Ein Reich der Schatten - Морган Райс 6 стр.


Mit einem letzten Schieben landete der Fels mit einem Krachen und einer Staubwolke endlich neben Theon. Und der Drache war frei.

Theon sprang auf seine Beine und schrie, streckte seinen Rücken und fuhr seine Krallen aus. Wütend schaute er zum Himmel. Ein großer, lilafarbener Drache hatte sie gesehen und flog genau auf sie hinunter. Und Theon flog ohne zu zögern in die Luft, öffnete seinen Kiefer und flog direkt auf die Halsschlagader des überraschten Drachens zu.

Theon hielt sich mit aller Kraft fest. Der riesige Drachen schrie wütend auf, er hatte offensichtlich nicht so viel von einem Babydrachen erwartet und beide krachten gemeinsam in eine Steinwand auf der anderen Seite des Hinterhofs.

Duncan und die anderen tauschten einen geschockten Blick aus, während Theon den anderen Drachen bekämpfte. Er weigerte sich von dem sich windenden großen Drachen abzulassen, solange bis der andere Drache endlich schlaff wurde.

Für einen Moment konnten sie alle kurz durchatmen.

„Kyra!“ schrie Aidan.

Kyra sah nach unten und bemerkte ihren kleinen Bruder und Duncan beobachte voller Freude wie Aidan in Kyras Arme rannte. Sie umarmte ihn während Fynn an ihnen hochsprang und offensichtlich begeistert Kyras Handflächen ableckte.

„Mein Bruder“, sprudelte es aus Kyra hervor und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Du bist am Leben.“

Duncan konnte die Erleichterung in ihrer Stimme hören.

Aidans Augen wurden auf einmal ganz traurig.

„Brandon und Braxton sind tot“, teilte er Kyra mit.

Kyra erbleichte. Sie drehte sich um und sah zu Duncan, aber dieser nickte nur ernst.

Auf einmal tauchte Theon auf und landete mit flatternden Flügeln vor ihnen und deutete Kyra auf seinen Rücken zu steigen. Duncan hörte das laute Brüllen von oben. Er blickte nach oben und sah wie alle Drachen am Himmel kreisten und sich zum Angriff bereit machten.

Zu Duncans Erstaunen kletterte Kyra auf Theon. Da saß sie nun, oben auf einem Drachen, stark und kämpferisch mit der Haltung eines großen Kriegers. Das kleine Mädchen von einst war verschwunden und war nun einer stolzen Kriegerin, eine Frau, die Legionen anführen könnte gewichen. Er war nie stolzer gewesen.

„Wir haben keine Zeit. Kommt mit mir“, sagte sie zu ihnen. „Ihr alle. Begleitet mich.“

Sie alle sahen sich überrascht an und Duncan spürte ein Ziehen in seinem Magen bei der Vorstellung daran auf einem Drachen zu reiten, vor allem als dieser sie noch anknurrte.

„Beeilt euch!“ sagte sie.

Duncan, der sah wie die Horde Drachen näher kam, wusste sie hatten eigentlich keine Wahl und kam in Bewegung. Er eilte mit Aidan, Anvin, Motley, Cassandra, Septin und Fynn nach vorn und sie alle sprangen  auf den Rücken des Drachens.

Duncan umklammerte die schweren, alten Schuppen und war völlig perplex, dass er wirklich auf dem Rücken eines Drachen saß. Es war wie in einem Traum.

Er hielt sich so fest er konnte, als der Drache abhob. Sein Magen fühlte sich leicht an und er konnte das Gefühl kaum erfassen. Zum ersten Mal in seinem Leben flog er, er flog über die Straßen und war schneller als je zuvor.

Theon war schneller als alle anderen. Er flog knapp über die Straßen und kreuz und quer und so schnell, dass ihn die anderen dank der Verwirrung und dem Dunst der Hauptstadt nicht einholen konnten. Duncan betrachtete verblüfft die Stadt von oben, die Spitzen der Gebäude und die sich windenden Gassen breiteten sich wie ein Labyrinth unter ihm aus.

Kyra lenkte Theon überragend und Duncan war so stolz auf seine Tochter und so erstaunt davon, dass sie in der Lage war so ein Biest zu kontrollieren. Schon in wenigen Augenblicken waren sie frei, flogen durch den offenen Himmel, ließen die Mauern der Hauptstadt hinter sich und erreichten die weiten Ebenen.

