Allday betrat die Kajute und wartete stumm, die heftigen Bewegungen des hart vor Anker arbeitenden Schiffes elastisch ausbalancierend.
Schlie?lich konstatierte er unumwunden:»Wir greifen also an, Sir.»
Bolitho nickte.»Ja. Hast du alles erledigt?»
Trotz des Ernstes der Lage mu?te Allday grinsen.
«Aye, Sir. Wir haben eine Lotleine die ganze Zeit hinter uns hergezogen, und sie hat bis zur Festmacherboje nur einmal Grundberuhrung gehabt. Wenn das Schiff erst mal drin ist, hat es genug Manovrierraum. «Bewundernd wiegte er den Kopf.»Wie Sie auch noch
Bolitho bat:»Schenk uns zwei Glaser Brandy ein, Allday.»
Allday tat wie gehei?en und fugte hinzu, als sei ihm diese Idee erst jetzt gekommen:»Aber vielleicht ist das der Trick, wie man Admiral wird — indem man eben auch solche Dinge wei?, stimmt's, Sir?»
Der Offizier der Wache, der auf dem Huttendeck hin und her marschierte, verhielt den Schritt, als er ihr Gelachter durch das Skylight schallen horte.
Das bevorstehende Gefecht war sein erstes, jedenfalls seit er Offizier geworden war. Als Quantock ihm auseinandergesetzt hatte, was sie tun mu?ten, hatte sein Magen sich vor Furcht verkrampft.
Aber als er den Admiral jetzt gemeinsam mit seinem Bootsfuhrer lachen horte, fa?te er wieder Mut. Gestarkt nahm er seine
Es war noch Tag, aber die tiefhangenden, bedrohlichen Wolken und peitschende Schauerboen hullten das Schiff in ein Zwielicht, als sei die Sonne schon untergegangen.
Viel langer durfte er nicht mehr warten.
Seit dem Verschalken der Fenster war die Luft in der Kajute stickig geworden; binnen weniger Sekunden fuhlte Bolitho sich in Schwei? gebadet.
Drau?en klopfte jemand an die Tur, und Keens gedampfte Stimme erklang. Er war punktlich, hatte wahrscheinlich schon langst auf diesen Augenblick gewartet.
Bolitho nickte ihm zu.»Dann wollen wir mal.»
Im Hintergrund stand ihre widerspenstige Geisel, flankiert von einem Korporal und von Black Joe Langtry, dem gefurchteten Schiffsprofos. Seine schweren schwarzen Brauen und das trotz vieler Jahre auf See aschfahle Gesicht erinnerten an einen Henker.
«Also, Hauptmann Masters, Sie werden uns nun verlassen. «Bolitho sah die Augen des Gefangenen triumphierend aufleuchten. Sein Vertrauen in den Gouverneur war offenbar ungebrochen und konnte Bo-litho noch manchen Arger bereiten. Aber sie hatten keine Zeit zu verlieren.
«Die Yawl wartet drau?en und wird Sie in den Hafen zuruckbringen. «Bolitho hob die Arme, damit Allday ihm geschickt den alten Sabel umschnallen konnte.»Ich furchte, wir mu?ten die Crew auswechseln, trotzdem werden Sie uns durch die Sperre bringen.»
Hauptmann Masters fuhr auf.»Aber.»
«Der Gouverneur hat gegen das Gesetz versto?en. Die Insel untersteht jetzt mir, und damit sich die Ubergabe unter moglichst geringen Verlusten vollzieht, werden Sie uns durch die Hafeneinfahrt lotsen. «Er machte eine Pause.»Was mit Rivers geschehen wird, hangt nicht von mir ab. Aber falls Sie auch nur versuchen, Alarm zu schlagen, sind Sie ein toter Mann. Und wenn Sie uns anderweitig gefahrden, werde ich Ihr Verhalten als Hochverrat ahnden. Was das bedeutet, wissen Sie.»
Er ruckte die Scheide an seinem Gurtel zurecht, angewidert vom besturzten Gesicht des Gefangenen und von seiner eigenen brutalen Drohung. Dann aber fielen ihm Duncan und seine Leute ein, und er befahl knapp:»Bringt ihn auf die Yawl. Ich komme gleich nach.»
