Sie schüttelte den Kopf.
Die Frau nickte, scheinbar befriedigt mit der Antwort. Wahrscheinlich dachte sie, dass Kate nur ein dummer, von zu Hause weggelaufener Teenager war. Dass sie Aufregung gesucht hatte, fast getötet worden war, und jetzt Angst davor hatte bestraft zu werden.
"Ich mache den Anruf," sagte die Frau, stand auf und strich ihren Rock glatt.
Sie ging und Kate bemerkte, dass sie das erste Mal alleine war. Der Schlauch in ihrem Hals machte sie wahnsinnig. Er juckte wie wild. Und sie wollte verzweifelt in der Lage sein zu sprechen. Sie musste jemanden fragen wo Elijah war. Sie erinnerte sich in seinen Armen gelegen zu haben. Warum war er nicht mit ihr im Krankenwagen gewesen? Er musste den Krankenwagen gerufen haben.
Kate schaffte es sich aufzusetzen und endlich einen halbwegs guten Blick auf die Station zu bekommen. Sie war mit anderen, schlafenden Menschen gefüllt. Sie begriff, dass sie alle im Koma lagen, wie sie es auch sein sollte. Sie hatten sie hergebracht, in der Annahme, dass sie nicht aufwachen würde, bis die Schwellung ihres Gehirns zurückgegangen war. Aber ihr Köper hatte die Medikamente abgestoßen.
Ihre Knochen waren auch geheilt. Das ist, was die Ärzte gesagt hatten. Jeder Knochen in ihrem Arm – Ulna, Radius, Humerus – war zersplittert gewesen und trotzdem spürte sie keinen Schmerz. Tatsächlich schienen ihre Arme vollkommen in Ordnung zu sein. Sie konnte ihre Hände vor sich rotieren lassen und alle Finger bewegen. Tatsächlich … sie griff an ihren Mund und fand den seltsamen Plastikmundschutz. Sie quetschte ihre Finger darunter und begann zu ziehen.
Der Schlauch fing an aus ihrem Hals zu rutschen. Es war unglaublich unangenehm, aber sie zog, bis der komplette Schlauch aus ihrem Mund war. Endlich konnte sie wieder richtig atmen. Sie warf den Schlauch auf den Boden und war froh ihn los zu sein.
Das nächste was sie störte war der Tropf in ihrem Arm. Sie riss das Pflaster ab, das sie an Ort und Stelle hielt, und zog die Nadel heraus. Blut erschien unter ihrer Haut und sie leckte es instinktiv ab.
Ohne die Schläuche und Kabel fühlte sie sich besser, und mehr in der Lage ihre Situation einzuschätzen. Ihr Körper fühlte sich in keinerlei Hinsicht schlecht. Sie hatte nirgendwo Schmerzen. Das Einzige, dessen sie sich bewusst wurde, ohne den Schlauch in ihrem Hals, war ein nagendes Gefühl im Magen. Sie verhungerte. War das ein normales Gefühl, nach einer Nahtoderfahrung?
Sie berührte ihren Körper durch den dünnen Krankenhauskittel. Alles war wo es sein sollte. Sie war genervt bei dem Gedanken, dass sie ihr vermutlich all ihre Anziehsachen vom Körper geschnitten hatten, um nach Verletzungen zu suchen, die nicht wirklich da waren. Aber … wieso hatte sie keine Verletzungen erlitten? Keine gebrochenen Rippen oder angestochene Lungenflügel. Keine gerissenen Organe. Es war alles so verwirrend.
Sie bemerkte, dass ihr Rucksack mit ihr zusammen hereingebracht worden war. Sie hob ihn zu sich und fand das Buch von Amy, das jetzt mit der zerquetschten Schokolade von Dinah beschmiert war. Dann, ganz am Boden, fand sie ihr Handy. Ihre Mutter hatte ihr kein Smartphone erlaubt, so wie Madison, also hatte sie eines dieser unverwüstlichen Dinger. Glücklicherweise hatte es den Unfall überlebt.
