Bevor Er Sieht - Блейк Пирс 5 стр.


„Ungefähr eintausendeinhundert oder so“, antwortete Bryers. „Trotzdem, wenn wir die Abdrücke abgleichen, die sich dem Tor nähern und dann einfach aufhören…“

„Es wäre ein Anfang.“

„Das hoffen wir“, meinte Bryers. „Seit gestern Nachmittag arbeitet ein Team daran, doch bis jetzt haben wir immer noch keine neuen Spuren.“

„Ich könnte mich einmal umschauen, wenn Sie möchten“, bot sich Mackenzie an.

„Das wäre viel zu anstrengend“, widersprach Bryers. „Sie arbeiten jetzt mit dem FBI, Ms. White. Überanstrengen Sie sich nicht, wenn es ein anderes Team gibt, das sich mit der Sache besser auskennt.“

Mackenzie schaute zurück in die Grube und versuchte, in dem Berg aus zusammengepresstem Müll die Lösung zu finden. Eine junge Frau war hier vor kurzem nackt und mit leichten Hämatomen gelegen. Sie war an demselben Ort abgelegt worden, an dem die Menschen ihren Müll sowie Dinge entsorgten, die sie nicht mehr brauchten. Vielleicht dachte der Mörder, dass die Frauen, die er umgebracht hatte, nicht mehr Wert waren als gewöhnlicher Hausmüll.

Sie wünschte sich fast, hier gewesen zu sein, als Bryers und sein bald in den Ruhestand gehender Freund angekommen waren. Vielleicht hätte sie dann mehr Ansatzpunkte. Vielleicht könnte sie Bryers dann dabei helfen, einen Verdächtigen ausfindig zu machen. Aber für jetzt hatte sie fürs Erste ihr Können recht schnell bewiesen, da ihr die Situation mit den Reifenabdrücken aufgefallen war.

Sie drehte sich wieder zu ihm um und sah, dass er still dastand und zum Tor schaute. Zuerst betrachtete sie ebenfalls das Tor, durch das die Autos hindurch fuhren, dann wandte sie ihren Blick nach links. Als sie die untere Stelle des Zaunes musterte, schoss ihr ein weiterer Gedanke durch den Kopf.

Er hatte über den Zaun klettern müssen, dachte die.

Dann begann sie damit, den Zaun absuchen, obwohl sie sich nicht sicher war, was sie eigentlich zu finden hoffte. Vielleicht Dreck, der nicht dort sein sollte, oder Stofffasern an dem Zaungitter. Wenn sie etwas fand, musste das zwar nicht unbedingt etwas mit dem Fall zu tun haben, aber immerhin wäre es ein Anfang.

Sie brauchte weniger als zwei Minuten, bis sie auf etwas stieß, dass ihre Aufmerksamkeit erregte. Es war so winzig, dass sie es fast übersehen hätte. Aber als sie näher herantrat, sah sie, dass es hilfreicher sein könnte, als gedacht.

Etwa eineinhalb Meter auf der linken Seite neben dem Eingangstor hing eine weiße Stofffaser an einem der diamantförmigen Maschen des Zaunes. Das Stück Stoff selber würde wahrscheinlich keine Ergebnisse liefern, aber immerhin zeigte es ihnen eine Stelle, an der es sich lohnen würde, nach Fingerabdrücken zu suchen.

„Agent Bryers?“, sagte sie.

Er trat langsam an sie heran, als ob er nichts Besonderes erwarten würde. Als er näherkam, hörte sie ihn einen brummenden Laut ausstoßen, während er das Stück Stoff musterte.

„Gute Arbeit, Ms. White“, lobte er.

„Bitte, nennen Sie mich Mackenzie“, bestand sie. „Oder Mac, wenn Sie abenteuerlustig sind.“

„Was denken Sie ist das?“, fragte er sie.

„Wahrscheinlich gar nichts. Aber vielleicht gehört der Stoffrest zu jemandem, der vor kurzem über den Zaun geklettert ist. Das Stück selbst mag vielleicht nutzlos sein, aber es zeigt uns zumindest, auf welchen Bereich wir die Suche nach Fingerabdrücken konzentrieren sollten.“

„Im Wagen gibt es ein kleines Beweismittel-Set. Könnten Sie es bitte holen, während ich Bescheid sage?“

„Natürlich“, erwiderte sie und ging zum Auto zurück.

Als sie wieder zurückkehrte, beendete er gerade das Telefonat. Bei Bryers schien alles schnell und effizient zu sein. Das war eines der Dinge, die sie schon an ihm schätzte.

