Im Bug des einen Kutters krachte trocken ein Musketenschu?, gefolgt von einem scharfen Kommando, das durchs Sprachrohr geisterhaft verstarkt wurde.
Der Kutter hielt direkt auf ein Boot des Gouverneurs zu; wahrscheinlich hatte es den unglucklichen Leutnant Trevenen an Bord, der gegen Masters ausgetauscht werden sollte. Wenn sie ihn nun fur den Uberfall bu?en lie?en…
Bolitho verdrangte diesen Gedanken, als Mountsteven meldete:»Alle Mann vollzahlig, Sir!»
«Weitermachen! Und zwar im Eiltempo zur Stra?e, die in die Stadt fuhrt. Dort sollen sich die Manner zwischen den Felsen so verteilen, da? sie den Gegenangriff aufhalten konnen, bis uns die Marinesoldaten zu Hilfe kommen.»
Obwohl sich seine Gedanken fast uberschlugen, mu?te Bolitho uber sich selbst lacheln. Da stand er und kommandierte wie ein Infanteriegeneral, nicht wie ein Marineoffizier mit einer Handvoll Leute und der Hoffnung auf Unterstutzung durch Seesoldaten, die sich vielleicht niemals bis zu ihnen durchschlagen konnten.
Aber schon rannte er mit den Matrosen zwischen Felsen und Gebusch landeinwarts; im sturmischen Wind peitschten Aste nach ihnen, als wollten sie die Eindringlinge verjagen.
«Hierher, Sir!»
Das war Christys Stimme. Bolitho lie? sich neben ihn fallen und schnappte keuchend nach Luft, als der Schmerz durch sein verletztes Bein zuckte.
Christy prufte seine Pistolen und hatte das Entermesser schon blankgezogen.
Bolitho sah die anderen geduckt in Deckung rennen, wahrend jetzt starkeres Musketenfeuer uber ihren Kopfen knatterte. Wo mochte Rivers gerade sein? In seinem prachtigen Haus oder oben im Fort, wo er sich fragte, ob plotzlich alle Welt verruckt geworden war?
Bolithos Finger krallten sich in den nassen Boden. Alles hing jetzt von Allday ab. Vielleicht war er von einem Wachboot abgefangen worden wie vorhin der Kutter? Trotzdem wurde Keen jetzt Anker lichten und die brennenden Wrackteile der Hafensperre nicht aus den Augen lassen; bisher waren sie seine einzige Hilfe beim Unterscheiden von Wasser und Fels.
Aber bald mu?ten auch diese Richtfeuer erloschen.
Eine Stimme bellte Befehle, dann krachte eine Salve, als die Seesoldaten vom Hang aus die Festung unter Feuer nahmen.
Scott, der Dritte Offizier und einer der Erfahrensten an Bord, rief:»Nachladen! Ruhig Blut, Jungs!»
Bolitho verdrangte den Gedanken an Keens Hilflosigkeit, wenn der Anker erst aus dem Grund gebrochen war und das Schiff sich blind durch die Dunkelheit tasten mu?te. Ohne den Landungstrupp und mindestens drei seiner besten Offiziere war er au?erdem gefahrlich knapp an Leuten.
Neben ihm glommen Christys Augen auf wie zwei Kohlenstuckchen; er wandte sich um und sah am Rand der Bojenreihe im Hafen eine Feuersaule in die Hohe schie?en.
Allday hatte es geschafft! Die brennenden Fackeln leuchteten hell durch die Nacht, von seinen Bootsgasten auf einer Festmacherboje angelascht und entzundet; wenn dieses Bundel erlosch, wurde das nachste aufflackern.
Und dann rollte der erste Kanonendonner uber die Reede. Niemand sah die Kugel einschlagen, aber sie flog wahrscheinlich genau uber die Boje, die Rivers mit so beilaufiger Drohung bezeichnet hatte.
Masters kam herangerobbt und lie? sich neben Bolitho fallen. Sein ganzer Korper flog vor Angst, ohne da? er es verhindern konnte.
Bolitho warf ihm einen Blick zu.»Welchen Tag haben wir heute, Mr. Masters?«Masters mu?te schlucken.»Den neunten Juli, glaube ich, Sir «stammelte er.
Er ware aufgesprungen, hatte Christy ihn nicht in Deckung gezogen. Aber Bolitho hatte es ebenfalls gehort: fernen Trommelwirbel und den schrillen Klang der Querpfeifen.
Er sah sie vor sich: seine Marinesoldaten, die — vom starken Wind gezaust — auf der holprigen Stra?e heranmarschierten, vorneweg die Offiziere und dahinter mit exaktem Abstand die kleinen Trommelbuben, wie bei der Parade. Nur da? sie auf einer Stra?e paradierten, die keiner von ihnen je gesehen hatte und auf der mancher auch nicht zuruckkehren wurde.
Bolitho zwang sich, den unterbrochenen Faden wieder aufzunehmen.»Dieses Datum ist wichtig, Mr. Masters«, sagte er.»Wir wollen es uns gut merken.»
Er wandte den Kopf, als ein neues Richtfeuer fur die
mussen
Achates
Gleich… Gleich hie? es, jetzt oder nie. Oft genug hatte Keen das in der >Gazette
Der gro?e, hagere Erste kampfte sich, schraggeneigt gegen den Wind und das krangende Deck, auf den Kommandanten zu.
«Das hat doch keinen Zweck, Sir!»
Wutend fuhr Keen zu ihm herum.»Nicht so laut, Mann!»