Sie nahm es und schrieb Amy als erstes, einerseits, weil ihr Name schneller war und auch weil sie von den dreien ihre engste Freundin war.
Von Auto angefahren. Vollkommen okay. Bitte finde Elijah.
Sie drückte auf Senden und wartete. Es dauerte nur Sekunden bis sie eine Antwort bekam.
WAS!?!?!??!
Kate seufzte. Offensichtlich hatte Amy nicht gelesen, dass sie okay war. Sie schrieb zurück.
Wirklich, keine große Sache. Nichts gebrochen. Bitte bitte bitte finde Elijah.
Amys Antwort kam sofort.
Du bist ganz klar krank!! Wo bist du?
Frustriert legte Kate das Telefon neben sich aufs Bett. Sie musste unbedingt Elijah finden und ihn fragen was hier vor sich ging. Sie war sich sicher, dass er es wusste.
Dann bemerkte sie, dass die Ärzte an ihr Bett kamen. Sie hatten einen anderen gefunden, einen alten Mann mit weißem Haar und sie kamen geradlinig auf sie zu. Als sie sie auf dem Bett sitzen sahen, mit herausgezogenem Schlauch und Infusion, blieben sie abrupt stehen.
"Ist das eine Art Scherz?" fragte der weißhaarige Arzt.
Die anderen schüttelten mitfühlend den Kopf. "Ich war in der Sekunde bei ihr, als sie aus dem Krankenwagen kam. Die Sanitäter haben gesagt, dass sie keinen Puls hatte aber im Krankenwagen aufgewacht ist und geatmet hat."
"Ihr wurden zwei volle Dosen Propofol verabreicht," fügte eine anderer hinzu.
"Wie kann sie sich dann aufsetzen?" fragte der weißhaarige Arzt.
Kate wurde zunehmend frustriert bei der Art, wie sie über sie redeten anstatt mit ihr. Sie war diejenige, die eine traumatische Erfahrung hinter sich hatte und sie behandelten sie als wäre sie eine Zirkusnummer.
"Hi," sagte sie, erleichtert, dass der Schlauch ihren Hals nicht verletzt hatte. "Ich glaube ich fühle mich schon besser. Kann ich nach Hause gehen? Ich sehe nicht, warum wir meine Familie beunruhigen sollten."
Sie fing an aufzustehen, aber die Ärzte hielten sie auf dem Bett fest.
"Nein. Warte. Es tut mir leid, aber du kannst nicht gehen, bis wir dich getestet haben. Du könntest einen Hirnschaden haben."
"Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das nicht habe," sagte Kate. "Soll ich das Alphabet rückwärts aufsagen oder so etwas in der Art?"
Der Arzt mit den weißen Haaren sah die anderen erstaunt an. Schließlich stellte er die Frage, die allen auf der Zunge brannte:
"Was bist du?"
KAPITEL SECHS
Kates Eltern kamen erst viele Stunden später zum Krankenhaus. Ihr Vater hatte seine Arbeit nicht früher verlassen können (oder wollte es nicht). Ihre Mutter war, obwohl sie den Anruf vom Krankenhaus bekommen hatte, "zu beschäftigt" gewesen. Es war bereits sieben Uhr abends, als jemand von ihrer Familie kam. Das Krankenhaus hatte sogar versucht Madison zu erreichen, die mit achtzehn Jahren, das nächste war, was sie an "erwachsenen" Verwandten finden konnten. Aber sie war zu beschäftigt gewesen an einem "wichtigen" Cheerleader-Wettbewerb nach der Schule teilzunehmen – ganz klar wichtiger als das Leben ihrer Schwester – und war nicht gekommen.
Währenddessen waren verschiedene Ärzte und Schwestern gekommen um Kate zu sehen und alle waren verblüfft gewesen. Letzten Endes hatten sie entschieden, dass es eine Art kranker Scherz war, dass sie den Unfall vorgetäuscht hatte, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Das war eine Meinung die ihre Familie teilte, als sie endlich kam.