„Okay, Mac“, begann er. „Lassen Sie uns jetzt auf die Spur konzentrieren, auf die Sie zuerst gekommen sind. Der Ehemann des Opfers lebt etwa zwanzig Minuten von hier entfernt. Haben Sie Lust, ihm einen Besuch abzustatten?“

„Definitiv“, entgegnete Mackenzie.

Sie gingen zurück zum Auto und verließen die immer noch geschlossene Müllkippe. Über ihren Köpfen erfüllte ein Schwarm Aasfresser seine Aufgabe gewissenhaft, indem er das Drama mit gefühllosen Augen beobachtete.

***

Caleb Kellerman hatte bereits zwei Polizisten zu Besuch, als Mackenzie und Bryers an seinem Haus ankamen. Er lebte am Rande von Georgetown in einem kleinen zweistöckigen Haus, das perfekt als erstes gemeinsames Heim diente. Der Gedanke daran, dass die Kellermans gerade einmal etwas länger als ein Jahr miteinander verheiratet gewesen waren, als seine Frau umgebracht worden war, erweckte in Mackenzie Mitleid für den Mann, aber gleichzeitig auch Wut über das, was geschehen war.

Das erste gemeinsame Heim, das nie die Chance gehabt hatte, zu sehen, was die Zukunft bringen würde, dachte Mackenzie, als sie eintraten. Wie unglaublich traurig.

Sie gingen zur Tür hinein, wobei sie direkt in einen kleinen Eingangsbereich kamen, der ins Wohnzimmer führte. Mackenzie spürte die aufkommende Einsamkeit und Stille, die in den meisten Wohnungen kurz nach einem Todesfall herrschten. Sie hoffte, dass sie sich irgendwann daran gewöhnen würde, doch es fiel ihr schwer zu glauben, dass das jemals geschehen könnte.

Bryers erteilte den Polizisten draußen Befehle und diese schienen erleichtert zu sein, dass er sich nun um die Sache kümmerte. Während die beiden davon gingen, betraten Bryers und Mackenzie das Wohnzimmer. Sie sah, dass Caleb Kellermann unglaublich jung aussah, mit seinem glatt rasierten Gesicht, dem T-Shirt, auf dem die Band Five Finger Death Punch abgebildet war, und der weiten kurzen Hose im Tarnmuster könnte er durchaus für achtzehn durchgehen. Mackenzie ließ sich jedoch nicht von seinem Aussehen ablenken, sondern konzentrierte sich stattdessen auf die unbeschreibliche Trauer, die auf dem Gesicht des jungen Mannes lag.

Er schaute zu ihnen auf und wartete darauf, dass einer von ihnen sprach. Mackenzie bemerkte, dass Bryers ihr den Vortritt ließ, indem er kaum merklich in Caleb Kellermans Richtung nickte. Sie trat vor, obwohl sie große Angst hatte und sich doch zugleich geschmeichelt fühlte, dass eine so große Verantwortung übertragen worden war. Entweder hatte Bryers eine hohe Meinung von ihr oder er wollte, dass sie sich unbehaglich fühlte.

„Mr. Kellerman, ich bin Agent White und das ist Agent Bryers.“ An dieser Stelle zögerte sie einen Moment. Hatte sie sich gerade tatsächlich Agent White genannt? Das hörte sich wirklich gut an. Schnell machte sie weiter. „Ich weiß, dass Sie gerade mit einem Verlust zu kämpfen haben und werde auch gar nicht vorgeben, zu verstehen, wie Sie sich fühlen“, begann sie. Dabei sprach sie mit weicher, warmer aber auch fester Stimme weiter: „Aber um denjenigen zu finden, der das getan hat, müssen wir Ihnen ein paar Fragen stellen. Sind Sie dazu in der Lage?“

Caleb Kellerman nickte. „Ich werde alles dafür tun, dass der Mann, der ihr das angetan hat, gefunden wird“, sagte er. „Ich werde alles tun.“

In seiner Stimme lag eine Wut, die Mackenzie hoffen ließ, dass Caleb in den kommenden Tagen eine Art Therapie bekam. In seinen Augen lag etwas Verstörtes.

„Nun, zu allererst muss ich wissen, ob Susan irgendwelche Feinde hatte…zum Beispiel einen Rivalen.“

„Ein paar Mädchen, mit denen sie auf der High School war, machten sie auf Facebook dumm an“, entgegnete Caleb. „Aber es ging hauptsächlich um Politik. Und außerdem würde keine der jungen Frauen so etwas machen. Es waren einfach nur beleidigende Streitereien.“

„Und was ist mit ihrer Arbeit?“, fragte Mackenzie. „Hatte sie ihr gefallen?“

Caleb zuckte mit den Schultern. Er lehnte sich zurück und versuchte, sich zu entspannen. Jedoch schien der finstere Ausdruck auf seinem Gesicht festgefroren zu sein. „Sie mochte ihre Arbeit genauso gerne wie jede andere Frau, die studiert hat, und anschließend einen Job bekommt, der gar nichts mit ihrem Abschluss zu tun hat. Es zahlte die Rechnungen und die Boni waren manchmal echt gut. Allerdings waren die Arbeitszeiten schlecht.“

„Wussten Sie, mit welchen Menschen sie zusammenarbeitete?“, wollte Mackenzie wissen.

