Ich erinnere mich, wie ich nach draußen ging, mich umsah, den Berg hoch und hinunter, in die Bäume schaute, in der Erwartung, jemand würde auftauchen und winken. Aber niemand tauchte auf. Alles, was ich sah, waren Bäume. Und obwohl ich minutenlang wartete, hörte ich auch nichts, nur Stille. Aber ich wusste, ich wusste es einfach, dass ich beobachtet wurde. Da wusste ich, dass es hier oben andere Menschen gab, die überlebt hatten, genau wie wir.
Seit damals empfinde ich ein Art von Stolz, fühle mich als Teil einer schweigenden Gemeinschaft von isolierten Überlebenden, die in diesen Bergen leben, für sich bleiben, niemals miteinander kommunizieren, aus Angst, gesehen zu werden, aus Angst, für einen der Sklaventreiber sichtbar zu werden. Ich nehme an, so haben die anderen so lange überlebt: Indem sie nichts dem Zufall überlassen haben. Zuerst habe ich es nicht verstanden. Aber jetzt weiß ich es zu schätzen. Aber seitdem fühle ich mich nicht mehr allein, obwohl ich nie jemanden sehe.
Jedoch hat es mich auch wachsamer werden lassen. Diese anderen Überlebenden, wenn sie noch leben, müssen jetzt ebenso hungrig und verzweifelt sein wie wir. Besonders in den Wintermonaten. Wer weiß, ob der Hunger, die Notwendigkeit, ihre Familien zu füttern, einen von ihnen dazu bringen würde, die Grenze zu überschreiten, wenn ihr reiner Überlebensinstinkt ihre Großzügigkeit ersetzt hatte? Ich weiß, dass der Gedanke daran, dass Bree, Sasha und ich selbst verhungern könnten, mich schon auf ziemlich verzweifelte Ideen gebracht hat. Ich werde also nichts dem Zufall überlassen. Wir werden nachts umziehen.
Was sowieso perfekt ist. Ich werde den Morgen brauche, um noch ein letztes Mal alleine dort hinzugehen, zu prüfen, dass niemand ein- oder ausgegangen ist. Ich muss auch wieder zu der Stelle zurück, wo ich das Reh getroffen habe, und darauf warten. Ich weiß, dass es nur ein Versuch ist, aber wenn ich es wiederfinden kann und töten, kann es uns wochenlang ernähren. Dieses erste Reh damals habe ich verschwendet, das wir vor Jahren bekommen haben, weil ich nicht wusste, wie man es häutet, oder wie man es richtig zerstückelt oder aufbewahrt. Ich habe nur ein Gemetzel veranstaltet und nur geschafft, eine einzige Mahlzeit daraus zu machen, bevor der Kadaver verrottete. Es war eine schreckliche Verschwendung von Lebensmitteln, und ich bin entschlossen, dass mir das nicht wieder passiert. Dieses Mal, besonders mit dem Schnee, werde einen Weg finden, das Fleisch zu konservieren.
Ich fasse in meine Tasche und nehme das Taschenmesser heraus, das mein Vater mir gab, bevor er ging. Ich reibe den abgenutzten Griff, auf dem seine Initialen eingraviert sind und auf dem das Logo des Marine Corps prangt, wie ich es jeden Abend, seit wir hier angekommen sind, mache. Ich sage mir selbst, dass er noch am Leben ist. Sogar nach all den Jahren, obwohl ich weiß, dass die Chancen gering bis Null sind, ihn jemals wiederzusehen, kann ich mich nicht durchringen, die Idee ganz fallenzulassen.
Ich wünsche mir jeden Abend, mein Vater wäre niemals abgereist, hätte sich nicht freiwillig für den Krieg gemeldet. Es war von Anfang an ein dummer Krieg. Ich habe nie wirklich verstanden, wie alles begann, und ich habe immer noch keine Ahnung. Mein Vater hat es mir erklärt, mehrfach, aber ich habe es nicht verstanden. Wahrscheinlich war ich noch zu jung. Vielleicht war ich einfach noch nicht alt genug, um zu wissen, was für sinnlose Dinge Erwachsene sich gegenseitig antun können.
So, wie mein Vater es erklärte, war es ein zweiter Amerikanischer Bürgerkrieg – dieses Mal aber nicht zwischen dem Norden und dem Süden, sondern zwischen den politischen Parteien. Zwischen den Demokraten und Republikanern. Er sagte, es war ein Krieg, der schon lange vorherzusehen gewesen war. Über die letzten hundert Jahre, sagte er, hätte sich Amerika in zwei Nationen gespalten: Die ganz Rechten und die ganz Linken. Im Laufe der Zeit hätten sich die Positionen so verhärtet, dass es ein Land der entgegengesetzten Ideologien wurde.