„Wir müssen nach Süden!“ schrie Anvin. „Dort gibt es Felsformationen, außerhalb am Rand der Stadt. Alle unsere Männer warten dort auf  uns. Sie haben sich dahin zurückgezogen.“

Kyra lenkte Theon und schon bald flogen sie nach Süden in Richtung eines herausragenden Felsvorsprungs am Horizont.  Duncan sah vor ihnen am Horizont, südlich der Hauptstadtmauern, die hundert massiven Felsen, die von kleinen Höhlen übersät waren.

Als sie näherkamen, konnte  Duncan die Rüstungen und Waffen in den Höhlen erkennen, sie glänzten im Wüstenlicht und sein Herz schlug schneller als er hunderte seiner Männer sah, die dort am Treffpunkt auf ihn warteten.

Kyra lenkte Theon hinunter und landete am Eingang einer riesigen Höhle. Duncan konnte die Angst in den Gesichtern der Männer unter ihnen sehen, als sich der Drache annäherte und sie sich auf den Angriff einstellten. Aber dann sahen sie Kyra und die anderen auf seinem Rücken und ihr Ausdruck wechselte zu Erschrecken. Sie ließen ihre Verteidigung unbeachtet.

Duncan stieg zusammen mit Kyra und den anderen vom Drachen und lief los um seine Männer freudenvoll zu umarmen. Er war überglücklich, dass sie noch am Leben waren. Da standen Kavos, Bramthos, Seavig und Arthfael, Männer, die ihr Leben für ihn riskiert hatten und von denen er dachte, dass er sie nie wieder sehen würde.

Duncan drehte sich um und sah Kyra und war überrascht, dass sie nicht mit den anderen abgestiegen war.

„Warum sitzt du da noch?“ fragte er. „Wirst du uns nicht begleiten?“

Aber Kyra saß nur dort, ihr Rücken war so gerade und stolz und sie schüttelte ernst mit dem Kopf.

„Ich kann nicht, Vater. Ich habe etwas Dringendes woanders zu erledigen. Im Auftrag von Escalon.“

Duncan starrte verwundert zurück. Er war verblüfft was für eine starke Kriegerin seine Tochter geworden war.

„Aber wo?“ fragte Duncan. „Wo ist es denn wichtiger als bei uns?“

Sie zögerte.

„Marda“, antwortete sie.

Duncan fühlte wie ihm der Schauer bei diesem Wort über den Rücken lief.

„Marda?“ keuchte er. „Du? Allein? Du wirst niemals zurückkehren!“

Sie nickte und er sah in ihren Augen, dass sie es bereits wusste.

„Ich habe es geschworen“, antwortete sie, „und ich kann meine Mission nicht aufgeben. Da du nun sicher bist, ruft mich die Pflicht. Hast du mir nicht immer beigebracht, dass die Pflicht zuerst kommt, Vater?“

Duncan fühlte wie sein Herz vor Stolz fast überlief. Er trat nach vorne und umarmte sie. Er drückte sie fest an sich und seine Männer kamen näher.

„Kyra, meine Tochter. Du bist der bessere Teil meiner Seele.“

Er sah wie sich ihre Augen mit Tränen füllten und sie nickte zurück. Sie war stärker, mächtiger und ohne die Empfindungen, die sie sonst gehabt hatte. Sie trieb Theon an und er hob zügig ab und flog schnell empor. Kyra flog stolz auf seinem Rücken, höher und höher immer weiter, hoch in den Himmel.

Duncan Herz brach, als er sah wie sie in Richtung Norden aufbrach und fragte sich, als sie irgendwohin in die Dunkelheit Mardas flog, ob er sie jemals wiedersehen würde.

KAPITEL ZEHN

Kyra lehnte sich nach vorne und klammerte sich fest an Theons Schuppen. Der Wind pfiff durch ihr Haar. Sie flogen durch die Wolken und ihre Hände zitterten vor Kälte und Feuchtigkeit. Aber Kyra ignorierte das alles, während sie über Escalon in Richtung Marda hinwegfegten. Nichts würde sie jetzt noch aufhalten.

Kyras Kopf quoll fast über mit all den Erinnerungen an das was sie durchgemacht hatte. Sie war immer noch dabei alles zu verarbeiten. Sie dachte an ihren Vater und war überglücklich, dass er sicher außerhalb von Andros mit seinen Männern war. Sie verspürte eine große Genugtuung. Sie war fast bei dem Versuch gestorben zu ihm zu gelangen und gewarnt worden sich von ihm fernzuhalten. Doch sie hatte nicht aufgegeben und tief in ihrem Herzen gewusst, dass er sie brauchte. Sie hatte eine wertvolle Lektion gelernt: Sie musste immer ihren Instinkten trauen, egal wie viele Menschen sie auch warnten.

