Riley drückte seine Hand und kicherte.
„Entwickelt?“, sagte sie.
Bill kicherte auch.
“Ja, sich entwickelt. Es ist natürlich und es ist… wundervoll. Und ich will nicht, dass es aufhört.“
„Ich denke genauso“, sagte Riley.
Bill zuckte mit den Schultern und rutschte etwas auf seinem Stuhl umher.
„Aber ich mache mir Sorgen um… Dinge“, sagte er. „Ich meine, was wird das für uns als Partner bedeuten?“
Riley seufzte. „Ich wünschte, das wüsste ich. Natürlich hat das FBI keine klaren Regeln im Fall von… naja, sozialen Kontakten außerhalb des Dienstes.“
„Ich weiß“, sagte Bill. „Aber das bedeutet nicht, dass es einfach sein wird. Mir fällt zumindest ein Typ ein, der es so schwer wie möglich für uns machen wird.“
Riley nickte. Sie wusste genau, wen Bill meinte. Regeln hin oder her, Leitender Spezialagent Carl Walder missbilligte romantische Beziehungen unter Agenten, die zusammenarbeiteten. Eigentlich missbilligte Walder beinahe alles, was Agenten taten, außer es rückte ihn in ein positives Licht.
Es kam noch schlimmer, denn Walder hegte eine gewaltige Abneigung gegen Riley. Er hatte sie bereits mehr als einmal suspendiert und sogar gefeuert. Wenn Riley und Bill öffentlich eine Beziehung anfangen würden, würde Walder zweifelsohne jede Menge neuer Möglichkeiten finden, ihnen das Leben zur Hölle zu machen. Zumindest würde er ihnen verbieten zusammenzuarbeiten, doch womöglich würde er einen von ihnen auch an irgendeine ferne Außenstelle versetzen.
Einen Moment lang schaute Bill nachdenklich drein.
Er sagte: „Ich mache mir auch Sorgen darüber – naja, dass ich in dein Leben trete, nehme ich an, und mein ganzes Gepäck mitbringe. Ich meine, du hast eine Familie und ich habe…“
Bill schüttelte traurig den Kopf.
„Naja, du weißt was ich habe“, sagte er. „Zu viel von gar nichts. Zum einen habe ich eine hässliche Scheidung hinter mir.“
„Genau wie ich“, sagte Riley.
„Ja, aber dein Ex-Mann hat dir nicht die Kinder weggenommen.“
Riley spürte einen tiefen Stich des Mitgefühls und drückte erneut seine Hand.
„Ich weiß“, sagte sie. „Es tut mir leid.“
Bills Stimme wurde etwas heiserer.
„Aber du – naja, du hast eine Familie. Willst du, dass ich ein Teil davon werde?“
Riley wollte gerade sagen, dass sie das natürlich wollte, aber Bill unterbrach sie.
„Bitte, antworte nicht auf diese Frage, bevor du wirklich darüber nachgedacht hast.“
Riley nickte traurig.
Es war wirklich eine gute Frage und es erinnerte Riley daran, wie erfüllt und liebevoll ihr Familienleben wirklich war. Sie hatte zwei Töchter und eine Haushälterin, die bei ihnen wohnte und die viel, viel mehr war, als nur eine Angestellte.
Gibt es noch Platz für irgendjemand anderen? fragte sie sich.
Sie hatte versucht Platz für zwei verschiedene Männer zu schaffen, aber es hatte nicht geklappt. Als ihr Ex-Mann, Ryan, zurückgekommen war, um sie um eine neue Chance anzuflehen, hatte sie ihn für eine Weile einziehen lassen. Er hatte sie und die Mädchen natürlich enttäuscht, und sie hatte sich dumm gefühlt, dass sie irgendetwas anderes von ihm erwartet hatte. Das letzte Mal, dass er vorbeigekommen war, hatte sie ihn ziemlich entschlossen weggeschickt.
Zuerst war alles glatt gelaufen mit Blaine Hildreth, dem charmanten Restaurantbesitzer, auf den Riley sich eingelassen hatte. Er war ein alleinerziehender Vater von einer Tochter in Aprils Alter. An einem Punkt hatte Blaine sogar geplant sein eigenes Haus auszubauen, damit sie alle zusammen dort leben könnten.
Doch die Gefahren von Rileys Leben hatten schließlich dazu geführt, dass Blaine nicht mehr mit ihnen umgehen konnte.
Obwohl sie ihn nicht wirklich dafür verurteilte, schmerzte Riley seine endgültige Zurückweisung innerlich immer noch. Es hatte sie verbittert und enttäuscht. Sie hatte begonnen sich zu fragen – würde es jemals einen Mann in ihrem Leben geben, dem sie vollkommen vertrauen und auf den sie sich komplett verlassen könnte?
