Eine Spur Von Schwäche - Блейк Пирс 6 стр.


Der Mann stoppte das Video und sah zu Ray und Keri. Auf seinem Namensschild stand ‚Keith‘. Er war um die dreiundzwanzig, hatte fettige, pickelige Haut und eine schlechte Körperhaltung, die Keri irgendwie an Quasimodo erinnerte.

Schnell vertrieb sie diesen Gedanken.

„Ich habe ein paar Screenshots, auf denen man den Typen gut erkennen kann. Ich habe sie abgespeichert und kann sie Ihnen jederzeit schicken.“

Ray sah Keri mit hochgezogenen Augenbrauen an. Vielleicht war dieser Kerl doch nicht so inkompetent, wie sie dachten. Keri war jedoch immer noch wütend über seinen Kommentar und ignorierte seinen Blick.

„Das wäre wunderbar“, sagte Ray zu dem jungen Mann. „Konnten Sie auch herausfinden, wo sie dann hingegangen sind?“

„Ja“, sagte Keith stolz und drehte sich wieder zu dem Bildschirm um. Er zeigte die Aufnahmen einiger anderer Kameras, die den Dunkelhaarigen, Lanie und Sarah zeigten. Nachdem sie durch das Shopping Center gegangen waren, sah man sie in einen Trans A steigen und Richtung Norden aus dem Parkplatz fahren.

„Ich habe versucht das Nummernschild näher heranzuholen, aber unsere Kameras sind zu hoch angebracht um einen verwendbaren Winkel zu bekommen.“

„Schon gut, Keith, Sie haben uns wirklich sehr geholfen. Ich gebe Ihnen jetzt unsere Handynummern, damit Sie uns die Aufnahmen schicken können. Könnten Sie sie vielleicht auch an unseren Kollegen auf dem Revier schicken, damit er sie durch die automatische Gesichtserkennung jagen kann?“

„Natürlich“, sagte Keith. „Ich werde mich sofort darum kümmern. Könnte ich Sie vielleicht auch um einen Gefallen bitten?“

Keri und Ray tauschten einen skeptischen Blick aus. Dann nickten sie. Keith zögerte einen Augenblick.

„Ich wollte mich schon seit einiger Zeit bei der Polizeiakademie bewerben, aber ich fürchte, dass ich den körperlichen Anforderungen nicht gewachsen bin. Ich dachte, dass Sie mir vielleicht ein paar Tipps geben könnten – natürlich erst, wenn sie den Fall gelöst haben.“

„Wenn es weiter nichts ist“, sagte Keri und zog eine Visitenkarte aus der Tasche. „Diese Leute können Ihnen bei der Vorbereitung helfen, und mich können Sie anrufen, wenn Sie mentale Unterstützung brauchen.“ Dann sah sie ihn noch einmal an. „Übrigens, wenn Sie schon ein Namensschild tragen müssen, lassen Sie sich eins mit Ihrem Nachnamen geben. Das wird professioneller.“

Dann stand sie auf und verließ den Raum. Sollte Ray sich doch um den Rest kümmern, das hatte er verdient.

Sowie sie die Fotos bekam, schickte sie sie an Joanie Hart und die Caldwells weiter, für den Fall, dass sie irgendetwas über diesen Typen wussten. Als Ray sie schließlich einholte, hatte er einen reumütigen Gesichtsausdruck.

„Hör zu, Keri, ich hätte nicht sagen dürfen, dass du überreagierst. Da läuft wirklich irgendeine krumme Sache.“

„Soll das eine Entschuldigung sein? Denn ich habe das Wort irgendwie nicht gehört. Und wo wir gerade beim Thema sind: Hatten wir nicht inzwischen genug Fälle, die für alle anderen harmlos aussahen, bei denen ich aber am Ende recht hatte? Solltest du nicht langsam wissen, dass du mir Zweifelsfall lieber einmal zu viel vertraust?“

„Ja, aber nicht bei allen…“, begann er, entschied sich dann aber anders. „Es tut mir leid.“

„Danke. Entschuldigung angenommen“, sagte Keri und beschloss, über den ersten Teil des Satzes hinwegzusehen.

Ihr Handy summte. Keri erschrak. Doch es war nicht der Sammler, sondern Joanie Hart, die Keri mitteilte dass sie den jungen Mann noch nie gesehen hatte.

Sie zeigte Ray die Mitteilung und schüttelte den Kopf darüber, dass diese Frau kaum am Wohlergehen ihrer Tochter interessiert war. Dann ging ein Anruf ein. Es war Mariela Caldwell.

