Riley schloß die Augen und lauschte einen Moment lang dem Geräusch der Wellen.
Es gab überhaupt keine anderen Geräusche – weder Stimmen, noch Fernseher, noch Verkehr.
Riley atmete glücklich lang und tief ein.
So als ob er auf ihren Seufzer antwortete, sagte Blaine…
„Riley, ich habe mich gefragt…“
Er hielt inne. Riley öffnete ihre Augen und schaute ihn an, ein klitzekleines Gefühl der Sorge im Blick.
Dann fuhr Blaine fort…
„Meinst Du, dass wir einander bereits eine lange Zeit kennen, oder doch eher eine kurze Weile?“
Riley lächelte. Es war eine interessante Frage. Sie kannten sich nun seit ungefähr einem Jahr und hatten vor ungefähr drei Monaten beschlossen, dass sie sich voll und ganz aufeinander einlassen wollten. In dieser Zeit waren sie einander sehr nahe gekommen.
Sowohl sie selbst, als auch ihre Familien waren durch Momente großer Gefahr gegangen, in denen Blaine unglaublichen Erfindungsreichtum und Mut bewiesen hatte.
Durch all dies hatte Riley ihm zunehmend ihr Vertrauen und ihre Bewunderung geschenkt.
„Das ist schwer zu sagen“, sagte sie. „Beides, nehme ich an. Es kommt mir wie eine lange Zeit vor, weil wir uns so nahe gekommen sind. Dann scheint es wieder erst so kurz, weil… naja, ich manchmal nicht glauben kann, wie schnell wir uns so nahe gekommen sind.“
Es stellte sich erneut eine Stille ein – eine Stille, die Riley bewusst machte, dass Blaine sich genauso fühlte.
Dann sagte Blaine…
„Was meinst du… sollte als nächstes passieren?“
Riley schaute ihm in die Augen. Sein Blick war ernst und fragend.
Riley lächelte und sprach aus, was ihr als erstes in den Kopf kam. „Wieso, Blaine Hildreth – machst Du mir gerade einen Antrag?“
Blaine lächelte und erwiderte: „Komm mit rein. Ich muss dir etwas zeigen.“
KAPITEL DREI
Riley stockte nun ein wenig der Atem. Eine ganze Welt voller zukünftiger Möglichkeiten schien sich vor ihr zu eröffnen, und sie wusste nicht genau, was sie von all dem halten sollte.
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Also nahm sie einfach ihr Glas Wein und folgte Blaine ins Esszimmer.
Blaine ging zu einem Schrank und holte eine große Papierrolle heraus. Als sie hier angekommen waren, hatte Riley gesehen, wie er die Rolle aus dem Auto herausgeholt hatte, zusammen mit anderem Strandkram, aber sie hatte nicht nachgefragt, was sie genau enthielt.
Er rollte das Papier auf dem Esstisch auseinander und stellte Tassen auf die Ecken, um es zu beschweren. Es sah nach einem komplizierten Grundriss aus.
„Was ist das?“, wollte Riley wissen.
„Erkennst du es nicht?“, erwiderte Blaine. „Es ist mein Haus.“
Riley warf nun leicht verwirrt einen zweiten, genaueren Blick auf die Zeichnung.
Sie sagte: „Ähm… es sieht zu groß aus, um dein Haus zu sein.“
Blaine kicherte und sagte: „Das liegt an diesem Flügel hier, der noch nicht gebaut ist.“
Riley wurde etwas schwindlig, als Blaine die Zeichnungen weiter erläuterte. Er erklärte, dass der neue Flügel Schlafzimmer für April und Jilly haben würde. Und natürlich würde es eine separate Wohnung für Gabriela, Rileys Hausmädchen, geben. Gabriela würde weiterhin für sie arbeiten können, wenn erst einmal alles fertig gebaut war. Der neue Grundriss sah sogar ein kleines Büro für Riley vor. Sie hatte kein eigenes Büro mehr seitdem Jilly eingezogen war. Als Ersatz hatte sie ihr Schlafzimmer notdürftig umfunktioniert.
Riley war gleichzeitig überrumpelt und amüsiert.
Nachdem er seine Ausführungen beendet hatte, sagte sie…
„Dann – ist das deine Art mich zu fragen, ob ich dich heiraten will?“
Blaine stammelte: „Ich – ich nehme an, ja. Ich weiß, dass es nicht besonders romantisch ist. Kein Ring, kein auf die Kniefallen.“
Riley lachte und sagte: „Blaine, wenn du dich vor mich hinkniest, ich schwöre dir, dass ich dir eine klatsche.“
Blaine starrte sie überrascht an.
