Wie viele Male hatte es Bolitho in dieser Zeit gereizt, schnell einmal von Falmouth heruberzukommen, um Herrick bei den letzten Arbeiten zuzuschauen. Aber Herrick hatte das vielleicht als einen Mangel an Vertrauen gedeutet. Mehr als einmal hatte Bolitho jetzt schon zur Kenntnis nehmen mussen, da? das einzelne Schiff ihn direkt nichts mehr anging. Er schwebte daruber wie seine Flagge. Ein freudiger Schauer lief ihm uber den Rucken, als er die ubrigen Einheiten seines Geschwaders musterte; vier Linienschiffe, zwei Fregatten und eine Korvette. Ingesamt fast dreitausend Offiziere, Seeleute und Soldaten, und alles, was darin inbegriffen war.
Das Geschwader mochte neu sein, aber von den Gesichtern waren ihm viele altvertraut. Er dachte an Keverne und Inch, an Neale und Keen, und an den jungen Kommandanten der Korvette, Matthew Veitch. Er war Herricks Erster Offizier gewesen. Admiral Sir George Beauchamp hatte sein Versprechen gehalten. Jetzt war es an ihm, sich zu bewahren.
Mit Mannern, die er kannte und denen er vertraute, mit denen er so viel erlebt und geteilt hatte.
Trotz der augenblicklichen Erregung lachelte er bei dem Gedanken an die Reaktion seines neuen Flaggleutnants, als er versucht hatte, ihm seine Gefuhle deutlich zu machen.
Der Leutnant hatte gesagt:»Aus Ihrem Mund klingt es sehr bedeutend. Wie schon der Dichter sagt: >Wir Auserwahlten
Auch Allday war aufgestanden und hatte seinen Hut abgenommen. Nun stand er wartend da, bereit Bolitho zu helfen, wenn er den Absprung aufs Fallreep verpassen sollte.
Bolitho fa?te Fu? und zog sich zur Einla?pforte hoch.
In diesem Augenblick nahm er laute Befehle war, die Gerausche prasentierter Waffen und den Einsatz der Spielleute, die das >Heart of Oak
Herrick nahm ebenfalls seinen Hut ab und schluckte heftig.»Willkommen an Bord, Sir!»
Beide schauten nach oben, als die Flaggleine vom Signalgasten straff geholt wurde.
Da war es, Symbol und Aussage: Bolithos eigene Flagge wehte nun vom Besanmast wie ein Banner.
Die Nachststehenden hatten gern ein besonderes Zeichen gesehen, als der jungendliche Admiral seinen Hut wieder aufsetzte und ihrem Kommandanten die Hand reichte.
Aber das war alles, was sie zu sehen bekamen. Denn was Bolitho und Herrick in diesem Augenblick miteinander verband, war fur jeden anderen unsichtbar.
II Das Flaggschiff
Bei Anbruch des nachsten Tages hatte der Wind abermals betrachtlich zugenommen, und der Solent war wieder mit zornigen Wellenkammen bedeckt. An Bord des Flaggschiffes, wie auch auf den ubrigen Schiffen von Bolithos kleinem Geschwader, war es recht ungemutlich, denn die Fahrzeuge dumpelten stark und zerrten an ihren Ankertrossen, als waren sie entschlossen, auf Grund zu treiben.
Als das erste schwache Licht den glitzernden Schiffsleibern Farbe verlieh, sa? Bolitho in seinem Arbeitsraum im Heck der
Ozzard schaute nach ihm und glitt leise uber den mit schwarz-wei? gewurfeltem Segeltuch bespannten Fu?boden, um ihm Kaffee nachzu-schenken.
Bolitho wu?te noch immer nicht viel mehr uber seinen Diener als damals, da er ihn auf Herricks
Der Ehrenposten vor dem Kajutvorhang stie? seine Muskete kurz aufs Deck und meldete:»Ihr Schreiber, Sir!»
