„Ich kann deine Sachen aufhängen“, bot sie mit süßem, wissendem Lächeln an.
„Danke“, erwiderte Keira knapp.
Sie wollte die Tür schließen, aber Bryn war noch nicht fertig.
„Schätzchen, wenn du meinst, ich wäre schlimm, dann warte, bis ihr da draußen seid.“ Sie deutete vage Richtung Fenster. „Da wird es noch viel schlimmer werden, glaube mir.“
Keira war inzwischen total unentspannt und schloss die Tür.
KAPITEL VIER
Als erstes legten sie einen Stopp an der Upper West Side ein, wo sie Kaffee und Bagels für unterwegs mitnahmen. Das war etwas ganz anderes als ihre ausgedehnten Mahlzeiten in Italien, aber Keira wollte Cristiano eben vermitteln, wie sich das Leben in New York anfühlte.
„Das ist also der beste Kaffee in New York, ja?“, fragte Cristiano und trank einen Schluck aus dem Pappbecher. Er sah nicht überzeugt aus.
„Oh ja, der beste.“ Sie hatte gelogen, aber das würde sie nicht zugeben. Der Kaffee war ziemlich gut, aber nicht das, was sie versprochen hatte. „Zumindest ist das meine Meinung.“
Cristiano zuckte einfach mit den Schultern.
Sie spazierten Hand in Hand Richtung Hudson River. Keira war sich sehr bewusst, wie oft Cristiano angestarrt wurde. Es war ihr sehr bewusst, dass er von ihnen beiden der deutlich Attraktivere war, aber so wie jetzt, fühlte sie sich noch mehr wie eine Landpomeranze. Cristiano war eine seltene Schönheit hier in New York. Bryn hatte vollkommen recht gehabt. Es gab weitaus schlimmere Frauen in New York als ihre Schwester. Es würde sehr anstrengend werden, ihn hier zu haben.
„Was hältst du von meiner Schwester?“, fragte sie.
Cristiano lachte. „Sie ist interessant.“
„Inwiefern?“
Cristiano überlegte offenbar sehr genau, welche Worte er benutzte. „Pazza“, sagte er schließlich.
„Was heißt das?“ Keira ging im Geiste durch, was es bedeuten konnte: schön, wunderbar, verführerisch, hypnotisierend.
„Verrückt“, sagte er.
Keira lachte. Es war eine Erleichterung, das zu hören. Wenn er nicht heimlich auf verrückt stand, war sie wohl auf der sicheren Seite. Zumindest, was Bryn anging. Blieb nur noch der Rest der weiblichen Bevölkerung von New York als Konkurrenz.
Die spazierten durch den Riverside Park, schauten auf den Fluss und gingen dann zum Central Park. Da Cristiano den schon aus dem Flugzeug heraus gesehen hatte, nahm sie an, dass er ihn auch aus der Nähe erkunden wollte.
„Das ist toll“, sagte er mit einem Blick auf die Wolkenkratzer um sie herum. „Es sieht unwirklich aus.“
Keira lächelte. Etwas ähnliches hatte sie in Italien empfunden. Es war schön zu sehen, wie er sich über ihre Heimatstadt freute, die Dinge bewunderte, die sie inzwischen als so normal betrachtete.
Sie gingen nach Osten, zum Metropolitan Museum of Art. Die Kunst in Italien war hinreißend gewesen, aber Keira wetteiferte gern und wollte nicht, dass Cristiano dachte, sein antikes europäisches Land hätte mehr zu bieten als New York. Aber es gab so vieles zu entdecken, dass sie schon nach einer Stunde das Museum wieder verließen, weil Cristiano mehr von der Stadt sehen wollte.
Sie fuhren mit der Bahn zur 5th Avenue, weil Keira ihm den Times Square zeigen wollte. Von da aus ging es zur 11th Avenue, denn von da aus konnte man die Skyline von Manhattan besonders gut sehen.
Am Nachmittag kehrten sie zum Essen in eines der zahlreichen Cafés in SoHo ein. Cristiano schien dieser Teil der Stadt besonders zu gefallen, vor allem die Modegeschäfte. Er passte mit seinem italienischen Anzug perfekt hierher. Er kaufte sich einen Mantel, der zwar genauso aussah wie der billige vom Vortag, aber statt zehn nun fünfzig Dollar kostete.
Während sie aßen, klingelte Keiras Handy. Zuerst dachte sie, es wäre Bryn, die sie zurück in ihr Apartment locken wollte. Aber es war ihre Mutter. Sie nahm den Anruf an.