Tatsächlich realisierte sie nun, jetzt wo sie über alles nachdachte, dass genau das der Grund gewesen war, warum Alva sie gewarnt hatte: Es war ein Test gewesen. Er hatte deutlich gemacht, dass sie sterben würde, wenn sie ihren Vater retten würde. Er hatte ihre Entschlossenheit und ihren Mut testen wollen. Er hatte immer gewusst, dass sie überleben würde. Aber er wollte sehen ob sie auch bereit war sich in den Kampf zu stürzen wenn sie dachte, dass sie sterben würde.

Und natürlich hatte ihr Vater sie im selben Moment gerettet; wenn er nicht in dem Moment gekommen wäre, in dem er gekommen war, wäre Theon immer noch unter dem Schutt eingeklemmt und sie sicherlich bereits tot gewesen. Der Gedanke an ihren Vater, der alles für sie riskiert hatte, erwärmte ihr Herz. Bei dem Gedanken daran wie er sich mutig den Flammen, den Drachen und dem Tod gestellt hatte stiegen ihr die Tränen in die Augen. Und das alles hatte er nur für sie getan.

Kyra musste bei dem Gedanken an ihren Bruder Aidan lächeln. Sie war so glücklich, dass auch er am Leben und sicher war. Sie dachte an ihre zwei toten Brüder und auch wenn so viel Kampf  und Rivalität zwischen ihnen gestanden hatte, tat es ihr trotzdem weh. Sie wünschte, sie hätte da sein und sie beschützen können.

Kyra dachte an Andros, die einst so mächtige Hauptstadt, die nun nur noch ein Flammenkessel war und ihr Herz zog sich bei dem Gedanken zusammen. Würde Escalon jemals wieder zu seiner einstigen Pracht finden können?

Es war so viel geschehen, dass Kyra es kaum verarbeiten konnte. Es war so, als ob sich die Welt unter ihr völlig unkontrolliert drehte, so als ob die einzige Konstante in diesen Tagen die Veränderung selbst war.

Kyra versuchte alles abzuschütteln und sich auf die Reise, die vor ihr lag zu konzentrieren: Marda. Kyra hatte das Gefühl von Bestimmung, als sie mit klopfendem Herzen flog. Sie wollte unbedingt ankommen und den Stab der Wahrheit finden. Sie flog durch die Wolken hindurch und suchte die Landschaft nach Markierungen ab. Sie versuchte zu erkennen wie nah sie bereits der Grenze, den Flammen, war. Als sie die Landschaft absuchte, sah sie mit schmerzendem Herzen was aus ihrem Heimatland geworden war: Sie sah ein Land, welches in Stücke gerissen und von Flammen zerstört war. Sie sah ganze Festungen vollständig zerstört. Ob sie von den pandesischen Soldaten oder den plündernden Trollen oder wütenden Drachen zerstört worden waren, wusste sie nicht. Sie sah ein Land so verwüstet, dass es mit dem Land, welches sie einst geliebt und gekannt hatte, nichts mehr gemein hatte. Es war kaum zu glauben. Das Escalon, das sie kannte, gab es nicht mehr.

Es fühlte sich alles so surreal an. Es war schwer zu verstehen, dass eine Veränderung so heftig und schnell eintreten konnte. Es brachte sie zum Nachdenken. Was wäre passiert, wenn sie in dieser einen, verschneiten Nacht niemals den verwundeten Theos gefunden hätte? Wäre das Schicksal Escalons anders verlaufen?

Oder war es alles vorherbestimmt gewesen? War sie die einzige Verantwortliche für all das hier, für all das, was sie dort unten sah? Oder war sie nur das Fahrzeug gewesen? Wäre alles auch so passiert?

Kyra wollte unbedingt hinabfliegen. Sie wollte hier in Escalon bleiben und dabei helfen Krieg gegen die Pandesier und Trolle zu führen und zu reparieren, was möglich war. Doch trotz des Gefühls der drohenden Todesangst, zwang sie sich selbst nach vorne zu schauen und konzentriert auf ihre Mission zu blicken und weiter Richtung Norden in die Dunkelheit Mardas zu fliegen.

Kyra erschauerte. Sie wusste, es würde eine Reise werden, die sie zu der wahren Essenz der Dunkelheit führen würde. Marda war schon immer, schon seitdem sie klein gewesen war, ein Ort der Legenden gewesen. Ein Ort so böse, so verboten, dass niemand auf die Idee kommen würde dorthin zu gehen. Im Gegenteil, es war sogar ein Ort, der von der Welt abgedichtet wurde, von dem man beschützt werden musste, ein Ort bei dem die Menschen jeden Tag dem Universum dankten, dass er von den Flammen bewacht wurde. Aber jetzt war es unglaublicherweise der Ort, den sie aufsuchte.

