Als die Barkasse durch die Brandung stampfte, horte Bolitho Metall klappern und bemerkte, da? unter jeder Ducht und in bequemer Reichweite Entermesser und Pistolen verstaut waren.
Er blickte in Alldays Pokergesicht, und ihre Augen trafen sich.
Hier bedurfte es keiner langen Erklarungen; Allday hatte schon eigene Plane in die Wege geleitet.
Nervos meldete sich der Leutnant zu Wort.»Da liegt die andere Insel, Sir.»
Bolitho beschattete die Augen und studierte den Felsbuckel. Er war baumlos, doch umgab reichlich Gebusch das aus Stein erbaute Missionshaus mit seinen Nebengebauden. Auf einem kleinen hellen Strand lagen mehrere Boote, hoch uber die Brandungslinie gezogen. Selbst Monche und Priester mu?ten fischen, dachte Bolitho, und neben dem Beten auch ihr Land bestellen.
Dann konzentrierte er sich auf die Sperre. Mitten im Fahrwasser lagen Leichter und alte Hulks verankert und verwehrten
Auf der anderen Seite des Hafens sah er helle Hauserwurfel und lachelte grimmig. Das war Georgetown, Rivers' kleines Konigreich. Im Hafen selbst ankerten verschiedene Schiffe, meist Frachtsegler und Fischerboote.
Allday sagte durch die Zahne:»Da sind Bewaffnete auf der Sperre,
Sir.»
Bolitho nickte.»Halte nach Steuerbord.««Kurz wandte er sich um nach seinem Schiff, aber es wurde schon vom Vorland verdeckt. Nur die Masttoppen und Bramrahen ragten uber den Kamm, als seien sie dort eingepflanzt.
Bolitho spurte Evans auf der Ducht herumrutschen und sah ihn die Faust um den Griff seines Dolchs krampfen. Konnte man mit einer Nadel einen angreifenden Bullen bremsen? dachte Bolitho. Laut sagte er:»Ich habe Sie fur den Fall mitgenommen, da? Sie etwas wiedererkennen.»
Der Junge sah zu ihm auf.»Ich wei?, Sir«, sagte er leise. Sein Blick wanderte uber die Sperre zum Hafen, aber er schwieg.
Bolitho erriet, da? Evans wieder die
vor sich sah, wie sie hier unter den Kanonen des Forts geankert hatte. Sein erstes Kriegsschiff, eine Heimat auf Zeit und die erste Sprosse auf seiner Karriereleiter, aber auch mit Freunden an Bord wie jenem Midship-man, den er hatte sterben sehen. Trotzdem — irgendeine Kleinigkeit konnte bei ihm eine wichtige Erinnerung auslosen. Sie mu?ten nach jedem Strohhalm greifen.
Allday erstarrte beim scharfen Knall einer Muskete, und Bolitho sah die Kugel querab eine Gischtspur aufwerfen, ehe sie versank.
Er sagte:»Pullt weiter. Nicht aus dem Takt kommen.»
Seine ruhige Stimme gab den Bootsgasten neuen Mut, die mit dem Rucken zur Sperre sa?en und damit rechnen mu?ten, da? die nachste Kugel sie traf.
Bolitho straffte sich. Sein Zweispitz und die Goldepauletten mu?ten fur jeden Scharfschutzen ein gutes Ziel abgeben.
Aber es fielen keine Schusse mehr. Als die Barkasse das Steuerbordende der Sperre rundete, sah Bolitho ganze Trupps neugieriger Bewaffneter zu ihnen heruberspahen. Einer schuttelte drohend seine Muskete in der erhobenen Faust.
Jetzt gab es kein Zuruck mehr. Jeder Fluchtweg war ihnen versperrt.
Auf dem Kai unterhalb des Forts sah Bolitho eine Gruppe Manner beisammenstehen. Plotzlich schien ihm Sir Hayward Sheaffes stilles Dienstzimmer in der Admiralitat, wo all dies begonnen hatte, unendlich weit entfernt.
Bolitho hatte sich keine genaue Vorstellung vom Gouverneur der Insel San Felipe gemacht, aber dennoch uberraschte ihn Sir Humphrey Rivers' Erscheinung. Er war hochgewachsen und beleibt, fast aufgeschwemmt, mit einem vom hei?en Klima und vom Trunk geroteten Gesicht. Aber er begru?te Bolitho mit jovialem Lacheln und geleitete ihn zuvorkommend sofort in den kuhleren Schatten der Festungsmauern.