„Detective Locke, hallo Mrs. Caldwell.“

„Hi Detective, ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass Ed und ich den Mann auf den Fotos noch nie gesehen haben, aber Sarah hat erwähnt, dass Lanie über ihren neuen Freund gesagt hat, er sähe aus wie ein Rockstar. Ich denke, das könnte er sein.“

„Das ist durchaus möglich“, sagte Keri. „Hat Sarah auch seinen Namen erwähnt?“

„Ich bin ziemlich sicher, dass er Dean heißt. An einen Nachnamen kann ich mich aber nicht erinnern. Ich denke nicht, dass sie ihn weiß.“

„Vielen Dank für diese Informationen, Mrs. Caldwell.“

„Können Sie damit denn etwas anfangen?“, fragte die Frau in einem Tonfall, der ihre ganze Sorge ausdrückte.

„Das ist gut möglich. Leider habe ich zu diesem Zeitpunkt nichts Neues für Sie. Ich verspreche Ihnen aber, dass wir weiterhin alles tun werden, um Sarah bald zu finden. Ich melde mich, sobald es neue Hinweise gibt.“

„Danke, Detective. Wissen Sie, nachdem Sie bei uns waren ist mir aufgefallen, dass Sie vor ein paar Monaten diese junge Surferin gerettet haben. Und ich weiß auch… nun… die Sache mit Ihrer eigenen Tochter…“, sie brach mitten im Satz ab und Keri glaubte ein leises Weinen zu hören.

„Bleiben Sie ganz ruhig, Mrs. Caldwell“, sagte Keri. Sie musste sich bemühen, nicht selbst die Fassung zu verlieren.

„Es tut mir so leid mit ihrem kleinen Mädchen…“

„Denken Sie jetzt nicht darüber nach. Wir wollen uns jetzt darauf konzentrieren, Ihre Tochter zu finden. Versuchen Sie nur, optimistisch zu bleiben. Lenken Sie sich ab, lassen Sie sich nicht verrückt machen. Wir kümmern uns um alles Weitere.“

„Danke, Detective“, flüsterte Mariela Caldwell kaum hörbar.

Keri legte auf und sah Ray an. Auch er sah besorgt aus.

„Keine Sorge, Partner, ich breche nicht zusammen. Zuerst finden wir dieses Mädchen“, versicherte sie ihm.

„Aber gerne. Und wie?“

„Ich denke, es ist Zeit mit Edgerton zu reden. Er hat vielleicht Neuigkeiten über die Handydaten. Außerdem wissen wir jetzt, dass der Mann aus dem Shopping Center Dean heißt. Vielleicht hat Lanie ihn bei Facebook und Co. erwähnt. Ihre Mutter mag nichts über ihn wissen, aber ich habe das Gefühl, dass das eher an ihrem Desinteresse liegt als daran, dass Lanie ihn verstecken will.“

Als sie das Shopping Center verließen und auf ihren Wagen zugingen, rief Keri Edgerton an und stellte ihr Handy auf Lautsprecher, damit Ray mithören konnte.

Edgerton meldete sich auf das erste Klingeln.

„Dean Chisolm“, sagte er ohne sie zu begrüßen.

„Was?“

„Der Mann auf den Fotos heißt Dean Chisolm. Das war auch ohne Gesichtserkennung nicht schwer. Die kleine Joseph hat ihn auf hundert Facebook-Fotos getagt. Er trägt fast immer Kapuze oder Sonnenbrille, als wollte er nicht erkannt werden, aber er ist nicht besonders gut darin. Er trägt immer das gleiche Shirt und die Tattoos sind ziemlich auffällig.“

„Gute Arbeit, Kevin“, sagte Keri. Wie immer war sie beeindruckt von der Effektivität des jungen Technikers. „Was wissen wir noch über ihn?“

„Er hat eine ziemlich dicke Akte bei uns, wegen Drogenbesitzes und Drogenhandels musste er vier Monate absitzen.“

„Klingt nach einem soliden Mitbürger“, murmelte Ray.

„Das ist noch nicht alles. Er steht außerdem in Verdacht, in einem Pornoring mit Minderjährigen beteiligt zu sein. Das konnte ihm aber noch nicht nachgewiesen werden.“

Keri sah Ray mit großen Augen an. Auch sein Blick veränderte sich schlagartig. Bis jetzt hatte er immer noch vermutet, dass diese Mädchen einfach einen kleinen Ausflug machten. Aber nach dem, was sie gerade über diesen Dean erfahren hatten, war nun auch er sichtbar beunruhigt.