Ozzard flitzte zur Tur, um Bolithos Neuerwerbung, Daniel Yovell, einzulassen. Ein munterer Mann mit einem roten Gesicht und dem breiten Dialekt der Leute von Devon, ahnelte er mehr einem Bauern als einem Schiffsschreiber, aber seine Handschrift, rund wie der ganze Mann, war gut; au?erdem war er unermudlich gewesen, als Bolitho ihm seine Befehle bei der Ubernahme des Geschwaders diktiert hatte.
Der Schreiber legte seine Papiere auf den Tisch und schaute unauffallig auf die beiden Heckfenster. Sie waren mit Wasserspritzern und angetrocknetem Salz bedeckt und lie?en die anderen Schiffe wie Schemen erscheinen, unwirklich und verzerrt.
Bolitho blatterte in den Papieren. Schiffe und Manner, Kanonen und Pulver, Lebensmittel und sonstige Vorrate, die fur Wochen, vielleicht fur Monate reichen mu?ten.
Yovell sagte bedachtig:»Ihr Flaggleutnant ist an Bord gekommen, Sir, in der kleinen Jolle. «Er verbarg ein Grinsen.»Nun mu? er sich erst etwas Trockenes anziehen, bevor er nach achtern kommt. «Das schien ihn zu amusieren.
Bolitho lehnte sich im Stuhl zuruck und starrte zu den Decksbalken auf. Es kostete viel Papier, ein Geschwader in Marsch zu bringen. Taljen knarrten auf dem Huttendeck uber ihm, und Blocke quietschten im Gleichklang mit trampelnden Fu?en. Verzweifelte Maate drohten und fluchten im Flusterton, wohl wissend, da? das Oberlicht der Ad-miralskajute offenstand.
Die andere Tur zur Kajute offnete sich lautlos, und Bolithos Flaggleutnant trat leichtfu?ig uber das Sull. Nur ein feuchter Schimmer auf seinem braunen Haar zeugte noch von seiner bewegten Uberfahrt, ansonsten war er — wie stets — untadelig gekleidet.
Er war sechsundzwanzig Jahre alt, hatte trugerisch sanfte Augen und einen Gesichtsausdruck, der zwischen Leere und leichter Verwirrung wechselte.
Der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne, den ihm abzunehmen Admiral Beauchamp Bolitho gebeten hatte, besa? das Aussehen eines Aristokraten, der eine gehobene Lebensart gewohnt war. Er war nicht der Typ eines Offiziers, den man an Bord eines Kriegsschiffes erwartet hatte.
Yovell machte ein fluchtige Verbeugung.»Guten Morgen, Sir. Ich habe Ihren Namen schon auf die Liste der Offiziersmesse gesetzt.»
Der Flaggleutnant warf einen kurzen Blick auf das Abrechnungsbuch und sagte ruhig:»Aber Browne mit einem >e
Gerne hatte er gewu?t, wie seine Offiziere daruber dachten. Sicherlich ahnlich wie Browne, nur da? sie mehr Grund hatten zu murren. Die meisten von ihnen waren seit Jahren im Mittelmeer oder angrenzenden Gewassern gewesen. Fur sie mu?te Danemark und die Ostsee im Winter ein schlimmer Tausch sein.
Yovell schob Bolitho die Papiere mit der Geduld eines Dorfschulmeisters zur Unterschrift hin. Dazu sagte er:»Die anderen Abschriften werde ich bis zum Auslaufen fertig haben, Sir. «Dann ging er, wobei sich seine rundliche Gestalt den Schiffsbewegungen wie eine gro?e Kugel anpa?te.
«Ich denke, damit lauft alles. «Bolitho schaute in Brownes ausdrucksloses Gesicht.»Oder?«Er war es noch nicht gewohnt, Gedanken wie Zuversicht oder Zweifel mit anderen zu teilen.
Browne lachelte hoflich.»Wir haben heute vormittag Kommandantensitzung, Sir. Wenn der Wind so bleibt, konnen wir danach jederzeit auslaufen, hat mir der Master versichert.»
