Das Feuerzepter - Морган Райс 4 стр.


Sie erreichten einen kleinen, aber geschäftigen Markt, an dessen Holzständen man Lebensmittel wie frische Orangen und Olivenöl kaufen konnte. Stoffe hingen zwischen den Ständen und boten den nötigen Schatten.

„Das ist ziemlich fantastisch“, kommentierte Simon.

„Vielleicht“, sagte Walter. „Aber die Ortsansässigen sehen nicht so freundlich aus.“

Esther sah sich um. Walter hatte recht. Sie wurden vorsichtig und aufmerksam von den Einheimischen beobachtet.

Sie schauderte und das Gefühl drohender Gefahr ließ ihre Haare zu Berge stehen.

„Wir müssen andere Kleidung finden, damit wir uns optisch angleichen können“, sagte sie, als ihr plötzlich einfiel, dass sie noch immer ihren Krankenhauskittel trug, der hinten offen war.

„Wie sollen wir das anstellen?“, forderte Simon und stemmte die Hände in die Seiten. „Wir haben kein Geld, um uns Kleidung zu kaufen.“

Esther kaute nachdenklich auf der Lippe herum. Er hatte recht, Geld hatten sie keines. Aber sie konnten sicherlich nicht weiterhin so rumlaufen. Walter trug neben seinen weißen Turnschuhen ein T-Shirt mit leuchtenden Farben, das mit einer Comicfigur der 80er Jahre bedruckt war. Simon war in eine braune Tweed-Weste und einer passenden Anzughose gekleidet. Und Esther trug ihr dünnes, puderblaues Krankenhaushemd. Sie waren alles andere als unauffällig. Aber Stehlen war falsch und das wusste sie. Es musste also einen anderen Weg geben.

„Seht mal, hier drüben“, sagte sie und zeigte auf einen Müllhaufen.

Zusammen besahen sie sich den Berg. Er schien aus zerbrochenem Geschirr, verdorbenem Essen, toten Pflanzen, Ästen und anderen Verwachsungen zu bestehen. Aber am wichtigsten war, dass sie außerdem zerlumpte Kleidung, Stoffe, Togen und Sandalen fanden. Obwohl es sich dabei offensichtlich um sehr schmutzige und abgenutzte Kleidung handelte, so war es doch wesentlich besser als das, was sie im Moment am Leib trugen.

„Bingo!“, rief Esther.

Simon sah unzufrieden aus. „Erwartest du wirklich, dass ich mich durch einen Müllhaufen wühle?“

Esther verschränkte die Arme vor der Brust. „Hast du eine bessere Idee?“

Simon wirkte ratlos. Er zog die Nase hoch und ging langsam auf den Müllberg zu. Behutsam schob er ein Teil nach dem anderen beiseite. Walter dagegen hatte keine Hemmungen und kramte in Rekordzeit eine Toga und ein Paar Ledersandalen heraus. Er zog sich um und grinste breit.

„Wie scharf sehe ich bitte aus?“, sagte er grinsend und stemmte die Hände in die Hüften. „Man muss natürlich die Flecken ignorieren.“

Auch Esther zog sich ihre Toga über. „Vielleicht ein bisschen groß“, sagte sie und betrachtete den breiten Streifen Stoff, der sie nun bedeckte. „Um ehrlich zu sein war mein Krankenhauskittel auch nichts anderes! Aber es gefällt mir, mehr oder weniger.“

Die Toga war alles in allem doch wesentlich besser als das stinkige Krankenhauskleid und sie wusste, dass sie damit weniger auffallen würde und sich besser integrieren konnte.

Nun kam auch Simon hinter dem Berg hervor. Er sah noch immer durchweg unzufrieden aus. Er hatte lediglich ein kleines Stück Stoff gefunden, das er wie einen Rock um seine Taille gewickelt hatte. Um seinen Oberkörper hatte er ein Seil geschlungen; wie ein Gürtel wandte es sich um seine rechte Schulter und dann diagonal um seinen Körper herum.

Walter lachte laut auf. Und sogar Esther, die normalerweise immer relativ ernst war, musste ein Kichern zurückhalten.

Simon schmollte. „Ich werde einen furchtbaren Sonnenbrand bekommen. Wir suchen uns besser einen Schattenplatz. Und zwar schnell.“

Aber Esther knirschte entschlossen mit den Zähnen. Sie war nicht in der Stimmung, Simons Beschwerden über Sonnenbrand zuzuhören.

