Dann wurde es ihm, sehr zu seinem Schrecken, klar. Sein Herz setzte einen Augenblick lang aus: tausende von Männern des Rings wurden dort unten in Fesseln davongezerrt – Kendricks Männer waren Gefangene. Das waren seine Männer. Sie waren vollständig eingekesselt von gut zehnmal so vielen Empirekriegern. Sie waren zu Fuß, mit gefesselten Händen, und wurden abgeführt. Godfrey wusste, dass Kendrick und Erec niemals kapitulieren würden, es sei denn sie hatten einen guten Grund dafür. Es sah aus, als wären sie in eine Falle gelaufen.
Godfrey wurde von Panik erfasst. Er fragte sich wie das passieren konnte. Er hatte erwartet, sie in einer hitzigen aber halbwegs ausgeglichenen Schlacht anzutreffen und sich ihnen mit frischen Männern anzuschließen. Doch stattdessen verschwanden sie in Richtung des Horizonts und waren schon fast einen halben Tagesritt entfernt.
Der Kommandant von Godfreys Empirekriegern ritt neben ihn und sah ihn spöttisch an.
„Scheint als ob deine Männer verloren haben“, sagte er. „Das war nicht Teil unseres Handels.“
Godfrey sah ihn an und bemerkte wie besorgt der Kommandant zu sein schien.
„Ich habe dich gut bezahlt“, sagte Godfrey. Er war nervös und fürchtete, dass sein Handel dabei war, sich in Rauch aufzulösen, doch er versuchte so selbstbewusst wie möglich zu klingen und sich nichts anmerken zu lassen. „Und du hast geschworen, dich mir anzuschließen.“
Doch der Kommandant schüttelte den Kopf.
„Ich habe dir versprochen, mit dir in die Schlacht zu ziehen – nicht in eine Selbstmordmission. Meine paar Tausend Männer werden nicht gegen ein ganzes Bataillon von Andronicus‘ Männern ziehen. Die Rahmenbedingungen für unseren Handel haben sich geändert. Du kannst sie alleine bekämpfen – und ich behalte das Gold.“
Er wandte sich um, schrie, gab seinem Pferd die Sporen und ritt in die andere Richtung davon. Seine Männer folgten seinem Beispiel. Bald verschwanden sie auf der anderen Seite des Tals.
„Er hat unser Gold!“, rief Akorth. „Sollen wir ihn verfolgen?“
Godfrey schüttelte den Kopf und sah zu, wie er davonritt.
„Und was soll uns das bringen? Gold ist Gold. Ich werde nicht ein Leben dafür aufs Spiel setzen. Lass ihn gehen. Wo dieses Gold herkam, ist noch viel mehr.“
Godfrey wandte sich ab und sah wieder zum Horizont und der Gruppe von Kendricks und Erecs Männern hinterher, die langsam dort verschwanden. Nun war seine Verstärkung fort, und er war sogar noch isolierter als zuvor. Seine Pläne brachen wie ein Kartenhaus um ihn herum zusammen.
„Und was nun?“, fragte Fulton.
Godfrey zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung“, sagte er.
„So etwas solltest du nicht sagen“, sagte Fulton. „Du bist jetzt schließlich ein Anführer.“
Doch Godfrey zuckte wieder mit den Schultern. „Ich sage nur die Wahrheit.“
„Das Kriegshandwerk ist wirklich hart.“, sagte Akorth, kratzte seinen Bauch und nahm seinen Helm ab. „Es scheint sich nicht so zu entwickeln, wie du es erwartet hast, nicht wahr?“
Godfrey saß auf seinem Pferd und schüttelte den Kopf. Er überlegte, was er tun konnte. Das Schicksal hatte ihm Karten ausgeteilt, mit denen er nicht gerechnet hatte, und er hatte keinen Plan B.
„Sollen wir umkehren?“, fragte Fulton.
„Nein“, hörte Godfrey sich selbst sagen und war überrascht.
Die anderen sahen ihn schockiert an und kamen näher um ihm zuzuhören.
„Ich bin vielleicht kein großer Krieger.“, sagte Godfrey. „Doch das da draußen sind meine Brüder. Sie werden verschleppt. Wir können nicht umkehren. Selbst wenn es unseren Tod bedeuten sollte.“
„Seid Ihr wahnsinnig geworden?“, fragte der Silesische General. „Diese Krieger, Silver, MacGils, Silesier sind alle feine Krieger – jeder von ihnen, und selbst alle zusammen könnten niemals gegen die Männer des Empire dort unten bestehen. Wie stellt Ihr Euch vor, dass unsere paar Tausend Mann unter Eurem Kommando das anstellen sollen?“
„Ich habe nie gesagt, dass wir gewinnen würden.“, gab er zurück. „Ich sage nur, dass es das Richtige ist. Ich will sie nicht aufgeben. Wenn du nun umkehren und nach Hause reiten willst, bitte. Doch ich werde sie angreifen.“
„Ihr seid ein unerfahrener Anführer“, sagte er mit grimmigem Blick. „Ihr wisst nicht, wovon Ihr sprecht Mylord. Ihr werdet diese Männer in den sicheren Tod führen.“
„Das bin ich“, sagte er. „Das ist wahr. Doch du hast versprochen, nie wieder an mir zu zweifeln. Und ich werde nicht umkehren.“
Godfrey ritt ein paar Meter eine Anhöhe hinauf, damit ihn alle Männer sehen konnten.