Und zu Keen:»Es geht nicht anders. Sie mussen das Schiff befehligen. «Beide blickten nach oben, als das Heulen des Windes in der Takelage starker wurde.
«Und Ihr Erster Offizier ist ein ausgezeichneter Seemann, doch an Land konnte er seine Manner uberfordern. Uns bleibt kein Spielraum fur Irrtumer.»
Von Keen glitt sein Blick zu Allday.»Du hast die gefahrlichste Aufgabe. La? die Barkasse auf der Seeseite zu Wasser, damit sie vom Fort aus nicht gesehen wird.»
Allday begegnete trotzig seinem Blick.»Ich wei?, was ich zu tun habe, Sir: das Boot hinter die Festmacherbojen bringen und dann ein Richtfeuer anzunden.»
«Damit verlange ich viel von dir. Wenn wir es nicht schaffen, bist du abgeschnitten.»
Allday grunzte.»Ich wurde lieber an Ihrer Seite bleiben, Sir. Da ist mein rechtma?iger Platz.»
Bolitho packte seinen Arm und bemuhte sich, seine Ruhrung zu verbergen.»Ohne das Richtfeuer findet
Keen sagte:»Trotzdem glaube ich. «Dann schwieg er und grinste reuig.»Egal, jetzt ist es zu spat. «Er lockerte seinen Hemdkragen und legte dann die Hand auf den Sabel.»Fur Rivers mag das ja eine Uberraschung sein, aber fur mich ist es weit mehr.»
Damit nickte er Allday zu und eilte hinaus, nach allen Seiten seine Befehle erteilend.
Bolitho suchte sich eine Pistole aus und steckte sie in den Gurtel. Ware es denn wirklich so falsch gewesen, Quantock den Angriff fuhren zu lassen? Aber dann bejahte er sich diese Frage. Angesichts des fast sicheren Todes brauchten Manner, die fur eine unbegreifliche Sache kampfen sollten — oder mit dem Feind insgeheim sympathisierten — , den Anblick ihres Admirals, der ihnen vorausschritt, in den Tod oder ein Ungewisses Schicksal.
Hinter Bolitho verlie? Allday die Kajute und buckte sich schwer atmend unter den tiefen Decksbalken. Im Zwielicht standen die halbnackten Stuckmannschaften schon an ihren Kanonen; ohne uberflussigen Larm oder laute Befehle hatte das Schiff klar zum Gefecht gemacht.
Die Wache auf dem Achterdeck drangte sich in kleinen Gruppen zusammen oder erledigte letzte Handgriffe. Der starke hei?e Wind peitschte Gischt ubers Deck, so schmerzhaft und blendend wie ein Hagel aus Sandkornern.
Mit schraggeneigtem Kopf spahte Bolitho zu den Segeln auf, die wild gegen die Spieren schlugen. Wenn der Anker erst aufgeholt war, mu?te das Schiff lospreschen wie ein angreifendes Raubtier. Ein hervorragender Segler, behaupteten alle. Das mu?te sich jetzt erweisen — und mehr.
Quietschende Taljen verrieten, da? die Barkasse seewarts ausgesetzt wurde. Auch wenn ihn die Dusternis fast schon verschluckt hatte, fuhlte Bolitho immer noch Alldays Widerwillen, ihn zu verlassen, seinen angestammten Platz aufzugeben.»Viel Gluck, Sir«, rief Keen.
Ein schneller Handedruck, dann stieg Bolitho ubers Schanzkleid und hinunter in die stampfende Yawl, aus der sich ihm hilfreiche Hande entgegenreckten.»Wer kommt denn da noch?«knurrte eine heisere Stimme.»La?t uns endlich ablegen, Ted!»
Ein anderer unterdruckte halb ein rauhes Hurra.»Der Admiral selber ist's, Jungs!»
Alle fuhren herum, sie trauten ihren Augen nicht. In seinem verschwitzten, schmuddeligen Hemd hatte Bolitho eine Teerjacke wie sie sein konnen, aber sie wu?ten es besser, und einer rief aus dem Dunkel:»Willkommen an Bord, Sir!»
Bolitho tastete sich zum Heck durch, ergriffen und wie stets beschamt vom Vertrauen dieser Unbekannten.
Dann horte er Mountsteven, den Zweiten Offizier, belustigt sagen:»Hier stinkt's wie in einem Bordell, Sir. «Er wirkte ebenso aufgekratzt, von der Wildheit der anderen angesteckt, sonst hatte er sich diese Freiheit niemals genommen.