„Was wissen wir über diesen Pornoring?“, fragte Keri.

„Unser Hauptverdächtiger ist ein besonders sympathischer Zeitgenosse namens Ernesto ‚Chiqy‘ Ramirez.“

„Chiqy?“, fragte Ray.

„Ein Spitzname. Chiquito bedeutet ‚winzig‘. Dem Foto nach zu schließen ist dieser Mann ein Brocken von einem Kerl. Ich vermute, der Spitzname ist ein Scherz.“

„Und wo finden wir diesen Scherzkeks Chiqy?“, fragte Keri ernst.

„Da muss ich euch leider enttäuschen. Er hat keine offizielle Adresse. Er bewegt sich in verlassenen Lagerhäusern und Hallen, wo er provisorische Zwangsbordelle betreibt, bis sie hochgenommen werden, dann zieht er weiter. Aber eine gute Nachricht habe ich noch.“

„Immer her damit“, sagte Ray und stieg in seinen Wagen.

„Wir haben die Adresse von Dean Chisolm. Und rein zufällig liegt die bei den gleichen Koordinaten, an denen die Handys der Mädchen zum letzten Mal aktiv waren. Ich schicke sie euch, zusammen mit einem Foto von Chiqy.“

„Dank‘ dir, Kevin“, sagte Keri. „Wir sind übrigens soeben einem Kevin-Junior begegnet. Er arbeitet beim Sicherheitsdienst im Shopping Center. Ein aufgeweckter junger Mann. Ich kann euch in Verbindung bringen, wenn du willst.“

„Klar, gerne. Wie ich immer sage – Computerfreaks dieser Welt, vereinigt euch!“

„Ach ja, das sagst du immer?“, neckte Keri ihn.

„Na gut, das denke ich jedenfalls immer“, gab er zu und legte schnell auf, bevor sie ihn noch weiter aufziehen konnten.

„Deine Laune ist überraschend gut, wenn man bedenkt, was uns gerade mitgeteilt wurde“, bemerkte Ray überrascht.

„Ich versuche so lange wie möglich locker zu bleiben“, sagte Keri. „Ich habe das Gefühl, dass ich das nicht mehr lange schaffen werde. Aber keine Sorge, sobald wir Chisolm finden, kann ich meine Nerven beruhigen, indem ich mit einem stumpfen Messer ein paar Tattoos entferne.“

„Gut zu wissen, wie locker du bist“, sagte Ray.

„Aber immer doch.“

KAPITEL SECHS

Keri versuchte, ihr wild schlagendes Herz zu beruhigen, während sie vor Dean Chisolms Haus im Gebüsch kauerte. Sie konzentrierte sich darauf, langsam und ruhig zu atmen und ließ ihre Finger auf der Waffe ruhen. So wartete sie darauf, dass ihre uniformierten Kollegen an seine Haustür klopfen. Ray hatte ebenfalls Position bezogen, allerdings hinter dem Haus. Zwei weitere Beamte sicherten die Seiten.

Trotz der kühlen Luft lief Keri unter der kugelsicheren Weste der Schweiß die Wirbelsäule herunter. Es war kurz nach sieben, die Temperatur war gerade unter zwanzig Grad gefallen. Keri hatte ihre Jacke im Auto gelassen, sie hätte nur ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Jetzt war sie froh, sie nicht mitgenommen zu haben. Sie hätte nur noch mehr geschwitzt.

Einer der Polizisten klopfte jetzt laut an die Tür. Keri fuhr zusammen. Sie duckte sich etwas tiefer ins Gebüsch, damit man sie nicht aus einem der Fenster sehen konnte. Bei dieser Bewegung spürte sie wieder ihre Rippen, die sie sich vor einigen Wochen bei einem anderen Fall gebrochen hatte. Eigentlich war alles gut verheilt, aber manchmal meldeten sie sich doch noch zu Wort.

Die Haustür wurde geöffnet. Keri strengte sich an, die Straßengeräusche auszublenden. Sie wollte lauschen.

„Dean Chisolm?“, hörte sie den Polizisten fragen. Er klang nervös. Hoffentlich fiel das seinem Gegenüber nicht auf.

„Nein, er ist im Moment nicht hier“, antwortete eine junge, aber überraschend selbstbewusste Stimme.

„Wer sind Sie bitte?“

„Ich bin sein Bruder Sammy.“

„Wie alt sind Sie, Sammy?“

„Sechzehn.“

„Sind Sie bewaffnet?“

„Nein.“

„Ist außer Ihnen jemand im Haus? Vielleicht Ihre Eltern?“

Sammy lachte laut auf. Dann wurde er wieder ernst.