Mein Vater sagte, dass die Linken, die Demokraten, eine Nation wollten, die von einer immer größeren Regierung geführt wurde, einer, die die Steuern auf 70 % erhöhte, und sich in alle Aspekte des Lebens der Menschen einbringen konnte. Er sagte, die Rechten, die Republikaner, hätten eine kleinere und kleinere Regierung gewollt, eine, die Steuern ganz abschaffte, sich aus dem Leben der Leute heraushielt und ihnen ermöglichte, selbst für sich zu sorgen. Mein Vater sagte, im Laufe der Zeit wären diese beiden unterschiedlichen Ideologien, statt sich einander anzunähern, noch weiter auseinander gedriftet, noch extremer geworden – bis zu dem Punkt, an dem nichts mehr ging.
Was die Situation noch schlimmer machte, sagte er, war, dass Amerika so überbevölkert war, dass es für jeden Politiker schwieriger wurde, landesweite Aufmerksamkeit zu bekommen, und die Politiker in beiden Parteien begann zu erkennen, dass extremen Positionen die einzige Möglichkeit waren, nationale Sendezeit zu bekommen – die sie für ihren persönlichen Ehrgeiz brauchten.
Daher waren die prominentesten Menschen aus beiden Parteien die extremsten, die jeweils versuchten, die anderen auszustechen. Sie nahmen Positionen ein, an die sie selbst gar nicht wirklich glaubten, die sie aber einnehmen mussten, weil sie in eine Ecke gedrängt waren. Natürlich konnten die beiden Parteien, wenn sie diskutierten, nur aneinandergeraten – und die Auseinandersetzungen wurden heftiger und heftiger. Zunächst waren es nur Beschimpfungen und persönliche Angriffe. Aber im Laufe der Zeit eskalierte die verbale Kriegsführung. Und dann, eines Tages, wurde eine Grenze überschritten.
Eines Tages vor über zehn Jahren, kam es zum heiklen Punkt, als ein politischer Führer einem andere mit dem tödlichen Wort drohte: „Sezession“. Wenn die Demokraten versuchten, die Steuern auch nur noch um einen Cent zu erhöhen, würde seine Partei sich von der Union abspalten, und jedes Dorf, jede Stadt, jeder Staat würde sich zweiteilen. Nicht nach Land, sondern nach Ideologie.
Sein Timing hätte nicht schlimmer sein können: Zu dieser Zeit befand sich die Nation in einer wirtschaftlichen Depression, und es gab genug Unzufriedene, die ihren Job verloren hatten, so dass er schnell an Beliebtheit gewann. Die Medien liebten die Bewertungen, die er bekam, und sie gaben ihm mehr und mehr Sendezeit. Seine Popularität wuchs. Da niemand ihn aufhielt und die Demokraten keine Kompromisse eingehen wollten, kam die Sache in Schwung und seine Idee manifestierte sich. Seine Partei schlug eine eigene Flagge für die Nation vor, sogar eine eigene Währung.
Das war der erste Wendepunkt. Wenn jemand aufgestanden wäre und ihn damals aufgehalten hätte, hätte vielleicht alles aufgehört. Aber keiner hielt ihn auf. Also eiferte er weiter.
Mutiger geworden, schlug dieser Politiker vor, die neue Union sollte auch eine eigene Polizei haben, eigene Gerichte, eigene Landespolizisten – und ein eigenes Militär. Das war der zweite Wendepunkt.
Wenn der demokratische Präsident zu der Zeit ein guter Anführer gewesen wäre, hätte er die Dinge damals aufgehalten. Aber machte die Situation durch eine schlechte Entscheidung nach der anderen noch schlimmer. Anstatt die Dinge zu beruhigen und sich um die wichtigsten Bedürfnisse der Menschen zu kümmern, ihre Unzufriedenheit, beschloss er, dass es nur einen Weg gab, die „Rebellion“ niederzuschlagen, auf die harte Tour: Er warf der gesamten republikanischen Führung Volksverhetzung vor. Er rief das Kriegsrecht aus, und mitten in der Nacht ließ er alle festnehmen.
