Riley war sich nicht sicher, was Larson meinte. War der Kommandant unzufrieden, weil das BAU zwei Frauen geschickt hatte? Riley konnte sich nicht denken, warum. Wo auch immer Riley hinsah, sah sie uniformierte Frauen und Männer beisammen stehen. Und mit Colonel Larson auf dem Stützpunkt musste Adams daran gewöhnt sein, mit Frauen in Autoritätspositionen umzugehen.
Colonel Larson hielt vor einem sauberen, modernen Bürogebäude und führte die Agenten hinein. Als sie sich näherten, standen drei junge Männer stramm und salutierten Colonel Larson. Riley sah, dass ihre CID Jacken denen des FBIs ähnelten.
Colonel Larson stellte die drei Männer als Sergeant Matthews und seine Teammitglieder, Spezialagenten Goodwin und Shores vor. Dann betraten sie alle einen Konferenzraum, in dem sie von Kommandant Dutch Adams erwartet wurden.
Matthews und seine Agenten salutierten Adams, Colonel Larson nicht. Riley wurde klar, dass es an dem gleichgestellten Rang der beiden lag. Sie spürte außerdem deutlich die Spannung zwischen den beiden Kommandanten.
Und wie Colonel Larson gesagt hatte, sah Adams nicht erfreut darüber aus, Riley und Lucy in dem Konferenzraum zu sehen.
Jetzt verstand Riley, was das Problem war.
Kommandant Dutch Adams war von der alten Schule und hatte sich nicht daran gewöhnt, dass Männer und Frauen zusammen dienten. Und ausgehend von seinem Alter, würde er das wohl auch nie. Er würde mit seinen Vorurteilen in den Ruhestand treten.
Adams musste vor allem die Anwesenheit von Colonel Larson auf dem Stützpunkt gegen den Strich gehen – eine uniformierte Frau, über die er keine Autorität hatte.
Als die Gruppe sich setzte, spürte Riley einen Schauer über ihren Rücken laufen, als sie Adams' Gesicht genauer betrachtete. Es war ein breites, langes, kantiges Gesicht, das denen vieler Soldaten ähnelte, die sie während ihres Lebens gekannt hatte – ihren Vater eingeschlossen.
Tatsächlich fand Riley die Ähnlichkeit zwischen Kommandant Adams und ihrem Vater geradezu verstörend.
Er sprach mit Riley und ihren Kollegen in einem übertrieben offiziellen Ton.
"Willkommen in Fort Nash Mowat. Dieser Stützpunkt ist seit 1942 in Betrieb. Er erstreckt sich über fünfundsiebzigtausend Morgen, hat tausendfünfhundert Gebäude und dreihundertfünfzig Meilen Straße. Sie werden hier jederzeit etwa sechzigtausend Menschen finden. Ich bin stolz, ihn den besten Ausbildungsstützpunkt im ganzen Land zu nennen."
An dieser Stelle versuchte Adams ein abfälliges Grinsen zu unterdrücken. Es gelang ihm nicht völlig.
Er fügte hinzu, "Und aus diesem Grund, möchte ich Sie bitten, hier möglichst wenig Wirbel zu verursachen. Dieser Ort ist eine gut geölte Maschine. Außenseiter haben die unerfreuliche Angewohnheit Sand ins Getriebe zu werfen. Falls Sie das tun, verspreche ich Ihnen, dass Sie es bereuen werden. Habe ich mich klar ausgedrückt?"
Er sah Riley dabei direkt in die Augen, offensichtlich in dem Versuch, sie einzuschüchtern.
Sie hörte Bill und Lucy sagen, "Jawohl, Sir."
Aber sie sagte nichts.
Er ist nicht mein Vorgesetzter, dachte sie.
Sie hielt einfach den Augenkontakt aufrecht und nickte.
Dann sah er zu den anderen im Raum. Er sprach mit kalter Wut in seiner Stimme.
"Drei gute Männer sind tot. Die Situation ist untragbar. Ändern Sie das. Sofort."
Er hielt einen Moment inne. Dann sagte er, "Um Punkt elfhundert findet die Beisetzung von Sergeant Clifford Worthing statt. Ich erwarte, dass Sie alle daran teilnehmen."
Ohne ein weiteres Wort stand er auf. Die CID Agenten standen auf und salutierten und Colonel Adams verließ den Raum.
Riley war sprachlos. Waren sie nicht alle hier, um den Fall zu besprechen und das weitere Vorgehen festzulegen?
Ihre Überraschung bemerkend, grinste Colonel Larson sie an.
"Normalerweise ist er nicht so gesprächig", sagte sie. "Vielleicht mag er sie."
