Der Kommodore hob die Schultern.»Ich wurde Cornwall gern wiedersehen. «Er streckte die Hand aus und beruhrte die abgegriffene Reling.»Aber wahrscheinlich werde ich hier drau?en sterben wie meine gute alte
Hurra rufen und zuruckschlagen, das kennzeichnete jene desperate Welt. Doch hier, meilenweit von jeder Zivilisation entfernt, was wurden Manner wie sie empfinden, wenn man sie zu weit trieb?
Allday blickte auf Bolithos hochgezogene Schultern hinab, auf das schwarze Haar, das uber dem goldbestickten Kragen ordentlich zusammengebunden war. Der Kommandant grubelte wieder einmal, wie ublich, machte sich Sorgen um andere. Er wu?te genau, was Bolitho in erster Linie beschaftigte, denn er war wahrend der Meuterei auf Bolithos Schiff gewesen, ein zum Dienst gepre?ter Mann. Auch er konnte es nicht vergessen. Wie der Rest der Crew hatten auch die von ihm ausgesuchten und ausgebildeten Rudergasten von der Meuterei auf der
«Wenn Sie nicht auf Ihre Arbeit achten, Allday«, schnauzte Bolitho,»kommen wir noch durch eine Stuckpforte an Bord.»
Allday legte Ruder und grinste Bolithos Rucken an. So gefiel er ihm schon besser.
Wie ein verfuhrerischer Samtvorhang hullte die Dammerung schnell den Hafen ein. Sie half, die Hitze des Tages zu vergessen und die Anstrengungen bei der Erganzung des
Proviants, den Benjamin Bynoe, der Zahlmeister mit den harten Augen, zu gunstigsten Bedingungen eingehandelt hatte.
Bolitho lehnte sich auf der Bank unter dem geoffneten Heckfenster zuruck und sah die Lichter der Stadt heruberwinken. Es war der zweite Abend, an dem sie in Sydney vor Anker lagen, aber sein erster an Bord. Kommodore Sayer hatte ihn vollig in Anspruch genommen, vorwiegend an Land, wo er dem stellvertretenden Gouverneur begegnet war, dessen Vorgesetzter sich irgendwo in der Kolonie mit einer Eingabe >dieser verdammten Farmer
«Sie haben ganz recht, Bolitho«, hatte der Kommodore gesagt.»Zuerst lie? der Gouverneur von Marinesoldaten die offentliche Ordnung sichern und die deportierten Straflinge bewachen. Aber dann wurden sie in England gebraucht und zuruckgeschickt. Diese >Soldaten
Bolitho war von den Hafen vieler Lander an Roheit und Trunksucht gewohnt, aber Sydneys Uberflu? an Hafenkneipen und Schlimmerem lie? manches, was er gesehen hatte, als zahm erscheinen. Sayer hatte ihm erzahlt, da? viele Wirte sogar im Sold der Offiziere standen, die den Verkehr ihrer Leute mit den deportierten Schankmadchen offen forderten. Dabei hatte er die Manner, die nur aus Habgier ins Corps eingetreten waren, voller Verachtung als Schwindler und Halunken bezeichnet.
Wieder an Bord, gelang es Bolitho, sich von dem hektischen Treiben an Land zu losen und etwas Ruhe zu finden. Sayer hatte uber neue Aufgaben fur die
noch nichts in Erfahrung gebracht; das wurde sich erst ergeben, wenn der Gouverneur zuruckkehrte.
Bolitho gegenuber lehnte Herrick in einem Sessel. Sie hatten eine ausgezeichnete Hammelpastete gegessen, die Noddall, der Kabinensteward, aus unbekannten Quellen an Land beschafft hatte: seit Monaten das erste Fleisch, das nicht aus einem Pokelfa? kam.
«Was halten Sie von einem Glas Rotwein, Thomas?«meinte Bolitho.
Herrick grinste; seine Zahne schimmerten schwach im Licht der einzigen Lampe. Sie hatten schnell entdeckt, da? mehr Beleuchtung nur Schwarme summender Insekten anzog, die die Wohltat der kuhleren Luft sofort zunichte machten.»Nicht viel, Sir«, antwortete er und winkte Noddall aus dem Schatten.»Ich habe mir erlaubt, beim Quartiermeister der Kaserne guten franzosischen Wein zu beschaffen. «Er lachte verhalten.»Als Soldaten mogen sie nicht viel wert sein, aber sie verstehen zu leben.»
Noddall machte sich am Tisch mit seinem Weinkuhler zu schaffen.