Doch in diesem Moment kam ihr das wie eine dumme Frage vor.
Sie schaute in genau diesem Augenblick auf ebendiesen Mann.
Sie und Bill hatten ihre Streitigkeiten und ihre Uneinigkeiten gehabt, genau wie ihre Höhen und Tiefen. Doch schlussendlich hatten sie einander immer mit ihrem eigenen Leben vertrauen können.
Was könnte ich noch von einer Beziehung wollen? fragte sie sich.
Vielleicht war genau das auch das Problem.
Sie stammelte, als sie versuchte die Worte dafür zu finden, was sie sagen wollte.
„Bill, ich… ich habe das Gefühl, dass du mich besser kennst, als irgendjemand mich je gekannt hat. Besser als Ryan sogar. Du hast mich in meinen besten Momenten, genauso wie in meinen schlimmsten gesehen. Du hast mich aus den Tiefen des… naja, des Trinkens, der Verzweiflung, des Selbst-Mitleids, des Versagens gezogen…“
Bill schüttelte den Kopf. „Naja, du hast Schlimmeres mit mir durchgestanden.“
Riley erschauderte ein wenig. Sie wusste nur zu gut, wovon Bill sprach.
Und sie erinnerte sich eindringlich an die SMS, die Bill ihr geschickt hatte, als sie letztes Frühjahr an einem Fall gearbeitet hatte…
Sitze hier mit der Knarre im Mund.
Jenn hatte Rileys Abwesenheit gedeckt, sodass sie zu Bills Apartment in Quantico eilen konnte. Sie wusste immer noch nicht was hätte passieren können, wenn sie nicht dort hingekommen wäre, um ihm zu helfen.
Aber sie hätte es nicht anders gewollt. Ihre Freundschaft war genauso auf schrecklichen Momenten wie diesen aufgebaut, wie auch auf den schönen.
Riley hielt einen Moment lang inne.
Dann sagte sie: „Ich glaube, was ich denke ist… vielleicht sind wir bereits ein perfektes Paar. Vielleicht waren wir all die Jahre ein perfektes Paar. Weiß Gott, ich fühle mich dir sehr viel verbundener, als ich mich jemals Ryan gegenüber gefühlt habe.“
„Und ich fühle mich dir sehr viel verbundener, als ich es jemals mit Maggie war“, sagte Bill.
Riley holte tief Luft und sagte: „Also dann… sollten wir vielleicht nichts zwischen uns ändern. Vielleicht sollten wir die Dinge genauso lassen, wie sie sind.“
Bill lächelte etwas traurig.
Er sagte: „Riley, die Dinge haben sich bereits verändert zwischen uns. Sie haben sich verändert, ob wir es wollen oder nicht.“
Riley wusste genau, was er meinte.
Dieser Kuss.
Er hatte alles zwischen ihnen verändert.
In diesem Moment kam der Kellner mit ihren Sandwiches.
Und Rileys Handy klingelte.
Sie überlegte kurz, ob sie den Anruf ignorieren sollte, doch dann sah sie, dass er von ihrem Boss stammte, dem Teamleiter Brent Meredith.
Als sie den Anruf entgegennahm, kam Meredith wie immer direkt zum Punkt.
„Sind Sie dazu bereit einen neuen Fall zu übernehmen, Agentin Paige?“
Riley musste über die Frage lächeln. Brent Meredith „nein“ zu sagen war keine wirkliche Option.
„Ich bin bereit“, sagte sie.
„Gut. Dann kommen Sie sofort in mein Büro.“
Ohne ein weiteres Wort beendete Meredith den Anruf.
Bill sagte: „Ich nehme an, dass das Meredith war, gesprächig wie immer.“
Riley lachte und sagte: „Ja, manchmal hört er einfach nicht auf zu quatschen. Naja, ich nehme an wir werden gebraucht – und wie immer jetzt sofort. Tut mir leid um das Mittagessen.“
„Wir können es auf dem Weg essen“, sagte Bill. „Das ist uns nicht neu.“
Bill winkte den Kellner heran und bat ihn, ihre Sandwiches einzupacken und die Rechnung zu bringen.
Er sagte: „Was meinst du, wie oft wurden wir bereits während des Mittagessens irgendwo hinbestellt?“
Riley kicherte und sagte: „Ich nehme an, einige Dinge ändern sich nie.“
Bill zahlte die Rechnung und, mit ihrem Mittagessen in der Hand, gingen sie hinaus zu seinem Auto.
