„Du wirst mir nicht sagen, welches von beiden es ist, oder?“, fragte Kate.
„Ich habe dir eine Aufgabe gegeben“, sagte Siobhan. „Ich erwarte, dass du sie ausführst. Deine Fragen und Skrupel zählen dabei nicht. Hier geht es um die Loyalität, die ein Lehrling seinem Lehrer schuldet.“
Sie wollte wissen, ob Kate töten würde, nur weil sie es befohlen hatte.
„Sie könnten die Frau auch selbst töten, oder?“, fragte Kate. „Ich habe gesehen, was Sie können, einfach so aus dem Nichts erscheinen. Eine Person töten, Sie haben die Macht das zu tun.“
„Und wer sagt, dass ich es auch mache?“, fragte Siobhan. „Vielleicht ist der einfachste Weg für mich meinen Lehrling zu schicken.“
“Oder vielleicht wollen Sie auch nur sehen, was ich tun werde”, riet Kate. „Das ist eine Art Test.“
„Alles ist ein Test, Liebling“, sagte Siobhan. „Hast du das nicht schon gemerkt? Du wirst das tun.“
Was würde passieren, wenn sie das täte? Würde Siobhan ihr überhaupt erlauben, einen Fremden zu töten? Vielleicht war dies das Spiel, das sie spielte. Vielleicht beabsichtigte sie Kate zu erlauben, bis hin zum Fast Mord zu gehen und würde den Test dann stoppen? Kate hoffte, dass das stimmte, aber dennoch gefiel es ihr nicht, so gesagt zu bekommen, was sie zu tun hatte.
Das war nicht stark genug ausgedrückt, so wie Kate sich fühlte. Sie hasste es. Sie hasste Siobhans ständige Spielchen, ihr ständiger Drang, sie in irgendeine Art Werkzeug zum Benutzen zu verwandeln. Von Geistern durch den Wald gejagt zu werden, war ausreichend genug gewesen. Das hier war schlimmer.
„Was wenn ich nein sage?“, sagte Kate.
Siobhans Ausdruck verdunkelte sich.
„Glaubst du das geht?“, fragte sie. „Du bist mein Lehrling, du hast es geschworen. Ich kann mir dir machen, was ich will.“
Dann sprangen Pflanzen um Kate herum aus dem Boden, scharfe Dornen verwandelten sie in Waffen. Sie berührten sie nicht, aber die Bedrohung war offensichtlich. Es schien, dass Siobhan noch nicht fertig war. Sie zeigte wieder auf den Brunnen und die Szene veränderte sich.
„Ich könnte dich nehmen und dich einen der Vergnügungsgärten von Südissettia ausliefern“, sagte Siobhan. „Dort gibt es einen König, der vielleicht geneigt ist, im Austausch für das Geschenk zu kooperieren.“
Kate bekam einen kurzen Blick auf Mädchen in Seide gekleidet, die um einen Mann der doppelt so alt war, herumliefen.
“Ich könnte dich nehmen und dich in die Sklavenlinien der nahen Kolonien bringen”, fuhr Siobhan fort, und gestikulierte, sodass die Szene lange Reihen von Arbeitern zeigte, die mit Spitzhacken und Schaufeln in einer offenen Mine arbeiteten. „Vielleicht werde ich dir sagen, wo du die besten Steine für Händler finden kannst, die tun, was ich sage.“
Die Szene änderte sich erneut und zeigte eine Folterkammer. Männer und Frauen schrien, während maskierte Figuren mit heißen Eisen arbeiteten.
„Oder vielleicht übergebe ich dich dem Priester der maskierten Göttin, damit du die Buße für dein Verbrechen erhältst.“
„Das würden Sie nicht tun“, sagte Kate.
Siobhan griff so schnell nach Kate, dass sie kaum Zeit hatte nachzudenken, ehe die andere Frau sie kopfüber in den Wasserbrunnen drückte. Sie schrie, aber das hieß nur, dass sie keine Zeit hatte zu atmen, als sie hineingestoßen wurde. Das kalte Wasser umgab sie, und obwohl Kate kämpfte, fühlte es sich an, als wenn sie ihre Stärke in diesem Moment verlassen hätte.
„Du weißt nicht, was ich tun würde und was nicht“, sagte Siobhan, ihre Stimme schien von weit weg zukommen. „Du glaubst, dass ich die Welt so wie du sehe. Du glaubst, dass ich aufhöre oder freundlich bin oder deine Beleidigungen ignoriere. Ich könnte dich alles machen lassen, was ich will und du würdest immer noch mir gehören. Ich kann mit dir machen, was ich will.“
Kate sah plötzlich Dinge im Wasser. Sie sah schreiende Figuren, vor Schmerzen gekrümmt. Sie sah einen Ort gefüllt mit Schmerz und Gewalt, Terror und Hilflosigkeit. Sie erkannte einige von ihnen, weil sie sie getötet hatte oder ihre Geister zumindest. Sie hatte ihre Bilder gesehen, als sie sie durch den Wald gejagt hatten. Sie waren Krieger, die Siobhan geschworen hatten.