„Liebling, ich habe gerade mit deiner Schwester gesprochen. Du musst mit Cristiano heute Abend zum Essen vorbeikommen.“
„Nein, Mom. Wir möchten den Tag nur zu zweit verbringen. Wir haben schon alles verplant.“
„Aber ich habe schon eingekauft“, jammerte ihre Mutter. „Ich wollte Lasagne machen.“
„Warum?“, zischte Keira. „Du hast mich nicht einmal vorher gefragt.“
Sie wusste, warum. Hätte sie vorher gefragt, gäbe es nichts, was sie benutzen konnte, um Keira ein schlechtes Gewissen zu machen. Auf diese Weise hatte sie die Oberhand, denn Keiras Ablehnen ließ sie undankbar erscheinen.
Cristiano blickte sie besorgt an. „Alles in Ordnung?“, fragte er.
Keira nickte und bemühte sich, cool zu wirken. „Mom, ich muss los. Wir verschieben es auf ein anderes Mal.“
Ihre Mutter seufzte laut. „Hast du Cristiano überhaupt gefragt, ob er mich kennenlernen möchte? Es hört sich nämlich nicht danach an, als ob du ihm eine Wahl lassen würdest.“
Keira presste die Lippen aufeinander, rollte mit den Augen und wandte sich an Cristiano. „Meine Mutter möchte, dass wir heute Abend zum Essen kommen. Aber wir haben ja schon einen Tisch in einem Restaurant für uns beide reserviert, nicht wahr? Also versuche ich ihr gerade zu vermitteln, dass wir ein anderes Mal zu ihr kommen.“
Aber Keira bekam leider nicht die Reaktion von ihm, die sie erhofft hatte. Offenbar war Cristiano begeistert von der Vorstellung, ihre Mutter kennenzulernen.
„Wir können doch immer noch ins Restaurant gehen“, sagte er achselzuckend. „Wenn deine Mutter für uns kochen möchte, sollten wir das annehmen. Ich würde sie gern kennenlernen.“
Keira ließ ihren Kopf in die Hände sinken. Mit einem Seufzen gab sie auf.
„Na gut“, sagte sie ins Telefon. „Du hast gewonnen, Mom. Wir kommen so gegen acht.“
„Sieben“, widersprach die Mutter.
„Sieben“, wiederholte Keira dröge.
„Oh, wie wunderbar“, flötete ihre Mutter. Aber Keira hatte schon aufgelegt, bevor sie sich noch mehr Gesäusel anhören musste. Sie sah Cristiano an. „Du musst nicht höflich sein, weißt du?“
Er lachte. „Es geht mir nicht um Höflichkeit, Keira. Ich würde deine Mutter wirklich gern kennenlernen.“
„Sie macht Lasagne“, fügte Keira trocken hinzu. „Wahrscheinlich, weil du Italiener bist.“
„Das klingt perfekt“, meinte er. „Denn ich liebe Lasagne.“
Keira seufzte. Cristiano mochte bereit sein, noch mehr Mitglieder ihrer pazza Familie zu treffen, aber Keira war es nicht. Mit jeder Sekunde, die er länger hier war, wurde es nur noch anstrengender.
KAPITEL FÜNF
Mallory Swanson lebte noch immer in dem Haus, in dem sie ihre beiden Töchter aufgezogen hatte. Wann immer Keira hierher kam empfand sie eine merkwürdige Art von Nostalgie. Obwohl ihre Kindheit voller Liebe und Heiterkeit gewesen war, blieb die Abwesenheit ihres Vaters stets präsent. Dass er auch hier gewohnt hatte, mit Bryn und der Mutter, vor Keiras Geburt, war schwer zu erfassen, da er kurz nach ihrer Geburt die Familie verlassen hatte. Als sie aufwuchs, hatte sie immer das Gefühl gehabt, sein Schatten lauere irgendwo in den Ecken, als seien die Dinge einfach nicht ganz so, wie sie hätten sein sollen.
Sie und Cristiano nahmen ein Taxi aus der Stadt, ohne vorher noch einmal in Bryns Wohnung zurückzukehren. Keira hatte keine Lust gehabt, zu dritt im Auto eingepfercht zu sein, daher hatte sie der Schwester mitgeteilt, man werde sich bei der Mutter treffen. Und da Bryn notorisch unpünktlich war, würde man dann wenigstens ein wenig Zeit haben, um durchzuschnaufen.
Sie gingen die Stufen zum roten Backsteingebäude hinauf. In der Kellerwohnung darunter wohnte noch immer die alte Frau, die schon hier gelebt hatte, als Keira noch klein war. Ihre zahlreichen Katzen lungerten auf dem Bürgersteig und dem Geländer herum und miauten sie bei ihrer Ankunft an.