Aber Riley meinte das ernst. Sie musste an Ryan denken. Wie er ihr damals vor so vielen Jahren einen Antrag gemacht hatte. Da waren sie sie noch jung und arm gewesen – Ryan ein noch wenig erfolgreicher Anwalt und sie Praktikantin beim FBI. Ryan hatte das gesamte Ritual aufgeführt. Kniend hatte er ihr einen Ring, den er sich eigentlich wirklich nicht hatte leisten können, vor die Nase gehalten.
Damals war es ihr durchaus romantisch vorgekommen.
Doch ihre Ehe hatte ein so böses Ende genommen, dass in Rileys Erinnerung nichts als Bitterkeit geblieben war.
Blaines sehr viel weniger traditioneller Antrag erschien ihr im Vergleich dazu geradezu perfekt.
Blaine legte seinen Arm um Rileys Schultern und küsste ihren Hals.
„Weißt du, verheiratet zu sein hätte auch seine praktischen Vorzüge“, sagte er. „Wir müssten nicht in separaten Schlafzimmern schlafen, immer wenn die Kinder dabei sind.“
Sein Kuss und seine Anspielung riefen in Riley ein lustvolles Kribbeln hervor.
Ja, das wäre durchaus ein Vorzug, dachte sie.
Intime Momente waren rar. Die beiden schliefen selbst in diesem wundervollen Urlaub in getrennten Schlafzimmern.
Riley seufzte tief und sagte: „Es gibt hier viel zu bedenken, Blaine. Für uns beide.“
Blaine nickte. „Ich weiß. Deshalb erwarte ich auch nicht, dass du freudig ‚ja, ja, ja!‘ schreiend durch die Gegend hüpfst. Ich wollte dich nur wissen lassen,… dass es mir schon länger durch den Kopf geht, und dass ich hoffe, dass es auch dir schon einmal durch den Kopf gegangen ist.“
Riley lächelte und gab zu: „Ja, es ist mir auch schon mal durch den Kopf gegangen.“
Einige Momente lang schauten sie einander in die Augen. Erneut genoss Riley die Stille zwischen ihnen. Doch sie wusste natürlich auch, dass sie diese Fragen nicht unbeantwortet lassen konnten.
Schließlich sagte Riley: „Lass uns wieder rausgehen.“
Sie füllten ihre Gläser mit Wein auf und gingen wieder auf die Terrasse, um sich dort wieder hinzusetzen. Die Nacht wurde mit jedem Augenblick schöner.
Blaine nahm Rileys Hand in seine. „Ich weiß, dass es eine große Entscheidung ist. Wir müssen beide über vieles nachdenken. Zum einen waren wir beide schon einmal verheiratet. Und…naja in der Zwischenzeit sind wir nicht jünger geworden.“
Riley dachte still…
Umso mehr haben wir einen Grund eine feste Bindung einzugehen.
Blaine fuhr fort: „Vielleicht sollten wir erst einmal damit anfangen, all die Gründe aufzuzählen, aus denen das vielleicht keine so gute Idee wäre.“
Riley lachte und sagte: „Oh, Blaine – müssen wir das wirklich tun?“
Aber sie wusste, dass er Recht hatte.
Dann kann ich auch gleich den Anfang machen, dachte sie.
Sie holte einmal langsam und tief Luft und sagte: „Zum einen müssen wir an mehr als nur an uns denken. Wir haben beide bereits Kinder, drei Teenager genauer gesagt. Und wenn wir heiraten, werden wir auch zu Stiefeltern – ich für deine Tochter und du für meine beiden Mädels. Das ist schon mal eine ziemlich große Sache.“
„Ich weiß“, sagte Blaine. „Aber ich finde den Gedanken schön, ein Vater für April und Jilly zu sein.“
Riley hörte die Aufrichtigkeit in seinen Worten und spürte plötzlich einen Kloß im Hals.
„Mit Crystal geht es mir genauso“, sagte sie. Dann fügte sie mit einem Kichern hinzu: „Meine Mädels haben bereits eine Katze und einen Hund. Ich hoffe, dass das ok ist.“
Blaine sagte: „Schon in Ordnung. Ich werde auch keine Haustierkaution von euch verlangen.“
Ihr Lachen schallte harmonisch durch die Abendstille.
Dann sagte Riley: „Ok, du bist dran.“
Blaine seufzte tief und sagte: „Wir haben beide Ex-Partner.“
Riley seufzte ebenfalls und erwiderte: „Das ist wohl wahr.“
Ein Schaudern durchfuhr sie, als sie sich an ihre einzige Begegnung mit Blaines Ex-Frau, Phoebe, erinnerte. Diese Frau hatte die arme Crystal in betrunkener Rage physisch angegriffen. Riley hatte das Mädchen nur mit Mühe aus den Händen der Frau befreien können.