Auf der einen Seite war es Wahnsinn. Auf der anderen Seite hatte ihre Mutter sie hierher geschickt und sie konnte im Inneren spüren, dass ihre Mission wahr war. Sie spürte, dass Marda der Ort war an dem sie gebraucht wurde, dort wo sie sich dem letzten Test stellen musste. Und wo der Stab der Wahrheit lag, den nur sie erobern konnte. Es war verrückt, aber sie konnte den Stab bereits tief in ihrem Magen spüren. Er rief sie und lockte sie zu sich, so wie ein alter Freund.

Und doch spürte Kyra zum ersten Mal seit langer Zeit, wie sie eine Welle aus Selbstzweifel überkam. War sie wirklich stark genug das zu tun? Nach Marda, an einen Ort zu gehen an dem sogar die Männer ihres Vater Angst hatten? Sie spürte wie ein Kampf in ihrer eigenen Seele ausbrach. Alles in ihr schrie danach, dass Marda ihren eigenen Tod bedeutete. Und sie wollte nicht sterben.

Kyra versuchte sich dazu zu zwingen stark zu sein und nicht von ihrem Weg abzuweichen. Sie wusste, dass dies eine Reise war, die sie tun musste und sie konnte sich nicht davor verstecken. Sie versuchte die Ängste und Horrorvorstellungen, die auf der anderen Seite der Flammen auf sie warteten aus ihrem Kopf zu verbannen. Ein Volk aus Trollen. Vulkane, Lava und Asche. Eine Nation voller Bosheit und Hexerei. Aus unvorstellbaren Kreaturen und Monstern. Sie versuchte nicht an die Geschichten zu denken, die sie als Kind gehört hatte. Es war ein Ort an dem sich Menschen gegenseitig aus Spaß in Stücke rissen und von ihrem dämonischen Anführer, Vesuvius, angeführt wurden. Es war ein Volk, welches für Blut und Grausamkeit lebte.

Für einen kurzen Moment drangen sie durch die Wolken. Kyra blickte nach unten und sah in weiter Entfernung, dass sie über die nordöstlichste Ecke Escalons hinwegflogen. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie die Landschaft erkannte: Volis. Da waren die Hügel ihrer Heimatstadt, einstmals so schön, aber jetzt nur noch ein Schatten dessen was einmal gewesen war. Ihr Herz zog sich zusammen. Dort in der Ferne lag die Festung ihres Vaters, sie war nur noch eine Ruine. Es war bloß ein großer Schutthaufen überhäuft von unbewachten Körpern, die sogar von hier, sichtbar in unnatürlichen Posen lagen und hinauf zum Himmel schauten, so als ob sie Kyra fragten wie sie das hatte zulassen können.

Kyra schloss die Augen und versuchte das Bild aus ihrem Kopf zu verbannen – aber sie schaffte es nicht. Es war zu schwer hier über den Ort zu fliegen, der ihr einst so viel bedeutet hatte. Sie sah in Richtung Marda und wusste sie sollte weiter fliegen, aber etwas in ihr schaffte es nicht einfach so über ihre Heimatstadt hinwegzufliegen. Sie musste anhalten und es mit ihren eigenen Augen sehen, bevor sie Escalon auf ihrer vielleicht letzten Reise verließ.

Kyra lenkte Theon nach unten, sie konnte spüren, wie er widerstand – so als ob auch er fühlte, dass sie bei ihrer Mission nach Marda zu gelangen bleiben sollten. Widerwillig gab er nach.

Sie tauchten immer weiter hinab und landeten im Zentrum von dem, was einst Volis gewesen war. Eine geschäftige Hochburg voller Leben – Kindern, Tanz, Liedern, dem Geruch von Essen und die stolzen Krieger ihres Vaters, die hier auf- und abstolzierten. Kyra blieb der Atem weg als sie abstieg und zu Laufen begann. Sie ließ einen unfreiwilligen Schrei ertönen. Es war nichts mehr da. Nur Schutt und bedrückende Stille, die nur von Theons heftigem Schnauben und dem Kratzen seiner Krallen auf dem Untergrund unterbrochen wurde, so als ob auch er wütend und begierig war aufzubrechen. Sie konnte es ihm nicht verdenken: Die Stadt war nun ein Grab.

Назад Дальше