„Männer!“, rief er mit polternder Stimme. „Ich weiß, dass ihr mich nicht als einen erfahrenen Anführer wie Kendrick, Erec oder Srog betrachtet. Und es ist wahr. Ich habe nicht ihre Fähigkeiten. Doch ich habe Herz. So wie ihr. Was ich weiß ist, dass das da draußen unsere Brüder sind, die gefangen genommen wurden. Und ich selbst wäre lieber tot als zu leben und mitansehen zu müssen, wie sie vor meinen Augen verschleppt werden und in als geprügelter Hund in unsere Städte zurückzukehren und abzuwarten, bis das Empire kommt, um ums abzuschlachten. Ihr könnt euch sicher sein: Sie werden uns eines Tages töten. Wir können jetzt stehenden Fußes dort hinunter gehen, kämpfen und den Feind als freie Männer verfolgen. Oder wir können in Schande ehrlos untergehen. Die Wahl liegt bei Euch. Reitet mit mir. Vielleicht werdet ihr leben, vielleicht werdet ihr sterben. Doch ihr werdet in Ehre reiten!“
Die Männer jubelten ihm zustimmend entgegen. So enthusiastisch, dass es Godfrey überraschte. Sie hoben ihre Schwerter hoch in die Luft, und ihr Einverständnis machte ihm Mut.
Es ließ Godfrey auch erkennen was das, was er tat, wirklich bedeutete. Er hatte nicht wirklich über seine Worte nachgedacht, bevor er sie aussprach. Der Überschwang des Augenblicks hatte ihn einfach mitgerissen. Nun erkannte er, dass er auch entsprechend handeln musste, und er war ein wenig erschrocken über das, was er zuvor gesagt hatte. Sein eigener Mut machte ihm Angst.
Als die Männer auf ihren Pferden ihre Waffen bereit machten, um sich auf den letzten Angriff vorzubereiten, kamen Akorth und Fulton zu ihm.
„Getränk gefällig?“, fragte Akorth.
Godfrey sah, wie Akorth nach einem Weinschlauch griff und riss ihn ihm aus der Hand; er warf den Kopf in den Nacken und trank und trank, bis er fast den ganzen Weinschlauch geleert hatte. Schließlich wischte sich Godfrey den Mund ab und gab den Schlauch zurück.
Was habe ich getan? Fragte er sich. Er war im Begriff seine Männer in eine Schlacht zu führen, die er nicht gewinnen konnte. War er noch ganz bei Trost?
„Ich dachte nicht, dass du das Zeug dazu hast.“, sagte Akorth, klopfte ihm grob auf den Rücken. Godfrey rülpste.
„Was für eine Ansprache, besser als Theater!“, sagte Fulton. „Wir hätten Eintritt verlangen sollen.“
„Irgendwie liegst du nicht ganz falsch…“, sagte Akorth, „Besser kämpfend untergehend als feige auf den Tod zu warten.“
„Wobei man das natürlich auch in Bett in einem Freudenhaus tun kann“, fügte er hinzu.
„Hört hört!“, sagte Fulton. „Oder wie wäre es mit einem Krug Bier in der Hand!“
„Das wäre fein.“, sagte Akorth und nahm einen Schluck.
„Doch nach einer Weile würde es sicher langweilig werden“, sagte Fulton. „Wie viele Krüge Bier kann ein Mann schon trinken, und mit wie vielen Frauen schlafen?“
„Nun, eine ganze Menge, wenn ich es recht bedenke.“, sagte Akorth.
„Wobei es auch Spaß machen könnte, auf andere Art und Weise zu sterben. Nicht so langweilig.“
Akorth seufzte.
„Also wenn wir das hier irgendwie überleben sollten, würde es uns einen Grund geben, uns so richtig zu betrinken. Diese eine Mal hätten wir es wirklich verdient!“
Godfrey wandte sich ab und versuchte Akorths und Fultons Geschnatter auszublenden. Er musste sich konzentrieren. Es war an der Zeit, dass er zum Mann wurde und die geistreichen Scherze und Trinkwitze hinter sich lassen; echte Entscheidungen treffen, die echte Männer in der wirklichen Welt betrafen. Er spürte die Schwere der Entscheidung auf seinen Schultern. Er kam nicht umhin sich zu fragen, ob sein Vater sich auch so gefühlt hatte. So sehr er ihn auch gehasst hatte, fühlte er nun eine seltsame Verbundenheit mit seinem Vater. Wurde er etwa genauso wie er?