Blaine hatte Riley erzählt, dass die Ehe mit Phoebe eine Jugendsünde gewesen war, und dass er sie geheiratet hatte, bevor er wusste, dass sie eine bipolare Störung hatte und für sich und andere eine Gefahr darstellte.
Als könnte er Rileys Gedanken erraten, sagte Blaine…
„Ich stehe kaum noch im Kontakt mit Phoebe. Sie lebt wohl bei ihrer Schwester Drew. Ich melde mich ab und zu bei Drew. Sie sagt, dass Phoebe eine Therapie macht und dass es ihr besser geht, aber dass sie nie an mich oder Crystal denkt. Ich bin mir sicher, dass sie unsere Leben endgültig verlassen hat.“
Riley musste schlucken als sie sagte…
„Ich wünschte, dass ich dasselbe von Ryan behaupten könnte.“
Blaine drückte Rileys Hand und sagte: „Naja, er ist Aprils Vater. Er wird weiterhin ein Teil eures Lebens sein wollen. Auch Jillys. Ich kann das verstehen.“
„Du siehst ihn in einem zu guten Licht“, sagte Riley.
„Wirklich? Wieso?“
Riley dachte nach…
Wo soll ich anfangen?
Ryans einziger Versuch Frieden zu schließen und wieder mit ihr zusammenzukommen war desaströs gescheitert – besonders im Hinblick auf Jilly und April, die einmal mehr hatten lernen müssen, dass sie sich in keinster Weise auf ihn verlassen konnten.
Riley hatte keine Ahnung, wie viele Freundinnen Ryans Leben in der Zwischenzeit betreten und wieder verlassen hatten.
Sie nahm einen Schluck Wein und sagte: „Ich denke nicht, dass wir Ryan oft zu sehen bekommen werden. Und ich finde, dass das gut so ist.“
Riley und Blaine schwiegen eine Weile. Als sie so dasaßen und in die Nacht starrten, begannen sich Rileys Sorgen um Phoebe und Ryan langsam aufzulösen. Sie konnte die wundervolle Wärme von Blaines Gegenwart wieder genießen.
Die Stille wurde durch das Geräusch von Schritten, Stimmen und Lachen unterbrochen, als die Mädchen schließlich aus ihrem Zimmer gerannt kamen. Es klang so, als würden sie etwas in der Küche tun – wahrscheinlich holten sie sich einen Mitternachtssnack, dachte Riley.
Währenddessen begannen Riley und Blaine über verschiedene mögliche Hindernisse zu sprechen – darüber, wie ihre sehr unterschiedlichen Berufe einander möglicherweise in die Quere kommen konnten, darüber, dass Riley das Townhaus verkaufen müsste, das sie vor nur einem Jahr gekauft hatte, darüber, wie sie ihre Finanzen aufteilen würden und andere, ähnlich geartete Dinge.
Als sie sprachen, dachte Riley…
Eigentlich wollten wir doch nur Gründe finden, die einer Ehe im Weg stehen.
Stattdessen erschien das Ganze mit jedem Moment der verstrich eine viel bessere Idee zu sein, als sie anfangs geglaubt hatte.
Das wirklich wunderbare war jedoch, dass keiner von ihnen es laut aussprechen musste.
Ich hätte eben so gut ja sagen können, dachte sie sich.
Sie fühlte sich auf jeden Fall so, als wären sie bereits verlobt.
Und dieses Gefühl gefiel ihr.
Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als April mit Rileys Handy in der Hand auf die Terrasse gerannt kam.
Das Handy vibrierte.
Als sie das Telefon an Riley übergab, sagte April…
„Hey, Mom – du hast dein Telefon in der Küche liegen gelassen. Du wirst angerufen.“
Riley unterdrückte ein Seufzen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der Anruf von einer Person kam, mit der sie gerade gerne sprechen wollte. Wie erwartet sah sie auf dem Display, dass es sich bei dem Anrufer um ihren Boss, Spezialagent Brent Meredith, handelte.
Bestürzt begriff sie…
Er will, dass ich sofort zur Arbeit zurückkehre.
KAPITEL VIER
Als Riley den Anruf annahm, hörte sie Merediths vertraut grimmige Stimme.
„Wie verläuft Ihr Urlaub, Agentin Paige?“
Riley musste sich zusammenreißen, um nicht zu sagen:
„Bis gerade eben sehr gut.“
Stattdessen antwortete sie: „Es ist alles wunderbar. Danke der Nachfrage.“
Sie erhob sich aus ihrem Sessel und begann auf der Terrasse auf und abzugehen.