„Meine Eltern haben sich schon länger nicht mehr blicken lassen“, sagte er gereizt. „Das Haus gehört Dean. Er hat es mit seinem eigenen Geld gekauft.“

Keri hatte genug gehört. Sie trat aus ihrem Versteck hervor.

Sammy sah sie genau in dem Moment an, als sie ihre Waffe wieder einsteckte. Seine Augen weiteten sich kurz, dann setzte er wieder den betont lässigen Blick auf.

Sammy sah aus, wie die perfekte Kopie seines großen Bruders. Sogar die blasse Haut und die dunklen Tattoos stimmten überein. Auch er hatte schwarzes Haar, aber es war lockig und nicht so durchgestylt wie das seines Bruders. Trotzdem trug er die typische Punk-Klamotten: schwarzes Shirt, hautenge Jeans mit ein paar nutzlosen Ketten und klobige schwarze Arbeitsstiefel.

„Wie kann Dean sich mit nur vierundzwanzig ein eigenes Haus leisten?“, fragte sie, ohne sich vorzustellen.

Sammy starrte sie an. Er wusste nicht, wie er mit ihr umgehen sollte.

„Er ist eben ein guter Geschäftsmann“, entgegnete er. Er hatte ihre Frage beantwortet, ohne seine Deckung aufzugeben.

„Und, sind die Geschäfte in letzter Zeit gut gelaufen, Sammy?“, fragte sie herausfordernd und machte noch einen Schritt auf ihn zu. Sie hoffte, den Jungen damit einzuschüchtern.

Die anderen Polizisten zogen sich etwas zurück, sodass jetzt niemand mehr zwischen Keri und Sammy stand. Ob das Absicht war, oder ob sie nur froh waren, nicht mehr in der ersten Reihe zu stehen, war Keri nicht ganz klar. Sie hatte jedenfalls nichts dagegen, jetzt das Gespräch alleine zu bestreiten.

„Davon habe ich keine Ahnung, Ma’am, schließlich bin ich nur ein kleiner High-School Schüler“, sagte er und klang dabei wieder sicherer.

„Das ist nicht ganz wahr, Samuel“, widersprach Keri, froh, dass sie Chisolms Akte unterwegs gelesen hatte. Dass sie seinen vollen Vornamen benutzte, schien ihn bereits zu verunsichern. „Auf der High School hast du dich schon länger nicht mehr blicken lassen. Genauer gesagt, seit vergangenem Frühjahr. Du hast gerade einem LAPD Detective ins Gesicht gelogen. Das ist kein guter Anfang. Aber ich gebe dir eine Chance, es wieder gut zu machen.“

„Was wollen Sie?“, fragte Sammy vorsichtig. Das Selbstbewusstsein hatte ihn verlassen. Er trat einen Schritt aus dem Türrahmen und stand jetzt hilflos vor ihr.

Er merkte nicht, dass Ray leise um das Haus bog und sich hinter ihm aufbaute. Keri stemmte ihre Hände in die Seiten und machte einen kleinen Schritt auf ihn zu, um seine Aufmerksamkeit weiterhin auf sich zu lenken. Jetzt trennte sie nur noch etwa ein Meter voneinander.

„Sag mir, wo Dean ist“, sagte sie. Ihre Stimmte klang jetzt ganz und gar nicht mehr verspielt. „Außerdem will ich wissen, wo die beiden Mädchen sind, die Dean heute Mittag mitgebracht hat.“

„Ich weiß nicht, wo er ist, Er ist vor ein paar Stunden gegangen und ich weiß nichts von irgendwelchen Mädchen.“

Keri wusste, dass Sammy der Polizei bisher nie aufgefallen war, auch wenn er von seinem Bruder höchstwahrscheinlich bereits in diversen kriminellen Disziplinen ausgebildet wurde. Er hatte Respekt vor ihr, das spürte sie und sie würde ihn noch weiter einschüchtern, um herauszufinden, was er wirklich wusste.

„Du hast mich schon wieder angelogen, Samuel, und so langsam verliere ich die Geduld. Du weißt so gut wie ich, in welchen Geschäften dein Bruder steckt, und du weißt so gut wie ich, mit welchem Geld er dieses Haus bezahlt hat. Genauso, wie du deine Zeit nicht damit verbringst, an deinem Schulabschluss zu arbeiten.“

Sammy öffnete den Mund um sich zu verteidigen, aber Keri hielt ihm ihre Hand vor das Gesicht und redete ohne Pause weiter.

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