Bolitho beobachtete ihn; er kannte jede seiner Bewegungen. Noddall war klein und flink wie ein Wiesel, hielt sogar die Hande, wenn sie nicht beschaftigt waren, wie Pfoten vor seinen Korper. Ein guter und williger Diener, war er wie mancher andere von Bolithos
Tempest war. Er hob sein Glas.
«Auf Ihr Wohl, Sir, und auf Ihren Geburtstag. «Er grinste.»Ich wei?, da? er eigentlich gestern war, aber ich brauchte einen Tag, um den Wein zu entdecken. «Wortkarg sa?en sie zusammen, rauchten ihre langen Pfeifen, und ihre Glaser wurden von dem aufmerksamen Noddall bereitwillig nachgefullt.
Durch das Oberlicht konnten sie die Sterne sehen, sehr gro? und nahe, und die regelma?igen Schritte des Steuermannsmaaten der Wache horen, dazwischen das gelegentliche Scharren der Stiefel des Marinesoldaten, der jenseits des Schotts Posten stand.
Bolitho sagte:»In Cornwall ist es jetzt Spatherbst. «Er wu?te nicht, warum er das sagte, vielleicht hatte er an Sayer gedacht. Sofort sah er es vor sich: goldenes und braunes Laub, jede Morgendammerung eine Spur kalter, aber immer noch frisch und klar. Das hielt den Winter auf. Er versuchte, sich an die ublichen Gerausche zu erinnern: den Ton der klingenden Hammer, wenn die Landarbeiter die Zeit nutzten, um die typischen Stein- und Schieferwalle zu bauen oder zu reparieren, die ihre Felder und Hauser voneinander trennten. Das Bloken der Schafe und Stampfen der Fischer, die am Abend von Falmouth zu ihren kleinen Weilern herauf-wanderten.
Er dachte an sein eigenes Haus unterhalb von Pendennis Castle: kantig und grau, seit Generationen das Heim der Bolithos. Jetzt wohnte dort niemand — von Ferguson, dem Verwalter, und der Dienerschaft abgesehen. Alle waren entweder tot oder fortgezogen wie seine beiden verheirateten Schwestern, die ihr eigenes Leben fuhrten. Er erinnerte sich seiner ersten Begegnung mit dem Hauptmann der Marineinfantrie, Prideaux. Dessen Ruf als Duellant hatte ihn an seinen Bruder Hugh erinnert. Hugh hatte wegen einer Spielschuld einen Offizierskameraden im Duell getotet und war nach Amerika geflohen. Da? er von seinem Schiff desertierte, war fur ihren Vater schon ein schwerer Schock gewesen, doch als Hugh in die Marine der amerikanischen Revolutionare eintrat und ein Kaperschiff gegen seine alten Freunde und Waffenbruder fuhrte, hatte das den Tod des alten Mannes vollends beschleunigt. Nun lebte auch Hugh nicht mehr, war angeblich von einem durchgehenden Pferd in Boston getotet worden.
Herrick spurte die Veranderung in Bolithos Stimmung.»Ich glaube, es wird Zeit fur mich, Sir. Ich ahne, da? uns morgen einiges bevorsteht. Zwei Tage im Hafen? >Aber, aber!
nicht da.
Die
mu?te vom Ufer her einen schonen Anblick bieten: Die offenen Stuckpforten, von innen beleuchtet, wirkten wie gelbe Augen. Dazu das Ankerlicht und eine Laterne an der Steuerbordgangway, damit sich der Wachoffizier an Bord bewegen konnte, ohne in der Dunkelheit zu straucheln.
Bolitho dachte an einige der Deportierten, die er gesehen hatte. Gewi? war keiner von ihnen wegen schwerer Vergehen hier, sonst hatte man sie gehenkt. Es beschamte ihn, da? er eben noch finster uber seine eigene Trennung von der Heimat gebrutet hatte. Was mu?ten dagegen diese Verbannten leiden, wenn sie sein Schiff sahen, das schlie?lich Anker lichten und vielleicht nach England segeln wurde. Wogegen sie…
Er blickte uberrascht auf, als an die Au?entur geklopft wurde. Es war Borlase, der Zweite Offizier. Als Wachfuhrer war er zweifellos der einzige Offizier an Bord in voller Uniform. Er war sechsundzwanzig Jahre alt, gro? und kraftig gebaut, und doch waren seine Zuge weich, sogar sanft, und sein Gesicht wirkte im allgemeinen leicht uberrascht. Bolitho vermutete, da? das ursprunglich eine Tarnung fur seine Empfindungen gewesen, jetzt aber zur standigen Gewohnheit geworden war. Borlase war Erster Offizier auf einer kleinen Fregatte gewesen, die in der Nahe der Philippinen auf Grund gelaufen und verloren gegangen war. Zum Gluck hatte sich ein Ostindienfahrer in der Nahe befunden und die gesamte Besatzung bis auf drei Mann gerettet. Von einem hastig eingesetzten Kriegsgericht wurde der Kommandant der Fregatte wegen Nachlassigkeit im Dienst unehrenhaft entlassen. Borlase war zu der Zeit wachhabender Offizier gewesen, und seine Aussage hatte dazu beigetragen, da? sein Kommandant in der Versenkung verschwand. Bolitho fragte:»Was gibt es, Mr. Borlase?«Der Leutnant trat in den Lichtschein der Lampe.»Das Wachboot hat diese Depesche fur Sie gebracht, Sir. «Er leckte sich die Lippen, eine weitere kindliche Angewohnheit.»Vom Gouverneur.»