„Sie haben mich betrogen“, sagte Siobhan, „und sie haben für ihren Betrug bezahlt. Du wirst dein Wort halten oder ich werde dich in etwas Nützlicheres verwandeln. Tue, was ich sage oder du wirst zu ihnen gehen und mir so dienen wie sie.“
Sie ließ Kate los und Kate kam hoch und spuckte, als sie nach Luft rang. Der Brunnen war weg und sie standen wieder im Hof des Schmieds. Siobhan stand jetzt ein wenig von ihr entfernt, als wenn nichts passiert wäre.
“Ich will deine Freundin sein, Kate”, sagte sie. „Du willst mich nicht als Feindin haben. Aber ich werde tun, was ich tun muss.“
„Was Sie müssen?“, schoss Kate zurück. „Glauben Sie, Sie müssen mich bedrohen oder Menschen umbringen?“
Siobhan spreizte ihre Hände. „Wie ich sagte, das ist der Fluch der Macht. Du hast das Potenzial sehr nützlich dabei zu sein bei dem, was kommt und ich werde das Beste dabei herausholen.“
„Ich werde es nicht tun“, sagte Kate. „Ich werde kein Mädchen grundlos töten.“
Kate begann, um sich zu schlagen, nicht körperlich, aber mit ihrer Kraft. Sie sammelte all ihre Stärke und warf sie wie ein Stein auf die Mauer, die um Siobhans Gedanken saß. Es prallte ab, die Macht verschwand.
„Du hast nicht die Macht mich zu besiegen“, sagte Siobhan, „und du solltest diese Entscheidung nicht treffen. Lass mich die Entscheidung für dich einfacher machen.“
Sie gestikulierte und der Brunnen erschien wieder, das Wasser veränderte sich. Dieses Mal musste sie nicht nachfragen, wen sie sah, als das Bild fest wurde.
„Sophia?“, sagte Kate. „Lass sie ihn Ruhe, Siobhan. Ich warne Sie –“
Siobhan griff wieder nach ihr und zwang sie auf das Bild zu schauen mit ihrer starken Macht, die sie hier zu besitzen schien.
„Jemand wird sterben“, sagte Siobhan. „Du kannst wählen wer, einfach, indem du wählst Gertrude Illiard zu töten. Du kannst sie töten oder deine Schwester kann sterben. Es ist deine Entscheidung.“
Kate starrte sie an. Sie wusste, dass es keine Wahl gab, nicht wirklich. Nicht wenn es um ihre Schwester ging. „Okay“, sagte sie. “Ich tue es. Ich tue, was du willst.”
Sie drehte sich um und ging nach Ashton. Sie verabschiedete sich nicht von Will, Thomas oder Winifred, teilweise, weil sie es nicht riskieren wollte, Siobhan zu nahe zu ihnen zu bringen und weil sie sich sicher war, dass sie irgendwie sehen würden, was sie als Nächstes tun würde und sie würden sich für sie schämen.
Kate schämte sich. Sie hasste den Gedanken daran, was sie gleich tun würde und die Tatsache, dass sie so wenig Wahl dabei hatte. Sie musste einfach hoffen, dass all das ein Test war und Siobhan sie rechtzeitig aufhalten würde.
„Ich muss das tun“, sagte sie zu sich selbst, während sie lief. „Ich muss.“
Ja, flüsterte Siobhans Stimme ihr zu, du musst.
KAPITEL ZWEI
Sophia ging zurück in die Richtung des Camps, das sie mit den anderen gemacht hatte, und wusste nicht, was sie tun sollte, was sie denken sollte oder sogar was sie fühlen sollte. Sie musste sich auf jeden Schritt in der Dunkelheit konzentrieren, aber in Wirklichkeit konnte sie sich nicht konzentrieren, nicht nach dem, was sie gerade herausgefunden hatte. Sie stolperte über Wurzeln, hielt sich an Bäumen fest, während sie versuchte, Sinn in den Neuigkeiten zu sehen.
Siennes Anwesenheit festigte sie. Die Waldkatze drückte gegen ihre Beine, führte sie den Weg zurück dorthin, wo der Wagen stand und wo der Lichtkreis des Feuers wie der einzige Sicherheitspunkt auf der Welt schien, die plötzlich keine Grundlage mehr hatte. Cora und Emeline waren da, die ehemalige Dienerin im Palast und die Heimatlose mit dem Talent Gedanken zu berühren und sie schauten Sophia an, als wenn sie sich in einen Geist verwandelt hätte.
