Attentäter Null - Джек Марс 2 стр.


Ein Strand, der sich erstaunlich Kates Strand ähnelte. Als ob er aus seinem eigenen Gedächtnis geformt wäre.

Null fuhr mit etwa hundertzwanzig Stundenkilometern dorthin. Polizei, Verkehrsgesetze und sogar andere Fahrer, die er überholte, waren ihm egal. Es waren Leute, die gelassen am Abend nach Hause fuhren und sich nicht darum kümmerten, dass ihre Tochter irgendwo tot in den Wellen treiben könnte.

Er raste auf den winzigen Schotterparkplatz und trat auf die Bremsen, als er sie sah. Eine blaue Limousine, das einzige Auto auf dem Parkplatz, stand am hintersten Ende. Es war Nacht geworden, weshalb er die Scheinwerfer angeschaltet und den Geländewagen mitten auf dem Parkplatz stehen ließ. Er sprang heraus und rannte hinüber zu der Limousine.

Er warf die Hintertür auf.

Und da war sie, sah gleichzeitig wie der Himmel und die Hölle aus: sein kleines Mädchen, seine jüngste Tochter, blass und wunderschön. Sie lag ausgestreckt auf dem Rücksitz eines Autos, ihre Augen waren glasig und halb geöffnet. Pillen lagen auf dem Boden verstreut.

Null suchte sofort nach ihrem Puls. Er war da, doch langsam. Dann lehnte er ihren Kopf zurück und versicherte sich, dass ihre Atemwege frei waren. Er wusste, dass die meisten Todesfälle durch Überdosis aufgrund blockierter Atemwege geschahen. So kam es für gewöhnlich zu Atem- und schließlich Herzstillstand.

Doch sie atmete, wenn auch nur flach.

“Sara?” sagte er heiser in ihr Gesicht. “Sara?”

Sie antwortete nicht. Er hievte sie aus dem Auto heraus und hielt sie aufrecht. Sie war nicht fähig, auf ihren eigenen zwei Beinen zu stehen.

“Es tut mir so leid”, sagte er ihr. Und dann steckte er ihr zwei Finger in den Hals.

Sie würgte unfreiwillig, zwei Mal, und erbrach sich dann auf dem Parkplatz. Sie hustete und spuckte, während er sie festhielt und ihr sagte: “Alles ist in Ordnung. Alles wird wieder gut.”

Er legte sie in den Geländewagen, ließ die Türen der Limousine mit den auf den Sitzen verstreuten Pillen offen und fuhr drei Kilometer, bis er einen Nachbarschaftsladen fand. Er kaufte zwei Liter Wasser mit einem Zwanzig-Dollar-Schein und wartete nicht ab, bis er sein Wechselgeld bekam.

Dort, auf dem Parkplatz einer Tankstelle in Florida, saß er mit ihrem Kopf auf seinem Schoß auf dem Rücksitz, streichelte ihr Haar und gab ihr kleine Mengen Wasser, während er auf jegliche Anzeichen achtete, dass er sie zur Notaufnahme bringen müsste. Ihre Pupillen waren erweitert, doch ihre Atemwege offen und ihr Puls stieg langsam wieder an. Ihre Finger zuckten ein wenig, doch als er seine Hand in sie legte, schlossen sie sich um sie. Null hielt seine Tränen zurück, erinnerte sich daran, als sie noch ein Baby war. Damals hatte er sie auf den Armen getragen und ihre kleinen Finger hielten seine fest.

Er hatte nicht darauf geachtet, wie lange er dort mit ihr saß. Als er das nächste Mal auf die Uhr schaute, bemerkte er, dass mehr als zwei Stunden vergangen waren.

Und dann blinzelte sie, stöhnte leicht und sagte: “Papa?”

“Ja.” Seine Stimme war nur ein Flüstern. “Ich bin’s.”

“Ist das real?” fragte sie, ihr Stimme schwebte träumerisch an ihn heran.

“Es ist real”, beschwichtigte er sie. “Ich bin hier und ich bringe dich heim. Ich bringe dich weg von hier. Ich kümmere mich um dich, selbst wenn du mich dafür hasst.”

“OK”, stimmte sie sanft zu.

Schließlich entspannte er sich ausreichend, um zu bemerken, dass die Gefahr vorbei war. Sara schlief ein und Null setzte sich auf den Fahrersitz des Geländewagens. Er konnte sie in diesem Zustand nicht in ein Flugzeug bringen, doch er könnte zurückfahren, die ganze Nacht hindurch, falls notwendig. Maria würde das Fahrzeug für ihn loswerden und keine Fragen stellen. Und die örtlichen Behörden würden dem Drogenhändler, Ike, einen Besuch abstatten.