Hastig tauchte Noddall mit einer weiteren Lampe aus der Pantry auf. Sein kleiner Schatten tanzte gigantisch uber die wei?getunchte Zwischenwand.
Bolitho schlitzte den Leinwandumschlag auf und fragte sich dabei, ob Borlase vor dem Kriegsgericht sich nicht ebensosehr hatte entlasten wie seinen Kapitan zu Fall bringen wollen.
Doch als er hastig das sauber geschriebene Papier uberflog, verbla?ten mit einem Mal die Strapazen und Sorgen der vergangenen Monate, und selbst Borlase, der ihn mit einem sanften Lacheln beobachtete, schien zu verschwinden. Scharf sagte er:»Kompliment an den Ersten Offizier, Mr. Borlase, und ich mochte ihn sofort sprechen. «Der Leutnant offnete den Mund, um eine Frage zu stellen, schlo? ihn aber wieder.
Bolitho ging zum Heckfenster, beugte sich so weit hinaus, wie er konnte, und lie? sich die Seeluft uber Kehle und Brust streichen. Jetzt wunschte er, er hatte nicht so viel getrunken und gegessen.
Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, sich auf die Depesche zu konzentrieren. Die
sollte bei erster Gelegenheit Anker lichten und auslaufen. Er spurte, wie die Luft ihm Kopf und Gesicht kuhlte, und fuhlte sich kraftiger; noch wahrend er seine rasenden Gedanken sammelte, betrat Herrick die Kabine.
«Sir?»
«Wir haben Befehl zum Auslaufen, Thomas. Ein Transporter ist uberfallig, obwohl von einem Postschiff gemeldet wurde, da? er vor drei Wochen noch sicher unterwegs war. Der Kapitan des Postschiffs hatte sudostlich von Tongatapu Signalkontakt mit ihm gehabt. «Herrick schob sich das Hemd in die Hose und sagte nachdenklich:»Aber das ist uber zweitausend Meilen entfernt, Sir.»
Bolitho nickte.»Andererseits war das Schiff, die
Eurotas
Bolitho wandte sich von den schimmernden Lichtern ab; ihr Glanz war trube geworden.
«Wecken Sie den Steuermann, Thomas, und stellen Sie den fruhest moglichen Augenblick zum Auslaufen fest; notfalls lasse ich das Schiff mit Booten freiwarpen. Andererseits — vielleicht ist es ein blinder Alarm. Die
Herrick studierte ihn mit sehr stillen Augen.»Unwahrscheinlich«, sagte er.
Bolitho ging an ihm vorbei, beruhrte die Stuhle, ohne sie zu spuren, und den alten Degen an der Schottwand, den Allday wie ein Gralshuter bewachte.
Er fuhr fort:»Sayer wird die Kurierbrigg ausschicken, wenn sie erst wieder da ist, und der Gouverneur will zwei kleine Schoner nach Norden und Osten abkommandieren.«»Wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, Sir. «Bolitho drehte sich auf dem Absatz um.»Das wei? ich, verdammt noch mal! Aber wir mussen etwas tun. «Er bemerkte Herricks uberraschten und gekrankten Ausdruck und fugte hinzu:»Tut mir leid. Der Wein ist schuld. «Bolitho schob die Papiere uber den Tisch, denn Herrick mu?te es fruher oder spater erfahren.»Lesen Sie selbst. «Damit ging er zur Tur und sagte zu dem Wachtposten:»Benachrichtigen Sie den Midshipman der Wache, ich wunsche alle Offiziere unverzuglich zu sprechen. «Er merkte, da? Herrick ihn beobachtete, und sagte nuchtern:»Ich wei?, Thomas, ich wei?, was Sie denken. Aber das liegt funf Jahre zuruck. Eine lange Zeit fur Erinnerungen.»