„Wir haben einen Auftrag“, erinnerte sie ihn. „Einen sehr wichtigen. Wir müssen die Schule für Seher retten. Die Mission ist so wichtig, dass Professor Amethyst uns in zwei Gruppen aufgeteilt hat.“ Sie spürte, wie sich in ihrer Kehle ein Klumpen bildete, als sie an Oliver dachte und die Tatsache, dass er sich irgendwo im Universum befand – an einem anderen Ort und einer anderen Zeit. „Also hör auf, dich zu beschweren.“

Simon seufzte. „Ja, du hast vermutlich recht. Die Mission ist viel wichtiger als mein dämlicher Look und die Tatsache, dass meine extrem helle Haut furchtbar leicht verbrennt und ich dann wie ein Hummer aussehen werde. Ein nackter Hummer.“

„Danke“, antwortete Esther, die sich dafür entschieden hatte, seinen sarkastischen Ton zu ignorieren. „Also, die Mission muss beginnen. Lasst uns das Feuerzepter finden und die Schule für Seher retten.“

Kapitel sechs

Edmund lag weinend in einem kleinen, dunklen Zimmer. Nichts war so gelaufen, wie er es sich vorgestellt hatte. Er hatte Esther wehgetan, war von Madame Obsidian ausgenutzt worden und würde nun nie wieder in die Schule für Seher zurückkehren können. Wenn Professor Amethyst je herausfand, was er getan hatte, würde er ihn mit Sicherheit verstoßen.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Edmund setzte sich auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Ja?“

Die Tür öffnete sich. Ein rothaariges Mädchen streckte den Kopf hinein. „Madame Obsidian hat nach dir gefragt.“

Edmund wurde schwer ums Herz. Es gab keinen Ausweg. Nachdem er die Schule betrogen hatte, war er von einem gewalttätigen Beben geweckt worden. Dann war Madame Obsidian erschienen und hatte ihm einen Platz in ihrer Schule angeboten. Ihm war nichts anderes übriggeblieben, als anzunehmen.

Er stand auf, sein Körper schwer wie Blei, und folgte dem rothaarigen Mädchen aus dem Zimmer.

„Ich bin übrigens Madeleine“, sagte sie, als sie ihn durch die dunklen Korridore führte.

Aber Edmund war zu niedergeschlagen, um ihr zu antworten.

„Du wirst dich daran gewöhnen“, meinte sie aufmunternd. „Es ist eine tolle Schule.“

„Sicher“, murmelte er, aber er wusste, dass dem nicht so sein würde.

Madame Obsidians Schule für Seher war ein furchtbarer Ort. Während seine alte Schule hell und modern gewesen war, handelte es sich hierbei um eine schäbige, alte Burg. Es war kalt. Es roch feucht. Er war erst seit einer Nacht hier und hasste es bereits.

Madeleine hielt an einer großen Holztür und klopfte mit ihren Fingerknöcheln an.

„Herein“, rief eine Stimme im Inneren.

Edmund erkannte sie sofort. Madame Obsidian. Die Frau, die ihn ausgetrickst hatte, seine Liebe, Esther, zu betrügen.

Madeleine öffnete die Tür und winkte Edmund zu, ihr zu folgen.

Im Inneren des Raumes befand sich eine Art Büro. Es gab einen großen Tisch mit vielen Stühlen; auf jedem einzelnen saß ein Obsidian-Schüler. Am Ende thronte Madame Obsidian.

Edmund sah sich die Schüler im Raum an. Ein sehr merkwürdig aussehender Junge mit schwarzem Haar und knochigem Gesicht war so blass war, dass er einem Totenkopf ähnelte. Seine Augen dagegen waren so leuchtend blau wie er es noch nie gesehen hatte. Neben ihm saß ein großes Mädchen mit dunklem Augenmakeup. Sie hatte die Arme verschränkt und strahlte große Boshaftigkeit aus. Neben ihr saß ein rundlicher Junge mit dunklem Haar und vollkommen schwarzen Augen. Sein Blick war auf die Tischplatte gerichtet. Er sah aus, als wäre ihm erst kürzlich etwas Traumatisches passiert.

Madeleine, das rothaarige Mädchen, setzte sich auf den einzigen freien Stuhl neben dem hinterhältig dreinblickenden Jungen, während Edmund alleine stehen blieb.

„Das ist Edmund“, kündigte Madame Obsidian an und lächelte kühl. „Mein Insiderinformant. Mein Spion der Extraklasse.“

Edmund spürte ein Rütteln tief in seiner Magengegend. Wie konnte sie es wagen, so zu tun, als wäre er ein Teil ihres Plans gewesen. Als hätte sie ihn nicht ausgetrickst, ihr zu helfen.