Er blickte über seine Schulter zurück zu ihr, wie sie da eingerollt auf dem Rücksitz saß. Ihre Knie waren angezogen und ihre Wange lehnte sich gegen das sanfte Leder. Sie sah friedlich, aber verletzlich aus.

Sie braucht dich.

Und er musste gebraucht werden.

Kapitel eins

4 WOCHEN SPÄTER

“Bist du bereit?” fragte Alan Reidigger leise, während er das Magazin der schwarzen Glock in seiner dicken Faust überprüfte. Er und Null standen mit dem Rücken gegen eine Sperrholzstruktur gelehnt, versteckten sich in der Dunkelheit. Es war fast zu dunkel, um etwas zu sehen, doch Null wusste, dass es gleich hell wie ein Feuerwerk würde.

“Immer bereit”, flüsterte Null zurück. Er hielt eine Ruger LC9 in seiner linken Hand, eine kleine, silberne Pistole mit einem Magazin aus neun Kugeln, während er die Finger seiner rechten Hand beugte. Er musste weiterhin die Verletzung von vor zwei Jahren beachten, als ein Stahlanker seine Hand zerquetschte, bis sie nutzlos war. Drei Operationen und mehre Monate Physiotherapie später funktionierte sie zwar fast wieder ganz, doch es bestand bleibender Nervenschaden. Er konnte eine Waffe schießen, aber er zielte dabei nach links, ein kleines Ärgernis, das er durch Übungen bewältigen wollte.

“Ich gehe nach links”, erklärte ihm Reidigger, “und sichere den Damm. Du gehst nach rechts. Halt die Augen offen und schau auch hinter dich. Ich bin mir sicher, dass da ein oder zwei Überraschungen auf uns warten.”

Null grinste. “Ach, jetzt gibst du hier also die Anweisungen, du Halbtagskraft?”

“Versuch einfach nur, mit mir mitzuhalten, alter Mann.” Reidigger erwiderte das Grinsen, seine Lippen zogen sich hinter dem dicken Bart, der die untere Hälfte seines Gesichtes versteckte, hoch. “Fertig? Los dann.”

Mit diesem einfachen, geflüsterten Befahl stießen sich beide von der Sperrholzfassade hinter ihnen ab und trennten sich. Null hielt die Ruger hoch, ihr Lauf folgte seiner Sichtlinie, als er um eine dunkle Ecke in eine enge Gasse hineinschlich.

Zuerst war alles nur still und dunkel, kaum ein Geräusch war an dem höhlenartigen Ort zu vernehmen. Null musste seine Muskeln daran erinnern, sich nicht zu verspannen, locker zu bleiben und nicht seine Reaktionszeit zu verlangsamen.

Dies ist genau wie die ganzen anderen Male, sage er sich selbst. Du hast das schon zuvor getan.

Dann explodierten Lichter zu seiner Rechten, eine grelle und aufrüttelnde Reihe von Blitzen. Mündungsfeuer, begleitet von dem ohrenbetäubenden Knall von Schüssen. Null warf sich nach vorn und ließ sich abrollen, kam auf einem Knie an. Die Figur war kaum mehr als eine Silhouette, doch er konnte genug erkennen, um zwei Schuss abzufeuern, welche die Silhouette in ihrem Zentrum traf.

Ich kann’s immer noch. Er kam jetzt auf die Beine, aber blieb geduckt, bewegte sich in der Hocke voran. Augen hoch, achte auf deine Rückendeckung… Er wirbelte gerade rechtzeitig herum, um eine weitere dunkle Figur zu erblicken, die sich in sein Blickfeld schlich und ihm den Weg hinter ihm abschnitt. Null ließ sich zurückfallen, landete auf seinem Hintern, während er weitere zwei Schuss abfeuerte. Er hörte, wie Geschosse über seinem Kopf vorbeizischten, fühlte fast, wie sie sein Haar aufwirbelten. Beide seiner Schüsse trafen, einer in den Oberkörper, der andere in die Stirn der Figur.

Von der anderen Seite der Struktur aus erklangen drei schnell aufeinanderfolgende Schüsse. Dann Stille. “Alan”, zischte er in seinen Ohrhörer. “Gesichert?”

“Warte mal kurz”, erklang die Antwort. Eine Salve von Maschinengewehrfeuer zerriss die Luft und anschließend hörte man zwei krachende Schüsse der Glock. “Alles gesichert. Wir treffen uns an der Seite.”