„Nein. Sie hat mir zwar Geschichten von ihnen erzählt, aber das war alles.“

Nun schaltete sich Bryers wieder ein. Seine Stimme klang in der Stille des Hauses ganz anders, als ob er mit Absicht eine düstere Tonlage verwendete. „Sie war Verkäuferin, nicht wahr? Für ein Selbstoptimierungsunternehmen?“

„Ja. Ich habe der Polizei schon die Nummer ihres Vorgesetzten gegeben.“

„Mitarbeiter des FBI sprechen gerade schon mit ihm“, bestätigte Bryers.

„Das spielt keine Rolle“, entgegnete Caleb. „Keiner ihrer Kollegen hat sie getötet. Das kann ich garantieren. Ich weiß, dass es sich dumm anhört, aber ich habe es im Gefühl. Jeder auf ihrer Arbeit ist nett…sie alle befinden sich in der gleichen Situation wie wir, sie müssen ihre Rechnungen zahlen und versuchen, durch den Monat zu kommen. Es sind ehrliche Leute, wissen Sie?“

Einen Moment lang sah es so aus, als ob er gleich anfangen würde zu weinen. Er versuchte sich zu beherrschen und schaute zu Boden, während er sich sammelte, dann schaute er wieder auf. Die Tränen, die er zuvor kaum hatte unterdrücken können, flossen ihm nun aus den Augenwinkeln.

„Okay, was wäre Ihrer Meinung nach dann die richtige Spur?“, fragte Bryers.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Caleb. „Sie hatte ein Blatt, auf dem alle Kunden standen, die sie an jenem Tag besuchen wollte, aber es ist unauffindbar. Die Polizisten meinten, dass er Mörder es wahrscheinlich genommen und vernichtet hat.“

„Das kann gut sein“, sagte Mackenzie.

„Ich kann es immer noch nicht glauben“, meinte Caleb. „Es fühlt sich gar nicht echt an. Ich warte darauf, dass sie jeden Moment zur Tür hereinkommt. Der Tag, an dem sie starb…er fing genauso an wie jeder andere. Sie küsste mich auf die Wange, während ich mich für die Arbeit fertig machte, und verabschiedete sich von mir. Sie ging zur Bushaltestelle und das war es. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.“

Mackenzie bemerkte, dass Caleb am Rande eines Nervenzusammenbruches stand, und auch wenn es ihr falsch erschien, musste sie ihm dennoch eine letzte Frage stellen, bevor er komplett zusammenbrach.

„Bushaltestelle?“, bohrte sie nach.

„Ja, sie fuhr jeden Tag mit dem Bus ins Büro, sie nahm den Bus um zwanzig nach acht, um rechtzeitig auf die Arbeit zu kommen. Unser Auto ging vor zwei Monaten kaputt.“

„Wo ist diese Bushaltestelle?“, wollte Bryers wissen.

„Zwei Straßen von hier“, antwortete Caleb. „Es ist so eine kleine Überdachung.“ Dann schaute er Mackenzie und White an, plötzlich blühte in seinen Augen unter dem Schmerz und dem Hass auch Hoffnung auf. „Warum? Glauben Sie, dass es wichtig ist?“

„Das können wir nicht mit Sicherheit sagen“, entgegnete Mackenzie. „Aber wir werden Sie auf dem Laufenden halten. Vielen Dank für ihre Zeit.“

„Natürlich“, erwiderte Caleb. „Hey…Leute?“

„Ja?“, sagte Mackenzie.

„Es ist jetzt schon länger als drei Tage her, nicht wahr? Drei Tage, seitdem ich sie zum letzten Mal gesehen habe, und fast zwei ganze Tage, seitdem ihr Leichnam gefunden wurde.“

„Das stimmt“, bestätigte Bryers.

„Dann ist es also zu spät? Wird dieser Bastard davonkommen?“

„Nein“, entgegnete Mackenzie. Das Wort war ihr aus dem Mund gerutscht, bevor sie es aufhalten konnte, und sie wusste sofort, dass sie sich gerade ihren ersten Fehler in Bryers Gegenwart geleistet hatte.