Die Dinge eskalierten, und die gesamte Partei stellte sich hinter ihren Anführer. Auch die halbe Armee stellte sich hinter ihn. Die Menschen wurden aufgeteilt, in jedes Haus, in jeder Stadt, in allen Militärbaracken. Langsam baute sich die Spannung auf den Straßen auf, und Nachbarn hassten Nachbarn. Sogar Familien wurden getrennt.
Eines Nachts folgte die militärische Führung, die hinter den Republikanern stand, geheimen Anordnungen und initiierten einen Staatsstreich, bei dem sie ihre Anführer aus dem Gefängnis befreiten. Es war eine Pattsituation. Und auf den Stufen des Kapitols wurde der erste verhängnisvolle Schuss abgefeuert. Ein junger Soldat dachte, er würde einen Polizisten sehen, der seine Waffe zog, und schoss zuerst. Als der erste Schuss gefallen war, gab es kein Zurück mehr. Die letzte Grenze war überschritten worden. Ein Amerikaner hatte einen Amerikaner getötet. Ein Feuergefecht gefolgt, Dutzenden von Polizisten starben. Die republikanischen Anführer wurden an einen geheimen Ort gebracht. Von dem Moment an war das Militär in zwei Lager gespalten. Die Regierung war in zwei Lager gespalten. Städte, Dörfer, Gemeinden und Staaten, alle in zwei Lager gespalten. Diese Zeit wurde als die Erste Welle bekannt.
In den ersten Tagen bemühten sich Krisenmanager und Regierungsfraktionen verzweifelt, Frieden zu machen. Aber es war zu wenig, zu spät. Nichts konnte den nächsten Sturm verhindern. Eine Gruppe wucherischer Generäle nahm die Zügel in die Hand, weil sie den Ruhm wollten, weil sie die Ersten im Krieg sein wollten, weil sie den Vorteil von Geschwindigkeit und Überraschung wollten. Sie gingen davon aus, dass die ganze Sache sich am besten beenden ließ, indem man die Opposition sofort ausschaltete.
Der Krieg begann. Schlachten auf amerikanischem Boden folgten. Pittsburgh wurde das neue Gettysburg, mir zweihunderttausend Toten in einer Woche. Panzer wurden gegen Panzer mobil gemacht. Flugzeuge gegen Flugzeuge. Jeden Tag, jede Woche eskalierte die Gewalt. Linien wurden im Sand gezogen, Militär und Polizei waren geteilt, und die Kämpfe weiteten sich auf alle Staaten der Nation aus. Überall, jeder kämpfte gegen jeden anderen, Freund gegen Freund, Bruder gegen Bruder. Es kam an einen Punkt, an dem niemand mehr wusste, weshalb man eigentlich kämpfte. Die ganze Nation wurde in Blut ertränkt, und niemand schien dem ein Ende bereiten zu können. Diese Zeit wurde als die Zweite Welle bekannt.
Bis zu diesem Zeitpunkt, schlimm, wie es war, war es immer noch konventionelle Kriegsführung. Aber dann kam die Dritte Welle, die schlimmste von allen. Der Präsident, der verzweifelt von einem geheimen Bunker aus operierte, beschloss, dass es nur einen Weg gab, um das zu unterdrücken, was er weiterhin hartnäckig als die „Rebellion“ bezeichnete. Er rief seine besten Offiziere der Streitkräfte zusammen. Sie rieten ihm, die stärksten Waffen zu nutzen, die er hatte, um die Rebellion ein für alle Mal zu beenden: Er sollte Nuklearraketen ausrichten. Der Präsident stimmte zu.
Am nächsten Tag wurden nukleare Sprengladungen über strategischen Hochburgen der Republikaner in ganz Amerika abgeworfen. Hunderttausende starben an diesem Tag, an Orten wie Nevada, Texas, Mississippi. Millionen starben am zweiten.
Die Republikaner reagierten. Sie griffen zu ihren eigenen Waffen, griffen aus dem Hinterhalt mit NORAD an und warfen ihre eigenen nuklearen Sprengladungen über demokratischen Hochburgen ab. Staaten wie Maine und New Hampshire wurden größtenteils zerstört. Innerhalb der nächsten zehn Tage wurde fast ganz Amerika zerstört, eine Stadt nach der anderen. Es gab Welle auf Welle der schieren Verwüstung, und die, die nicht direkt bei den Angriffen starben, starben kurz danach am Gift in der Luft und im Wasser. Innerhalb von einem Monat war praktisch niemand mehr übrig, der kämpfen konnte. Die Straßen und Gebäude leerten sich, als die verbliebenen Menschen gegen ihre ehemaligen Nachbarn kämpften.