Bolitho stand auf und lehnte sich auf die Brustung der hohen Fenster. Es war beruhigend, da? sie den alten Grubb an Bord hatten. Als Sailing Master der
Herrick war begluckt gewesen, als er Grubb wieder als Navigator bekam. Er hatte gesagt:»Ich bezweifle jedoch, da? er davon Notiz genommen hatte, wenn die Entscheidung anders ausgefallen ware.»
«Gut«, sagte Bolitho nun.»Machen Sie ein entsprechendes Signal fur das Geschwader. Bei vier Glasen zur mir an Bord. «Er lachelte.»Sie warten sowieso darauf.»
Browne raffte seine Sammlung verschiedener Papiere und Signale zusammen und zogerte, als Bolitho ihn plotzlich fragte:»Dieser Ad-miral, mit dem wir zusammentreffen sollen. Kennen Sie ihn?»
Er war erstaunt, wie leicht ihm das von den Lippen ging. Fruher hatte er eher nackend einen Tanz auf der Hutte aufgefuhrt, als einen Untergebenen nach dessen Ansichten uber einen Vorgesetzten zu fragen. Aber man hatte ihm gesagt, er musse einen Flaggleutnant haben, der in der Marine-Diplomatie bewandert war, also wollte er das nutzen.
«Admiral Sir Samuel Damerum ist lange Jahre als Flaggoffizier in Indien gewesen und zuletzt in Westindien, Sir. Man hatte erwartet, da? er in ein hoheres Amt in Whitehall berufen wurde, sogar Sir George Beauchamps Posten wurde genannt.»
Bolitho sah ihn mit gro?en Augen an. Das war eine andere Welt als die seinige.
«Und das hat Ihnen Sir George Beauchamp alles erzahlt!»
Doch Sarkasmus war an Browne verschwendet.»Naturlich, Sir. Als Flaggleutnant mu? ich solche Dinge wissen. «Er machte eine wegwerfende Gebarde.»Statt dessen bekam Admiral Damerum sein jetziges Kommando. Er ist gut beschlagen in Angelegenheiten des Handels und seines Schutzes. Ich wei? allerdings nicht, was diese Kenntnisse mit Danemark zu tun haben.»
«Machen Sie bitte weiter.»
Bolitho setzte sich wieder und wartete, da? Browne den Raum verlie?. Er bewegte sich leicht und elegant wie ein Tanzer. Oder mehr noch: wie ein Fechter, ein Duellant, dachte Bolitho grimmig. Es war ganz Beauchamp, ihm einen erfahrenen Adjutanten zu geben und diesen Mann damit gleichzeitig vor unerfreulichen Nachforschungen zu retten.
Er dachte uber Damerum nach. Den Namen hatte er langsam auf der jahrlichen Beforderungsliste der Marine aufsteigen sehen; ein einflu?reicher Mann, aber offenbar immer am Rande der Ereignisse, nie da, wo gekampft und gesiegt wurde.
Vielleicht waren seine Kenntnisse des Handels der Grund fur sein jetziges Kommando. Seit Beginn dieses Jahres hatte es unerwartete Spannungen zwischen Britannien und Danemark gegeben.
Sechs danische Handelsschiffe, begleitet von der
Freya
Freya
Gazette
Bolitho betrachtete seinen Freund mit Warme. Dasselbe derbe, runde Gesicht, dieselben klaren blauen Augen wie damals, als sie hier in Spithead einander auf ihrem ersten Schiff begegnet waren. Es gab wohl schon ein paar graue Tupfer auf seinem Haar, die aussahen wie Rauhreif auf einem Gebusch, aber sonst war es immer noch der alte Herrick.
Herrick seufzte tief.»Die brauchen anscheinend immer langer, um fertig zu werden, Sir. «Er schuttelte den Kopf.»Einige haben offenbar zwei linke Hande. Da wird mit viel zu vielen Verordnungen und Verboten vor den Pre?kommandos herumgewedelt. Wir brauchen gute Seeleute, aber dann hei?t es: >Hande weg von Indienfahrern, Kustenschiffern und Bootsleuten
Benbow ein schones Schiff.»