Alle lachten bei dieser sarkastischen Spitze.
Riley wusste, dass ein wenig Humor hilfreich sein konnte.
Die Dinge würden noch schnell genug ernst werden.
KAPITEL NEUN
Larson sah Riley, Bill und Lucy aufmerksam an. Ihr Blick war durchdringend und intensiv, als würde sie versuchen sie einzuschätzen. Riley fragte sich, ob die Kommandantin der CID eine wichtige Ansage machen würde.
Stattdessen fragte Larson, "Haben Sie schon gefrühstückt?"
Sie alle verneinten.
"Nun, diese Situation ist untragbar", sagte Larson mit einem Lachen. "Lassen Sie uns das korrigieren, bevor Sie mir vom Fleisch fallen. Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen die Gastfreundschaft von Fort Mowat."
Larson ließ ihr Team zurück und führte die drei FBI Agenten in die Offizierskaserne. Riley sah sofort, dass Larson die Gastfreundschaft ernst gemeint hatte. Die Kaserne wirkte wie ein teures Restaurant und Larson wollte nichts davon hören, dass sie ihr Essen selbst bezahlten.
Bei einem köstlichen Frühstück besprachen sie den Fall. Riley wurde klar, dass sie einen Kaffee dringend benötigt hatte. Das Essen war auch willkommen.
Colonel Larson gab ihnen ihre Ansicht des Falls. "Das auffallendste Detail an diesen Morden ist die Methode und der Rang der Opfer. Rolsky, Fraser und Worthing waren alle Ausbildungsoffiziere. Sie wurden alle drei aus langer Distanz mit einem leistungsstarken Gewehr getötet. Und die Opfer wurden alle Nachts erschossen."
Bill fragte, "Was haben sie noch gemeinsam?"
"Nicht viel. Zwei waren weiß und einer war schwarz, also keine Rassenfrage. Sie standen alle unterschiedlichen Truppen vor, also hatten sie auch keine gemeinsamen Rekruten."
Riley fügte hinzu, "Sie haben vermutlich schon die Unterlagen von allen Soldaten zusammengestellt, die abgemahnt worden sind oder psychologische Probleme hatten. Deserteure? Unehrenhafte Entlassungen?"
"Haben wir", erwiderte Larson. "Es ist eine sehr lange Liste und wir haben sie durchgearbeitet. Aber ich schicke sie Ihnen und Sie können sehen, was Sie darin finden."
"Ich würde gerne mit den Männern in jeder Truppe sprechen."
Larson nickte. "Natürlich. Sie können heute nach der Beerdigung mit einigen sprechen und ich arrangiere weitere Treffen, wenn Sie möchten."
Riley bemerkte, dass Lucy sich Notizen machte. Sie nickte der jungen Agentin zu, ihre eigenen Fragen zu stellen.
Lucy fragte, "Welches Kaliber hatten die Kugeln?"
"NATO Kaliber", sagte Colonel Larson. "7.62 Millimeter."
Lucy sah Larson interessiert an. Sie sagte, "Klingt, als könnte die Waffe ein M110 sein. Oder möglicherweise ein Heckler & Koch G28."
Larson lächelte leicht, scheinbar beeindruckt von Lucys Wissen.
"Aufgrund der Distanz nehmen wir an, dass es sich um ein M110 handelt", sagte Larson. "Die Kugeln scheinen aus der gleichen Waffe zu stammen."
Riley war erfreut Lucy so engagiert zu sehen. Für Riley war Lucy ein Protegé und sie wusste, dass Lucy sie als eine Art Mentorin sah.
Sie lernt schnell, dachte Riley stolz.
Riley sah zu Bill. Sie konnte sehen, dass er ebenso erfreut über Lucys Fortschritte war, wie sie.
Riley hatte selbst noch einige Fragen, entschied aber, nicht zu unterbrechen.
Lucy sagte zu Larson, "Ich nehme an, sie denken der Täter ist jemand mit einer Militärausbildung. Ein Soldat auf dem Stützpunkt?"
"Möglich", sagte Larson. "Oder ein ehemaliger Soldat. Auf jeden Fall jemand mit einer exzellenten Ausbildung. Kein gewöhnlicher Schütze."
Lucy klopfte mit ihrem Bleistift auf den Tisch.
Sie schlug vor, "Jemand, der ein Problem mit Autoritätspersonen hat? Insbesondere Ausbildungsoffizieren?"
Larson kratzte sich nachdenklich am Kinn.
"Ich habe darüber nachgedacht", sagte sie.
Lucy sagte, "Ich nehme an, sie haben auch Terrorismus in Betracht gezogen."
Larson nickte.
"Dieser Tage ist das leider die Standardtheorie."