Er vergaß die Gefahren vor sich und eine Welle von Selbstvertrauen stieg in ihm auf. Er gab seinem Pferd die Sporen, schrie, und stürmte ins Tal hinunter.
Hinter ihm erhoben sich sogleich die Schlachtrufe seiner Männer und das Klappern der Hufe füllte die Luft.
Godfrey war schwindelig. Seine Haare wehten im Wind, der Wein war ihm zu Kopf gestiegen und er stürmte dem sicheren Tod entgegen und fragte sich, worauf er sich da eingelassen hatte.
KAPITEL FÜNF
Thor saß auf seinem Pferd, sein Vater auf der einen Seite, McCloud auf der anderen und auch Rafi war ganz in der Nähe.
Hinter ihnen saßen zehntausende von Empirekriegern, der Großteil von Andronicus Armee, und erwarteten diszipliniert und geduldig auf Andronicus Befehl. Sie waren auf einer Anhöhe und blickten in die Highlands hinauf. Die Gipfel waren mit Schnee bedeckt. Hoch oben in den Highlands lag die Stadt der McClouds, Highlandia, und Thor betrachtete angespannte, wie tausende von Kriegern die Stadt verließen und auf sie zuritten, um sich für die nächste Schlacht vorzubereiten.
Sie waren weder MacGils noch Krieger des Empire. Sie trugen eine Rüstung, an die sich Thor vage erinnerte; doch als er den Knauf seines neuen Schwerts umklammert hielt, war er sich nicht sicher wer sie waren oder ob sie sie angreifen würden.
„Das sind McClouds. Meine Männer.“, sagte McCloud zu Andronicus. „Alles gute Krieger. Das sind Männer, mit denen ich einst trainiert und gekämpft habe.“
„Doch nun haben sie sich gegen dich gewandt.“, bemerkte Andronicus. „Sie reiten gegen dich in die Schlacht.“
McCloud machte ein Böses Gesicht. Mit nur einem Auge und dem Brandmal im Gesicht gab er ein groteskes Bild ab.
„Es tut mir Leid mein Herr“, sagte er. „Es ist nicht meine Schuld. Es ist das Werk meines Sohnes Bronson. Er hat meine eigenen Leute gegen mich aufgebracht. Wenn er nicht wäre, hätten sie sich schon längst uns angeschlossen.“
„Es ist nicht die Schuld deines Jungen.“, korrigierte ihn Andronicus kalt und wandte sich ihm zu. Es geschieht, weil du ein schwacher Anführer und ein noch schwächerer Vater bist. Dein Sohn ist dein Versagen. Ich hätte wissen müssen, dass du nicht dazu in der Lage sein würdest, deine eigenen Männer unter Kontrolle zu halten. Ich hätte dich schon vor langer Zeit töten sollen.“
McCloud schluckte nervös.
„Mylord, ihr solltet daran denken, dass sie nicht nur gegen mich kämpfen, sondern gegen Euch. Sie wollen den Ring vom Empire befreien.“
Andronicus schüttelte den Kopf und ließ seine Finger über seine Kette mit den Schrumpfköpfen gleiten.
„Doch du bist jetzt auf meiner Seite“, sagte er. „Wer gegen mich kämpft, kämpft auch gegen dich.“
McCloud zog sein Schwert und sah grimmig auf die nahende Armee herab.
„Ich werde wenn es sein muss jeden einzelnen von ihnen töten.“, sagte er ernst.
„Ich weiß, dass du das tun wirst.“, sagte er. „Wenn nicht, dann werde ich dich töten. Nicht, dass ich deine Hilfe brauchen würde. Meine Männer werden viel mehr Schaden anrichten, als du dir vorstellen kannst, besonders wenn sie von meinem Sohn Thornicus angeführt werden.“
Thor saß auf seinem Pferd und hörte ihrem Gespräch zu, doch er hörte nichts. Er war benommen. In seinem Kopf schwirrten Gedanken, die nicht ihm gehörten, Worte pulsierten und erinnerten ihn an seine neue Bindung zu seinem Vater, an seine Pflicht, für das Empire zu kämpfen, an sein Schicksal als Andronicus‘ Sohn. Die Gedanken schwirrten unerbittlich durch seinen Geist und so sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, einen klaren Kopf zu bekommen und einen eigenen Gedanken zu formulieren. Es war, als ob er ein Gefangener in seinem eigenen Körper war. Als Andronicus sprach, wurde jedes Wort zu einem Vorschlag in seinem Geist, und dann zu einem Befehl. Dann wurden diese Worte irgendwie zu seinen eigenen Gedanken. Thor wehrte sich dagegen, ein kleiner Teil von ihm versuchte, seinen Geist von diesen fremden Gefühlen zu befreien, Klarheit zu erlangen. Doch je mehr er sich wehrte, desto schwerer wurde es.