Im Moment war sich Sophia nicht sicher, ob sie das nicht getan hatte. Sie fühlte sich unwirklich; unreal, als wenn der reine Luftzug sie in Dutzende Richtungen werfen würde und sie nie wieder ganz wäre. Sophia wusste, dass der Ausflug zurück durch den Wald sie wie ein wildes Ding aussehen ließen. Sie lehnte sich gegen einer der Räder des Wagens und starrte stumm vor sich hin, während Sienne sich gegen sie lehnte, schon fast so, wie eine Hauskatze das tun würde, anstatt einer großen Raubkatze, wie sie eine war.
„Was ist los?“, fragte Emeline. Ist etwas passiert? Fügte sie gedanklich hinzu.
Cora kam zu ihr und berührte Sophias Schulter. „Ist etwas nicht in Ordnung?“
„Ich …“ lachte Sophia, auch wenn lachen vielleicht nicht die geeignete Antwort dafür war, wie sie sich gerade fühlte. „Ich glaube, ich bin schwanger.“
Irgendwo mittendrin beim Aussprechen wurden aus dem Gelächter Tränen, und als sie einmal anfingen zu laufen, konnte Sophia sie nicht aufhalten. Sie kamen einfach und sie konnte nicht einmal sagen, ob das Freudentränen oder Tränen der Verzweiflung waren, Anspannung bei dem Gedanken an alles, was auf sie zukam oder etwas völlig anderes.
Die anderen umarmten sie, während die Welt durch den Nebel verschwand.
„Es wird alles gut werden“, sagte Cora. „Wir schaffen das.“
Sophia wusste nicht, wie das funktionieren sollte.
„Ist Sebastian der Vater?“, fragte Emeline.
Sophia nickte. Wie konnte sie glauben, dass da noch jemand anderes gewesen war? Dann erkannte sie… Emeline dachte an Rupert und fragte, ob sein Versuch sie zu vergewaltigen weiter gegangen war, als sie gedacht hatten.
„Sebastian …“, schaffte Sophia es zu sagen. „Er ist der Einzige, mit dem ich je geschlafen habe. Es ist sein Kind.“
Ihr Kind. Oder das wäre es zumindest bald.
„Was wirst du tun?“, fragte Cora.
Das war die Frage, auf die Sophia keine Antwort hatte. Es war die Frage, die sie erneut überwältigte und die Tränen erneut fließen ließ, nur bei dem Versuch darüber nachzudenken. Sie konnte sich nicht vorstellen, was als Nächstes kam. Sie schaffte es einfach nicht damit anzufangen herauszufinden, wie die Dinge funktionieren sollten.
Dennoch gab sie sich Mühe darüber nachzudenken. In einer idealen Welt wären sie und Sebastian jetzt schon verheiratet und sie hätte, umgeben von Menschen, die ihr helfen würden, in einem warmen, sicheren Zuhause herausgefunden, dass sie schwanger wäre und Sophia hätte das Kind ohne Schwierigkeiten großgezogen.
Stattdessen war sie jetzt im Freien, im Nassen und hatte die Neuigkeiten nur mit Cora und Emeline erfahren und nicht mal ihre Schwester war da, um zu helfen.
Kate? Sendete sie in die Dunkelheit. Kannst du mich hören?
Es kam keine Antwort. Vielleicht wegen der Entfernung oder vielleicht war Kate zu beschäftigt zu antworten. Vielleicht spielten noch ein Dutzend anderer Dinge eine Rolle, aber tatsächlich wusste Sophia nicht genug über das Talent, dass sie und ihre Schwester hatten, um zu wissen, was es einschränkte. Alles, was sie wusste war, das die Dunkelheit ihre Wörter verschlang, als wenn sie sie einfach geschrien hätte.
„Vielleicht kommt Sebastian dir nach“, sagte Cora.
Emeline sah sie skeptisch an. “Glaubst du das wirklich? Dass ein Prinz einem Mädchen hinterherläuft, nachdem er sie geschwängert hat? Dass er sich irgendwie dafür interessiert?”
“Sebastian ist nicht wie die meisten anderen im Palast”, sagte Sophia. “Er ist nett. Er ist ein guter Mann. Er –“
“Er hat dich zum Gehen gezwungen”, wies Emeline sie darauf hin.