Null schritt schnell mit dem Rücken gegen die Wand voran. Das raue Sperrholz rieb an seiner schusssicheren Weste. Er bemerkte Bewegung vor sich, auf dem Flachdach der Struktur. Ein einzelner, gutgezielter Schuss in den Kopf beendete die Bedrohung.

Er erreichte die Ecke und hielt inne, atmete tief ein, bevor er sie sicherte. Als er mit der Ruger in der Hand blitzschnell um die Ecke trat, stand er plötzlich vor Reidigger.

“Ich habe drei erwischt”, sagte ihm Null.

“Zwei auf meiner Seite”, brummte Alan. “Was bedeutet…”

Null blieb keine Zeit für einen Warnschrei, als er sah, wie die menschenförmige Figur hinter Alan ins Blickfeld trat. Er hob die Pistole an, zielte über Alans Schulter und feuerte zwei Mal.

Doch er war nicht schnell genug. Als Nulls Schüsse trafen, schrie Alan auf und hielt sich sein Bein fest.

“Ach verdammt!” stöhnte Reidigger. “Nicht schon wieder.”

Null zuckte zusammen, als helles Neonlicht plötzlich angeschaltet wurde und den ganzen Innentrainingsparcours erleuchtete. Absätze schallten gegen den Zementboden und einen Moment später kam Maria Johansson um die Ecke. Ihre Arme waren über ihrem weißen Blazer verschränkt und die Winkel ihres mit Lippenstift geschminkten Mundes waren heruntergezogen.

“Was ist denn los?” beschwerte sich Reidigger. “Warum hören wir auf?”

“Alan”, tadelte ihn Maria, “vielleicht solltest du deine eigenen Ratschläge beachten und hinter dich schauen.”

“Was, das hier?” Alan zeigte auf seinen Oberschenkel, wo ein grüner Paintball auf seinem Hosenbein geplatzt war. “Der hat mich ja kaum gestreift.”

Maria schnaubte verächtlich. “Das wäre eine Oberschenkelblutung gewesen. Binnen neunzig Sekunden wärst du tot.” Zu Null fügte sie hinzu: “Gute Arbeit, Kent. Du bewegst dich wieder so wie früher.”

Null grinste Alan an, der ihm verstohlen den Stinkefinger zeigte.

Die Fabrikhalle, in der sie sich befanden, war einst ein Großhandelsverpackungszentrum, bis die CIA es kaufte und zu einer Trainingsanlage umwandelte. Der Parcours selbst war das Produkt des exzentrischen Agenturingenieurs Bixby, der sein Bestes gegeben hatte, um eine nächtliche Razzia zu simulieren. Das,Lager’, dass sie gestürmt hatten, war aus Sperrholzstrukturen gebaut, während das Mündungsfeuer Stroboskoplichter waren, die über den Parcours verteilt waren. Die Schüsse wurden digital abgespielt und auf hochauflösenden Lautsprechern übertragen. Sie hallten durch den riesigen Raum und klangen in Nulls trainiertem Ohr fast wie wirkliche Schüsse. Die menschenähnlichen Figuren waren Dummies, die aus Ballistik-Gel hergestellt waren und die auf Schienen bewegt wurden, während die Paintball-Waffen automatisiert waren. Man hatte sie programmiert, zu schießen, wenn ihre Bewegungssensoren aktiviert wurden.

Das einzig Echte an der Übung war die scharfe Munition, die sie verwendeten. Deshalb trugen sowohl Null als auch Reidigger schusssichere Westen – und die Trainingshalle stand nur Spezialeinsatzagenten zur Verfügung, was Null wieder geworden war.

Nach dem Fiasko in Belgien, bei dem die beiden den russischen Präsidenten Aleksandr Kozlovsky konfrontierten und den geheimen Pakt entblößten, den er mit dem US Präsidenten Harris hatte, wäre es eine monumentale Untertreibung gewesen, zu behaupten, dass Null und Reidigger ein paar Problemchen hatten. Sie wurden dabei zu internationalen Flüchtigen, die in vier Ländern gesucht wurden, da sie mehr als ein Dutzend Gesetze gebrochen hatten. Doch sie hatten mit der Verschwörung recht und es schien nicht gerecht, dass die beiden den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen sollten.

Als ließ Maria all ihre Beziehung spielen und streckte ihren eigenen Hals ganz weit für ihre ehemaligen Teamkollegen und Freunde heraus. Es war ein wirkliches Wunder, dass sie es irgendwie schaffte, die ganze Angelegenheit nachträglich wie einen hochgeheimen Einsatz unter ihrer Leitung aussehen zu lassen.

Im Gegenzug mussten sie dafür natürlich wieder zur CIA zurückkommen.