Bolitho erreichte die Heckbank und spahte in die Gesichter der Manner, die ihm am nachsten sa?en: Christy, der Bootsmannsgehilfe von der alten Lysander, und Masters, trotz der Dunkelheit leicht kenntlich an seiner Milizuniform.
Das Boot stank wirklich. Aber es war ja auch mit leicht brennbarem Material vollgestopft: alter Leinwand, in Fett und Teer getranktem Tauwerk, dazu Ol und diverse Zutaten aus dem Vorrat des Sprengmeisters. Ein Funke genugte, und das Boot mu?te explodieren wie eine Granate.
Sobald sie erst die Wachen auf der Schwimmsperre uberwaltigt und ihre Murings gekappt hatten, wurde Alldays Barkasse, gefolgt von zwei Kuttern mit Seesoldaten, den Angriff weitertragen. Bolitho war aufgefallen, da? die ursprungliche Crew der Yawl, genau wie die Wachmannschaft im Fort, uberwiegend aus Farbigen bestand, afrikanischen Sklaven, Mischlingen oder Abkommlingen der eingeborenen Inselbevolkerung.
Kaum anzunehmen, da? die Offiziere wie Masters die Quartiere des Forts mit ihnen teilten. Sie bewohnten wahrscheinlich bequeme Hauser in der Stadt und wurden nach dem Alarm einige Zeit brauchen, ehe sie zu ihren Leuten stie?en. Bolitho schauderte es trotz der druckenden Schwule. Es sei denn, Rivers hatte seine List durchschaut, jede Kanone laden und richten lassen und wartete jetzt nur auf das erste verraterische Zeichen eines bevorstehenden Uberfalls.
«Legen Sie ab, Mr. Mountsteven«, sagte er.»Und fahren Sie eine Laterne im Bug, wie besprochen. «Dann sah er Masters an.»Sie wissen, was Sie zu tun haben. Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist und Sie Ihre Familie wiedersehen wollen, dann machen Sie keine Dummheiten. «Christy lie? sein Entermesser in der Scheide klappern — eine wortlose Drohung.
Als die Festmacher losgeworfen waren und die Segel sich wie fahle Riesenflugel uber der Yawl entfalteten, blieb die schutzende Silhouette von
Achates,
Achates
Ein Lichtschein fiel ubers Wasser, tanzte auf den Wellen, und Bo-litho glaubte, einen Anruf zu horen.
Rauh sagte Masters:»Dippt die Buglaterne!«Das klang gepre?t, als musse er um Luft ringen.»Zweimal!»
Wie angewiesen, wurde die Buglaterne zweimal auf und nieder geholt, und Bolitho merkte, da? er den Atem anhielt. Jetzt hatte Masters die gunstigste Gelegenheit, sie zu verraten, seine Loyalitat fur Rivers unter Beweis zu stellen. Aber nichts geschah, das in Licht von der Schwimmsperre blinzelte stetig uber die gischtgekronten Kabbelseen zu ihnen heruber.
Leise knarrte die Pinne, als Masters, eine Hand uber der des Rudergangers, den Kurs leicht korrigierte. Jetzt hatte er sich inkriminiert und wollte seinen Entschlu? nicht damit bu?en, da? er wegen eines Ansteuerungsfehlers vor dem eigenen Hafen ertrank.
Bolitho erkannte das Backbordende der Sperre, auf dem sich einige geduckte Gestalten um die Richtlaterne drangten. Irgend jemand prei-te die Yawl an, und Masters winkte gebieterisch zuruck, mit einer Autoritat, die sein Verrat ins Lacherliche verzerrte.
«Jetzt! Hart Steuerbord! Die Segel streichen!»
Gewohnt, bei jedem Wetter, bei Tag oder Nacht, ihre Arbeit zu tun, lie?en die Seeleute das Boot zugig an die vermurten Boote und Pontons heranscheren. Als die ersten Draggen an ihren Leinen uber die Kopfe der verdutzten Wachen flogen und sich festbissen, sprangen schon die schnellsten der unter Deck verborgenen Matrosen hervor, waren mit einem Satz auf dem Ponton und erstickten mit ihren Entermessern jeden Schrei der Uberfallenen.