Als sie eine eisenbeschlagene Tur durchschritten und einen mit Fellen und Gemalden dekorierten Korridor, sprach Rivers ununterbrochen.»Spater werden Sie mir hoffentlich in meinem Haus die Ehre geben«, sagte er uber die Schulter.»Aber jetzt, schatze ich, mochten Sie wohl zuerst Ihren Auftrag hinter sich bringen.»
Vor Bolitho offnete sich eine zweite Tur, ein schwarzer Lakai mit Perucke verbeugte sich tief, als sie an ihm vorbeigingen.
Rivers wischte sich das Gesicht mit einem Seidentuch, dann musterte er Leutnant Trevenen und den kleinen Kadetten mit unverhohlener Belustigung.
«Bei Gott, Bolitho, haben Sie wirklich nur diese Kindereskorte, um den Wunschen der Admiralitat Nachdruck zu verleihen?»
Auf sein Fingerschnippen trat ein zweiter Lakai lautlos mit einem Tablett voller Weinglaser heran.
Rivers lachelte mit schmalen Lippen.»Vielleicht mochten sich Ihre jungen Begleiter jetzt zuruckziehen?»
«Einverstanden. «Es hatte keinen Sinn, die beiden noch mehr zu gefahrden.
Anschlie?end fragte Bolitho:»Sie kennen den Grund meiner Anwesenheit, Sir Humphrey?»
Rivers ruckte seine Massen auf einem Stuhl zurecht und musterte kritisch sein Weinglas.
«Naturlich. Den kennt jeder. Und genauso wissen auch Sie, was ich davon halte?«Kichernd nahm er einen tiefen Schluck.»Ich entschuldige mich fur diese lastige Sperre, aber sie war leider notwendig. «Dann erst schien ihm aufzufallen, da? Masters nicht mit Bolitho zuruckgekehrt war, und er fragte abrupt:»Wo ist mein Milizhauptmann?»
«An Bord der
«Aha. «Er lie? sich Wein nachschenken.»Alles spricht dafur, da? der Wind auffrischen wird. Sie wissen aus eigener Erfahrung mit unseren Gewassern, da? es hier selbst zu dieser Jahreszeit ziemlich rauh werden kann. Wir wollen doch nicht, da? Ihrem — ah — Flaggschiff so dicht unter Land etwas zusto?t?»
Bolitho versuchte den Wein und wunderte sich, da? er angesichts der Umstande so ruhig bleiben konnte. Rivers hatte offensichtlich an alles gedacht, auch daran, wie ein Schiff sich bei Sperrung des Hafens verhalten mu?te.
Rivers beobachtete ihn aufmerksam.»Wir sollten den Tatsachen ins
Gesicht sehen. Ihr Schiff kann da drau?en nicht unbegrenzt ankern, Sie werden bald wieder Segel setzen mussen. Danach konnen Sie das Trinkwasser rationieren, bis Ihre Besatzung kurz vor der Meuterei steht, oder Sie konnen auf Unterstutzung warten, die vielleicht niemals eintrifft. Oder Sie kommen jetzt und hier mit mir zu einer neuen Vereinbarung. Ich bleibe als Gouverneur im Amt, mit alleiniger Verantwortung fur das Gedeihen und die Verteidigung der Insel. «Und fur den Profit, dachte Bolitho.
Rivers erhob sich achzend und schritt zu einem Fenster hinuber.
«Die Insel ist unangreifbar, das werden Sie einsehen. Und die Amerikaner werden mir im Notfall helfen. Ich lasse es nicht zu, da? die Musjos hier ihre Trikolore hissen. Genau das habe ich auch Ihrem impertinenten Fregattenkapitan gesagt.»
«Die
wurde kurz nach dem Verlassen dieses Hafens versenkt, Sir Humphrey.»
Er lie? Rivers' sanguines Gesicht dabei nicht aus den Augen und stellte fest, da? ihn diese Nachricht ehrlich uberraschte.
Rivers kippte seinen Wein hinunter, abgewandt, um seine Verwirrung zu verbergen.
«Das glaube ich nicht. Wahrscheinlich war es ein Pirat, hier wimmelt es nur so von ihnen. Da die britische Marine praktisch abgemustert hat, ist das ja auch nicht uberraschend.»
Rivers knallte das leere Glas aufs Tablett und sturmte keuchend zu einer Tur am anderen Ende des Raumes.»Ich will Ihnen etwas zeigen. «Ein Lakai sprintete ihm voraus, um die Tur rechtzeitig zu offnen.
Dahinter war von Teppichen und bequemen Mobeln keine Rede mehr. Eine lange, zinnenbewehrte Bastion mit schwerer Artillerie hinter den Schie?scharten gab den Blick auf den Hafen frei: Rivers' Trumpfkarte.