Aber mein Vater hat nicht einmal auf die Einberufung gewartet – deshalb hasse ich ihn. Er war schon lange zuvor gegangen. Vor dieser ganzen Geschichte war er zwanzig Jahre lang ein Offizier im Marine Corps gewesen, und er hatte das alles früher als die meisten kommen sehen. Jedes Mal, wenn er die Nachrichten schaute, jedes Mal, wenn er sah, wie sich zwei Politiker respektlos anschrien, immer noch eins draufsetzten, schüttelte mein Vater seinen Kopf und sagte: „Das wird zum Krieg führen. Glaub mir.“
Und er hatte Recht. Ironischerweise hatte mein Vater seine Zeit abgedient und war schon Jahre vor diesen Ereignissen aus dem Corps ausgeschieden. Aber am Tag, als der erste Schuss fiel, ließ er sich erneut einziehen. Noch bevor überhaupt die Rede von einem wirklichen Krieg war. Wahrscheinlich war der allererste Freiwillige für einen Krieg, der noch nicht einmal begonnen hatte.
Und deshalb bin ich immer noch wütend auf ihn. Warum musste er das tun? Warum konnte er es nicht einfach belassen, dass sie sich alle gegenseitig umbrachten? Warum konnte er nicht zu Hause bleiben und uns beschützen? Warum war ihm sein Land wichtiger als seine Familie?
Ich erinnere mich noch lebhaft an den Tag, an dem er uns verlassen hat. Ich kam an dem Tag aus der Schule nach Hause, und noch bevor ich die Tür öffnete, hörte ich Schreie von drinnen. Ich riss mich zusammen. Ich hasste es, wenn Mama und Papa sich stritten, was eigentlich die ganze Zeit der Fall war, und dachte, es wäre nur ein weiterer Streit.
Ich öffnete die Tür und wusste sofort, dass es dies Mal anders war. Etwas war ganz, ganz verkehrt. Mein Vater stand in voller Uniform da. Das machte keinen Sinn. Er hatte seine Uniform jahrelang nicht getragen. Warum sollte er sie jetzt tragen?
„Du bist kein Mann!“, brüllte meine Mutter ihn an. „Du bist ein Feigling! Du verlässt Deine Familie. Wozu? Um unschuldige Menschen zu töten?“
Das Gesicht meines Vaters wurde rot, wie immer, wenn er zornig war.
„Du hast keine Ahnung, wovon Du redest!“, schrie er zurück. „Ich tue meine Pflicht für mein Land. Das ist auf jeden Fall das Richtige.“
„Das Richtige für wen?”, zischte sie zurück. „Du weißt nicht einmal, wofür Du kämpfst. Für einen dummen Haufen Politiker?“
„Ich weiß genau, wofür ich kämpfe: für den Zusammenhalt unserer Nation.“
„Achso, na dann, Verzeihung, Mister America!“, brüllte sie zurück. „Du kannst das drehen und wenden wie Du willst, aber in Wahrheit gehst Du, weil Du mich nicht ertragen kannst. Weil Du nie damit zurechtgekommen bist, normal in einem Haushalt zu leben. Weil Du zu dumm warst, etwas aus Deinem Leben nach dem Korps zu machen. Also springst Du einfach auf und läufst bei der ersten Gelegenheit davon –“
Mein Vater stoppte sie mit einem harten Schlag in das Gesicht. Ich höre das Geräusch immer noch in meinem Kopf.
Ich war entsetzt. Ich hatte noch nie gesehen, dass er Hand an sie gelegt hatte. Ich fühlte, wie mich meine Kraft verließ, als wäre ich selbst geschlagen worden. Ich starrte ihn an und konnte ihn kaum noch erkennen. War das wirklich mein Vater? Ich war so verblüfft, dass ich mein Buch fallen ließt, es landete mit einem dumpfen Aufprall.
Beide drehten sich um und sahen mich an. Wie abgetötet wandte ich mich ab und rannte den Flur entlang in mein Schlafzimmer, ich knallte die Tür hinter mir zu. Ich wusste nicht, wie ich auf all das reagieren sollte und musste einfach weg von ihnen.
Nur wenige Momente später klopfte es leise an meiner Tür.
„Brooke, ich bin es“, sagte mein Vater mit einer lesen, reuevollen Stimme. „Es tut mir leid, dass Du das ansehen musstest. Bitte, lass mich rein.“