„Wir geben unser Bestes“, versicherte ihm dieser, während er seine Hand sanft aber bestimmt auf Mackenzies Schulter legte. „Bitte rufen Sie uns an, wenn Ihnen noch etwas Nützliches einfällt.“

Mit diesen Worten gingen sie hinaus. Mackenzie überlief ein Schauder, als sie hörte, wie Caleb weinend zusammenbrach, noch bevor sie die Tür hinter sich geschlossen hatten.

Das Geräusch löste etwas in ihr aus…etwas, das sie an ihr Zuhause erinnerte. Das letzte Mal, als sie so etwas verspürt hatte, war der Moment, in dem sie in Nebraska vollkommen in die Aufgabe, den Vogelscheuchen-Mörder zu fassen, eingetaucht war. Nun, als sie die Stufen vor Caleb Kellermans Haus hinabging, spürte sie dieses alleinnehmende Bedürfnis wieder, und so langsam wurde ihr klar, dass sie nicht stillstehen würde, bis sie diesen Mörder gefasst hatte.

KAPITEL VIER

„So etwas dürfen Sie nicht tun“, sagte Bryers, sobald sie wieder im Auto saßen, diesmal war er hinter dem Steuer.

„Was darf ich nicht tun?“

Er seufzte und versuchte, ernst statt tadelnd zu wirken. „Ich weiß, dass Sie vermutlich noch nie in einer solchen Situation gewesen sind, aber Sie dürfen der Familie eines Opfers nicht versprechen, dass der Täter nicht davonkommen wird. Sie dürfen Ihnen keine Hoffnung machen, wenn es keine gibt. Verdammt, selbst wenn es eine Hoffnung gibt, dürfen Sie so etwas nicht sagen.“

„Ich weiß“, erwiderte sie enttäuscht. „Das wurde mir in demselben Moment klar, in dem das Wort meinen Mund verließ. Es tut mir leid.“

„Kein Grund, sich zu entschuldigen. Versuchen Sie einfach, einen kühlen Kopf zu bewahren, Verstanden?“

„Verstanden.“

Weil Bryers sich in der Stadt besser auskannte als Mackenzie, fuhr er zu der Zentrale der Öffentlichen Verkehrsmittel. Er fuhr schnell und bat Mackenzie, schon einmal dort anzurufen, damit sie sofort mit jemandem sprechen konnten, der wusste, worum es ging und der die Sache schnell abwickelte. Es war zwar eine einfache Methode, aber trotzdem war Mackenzie von ihrer Effizienz überrascht. Es war auf jeden Fall Welten von dem entfernt, was sie in Nebraska erlebt hatte.

Während der halbstündigen Fahrt unterhielt sich Bryers mit ihr. Er wollte alles über ihre Zeit auf der Polizeiwache in Nebraska wissen, vor allem über den Fall des Vogelscheuchen-Mörders. Er fragte sie nach dem College und wofür sie sich interessierte. Sie erzählte ihm gerne oberflächliche Informationen, doch sie gab nicht zu viel von sich Preis – wahrscheinlich, weil er auch nichts von sich erzählte.

Bryers schien sogar sehr reserviert zu sein. Als Mackenzie ihn nach seiner Familie fragte, behielt er seine Antworten so allgemein wie möglich, ohne unhöflich zu sein. „Ich habe eine Frau, zwei Söhne, die auf dem College sind, und ein Hund, der ein Bein verloren hat.“

Nun ja, dachte Mackenzie. Es ist immerhin unser erster Tag zusammen und er kennt mich überhaupt nicht – alles, was er über mich weiß, stammt aus sechs Monate alten Zeitungsberichten und meiner Akte in der Akademie. Ich kann es ihm nicht verübeln, dass er sich mir noch nicht öffnet.

Als sie an der Zentrale der Öffentlichen Verkehrsmittel ankamen, hatte Mackenzie war immer noch eine gute Meinung von dem älteren Agenten, doch es lag eine Spannung zwischen ihnen, die sie nicht fassen konnte. Vielleicht spürte er sie nicht, vielleicht ging es nur ihr so. Die Tatsache, dass er praktisch all ihre Fragen über seine Arbeit abgewehrt hatte, gab ihr ein ungutes Gefühl. Es erinnerte sie auch schnell wieder daran, dass das hier eigentlich noch gar nicht ihre Arbeit war. Sie machte das nur als Gefallen für Ellington, es war sozusagen ein Test, um zu sehen, wie sie sich anstellte.

Ein weiterer Grund für ihre Mitarbeit waren irgendwelche mysteriöse Gespräche in Hinterkammern, in denen die hohen Tiere mit ihr ein Risiko eingingen. Dieses war jedoch nicht nur für sie hoch, sondern auch für die Menschen, mit denen sie zusammenarbeitete – und dazu gehörten auch Bryers und Ellington.

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