„Ich dachte, es sei vielleicht gut, wenn du den anderen selbst erklärst, was in der Schule für Seher vorgefallen ist“, fuhr die Schulleiterin fort. „Da du ja ein so entscheidender Teil der Mission warst.“

Edmund knirschte mit den Zähnen. Er schauderte, als er an das Beben in der Schule dachte. Wie die Wände begonnen hatten, in sich zusammen zu fallen. Wie die Äste des Kapok-Baums zerbrochen und die Verbindungsgänge zu Boden gekracht waren. Wie seine Lehrer und Klassenkameraden – und seine Freunde – durch die Notausgänge hatten flüchten müssen.

„Die Schule wurde evakuiert“, murmelte er und ließ schamvoll den Kopf hängen.

„Und warum wurde sie evakuiert?“, forschte Madame Obsidian nach.

Sie genoss die Situation offensichtlich. Edmund begann, Gefühle des Hasses ihr gegenüber zu entwickeln, wie er sie nicht einmal für Oliver, seinen Rivalen, empfunden hatte.

„Weil sie in sich zusammengefallen ist“, fuhr er fort. Die Verbitterung, die er fühlte, war auch in seiner Stimme zu vernehmen.

Die Obsidian-Schüler im Zimmer begannen zu applaudieren. Sie schienen begeistert zu sein und flüsterten aufgeregt miteinander. Edmund fühlte sich immer schlechter und beschämter.

Madame Obsidian dagegen sah vollkommen zufrieden aus. „Amethysts Schule für Seher steht vor dem Ruin“, kündigte sie an und gestikulierte wie wild mit den Händen. „Jetzt ist also der perfekte Zeitpunkt gekommen um ein Angriffskommando loszuschicken.“

Edmund keuchte auf. „Nein. Bitte, tun Sie das nicht! Was gibt es dort denn noch zu holen? Haben Sie nicht bereits alles bekommen, was Sie wollten?“

Madame Obsidian schnaufte verächtlich. „Edmund, Edmund, Edmund. Mein lieber, dummer Junge. Die Schule für Seher enthält einige der wichtigsten Artefakte der Menschheit. Professor Amethyst hat so viele Schriftrollen und Texte, so viele Archive, hinter Schloss und Riegel aufbewahrt, wie kein anderer. Er sitzt auf so viel Wissen. Er hält sich selbst für eine Art Pförtner und glaubt, dass nur ihm selbst und einer kleinen Anzahl von Sehern in der Geschichte des Universums, die Geheimnisse der Seher anvertraut werden können. Aber ich glaube an das Teilen von Informationen. Ich möchte das Wissen befreien, das er seit Jahrhunderten für sich behalten hat.“

Edmund sah, wie die Seher-Schüler am Tisch zustimmend nickten. Das war also die Lüge, die Madame Obsidian ihnen eingetrichtert hatte, dachte er. Während sie seine Liebe für Esther ausgenutzt hatte, um ihn unter ihr Kommando zu bringen, hatte sie auch für ihre eigenen Schüler eine Geschichte erfunden. Sie alle hielten Professor Amethyst für einen furchtbaren Mann, der alle Seher-Geheimnisse für sich behält. Aber Edmund kannte die Wahrheit. Er wusste, dass Professor Amethyst der beste Seher des Universums war und eine große Last auf seinen Schultern trug. Sein Herz war rein und sein einziger Wunsch bestand darin, seine Schüler gut zu unterrichten, sodass sie gemeinsam das Universum beschützen konnten.

Edmund wurde langsam klar, dass er den besten Mentor betrogen hatte, den es gab und dass es ein Privileg gewesen war, ihn zu kennen. Die Schule, die er liebte, war verloren. Und es war seine Schuld. Er fühlte sich niedergeschmettert. Hoffnungslos. Einsam.

Madame Obsidians Augen flackerten böswillig. Sie klatschte laut in die Hände. Plötzlich erschien ein wirbelndes Portal am anderen Ende des Raumes.

Ein Windstoß rauschte durch das Buero und Edmund keuchte, als der Wind auf ihn einschlug.

Madame Obsidian stand langsam von ihrem Thron auf und lächelte. Das Licht des Portals glitzerte in ihren Augen.

„Madeleine. Natasha. Malcolm“, sagte sie. Das mürrische Mädchen mit den schwarzen Haaren und der seltsame Junge mit dem Totenkopfgesicht standen gehorsam auf, genau wie Madeleine. Madame Obsidian sah zu dem rundlichen Jungen. „Und Christopher.“

Auch er stand auf. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht, dachte Edmund. Er wirkte unmenschlich, ruhelos, traumatisiert. Und er sah fies aus, als wolle er sich rächen.