Während er auf seinem Pferd saß und zusah, wie die feindliche Armee über die Ebene ritt, fühlte er, wie das Blut durch seine Adern pulsierte, und das Einzige, woran er denken konnte, war seine Loyalität gegenüber seinem Vater, seine Verpflichtung jeden zu vernichten, der sich seinem Vater in den Weg stellte. Und an sein Schicksal, das Empire zu regieren.
„Thornicus. Hast du mich gehört?“, fragte Andronicus. „Bist du bereit, dich deinem Vater in der Schlacht zu beweisen?“
„Ja Vater.“, antwortete er und starrte geradeaus. „Ich werde jeden bekämpfen, der dich bekämpft.“
Andronicus grinste breit. Er wandte sich um und sah seine Männer an.
„Männer!“, polterte er. „Die Zeit ist gekommen, dem Feind entgegenzutreten, den Ring ein für alle Mal von den letzten Rebellen zu befreien. Wir werden mit diesen McClouds anfangen, die es wagen, sich uns zu widersetzen. Thornicus, mein Sohn, wird uns in die Schlacht führen. Ihr werdet ihm folgen so wie ihr mir folgt. Ihr werdet euer Leben genauso für ihn geben, wie ihr es für mich tun würdet. Verrat an ihm ist Verrat an mir!“
„THORNICUS!“, schrie Andronicus.
„THORNICUS!“ schrien Zehntausend Männer hinter ihnen wie aus einem Mund.
Ermutigt hob Thor sein neues Schwert hoch in die Luft. Das Schwert des Empire, das ihm sein geliebter Vater gegeben hatte. Er spürte eine Macht in dem Schwert, die Macht seiner Blutlinie, seines Volkes, von allem, was ihm das Schicksal bestimmt hatte. Endlich war er zu Hause. Vereint mit seinem Vater. Für seinen Vater würde Thor alles tun – sogar in den Tod gehen.
Thor stieß einen Schrei aus, gab seinem Pferd die Sporen und ritt allen anderen voraus hinunter ins Tal in die Schlacht. Hinter ihm erhoben sich die Schreie seiner Männer. Jeder einzelne von ihnen war bereit, Thornicus in den Tod zu folgen.
KAPITEL SECHS
Mycoples saß zusammengekauert und vollkommen in das riesige Akron-Netz verheddert und konnte sich weder strecken noch mit den Flügeln schlagen. Sie saß am Heck des Empire-Schiffs und so sehr sie sich auch bemühte, konnte sie weder ihren Kopf nicht heben, ihre Beine bewegen noch ihre Krallen ausfahren. Sie hatte sich noch nie in ihrem Leben so schrecklich gefühlt, nie einen solchen Mangel an Freiheit und Stärke empfunden. Sie war zusammengerollt und blinzelte langsam. Sie war niedergeschlagen – doch viel mehr wegen Thor als wegen ihrer Situation.
Mycoples konnte selbst aus dieser großen Entfernung Thors Energie spüren, selbst auf ihrem Schiff, dass durch gigantische Wellenberge und Täler segelte und ihr Körper von den Wellen, die über dem Deck zusammenbrachen hin und her gespült wurde. Mycoples konnte spüren, dass Thor sich in veränderte. Er wurde zu jemand anderem, war nicht mehr der Mann, den sie einst gekannt hatte. Es brach ihr das Herz. Sie gab sich die Schuld und hatte das Gefühl, dass sie ihn im Stich gelassen hatte. Sie versuchte wieder, sich aus dem Netz zu befreien, wollte so gerne zurück zu ihm um ihn zu retten. Doch es gelang ihr nicht.
Eine riesige Welle brach auf Deck und das schäumende Wasser der Tartuvianischen See umspülte sie und ihr Netz. Sie geriet ins Rutschen und schlug den Kopf an der hölzernen Reling an. Sie rollte sich zusammen und knurrte. Sie hatte einfach nicht mehr dieselbe Stärke und die Tatkraft wie vor ihrer Gefangennahme. Sie hatte sich in ihr neues Schicksal ergeben, wusste, dass sie sie fortbrachten um sie umzubringen, oder noch viel schlimmer, in ein Leben in Gefangenschaft. Es war ihr zwischenzeitlich egal. Alles was sie wollte war, dass Thor frei kam. Und sie wollte eine Gelegenheit, nur eine letzte Gelegenheit, sich an ihren Angreifern zu rächen.