Obwohl Null es nicht laut zugegeben hätte, fühlte es sich für ihn wie ein Heimkehren an. Den letzten Monat über hatte er hart gearbeitet, war ins Fitnessstudio gegangen, legte täglich Zieltraining auf dem Schießplatz ein, boxte und sparrte mit Gegnern, die fast die Hälfte seiner vierzig Jahre alt waren. Das Gewicht, das er in den eineinhalb Jahren Abwesenheit zugelegt hatte, war verschwunden. Seine Zielgenauigkeit mit seiner verletzten rechten Hand hatte sich verbessert. Maria hatte recht, er war fast wieder so wie früher.

Alan Reidigger hingegen hatte sich bei jedem Schritt widersetzt. Die letzten vier Jahre seines Lebens hatte die Agentur gedacht, er wäre tot. Er lebte unter dem Alias eines Mechanikers namens Mitch. Das Letzte, was er wollte, war zur CIA zurückzukehren. Da er aber nur die Wahl zwischen der Agentur und einem Loch in H-6 hatte, willigte er widerstrebend Marias Bedingungen ein – doch eher als eine Ressource anstatt eines voll angeheuerten Agenten, weshalb Null ihn des Spaßes halber als,Teilzeitkraft’ bezeichnete. Alans Einbeziehung fände nur dann statt, wenn er gebraucht würde. Dann würde er Unterstützung bieten und dabei helfen, jüngere Agenten einzuarbeiten.

Doch das bedeutete, dass die beiden zuerst wieder in Kampfform gebracht werden müssten.

Reidigger wischte an der grünen Farbe auf seiner Hose und verschmierte sie damit nur noch breitflächiger über seinen Oberschenkel. “Ich mache das schnell sauber und dann fangen wir von vorne an”, sagte er Maria.

Sie schüttelte ihren Kopf. “Ich verbringe nicht meinen ganzen Tag an diesem stickigen Ort und schaue dir dabei zu, wie du immer wieder erschossen wirst. Wir machen nach dem Feiertag weiter.”

Alan brummte, aber nickte dennoch. Er war damals ein exzellenter Agent gewesen und selbst jetzt bewies er sich immer noch als schneller Denker und nützlich bei einem Kampf. Trotz seines Übergewichts war er schnell. Doch er war schon immer ein Magnet für Kugeln gewesen. Null konnte sich nicht daran erinnern, wie oft Reidigger während seiner Karriere schon angeschossen wurde, doch es musste wohl eine zweistellige Zahl sein – besonders, seit er bei ihrem belgischen Abenteuer an der Schulter getroffen wurde.

Ein junger Techniker fuhr einen Stahlwagen für ihre Ausstattung heraus, während ein Team aus drei anderen den Parcours wieder herstellten. Null nahm die Kugel aus der Kammer der Ruger, ließ das Magazin herausschnappen und legte alle drei auf den Wagen. Dann zog er an den Klettverbandverschlüssen der schusssicheren Weste und zog sie über seinen Kopf aus, fühlte sich plötzlich mehrere Pfund leichter.

“Also, hast du noch mal drüber nachgedacht?” fragte er Alan. “Über Thanksgiving. Die Mädchen würden dich so gerne wiedersehen.”

“Und ich würde sie gerne wiedersehen”, erwiderte er, “aber das wird nichts. Die brauchen ein wenig Zeit allein mit dir.”

Alan erklärte nichts weiter, das brauchte er auch gar nicht. Nulls Beziehung zu Maya und Sara war während der letzten eineinhalb Jahre sehr angespannt. Doch jetzt hatte Sara die letzten paar Wochen bei ihm gewohnt, seit er sie am Strand in Florida gefunden hatte. Er und Maya sprachen immer mehr am Telefon – sie wäre fast in das erste Flugzeug gesprungen, nachdem sie gehört hatte, was ihrer jüngeren Schwester geschehen war, doch Null hatte sie beruhigt und überzeugt, bis zum Feiertag in der Schule zu bleiben. Diese Woche wäre das erste Mal seit ziemlich langer Zeit, dass die drei wieder unter einem Dach weilten. Und Alan hatte recht, es gab immer noch viel zu tun, um den Schaden wiedergutzumachen, der sie für so lange trennte.

“Außerdem”, grinste Alan, “haben wir alle unsere Traditionen. Ich für meinen Teil werde ein ganzes gegrilltes Huhn verzehren und den Motor eines zweiundsiebziger Camaro wiederherstellen.” Er blickte hinüber zu Maria. “Wie steht’s mit dir? Verbringst du Zeit mit dem guten alten Herrn Papa?”

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