KAPITEL DREI
Als sie das Gebäude der Verhaltensanalyse betraten, dachte Bill immer wieder an Rileys Worte, als ihr erster Versuch eines Dates zu so einem abrupten Ende gekommen war.
„Ich nehme an, einige Dinge ändern sich nie.“
Bill fand, dass es beinahe komisch war, wie dieser Anruf ihr Gespräch unterbrochen hatte… genau wie so oft zuvor.
Sie hatten eilig ihr Essen einpacken lassen und waren zum Auto geeilt… genau wie so oft zuvor.
Nun eilten sie durch einen vertrauten Flur zu Merediths Büro. Der heutige Tag war allzu typisch was die Unvorhersehbarkeit anging, mit der er und Riley seit vielen Jahren lebten.
Und doch wusste er, dass der Kuss, der vor einigen Wochen zwischen ihnen passiert war, alles zwischen ihnen verändert hatte. Es war ihm klar, dass auch Riley das wusste. Er wünschte sich wirklich, dass sie mehr Zeit gehabt hätten, um über alles zu reden. Früher oder später würden sie diese Veränderungen akzeptieren müssen.
Früher wäre besser.
Doch nun war offensichtlich nicht die Zeit dafür. Sie hatten fast nicht gesprochen während der Fahrt hierher. Sie waren damit beschäftigt gewesen, die Sandwiches zu essen, die sie aus dem Restaurant mitgenommen hatten, doch Bill merkte auch, dass Rileys Gedanken bereits bei dem Fall waren, der auf sie zukam.
Das sollten meine auch sein, dachte er.
Er fragte sich – würde es nun immer so sein? Würde ihre gemeinsame Arbeit immer wichtiger sein als alles andere, was zwischen ihnen passieren könnte?
Als sie Merediths Büro betraten, schaute der gewaltige Abteilungsleiter, der schwarze, kantige Gesichtszüge hatte, von seinem Schreibtisch auf. Sein Gesichtsausdruck war streng, als er bemerkte: „Ich habe nicht erwartet, Sie hier zu sehen, Agent Jeffreys.“
Bills machte vor Überraschung große Augen. Er konnte sehen, dass auch Riley verwundert war.
Bill stammelte während er und Riley vor Merediths Schreibtisch Platz nahmen: „Naja – Agentin Paige sagte, dass… Sie wegen eines neuen Falls angerufen haben und ich hatte einfach angenommen…“
Meredith zuckte mit den Schultern. „Ja, ich habe einen neuen Fall für sie. Ich habe nicht nach Ihnen gefragt. Tatsächlich werden Sie für diesen Fall nicht gebraucht. Agentin Paige wird mit einer anderen Partnerin zusammenarbeiten.“
Bill war alarmiert.
Was geht hier vor? fragte er sich.
Hatte Meredith bereits irgendwie begriffen, dass zwischen ihm und Riley irgendetwas los war, noch bevor die beiden es selbst klären konnten? Er konnte sich nicht vorstellen wie, doch Meredith hatte eine beinahe gruselige Art, Einzelheiten über seine Agenten zu wissen.
Will er unser Team auflösen? fragte Bill sich.
„Ich versuche bloß eine neue Agentin einzuarbeiten“, erklärte Meredith. „Ein Frischling. Ich habe mir gedacht, dass es eine gute Erfahrung für sie sein würde, mit Agentin Paige zusammenzuarbeiten, zumindest dieses eine Mal.“
Eine neue Agentin? dachte Bill.
Er war erleichtert, dass sich die Regelung nicht nach etwas Langfristigem anhörte, spürte aber auch, wie sich Besorgnis bei ihm einschlich. Ihre Zusammenarbeit mit den letzten zwei Anfängerinnen war schlecht gelaufen. Er konnte es nicht ertragen auch nur an Lucy Vargas zu denken, die seine Bewunderung erlangt hatte, die aber in einer schrecklichen Schießerei ums Leben gekommen war. Die letzte neue Rekrutin, Jenn Roston, hatte andere Probleme mitgebracht.
Bill konnte nicht bestreiten, dass Jenn eine brillante und vielversprechende junge Agentin gewesen war, doch sie war nicht einmal komplett angekommen, als ihre Vergangenheit sie anscheinend eingeholt hatte. Schlimmer noch, Bill wusste genau, dass Riley Geheimnisse über Jenns Vergangenheit wusste, die sie mit ihm nicht hatte teilen können – Geheimnisse, die zu Jenns mysteriösem Verschwinden vor ein paar Wochen geführt hatten.