Keira klingelte und einen Moment später erschien ihrer Mutter an der Tür. Sie trug eine fleckige Schürze über ihrer Kleidung und ihre Frisur war außer Form geraten.
„Da ist sie! Meine nomadische Tochter!“, rief Mallory. Sie umarmte Keira und drückte sie energisch. Dann ließ sie sie los und schaute Cristiano an. „Was für ein schöner Mann“, säuselte sie und umarmte ihn ebenfalls. „Kommt schnell rein, ich habe die Lasagne im Ofen und möchte nicht, dass sie anbrennt.“
Sie schob sie ins Haus. Keira ging die schäbige Treppe hinauf in den ersten Stock, Sie erschien ihr schmaler als früher, das dunkle Grün der Wände war fleckig geworden. Es half auch nicht, dass die meisten Lampen im Treppenhaus kaputt waren. Es tauchte den Flur in ein schummriges Licht, wie in einem Horrorfilm.
Sie betraten die Wohnung und wurden sofort von der Hitze des Ofens empfangen. Der Geruch von Käse waberte ihnen entgegen.
„Hier bist du also aufgewachsen?“, fragte Cristiano und schaute sich höflich in Mallorys bescheidener Unterkunft um.
Keira nickte. Das war ein krasser Unterschied zur schicken Villa von seinen Eltern in den Hügeln von Florenz. Nicht ein einziges Möbelstück hier sah so aus, als könnte es einem Designermagazin entstammen. Man konnte das Haus nicht einmal als schäbig-chic bezeichnen. Es war einfach schäbig.
Keira schämte sich dafür. Sie hatte fleißig gelernt, in der Schule und am College, um genau dem hier zu entkommen. Sie befürchtete, dass er einen völlig anderen Eindruck bekommen würde. Sicher waren seine Erwartungen ganz andere gewesen, als er zu ihr ins Flugzeug gestiegen war. Das hier passte nicht zu der erfolgreichen Journalistin. Ihre bescheidenen Anfänge waren nicht mehr zu verleugnen.
Keira deutete auf den Tisch. Ihre Mutter hatte eine Plastiktischdecke aufgelegt. Cristiano setzte sich auf einen der Stühle. Keira bemerkte, dass er wackelte, aber natürlich war Cristiano zu höflich, um dazu etwas zu sagen.
Mallory kam mit einer dampfenden Schale zu ihnen und platzierte sie auf dem Tisch. Die Lasagne war nicht schön anzuschauen, die Tomatensauce blubberte unter den Nudelplatten, an den Rändern war der Käse verbrannt. Das war Welten entfernt von dem, was Cristiano aus Italien gewohnt war.
„Was ist das?“, fragte Keira und deutete auf ein paar kleine runde Kugeln oben drauf.
„Haselnüsse“, sagte Mallory.
„Auf einer Lasagne?“, fragte Keira ungläubig.
„Das habe ich in einer Zeitschrift gelesen“, erwiderte Mallory zögernd.
Keira fühlte sich zunehmend unwohler.
„Sollten wir nicht auf Bryn warten?“
„Ich habe sieben Uhr gesagt. Sie kann die Uhr lesen. Sie ist selber Schuld, wenn sie zu spät kommt.“ Sie grinste Cristiano an und schenkte ihm ein Glas Wein ein. „Ich hoffe, du magst Rosé.“
Keira sank auf ihrem Stuhl noch ein wenig tiefer, denn sie erinnerte sich daran, was für ein Weinkenner Cristiano war, der genau wusste, welcher Wein zu welchem Gericht passte. Man musste aber kein Connoisseur sein, um zu wissen, dass Rosé zu gar nichts passte.
Höflich nahm er das Glas entgegen.
„Auf unseren gut aussehenden Gast“, verkündete Mallory, als sie alle miteinander anstießen.
Keira wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken.
Die Tür ging auf und Bryn rauschte herein. Von einem Kater war bei ihr nichts mehr zu sehen. Ihre Augen strahlten, ihr Haar glänzte und sie hatte sich extra schick gemacht.
Keira konnte die Eifersucht, die sie manchmal ihrer Schwester gegenüber empfand, nicht unterdrücken. Über die Jahre hatte es genügend Jungs gegeben, die Bryn ihr vorgezogen hatten. Der einzige kleine Trost war die Tatsache, dass ihre Schwester etwas unbeständig war. Man sah es ihr bloß nicht an. Wann man sie anschaute, sah man eher ein Supermodel, elegant und selbstbewusst.
Bryn setzte sich schwungvoll zu ihnen an den Tisch und füllte sich selbst eine große Portion Lasagne auf.