Sophia konnte dem nichts entgegensetzen. Sebastian hatte keine Wahl gehabt, als er herausgefunden hatte, wie sie in angelogen hatte, aber er hätte versuchen können, einen Weg um die Hindernisse herum zu finden, die seine Familie aufgestellt hätte oder er hätte ihr nachkommen können.
Es war gut zu glauben, dass er ihr vielleicht nachkommen würde, aber wie wahrscheinlich war das? Wie realistisch war es, zu hoffen, dass er vielleicht das ganze Land durchqueren würde, auf der Suche nach jemandem, der ihn bei allem belogen hatte? Bis hin zu der Person die sie war. Glaubte sie, dass dies hier ein Lied war, wo der galante Prinz über Berge und Täler reitet, um die Dame zu finden, die er liebt? So funktionierten die Dinge nicht. Die Geschichte war voll von königlichen Bastarden, was bedeutete da schon einer mehr?
“Du hast recht”, sagte sie. “Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass er mir folgt. Seine Familie würde das nicht erlauben, auch wenn er es vorhätte. Aber ich muss hoffen, weil ohne Sebastian … ich glaube nicht, dass ich das ohne ihn kann.”
“Es gibt Menschen, die ihre Kinder alleine großziehen”, sagte Emeline.
Die gab es, aber könnte Sophia eine von ihnen sein? Sie wusste, dass sie niemals, nie ein Kind in ein Waisenhaus geben könnte, nach dem was sie im Haus der Herrenlosen durchgemacht hatte. Dennoch konnte sie hoffen ein Kind großzuziehen, wenn sie nicht mal einen Platz für sich selbst fand, wo sie sicher war?
Vielleicht gab es bald Antworten auf diese Fragen. Das große Haus war im Dunkeln nicht zu sehen, aber Sophia wusste, dass es da draußen war und sie mit Versprechungen seiner Geheimnisse lockte. Es war der Ort, an dem ihre Eltern gelebt hatten und der Ort, dessen Flure noch immer ihre Träume mit schwachen Erinnerungen an Flammen jagten.
Sie war hier hergekommen, um die Wahrheit darüber herauszufinden, wer sie war und wohin sie in dieser Welt gehörte. Vielleicht würde diese Antwort ihr ausreichend Stabilität geben, um ihr Kind aufzuziehen. Vielleicht würde sie ihr einen Ort geben, wo alles in Ordnung kommen würde. Vielleicht konnte sie sogar Kate rufen und ihrer Schwester sagen, dass sie einen Ort für sie alle gefunden hatte.
“Du … hast Möglichkeiten”, sagte Cora und das Zögern in ihrer Stimme verriet, was diese Möglichkeiten sein könnten, noch ehe Sophia sich ihre Gedanken angeschaut hatte.
“Willst du das ich mein Kind weggebe?”, fragte Sophia. Allein der Gedanke daran … sie war sich nicht sicher, ob sie das konnte. Wie könnte sie das tun?
“Ich möchte nur, dass du tust, was immer du glaubst, was das Beste ist”, sagte Cora. Sie griff in den Beutel an ihrem Gürtel, neben dem, der Make-up enthielt. “Das ist Rakkas Puder. Jede Leibeigene lernt das schnell kennen, weil sie nicht nein zu ihrem Herrn sagen kann und die Frau des Herrn will keine Kinder, die nicht ihre sind.”
Es lag ein wenig Schmerz und Bitterkeit darin, ein Teil, den Sophia verstehen wollte. Instinktiv sucht sie nach Coras Gedanken und fand Schmerz, Erniedrigung, ein Adliger, der bei einer Party in den falschen Raum gekommen war.
Es gibt Dinge, in die sollten wir uns nicht einmischen, schickte ihr Emeline zu. Ihr Ausdruck zeigte nicht, was sie fühlte, aber Sophia konnte die Ablehnung fühlen. Wenn Cora es uns erzählen will, wird sie es uns erzählen.
Sophia wusste, dass sie recht hatte, aber dennoch fühlte es sich falsch an, dass sie nicht so für ihre Freundin da sein konnte, wie Cora vorher bei Prinz Rupert.
Du hast recht, schickte sie zurück. Es tut mir leid.
Lass Cora nicht merken, dass du neugierig warst. Du weißt, wie persönlich so etwas sein kann.
Sophia wusste das, denn, wenn es um Ruperts Versuch ging, sie in seine Geliebte zu verwandeln, wollte sie auch nicht darüber reden oder nachdenken oder auf irgendeine Art etwas damit zu tun haben.
Jetzt wo es um Schwangerschaft ging, war das dennoch ein wenig anders. Hier ging es um sie und Sebastian und das war etwas Großes, Kompliziertes und wahrscheinlich Wunderbares. Es war aber auch ein schreckliches Disaster für sie und alle um sie herum.