langsamer laufen?”
Nell hatte nichts dazu zu sagen.
“Es ist schon klar, dass wir nicht so schnell beste Freunde werden”, sagte Mackenzie, “also lassen Sie uns den Small Talk überspringen. Ich würde gerne wissen, wo Sie überall in den letzten Wochen waren.”
“Das ist eine lange Liste”, sagte Nell verteidigend.
“Ja, ich bin mir sicher, ein Mann von Ihrem Schlag kommt überall hin. Also beginnen wir einmal mit vor zwei Nächten. Wo waren Sie zwischen sechs Uhr abends und sechs Uhr morgens?”
“Vor zwei Nächten? Da war ich mit einem Freund unterwegs. Habe Karten gespielt, ein bisschen was getrunken, nichts Großes.”
“Kann das jemand außer ihrem Freund bezeugen?”
Nell zuckte mit den Schultern. “Ich weiß nicht. Da waren noch ein paar andere Männer, die mit uns gespielt haben. Warum fragen Sie das überhaupt?”
Mackenzie sah keinen Grund es noch länger, als nötig herauszuschieben. Wenn sie nicht so abgelenkt wäre, mit dem was Harrison passiert war, dann hätte sie ihn wahrscheinlich noch weiter bedrängt, bevor sie direkt auf den Punkt gekommen wäre, in der Hoffnung er würde sich selbst verraten, wenn er in der Tat schuldig war.
“Ein Paar wurde tot in ihrem Stadthaus gefunden, vor zwei Tagen. Es ist nun so, dass das in einem Haus passiert ist, das im selben Komplex der Stadthäuser liegt, in dem Sie wegen Diebstahl und schweren Überfalls verhaftet wurden. Das beides zusammen, plus der Tatsache, dass Sie seit weniger als einem Monat frei sind, bringt Sie ganz oben auf die Liste der infrage kommenden Personen.”