„Ich habe heute anderthalb Stunden im Fitnessstudio verbracht“, prahlte sie. „Da darf ich mir das ruhig mal gönnen.“
Keira konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie selbst das letzte Mal in einem Fitnessstudio gewesen war. In den letzten beiden Monaten hatte sie praktisch nichts getan außer essen und trinken. Irland gab es Guinness und das vor Fett triefende Frühstück, in Italien jede Menge Nudelgerichte und Eis. Es wunderte sie ein wenig, dass sie nicht längst fett geworden war. Es mussten die vielen Spaziergänge gewesen sein, die sie einigermaßen in Form gehalten hatten.
„Trainierst du oft?“, fragte Cristiano Bryn. Er klang eher interessiert als anzüglich, was Keira ziemlich erleichterte, wobei sie nicht verstand, warum es ihn überhaupt interessierte.
Bryn nickte. Spinning und Klettern sind meine Favoriten. In meinem Fitnessstudio gibt es eine großartige Kletterwand.“
Cristiano schien hocherfreut. „Ich klettere total gerne!“
„Im Ernst?“, fragte Keira überrascht. Irgendwie hatte er versäumt, das je zuvor mal zu erwähnen.
„Ja“, sagte er und nickte aufgeregt, bevor er sich wieder Bryn zuwandte. „Du musst mich mal mitnehmen.“
„Liebend gern“, erwiderte Bryn.
Keira verzog das Gesicht. Das ganze Gespräch machte sie irre. Sie wollte so viel Distanz wie möglich zwischen Cristiano und ihre Schwester bringen.
Mallory war von Cristianos Aussage ebenfalls schwer beeindruckt. „Was machst du denn sonst noch so?“, fragte sie. „Für das körperliche Training?“
„Mom“, stöhnte Keira. „Was ist denn das für eine Frage?“
„Ich schwimme gern“, antwortete Cristiano. Mit einem Zwinkern in Keiras Richtung fügte er hinzu: „Und die Nacht durch tanzen.“
„Wirklich?“, fragte Mallory. „Tanzt du Flamenco?“
„Das ist spanisch, Mom“, rief Keira.
Cristiano brach in Gelächter aus. Bryn kicherte ebenfalls. Selbst Mallory schien ihren Schnitzer eher amüsant zu finden. Keira war die einzige, die das nicht lustig fand. Vielleicht hatte Bryn recht damit, dass sie zu zugeknöpft war.
„Wie war denn nun dein italienisches Abenteuer?“, fragte Mallory an Keira gewandt. Sie beugte sich über den Tisch und tätschelte ihrer Tochter die Hand. „Ebenfalls ein Erfolg?“ Ihr Blick huschte kurz zu Cristiano.
Keira spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. „Es war wundervoll“, sagte sie, bemüht, das Gespräch von der Tatsache wegzuführen, dass sie sich auch dieses Mal wieder in eine Reisebekanntschaft verliebt hatte, hin zu dem Land an sich.
„Die Landschaft ist atemberaubend. Das Essen ist unglaublich. Und die Kultur!“
„Nicht zu vergessen, die Männer“, fügte Bryn hinzu und wackelte übertrieben mit den Augenbrauen.
Keira schaute sie finster an. „Ja, die Menschen sind auch wunderbar dort. Ich habe Cristianos Eltern in Florenz kennengelernt. Sie waren sehr freundlich.“
Mallory schaute Cristiano beeindruckt an. „Du stehst deiner Familie sehr nahe?“
Er lächelte und nickte. „Sehr. Wenn ich nicht gerade außerhalb der Stadt arbeite, dann sehen wir uns mindestens einmal die Woche.“
„Das ist nett“, sagte Mallory und schaute gedankenverloren auf ihre Lasagne. „Meine Töchter sind immer zu beschäftigt, um mich zu besuchen. Ich bin nur eine Taxifahrt entfernt, aber ich könnte ebenso gut auch in Kanada leben.“
Bryn rollte mit den Augen. „Wir sind moderne Frauen, Mom. Wir arbeiten.“
„Ich bin in den letzten zwei Monaten gerade einmal 48 Stunden in New York gewesen“, protestierte Keira.
Mallory zuckte nur mit den Schultern und reizte den verletzten Gesichtsausdruck ganz aus. Bryn schien dagegen immun zu sein, aber Keira ärgerte so etwas. Sie fand eigentlich, dass sie eine ganz gute Beziehung zu ihrer Mutter hatte. Sie telefonierten oft, sie besuchte sie regelmäßig. Und Mallory war keine einsame alte Frau, die den ganzen Tag allein zu Hause hockte. Sie war Rentnerin, aber sie hatte eine Menge Freunde und Hobbys, mit denen sie sich die Zeit vertrieb.