"Ein einsamer Wolf?", fragte Lucy.
"Vielleicht", sagte Larson. "Aber es könnte sein, dass er auf Geheiß einer ganzen Gruppe hin agiert – entweder eine kleine Zelle hier in der Nähe oder etwas Internationales wie ISIS oder Al-Qaeda."
Lucy dachte einen Moment nach.
"Wie viele muslimische Rekruten haben Sie derzeit in Fort Mowat?", fragte Lucy.
"Momentan dreihundertdreiundvierzig. Das ist natürlich ein sehr kleiner Prozentsatz von Rekruten. Aber wir müssen vorsichtig sein mit einer Profilerstellung. Im Allgemeinen sind unsere muslimischen Rekruten sehr engagiert. Wir hatten bisher keine Probleme mit Extremismus – falls es das ist."
Larson sah Riley und Bill an und lächelte.
"Aber Sie beide sind sehr ruhig. Wie wollen Sie weiter vorgehen?"
Riley schielte zu Bill. Wie gewöhnlich konnte sie sehen, dass er das Gleiche dachte wie sie.
"Lassen Sie uns einen Blick auf die Tatorte werfen", sagte Bill.
*
Wenige Minuten später fuhren Riley, Bill und Lucy mit Colonel Larson durch Fort Mowat.
"Welchen Tatort wollen Sie sich zuerst ansehen?", fragte Larson.
"In der Reihenfolge der Morde", sagte Riley.
Während Larson fuhr, bemerkte Riley Soldaten, die Übungen absolvierten, Hindernisparkoure überwanden und am Schießstand übten. Sie konnte sehen, dass es harte, fordernde Arbeit war.
Riley fragte Larson, "An welcher Stelle ihrer Ausbildung sind diese Rekruten?"
"Sie sind in der zweiten Phase – der weißen Phase", sagte Larson. "Wir haben drei Phasen – rot, weiß und blau. Die ersten beiden, rot und weiß, dauern jeweils drei Wochen und diese Rekruten sind gerade in ihrer fünften Woche. Die letzten vier Wochen sind die blaue Phase. Die ist so schwer, wie sie nur sein kann. In der Phase finden die Rekruten heraus, ob sie haben, was nötig ist, um ein Soldat zu sein."
Riley hörte den Stolz in Larsons Stimme – den gleichen Stolz, den sie oft in der Stimme ihres Vaters gehört hatte, wenn er über seine Zeit im Militär sprach.
Sie liebt, was sie tut, dachte Riley.
Sie hatte außerdem keinen Zweifel daran, dass Colonel Larson gut in dem war, was sie tat.
Larson parkte neben einem Pfad, der durch das Camp führte. Sie stiegen aus und Larson führte sie an eine Stelle des Pfades. Sie lag auf einer freien Fläche, frei von Bäumen, die den Blick versperren könnten.
"Sergeant Rolsky wurde hier ermordet", sagte Larson. "Niemand hat etwas gesehen oder gehört. Wir konnten anhand der Wunde oder der Position der Leiche nicht erkennen, wo der Schuss herkam – außer, dass es eine beträchtliche Distanz gewesen sein muss.
Riley sah sich um und studierte den Tatort.
"Wann wurde Rolsky getötet?", fragte sie.
"Gegen zweiundzwanzighundert", sagte Larson.
Riley wandelte es mental in ein vertrautes Format um – zehn Uhr abends.
Sie stellte sich vor, wie der Tatort um diese Zeit ausgesehen hatte. Einige Laternen standen in einem Umkreis von zehn Metern zu der Stelle. Trotzdem musste das Licht sehr gedämpft gewesen sein. Wahrscheinlich hatte der Schütze ein Nachtsichtvisier benutzt.
Sie drehte sich langsam um und versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung der Schuss gekommen war.
Im Süden und Norden standen Gebäude. Es war unwahrscheinlich, dass der Schütze Gelegenheit gehabt hatte, von einer dieser Positionen aus zu schießen.
Im Westen konnte sie hinter dem Stützpunkt den Pazifischen Ozean in der Distanz sehen.
Im Osten waren steile Hügel.
Riley zeigte zu den Hügeln und sagte, "Ich nehme an, dass der Schütze dort positioniert war."
"Das ist eine gerechtfertigte Annahme", sagte Larson und zeigte auf eine Stelle auf dem Boden. "Wir haben die Kugel gleich hier gefunden, was andeutet, dass der Schuss aus Richtung der Hügel gekommen sein muss. Ausgehend von der Wunde, wurde der Schuss aus einer Entfernung von achtzig bis neunzig Metern gefeuert. Wir haben das Gebiet durchsucht, aber er hat keine Beweisspuren hinterlassen."