Plotzlich wimmelte es auf der Sperre von Mannern. Wahrend die einen die unglucklichen Wachtposten ausschalteten, loschten die anderen die gefahrliche Fracht der Yawl und brachten sie in Position.
«Lunten anbrennen! Ein Fidibus her! Schnell!«Mountsteven bellte seine Befehle, wahrend die Gefangenen grob auf die Yawl gesto?en wurden.
Bolitho blickte zu den verschwommenen Umrissen der Festung auf: keine Reaktion. Vielleicht hatte Rivers wirklich erwartet, da? er seine Ehre, seine Karriere und sein Land verga? und diese schamlose Vereinbarung mit ihm traf? Es ware nicht der erste Vorfall dieser Art in der Marinegeschichte gewesen.
«Murings gekappt, Sir!»
Ein langsam abbrennendes Zundholz flammte auf, dann ein zweites, und der letzte Brite sprang in die wild stampfende Yawl.»Legt ab!»
Ohne den zusammengekauerten Uberlebenden des blitzartigen Angriffs einen Blick zu gonnen, versuchten die Matrosen, mit langen Riemen, Bootshaken und anderem Gerat die Yawl von der Sperre abzusto?en. In seiner Erregung packte Leutnant Mountsteven Bolithos Arm und deutete mit seinem Sabel ins Dunkle.
«Da kommt Ihr Bootsfuhrer, Sir!»
Nur die hellen Riemenblatter waren sichtbar, als Alldays Barkasse durch die Lucke scho?; sie war im Hafen, noch ehe die Yawl Fahrt aufgenommen hatte.
«Haltet auf Land zu!»
Bolitho rutschte auf die andere Seite hinuber, wo Masters sich uber die Reling beugte und zum Fort hinaufspahte. Das Boot vollfuhrte einen Hollentanz und nahm eine Menge Wasser uber.»Das haben Sie gut gemacht, Masters. «Bolitho scherte sich nicht um den erstaunten Blick seines Gefangenen, er rief:»In Deckung, Leute!»
Es gab eine dumpfe Explosion, die Yawl mit den erstarrten Gesichtern darin war plotzlich in grelles, orangefarbenes Licht getaucht: Die driftende Schwimmsperre zerbarst in einem Flammenmeer. Nun trieben die brennenden Wrackteile schnell in den Hafen, weil eine La-sching nach der anderen brach.
Bolitho schlang sich den Riemen seines Sabels fester ums Handgelenk und verlagerte das Gewicht prufend auf sein verletztes Bein. Wenn es ihn jetzt im Stich lie?…
Der Bug lief auf und rutschte wieder ab, wahrend die Brandung ihn kochend uberspulte und Unvorsichtige wie halbvolle Sacke kreuz und quer warf; dann stie? die Yawl ein zweites Mal gegen Fels. Bolitho horte Holz splittern und Wasser ins Boot gurgeln, wo es bald seine Beine umspulte. Immer noch wurden sie zwischen den Uferfelsen wie ein Spielball hin und her geworfen.
Aber dann fanden die ersten Draggen Halt an Land, und als die Manner wasserspuckend und fluchend uber Bord zu klettern begannen, horte Bolitho ein weit entferntes Trompetensignal.
Wieder rief er sich das Bild der Kuste ins Gedachtnis; dann wandte er sich um, weil ein weiteres Te ilstuck der driftenden Sperre explodiert war und nun lichterloh brannte.
Inzwischen mu?te ganz Georgetown alarmiert sein.
Von den Festungsmauern herab begannen Musketen zu knallen, aber die Kugeln zischten wirkungslos durch den Spruhregen der Brandung.
«Sammeln, Mr. Mountsteven!»
Der Leutnant konnte nur schwer den Blick vom Wrack der gestrandeten Yawl losrei?en. Als Fluchtfahrzeug war sie nicht mehr zu gebrauchen. Irgendwer stie? einen heiseren Hochruf aus, wurde aber sofort von einem Unteroffizier zum Schweigen gebracht.
Doch Bolitho ware selbst gern in Jubelrufe ausgebrochen. Denn die beiden Kutter der Achates pullten mit einem Hollentempo durch die letzten brennenden Reste der Schwimmsperre, und die gekreuzten wei?en Brustriemen der Marinesoldaten leuchteten hell heruber.