Er marschierte zur letzten Kanone in der Reihe und legte wie liebkosend die Hand auf ihr verziertes Verschlu?stuck.
«Hier, werfen Sie mal einen Blick hinunter, Bolitho.»
Er trat beiseite, voll Stolz und Siegessicherheit. Bolitho spurte plotzlich eine heftige Abneigung gegen diesen Mann, dem das Schicksal Duncans und aller anderen vollig einerlei war.
Er buckte sich, visierte an dem langen schwarzen Rohr entlang und sah, da? die Kanone auf eine Reihe Festmacherbojen zielte, an deren einer auch seine Barkasse vertaut war. Er erkannte sogar Allday, der im Boot stand und die Augen beschattete, um besser zur Festung spahen zu konnen.
Aalglatt fuhr Rivers fort:»Da unten lag auch die
Ich hatte sie genauso leicht versenken konnen wie Ihr Boot.»
Bolitho richtete sich wieder auf und musterte Rivers kuhl.»Sie waren selbst einmal Flaggoffizier, Sir Humphrey. Sie wissen, die Marine wurde niemals dulden, da?.»
Rivers grunzte verachtlich.»Sie hatte gar keine andere Wahl. Hohe Verluste, nur um den Franzosen gefallig zu sein? Nicht einmal das Parlament ist so verblendet.»
Bolitho warf noch einen letzten Blick uber die Reede. Das Wasser war unruhig, die Wellen trugen schon wei?e Gischtkamme. Der Wind legte immer noch zu, was sich auch an den steif auswehenden Flaggen der Schiffe unten verriet. Aber die lagen hier geschutzt.
Rivers lachelte.»Im Gegensatz zu anderen in Ihrer Familie, wie?»
Bolitho nahm seinen Hut aus der Hand eines Lakais, langsam, damit sein Zorn verebben konnte. Eige ntlich ganz gut, da? Adam nicht zugegen war, dachte er. Diese Beleidigung seines Vaters hatte ihn zur Waffe greifen lassen, und dann hatten Rivers' Soldaten die Sache auf der Stelle zu einem schrecklichen Ende gebracht.
So sagte er nur:»Das war billig, aber nicht uberraschend.»
Rivers nahm wieder Platz und wischte sich das Gesicht. Er vermochte seine freudige Erregung uber den Sieg nicht zu verbergen.
Bolitho ging zur Tur und sah Midshipman Evans im Korridor allein an einem offenen Fenster stehen.
Rivers rief Bolitho nach:»Ich habe mir erlaubt, Ihren kleinen Leutnant festzusetzen, bis mein Boot und meine Leute unbehelligt zuruckkehren.»
Bolitho nickte langsam.»Wie Sie meinen.»
Das schien Rivers zu enttauschen.»Sie konnen es sich immer noch anders uberlegen.»
Bolitho winkte Evans heran.»Wie Sie selbst sagten, wimmelt es in dieser Gegend von Piraten. Mit einem von ihnen habe ich wohl soeben gesprochen.»
Damit wandte er sich abrupt um und schritt durch den Gang davon, halb in Erwartung einer Kugel oder eines anderen plotzlichen Angriffs.
Evans mu?te rennen, um ihn einzuholen.
«Rufen Sie die Barkasse heran«, befahl Bolitho knapp.
Hei? strich der Wind uber sein Gesicht, verstarkte noch die Drohung des bleigrauen Himmels. Es mu?te auf Anhieb klappen, dachte Bolitho. Denn es gab weder einen zweiten Versuch noch eine andere
Wahl.
Erleichtert sah Allday zu, als Bolitho und der Kadett ins Boot stiegen.»Das war's dann, Sir«, murmelte er.
Bolitho sagte, den Blick auf die eintauchenden Riemen gerichtet:»Keine Hast, wenn ich bitten darf. «In seinem Kopf uberschlugen sich die Gedanken an das Bevorstehende, aber Rivers durfte keinesfalls argwohnisch werden.
In seiner Achterkajute warf er Ozzard den goldbetre?ten Admirals-rock zu und blickte Keen, Quantock und den beiden Offizieren der Marine-Infanterie entgegen, die Yovell hereinfuhrte.
«Wir greifen an, Kapitan Keen. «Bolitho wunderte sich fast, da? das Weinglas in seiner Hand, das Ozzard ihm gerade gereicht hatte, unter seinem Griff nicht zersplitterte.
Keen antwortete:»Mr. Knocker ist um die Sicherheit des Schiffs hier sehr besorgt, Sir. Der Wind.»
«Behalt die Richtung bei?»