Riley dachte einen Moment nach.
Dann fragte sie Larson, "Ist auf dem Gelände von Fort Mowat Jagen erlaubt?"
"Während der Saison mit Jagderlaubnis", erwiderte Larson. "Wir sind gerade in der Truthahnsaison. Während des Tages ist auch das Schießen von Krähen erlaubt."
Natürlich wusste Riley, dass diese Tode keine Jagdunfälle waren. Als die Tochter eines Mannes, der sowohl ein Marine, als auch ein Jäger gewesen war, wusste sie, dass niemand ein Scharfschützengewehr nutzen würde, um Truthähne oder Krähen zu schießen. Eine Schrotflinte wäre zu dieser Jahreszeit die wahrscheinlichere Waffe der Wahl.
Sie bat Larson, sie zu dem nächsten Tatort zu bringen. Der Colonel fuhr sie zu niedrigen Hügeln am Ende eines Wanderpfades. Als sie aus dem Wagen stiegen, zeigte Larson auf eine Stelle des Pfades, der sich nach oben wand.
"Sergeant Fraser wurde dort getötet", sagte sie. "Er hat eine Abendwanderung gemacht. Der Schuss scheint aus der gleichen Distanz gekommen zu sein. Wieder hat niemand etwas gesehen oder gehört. Aber wir nehmen an, dass er etwa um dreiundzwanzighundert getötet wurde."
Elf Uhr abends, dachte Riley.
Auf eine andere Stelle zeigend fügte Larson hinzu, "Wir haben die Kugel dort entdeckt."
Riley sah in die entgegengesetzte Richtung. Von dort musste der Schuss gekommen sein. Sie sah zahlreiche Plätze, an denen der Schütze sich versteckt haben konnte. Sie war sich sicher, dass Larson und ihr Team die Gegend abgesucht hatten.
Schließlich fuhren sie zu den Kasernen, wo die Rekruten wohnten. Larson führte sie zum Hintereingang. Das erste, was Riley auffiel, war ein riesiger dunkler Fleck auf der Wand gleich neben der Tür.
Larson sagte, "Hier wurde Sergeant Worthing getötet. Er scheint für eine schnelle Zigarette hergekommen zu sein, vor den morgendlichen Truppenübungen. Der Schuss war so sauber, dass nicht einmal die Zigarette aus seinem Mundwinkel gefallen ist.
Rileys Interesse nahm zu. Dieser Tatort unterschied sich von den anderen – und war deutlich informativer. Sie untersuchte den Fleck und die Schmierspuren, die nach unten führten.
Sie sagte, "Es sieht so aus, als hätte er an der Wand gelehnt, als die Kugel ihn traf. Sie müssen eine bessere Ahnung für die Schussrichtung bekommen haben, als von den anderen Tatorten."
"Deutlich besser", stimmte Larson zu. "Aber keine präzise Position."
Larson zeigte über das Feld hinter den Kasernen, wo die Hügel begannen.
"Der Schütze muss sich irgendwo zwischen diesen beiden Eichen versteckt haben", sagte sie. "Aber er hat sehr sorgfältig aufgeräumt. Wir konnten keine Spur von ihm finden."
Riley sah, dass die Entfernung zwischen den beiden Bäumen etwa sechs Meter betrug. Larson und ihr Team hatte gute Arbeit geleistet, die Position des Schützen einzugrenzen.
"Wie war das Wetter?", fragte Riley.
"Sehr klar", sagte Larson. "Ein dreiviertel Mond bis zum Morgengrauen."
Riley spürte ein Kribbeln über den Rücken laufen. Es war das vertraute Gefühl, das sie bekam, wenn sie sich an einem Tatort befand.
"Ich würde mich gerne selber dort umsehen", sagte sie.
"Sicherlich", sagte Larson. "Ich bringe Sie hin."
Riley wusste nicht, wie sie ihr sagen sollte, dass sie alleine gehen wollte.
Glücklicherweise sprach Bill für sie.
"Lassen Sie Agentin Paige ruhig alleine gehen. Das ist ihr Ding."
Larson nickte anerkennend.
Riley wanderte über das Feld. Mit jedem Schritt wurde das Kribbeln stärker.
Schließlich fand sie sich zwischen den beiden Bäumen wieder. Sie konnte sehen, warum Larsons Team nicht in der Lage gewesen war, die exakte Position zu finden. Der Boden war sehr uneben mit vielen kleinen Büschen. Alleine in dem Gebiet, in dem sie gerade stand, gab es sicherlich ein halbes Dutzend Plätze, an denen sich jemand verstecken und einen sauberen Schuss auf die Kasernen abgeben konnte.