Er hatte versucht sich einzureden, dass was auch immer diese Geheimnisse waren, die Jenn und Riley teilten, sie ihn nichts angingen. Doch er hatte es nicht geschafft. Er erinnerte sich daran, wie noch vor Kurzem Riley und er sich beide eingestanden hatten, dass sie einander näher standen, als sie es jemals ihren Ehegatten gegenüber getan hatten. Es gab wirklich nichts Ungewöhnliches daran. So musste es auch sein unter Partnern.
Doch Jenn hatte sich Riley beträchtlich mehr geöffnet, als sie es ihm gegenüber getan hatte und das hatte dazu geführt, dass er sich ausgeschlossen gefühlt hatte – und sogar etwas verbittert. Beinahe zwei Jahrzehnte lang hatten Bill und Riley voreinander wenige Geheimnisse gehegt und hatten einander, wenn überhaupt, nur selten direkt angelogen. Deshalb gefiel es Bill nicht, dass Riley Geheimnisse hütete die Jenn betrafen.
Würde dasselbe erneut mit einer neuen jungen Rekrutin geschehen?
Ich hoffe nicht, dachte er. Die Dinge waren auch so schon kompliziert genug zwischen Riley und ihm.
Meredith warf einen Blick auf seine Uhr. „Ich habe sie gebeten, dazu zu kommen. Sie sollte jeden Moment hier sein. Ihr Name ist Ann Marie Esmer, und sie ist denkbar grün hinter den Ohren. Sie kommt gerade von der Academy und hat noch nie an einem echten Fall gearbeitet.“
Riley legte neugierig den Kopf schief.
„Sie meinen, Sie hat überhaupt noch nie im Polizeidienst gearbeitet?“
„Genau“, sagte Meredith.
„Wie ist sie dann überhaupt an die Academy gekommen?“, fragte Riley.
Meredith faltete die Finger, drehte sich leicht in seinem Bürosessel hin und her und lächelte.
„Genau wie Sie, Agentin Paige. Sie hat als Zivilistin einen Fall gelöst, gleich frisch vom College. Das FBI ist auf sie aufmerksam geworden und die Voraussetzung der Polizeiarbeit wurde für sie fallen gelassen. Genau wie sie, hat sie sich gut im Sommerpraktikumsprogramm gemacht und dann auch an der Academy. Also geben wir ihr eine Chance hier an der Verhaltensanalyse. Mir wurde gesagt, sie zeigt großes Versprechen.“
Bill spürte ein neugieriges Kribbeln. Er wusste, dass Riley von ihrem Mentor, Jake Crivaro rekrutiert worden war, nachdem sie eine Flut von Morden an dem College, an dem sie studierte, gelöst hatte. Genau wie die neue Agentin, hatte Riley sich ausgezeichnet im Sommerpraktikum und später an der Academy gemacht.
Wird diese Kleine eine jüngere Version von Riley sein? fragte er sich.
Er war sich nicht sicher, ob diese Möglichkeit ihm gefiel. Er war etwas bestürzt über die Tatsache, dass Riley überhaupt mit einer anderen Partnerin zusammenarbeiten würde, aber besonders mit solch einer unerfahrenen.
Meredith lehnte sich in seinem Sessel zurück.
„Ich habe meine Gründe dafür, dass ich die Kleine auf diesen Fall ansetze“, sagte er. „Zum einen sollte das keine zu große Herausforderung für sie sein. In Winneway, Maryland ist vor ungefähr einem Jahr eine Frau verschwunden. Ihre Leiche wurde gestern Nacht endlich gefunden. Der Sheriff denkt, dass der Mörder erneut zuschlagen wird, also will er unsere Hilfe.“
Bill schielte skeptisch und fragte: „Hat der Sheriff dafür irgendwelche andere Gründe, als eine bloße Vermutung?“
Riley fügte hinzu: „Wieso meint er, dass der Mörder eine Serie daraus machen will?“
Meredith sagte: „Es hat etwas mit ein paar anonymen Nachrichten zu tun, die die Polizei bekommen hat. Ich kenne keine Details, aber für mich klingt es danach, als wären die Cops bloß Opfer eines Streichs geworden, nichts, wofür die Verhaltensanalyse gebraucht wird, sicherlich keine Serie. Sie werden wahrscheinlich hinfahren, bloß, um sofort umzudrehen und direkt wiederzukommen. Aber zumindest wird es der Kleinen die Möglichkeit geben, sich auszuprobieren.“
In Bill sträubte sich alles vor Groll, obwohl er sich dagegen wehrte.
Behalt es für dich, dachte er sich. Er wusste, dass es nie eine gute Idee war, Merediths Befehlen zu wiedersprechen. Trotzdem platze es ihm heraus: „Sir, ich kann nicht sagen, dass es mir gefällt, bei diesem Fall außen vor gelassen zu werden.“