«Er wird von Stunde zu Stunde starker, Sir«, sagte Quantock mit seiner heiseren Stimme.
«Das habe ich nicht gefragt. Behalt er die Richtung bei?«»Aye, Sir. «Keen schien nervos.
«Also gut. Machen Sie klar zum Ankerlichten. «Keens offensichtliche Erleichterung schwand, als Bolitho hinzufugte:»Dann werden Rivers' Spaher vermuten, da? wir uns davonmachen.»
«Mit allem Respekt, Sir, aber das erfordert schon die Vernunft. Wenn wir hierbleiben, wird der Anker mit Sicherheit schlieren.»
Bolitho lachelte ihm zu.»Erinnern Sie sich an Kopenhagen, Val?»
Keen nickte, aber er war bla? geworden.»Gewi?, Sir. Also wollen Sie bei Dunkelheit angreifen?«Das klang unglaubig.
«Das will ich. Ich wei? jetzt, wie die Batterie die Hafeneinfahrt und die Reede bestreichen kann. Rivers war so freundlich, es mir zu zeigen, wenn auch aus anderen Motiven.»
Was ging nur in ihm vor? Sein Plan konnte mit einer Katastrophe enden; wurde es wahrscheinlich auch. Er hatte Keen an Kopenhagen erinnert, aber das lie? sich nicht vergleichen. Damals hatten sie eine ganze Flotte gehabt — und Nelson.
Diesmal lag die Sache vollig anders. Wenn er das Schiff verlor, blieb ihm nichts mehr, hochstens ein Kriegsgerichtsverfahren, falls er uberlebte; und das Bewu?tsein, Belinda ins Ungluck gesto?en zu haben.
Aber trotz des hohen Risikos fuhlte er sich seltsam beschwingt. Wie Eiswasser pulsierte eine wilde Entschlossenheit durch seine Adern.
Keen rausperte sich und warf den Kameraden einen Blick zu.»Also gut, Sir«, sagte er.
Bolitho wandte den Blick ab. Keen hatte seine Entscheidung akzeptiert. Mochte er sie nun billigen oder fur falsch halten, auf jeden Fall wurde er sie befolgen, auch unter Einsatz seines Lebens.
Bolitho zwang sich zu einem Lacheln.»Nach Sonnenuntergang schicken wir Masters mit seiner Yawl in den Hafen, im Austausch gegen Mr. Trevenen. «Er sah die beiden Seesoldaten an.»Und dann sind Sie an der Reihe.»
Alles hing vom richtigen Zeitpunkt ab — und vom Gluck, wie Herrick nicht vergessen hatte anzumerken. Keen hielt seinen Plan wohl fur Wahnsinn oder fur ein Produkt verletzter Eitelkeit nach der Demutigung durch Sir Humphrey Rivers.
Das war ihre einzige Chance: da? Rivers sich angesichts seiner starken Stellung fur unangreifbar hielt.
Wahrscheinlich stand er gerade in diesem Augenblick auf der Bastion und malte sich genie?erisch den Widerstreit und die Verzweiflung aus, in die er seinen Gegner gesturzt hatte.
Mit knappen Worten skizzierte Bolitho seinen Angriffsplan und beobachtete ihre unterschiedlichen Reaktionen, ihre Skepsis und Unsicherheit. Aber auch ihre Erregung. Selbst Quantock, der kaum sprach, schien fasziniert zu sein.
Bolitho schlo? mit den Worten:»Wie Sie alle wissen, meine Herren, ist ein Krieg hart und schwer fur alle. Aber allzuleicht ist es, ihn vom Zaun zu brechen.»
Einer hinter dem anderen verlie?en sie die Kajute, um ihre Untergebenen zu instruieren, und Bolitho setzte sich an seinen Schreibtisch. Er griff zur Feder.
Spater mochte es ihm an der Zeit fehlen, und er wollte sie an seinen Uberlegungen teilhaben lassen, genauso wie sie ihm ihre besten Wunsche nachgesandt hatte.
An Deck polterten Schritte und quietschten Taljen, als seine Barkasse wieder eingesetzt wurde.
Und wenn er sich nun irrte? Wenn Rivers' Uberzeugung von der Unangreifbarkeit seiner Insel sich als richtig erwies?
Aber er verbot sich die Zweifel und begann zu schreiben.
Meine geliebte Belinda…
Doch dann faltete er entschlossen den leeren Bogen zusammen und schob ihn in eine Schublade. Wenn er fiel, wurde sie es fruh genug erfahren. Es hatte keinen Sinn, sie mit einem Brief in Angst und Schrecken zu versetzen, der sie vielleicht erst erreichte, wenn alles voruber war.