„Ihr seid mein Team“, kündigte Madame Obsidian an. „Meine besten und glänzendsten Schüler.“

Während sein Magen vor Scham brodelte, sah Edmund zu, wie die vier Obsidian-Schüler sich auf das Portal zubewegten um die Zerstörung der Schule für Seher ein für alle Mal zu besiegeln. Ein Prozess, den er angefacht hatte, als er sich mit der teuflischen Madame Obsidian verbündete.

„Es ist Zeit“, brüllte sie und stieß ihre Faust in den Himmel. „Zeit, die Geheimnisse der Seher zu offenbaren!“

Die vier Kinder verschwanden durch das Portal und Edmund spürte, wie seine Schultern zusammensackten. Die Schule für Seher war verloren.

Kapitel sieben

Oliver, Ralph und Hazel folgten eilig dem Mann, als dieser durch die Straßen von Florenz rannte. Oliver konnte es kaum glauben, dass sie sich in der Zeit Galileos befanden. Er hatte auf seinen Zeitreisen so viele seiner Helden kennengelernt, es war unbeschreiblich. Wenn man ihm damals, als er seine Erfinderbücher von der ersten bis zur letzten Seite verschlungen hatte, erzählt hätte, dass er eines Tages diese Menschen persönlich kennenlernen würde, hätte er das niemals geglaubt!

In ihrem Blickfeld erschien nun eine Reihe beiger, stufenförmiger Gebäude. Sie waren allesamt zwischen vier und sechs Stockwerke hoch, auf jedem Stockwerk befanden sich mehrere kleine, quadratische Fenster. Die Häuserreihe erinnerte Oliver an Wohnhäuser, doch der Junge, dem sie folgten, eilte durch die geschnitzte Holztür eines vierstöckigen Hauses. Und als sie näherkamen, sahen sie die Steintafel neben der großen, schweren Tür, in die die Worte Accademia delle Arti del Disegno graviert waren.

„So viel kleiner als ich erwartet hatte“, meinte Ralph.

Hazel fuhr mit den Fingern über die eingravierten Buchstaben, als versuche sie, einen Teil der Geschichte zu absorbieren. „Du weißt, dass dein Freund Michelangelo auch hier studiert hat, oder?“, fragte sie.

„Freund?“, witzelte Ralph. „Ich glaube nicht, dass wir jemanden, der wir einmal getroffen haben, Freund nennen können.“

„Er hat uns dabei geholfen, Esthers Leben zu retten“, antwortete Hazel mit einem verärgerten Stirnrunzeln. „Er ist also definitiv kein Feind!“

„Leute“, unterbrach Oliver sie. „Wir haben keine Zeit, zu zanken. Lasst uns reingehen.“

Er drückte die schwere Eichentür auf und sie öffnete sich knarrend. Oliver hatte das Gefühl, einen geheimen Ort zu stören. Es war ein Gefühl, das ihn oft überkam, wenn er in der Vergangenheit herumschnüffelte. Es war schwer, wirklich zu akzeptieren, dass das Universum es einem Seher mit einer Mission nicht übelnahm, in andere Zeiten einzudringen. Stets erwartete er deshalb, einem strengen Lehrer zu begegnen, der sie wegschickte.

In der Accademia delle Arti del Disegno war es, dank den Marmorböden und den kleinen Fenstern, die kaum Sonne hereinließen, eher kühl. Die dunkle Stimmung wurde von der lackierten Holzverkleidung unterstrichen, die halbhoch die Wände schmückte, und von einer Reihe ähnlich lasierter Balken, die quer an der Decke hingen, ergänzt wurde. Beeindruckende Steinstatuen standen in Intervallen im Korridor und vervollständigten die prachtvolle Atmosphäre.

Als die Kinder eintraten, echoten ihre Schritte durch den Raum. Oliver sah den Gang hinunter. Erst links, dann nach rechts.

„Da ist er!“, rief er, als er den Jungen durch eine Tür verschwinden sah.

Sie rannten ihm nach und folgten ihm durch dieselbe Tür.

Sie befanden sich nun in einem großen Vorlesungsauditorium, das Oliver schmerzvoll an Doktor Ziblatts Klassenzimmer erinnerte. Die Bänke waren auch hier rund um die Tribüne in der Mitte in Hufeisenform angeordnet. Statt weißer, glänzender und moderner Ausstattung war das Auditorium dagegen ganz aus Holz. Und statt dem großen Projektor-Bildschirm stand auf einer schwarzen Tafel in weißer Kreide geschrieben: Die Kunst der Perspektive lässt Flaches wie ein Relief und ein Relief wie etwas Flaches erscheinen.

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