Meredith grummelte zögerlich und sagte dann…
„Hören Sie zu, wir haben einige merkwürdige Anrufe von einer Polizistin in Mississippi erhalten – aus einem kleinen Strandstädtchen Namens Rushville. Sie arbeitet dort an einem Mordfall. Einem Bürger der Stadt wurde der Schädel mit dem Hammer eingeschlagen und…“
Meredith hielt erneut inne und sagte dann…
„Sie hat die Vermutung, dass sie es mit einem Serienmörder zu tun haben.“
„Wieso?“, wollte Riley wissen.
„Weil etwas ähnliches schon einmal in Rushville passiert ist – vor ungefähr zehn Jahren.“
Riley runzelte überrascht die Stirn.
Sie sagte: „Das ist eine lange Zeit zwischen den Morden.“
„Ja, ich weiß“, erwiderte Meredith. „Ich habe mit ihrem Chief gesprochen, und er hat gesagt, dass an der Sache nichts nichts dran wäre. Er meinte, sie sei einfach eine Kleinstadtpolizistin, die das Abenteuer sucht. Die Sache ist aber, dass sie immer wieder anruft, und sie macht nicht gerade den Eindruck, verrückt zu sein. Vielleicht handelt es sich also doch um…“
Erneut wurde Meredith still. Riley blickte ins Innere des Hauses und sah, dass Blaine den Mädchen in der Küche eine Kleinigkeit zu Essen zubereitete. Sie sahen alle so glücklich aus.
Riley wurde beim Gedanken, den Urlaub vorzeitig beenden zu müssen, ganz elendig zumute.
Dann sagte Meredith: „Schauen Sie, ich dachte nur, falls Sie vielleicht schon zu viel vom Urlaub haben und Ihnen die Arbeit bereits fehlt, könnten Sie vielleicht runter nach Mississippi fahren und – “
Von sich selbst ein wenig überrascht hörte Riley, wie ihre Stimme ihn scharf unterbrach.
„Nein“, sagte sie.
Es wurde wieder still in der Leitung, und Riley spürte, wie ihr Herz zu rasen begann.
Grundgütiger, dachte sie.
Ich habe Brent Meredith gerade eine Absage erteilt.
Sie konnte sich nicht daran erinnern, das jemals zuvor getan zu haben – aus sehr gutem Grund. Meredith war bekannt dafür, eine starke Abneigung gegen das Wort ‚nein’ zu haben, insbesondere wenn es viel zu tun gab.
Riley machte sich auf eine saftige Standpauke gefasst. Stattdessen vernahm sie ein ächzendes Seufzen.
Meredith sagte: „Ja, ich hätte es eigentlich besser wissen sollen. Wahrscheinlich ist an der Sache eh nichts dran. Es tut mir leid, sollte ich Sie gestört haben. Genießen Sie den Rest Ihres Urlaubs.“
Dann hatte Meredith aufgelegt. Riley blieb auf der Terrasse stehen und starrte auf ihr Handy.
Merediths letzter Satz ging ihr nicht aus dem Kopf…
„Es tut mir leid, sollte ich Sie gestört haben.“
Das klang überhaupt nicht nach dem Chief.
Entschuldigungen jeglicher Art waren einfach nicht sein Stil.
Was war da also wirklich los?
Riley hatte das Gefühl, dass Meredith auch nicht an das glaubte, was er da eben von sich gegeben hatte…
„Wahrscheinlich ist an der Sache eh nichts dran.“
Riley hatte den Verdacht, dass irgendetwas an dem Bericht der Polizistin Merediths Interesse geweckt hatte und dass sich in ihm das nagende Gefühl, dass es da tatsächlich einen Serienmörder in Mississippi gab, festgesetzt hatte. Doch da es keine wirklichen Beweise gab, wäre es übertrieben gewesen, von Riley zu verlangen, ihren Urlaub zu unterbrechen, um den Fall zu übernehmen.
Riley starrte weiterhin auf ihr Handy und begann zu überlegen…
Sollte ich ihn vielleicht zurückrufen?
Sollte ich nach Mississippi fahren und wenigstens kurz nachsehen, was da los ist?
Sie wurde von Aprils Stimme aus ihren Gedanken gerissen.
„Und, was ist los? Ist der Urlaub vorbei?“
Riley drehte sich um und sah, dass ihre Tochter auf die Terrasse gekommen war und sie mit beleidigter Miene ansah.
„Was? Wie kommst du darauf?“, fragte Riley.
April seufzte und sagte: „Komm schon, Mom. Ich hab’ gesehen, von wem der Anruf kam. Du hast einen neuen Fall, stimmt’s?“
Riley blickte wieder zur Küche, wo Blaine und die anderen beiden Mädchen noch immer dabei waren, Snacks vorbereiteten. Doch auch Jilly warf Riley kurz einen besorgten Blick zu.