Quantock beugte sich vor, um ihm besser ins Gesicht sehen zu konnen.»Aber der Master ist derselben Meinung. Es ware Wahnsinn. Das schaffen wir einfach nicht. «Keens Schweigen schien ihn zu ermutigen.»Niemand kann Sie dafur tadeln, da? Sie das Schiff nicht riskieren wollten. Uns bleibt immer noch Zeit zum Aufkreuzen.»
«Der Anker ist kurzstag, Sir!«Die Meldung fuhr zwischen sie wie ein Axthieb.
«Zeit? Wofur bleibt uns Zeit — zu feiger Flucht? Verdammt sollen Sie sein!»
Keen wandte sich ab und schritt zu den Finknetzen, sah einige Matrosen ihn angstlich beobachten.
Aber Quantock lie? nicht locker.»Kapitan Glazebrook hatte niemals. «Weiter kam er nicht.
«Er ist tot!«Keen schrie es fast.»Aber wir leben. Verlangen Sie etwa von mir, da? wir unseren Admiral und die Kameraden da drau?en im Stich lassen, blo? weil es gefahrlich fur uns wird? Ist das der Rat, den Sie mir geben, Mr. Quantock?«Es tat ihm wohl, seinen Zorn und seine Verbitterung herauszuschreien.»Eher schicke ich Sie, den Master und alle anderen zum Teufel, als da? ich den Schwanz einziehe und feige davonrenne!»
Er schritt zur Querreling und spahte zu der wild schlagenden Leinwand auf. Vielleicht kostete es sie wirklich ein paar Segel oder Spieren, vielleicht auch die Masten. Aber da hinten, jenseits des stampfenden Hecks, wartete Bolitho. Schemenhaft zogen Bilder an Keens innerem Auge vorbei: die Gro?e Sudsee, das Madchen, das er geliebt hatte und das am gleichen Fieber gestorben war, dem auch Bolitho fast erlegen ware. Trotz seiner eigenen Verzweiflung hatte Bolitho ihm
Trost zugesprochen. Und nach allem, was sie gemeinsam durchgemacht hatten, sollte er ihn jetzt im Stich lassen? Nein, tausendmal nein!
«Geben Sie durch an die Toppgasten, Mr. Fraser: Es wird ein haariges Manover. Holen Sie alle Mann aus dem Batteriedeck und stellen Sie jede Hand an Brassen, Halsen und Schoten. «Er versuchte, sich an den Namen des Offiziers zu erinnern, der neben ihm stand.»Mr. Foord, machen Sie fur den au?ersten Notfall den Backbordanker klar zum Fallen. «Damit konnten sie das Schiff vielleicht lange genug abbremsen, da? wenigstens ein Teil der Besatzung sicher an Land gelangte.
Dann horte er sich ruhig fragen:»Also, Mr. Quantock?«Quantock starrte ihn durch die Gischtfetzen bose an.»Aye, aye, Sir.»
Damit griff er nach seinem Sprachrohr und stapfte davon.
Keen packte den glatten Handlauf. Wie viele Kommandanten vor ihm hatten hier schon so gestanden? In Sturm oder Flaute, vor einem Hafen oder einem Gefecht, und hatten versucht, sich ihre Angste nicht anmerken zu lassen?
Wurde er der letzte sein? Er horchte auf das Klicken des Ankerspills, den Knall der Peitsche, mit der ein Bootsmannsgehilfe einen Saumseligen zu gro?erer Anstrengung trieb. Von ihrer Kraft und Entschlossenheit hing es ab, ob das schwere Schiff gegen Wind und See bestehen konnte.
Ein letztes Mal blickte er zu den Rahen auf, wo die Toppgasten in den Fu?pferden standen, jederzeit bereit, die knatternden Segel herabrauschen und sich entfalten zu lassen.
Weit und breit kein Licht. Und keine Spur mehr von der brennenden Schwimmsperre. Vielleicht war Allday nicht durchgekommen. Aber wenn dem so war, dann lebte er jetzt bestimmt nicht mehr. Noch ein Bild sah Keen vor sich: er selbst, damals ein kleiner Seekadett, schreiend und keuchend vor Schmerzen, mit einem messerscharfen Holzsplitter im Leib, der ihn wie ein Speer durchbohrte. Und Allday, der ihn uberraschend sanft unter Deck trug und den Splitter selbst aus dem Fleisch schnitt, weil der Schiffsarzt zu betrunken war, um verla?lich seine Arbeit zu tun.
«Anker ist frei!«Nur halb drang der Ruf zum Achterschiff, aber schon legte sich
Keen kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, als Spritzwasser durch die Webeleinen scho? und ihn von Kopf bis Fu? durchna?te. Das Wasser fuhlte, sich warm an, als hei?e es seine Beute schon willkommen.
uberlebender Midshipman, der kleine Evans, klammerte sich verzweifelt an ein Want, als ihm die Fu?e weggerissen wurden. Ein dunkles Bundel fiel aus der Besantakelage, schlug mit einem ekelerregend dumpfen Krachen aufs Schanzkleid und von da in die See: ein Toppgast, den das plotzlich steif kommende Segel von seinem unsicheren Stand gerissen haben mu?te. Dem Mann blieb nicht einmal Zeit fur seinen letzten Schrei.
Im Getose von Wind und See klang Gebrull auf und verebbte wieder — wie ein Chor verdammter Seelen.
«Noch ein paar Hande an die Luvbrassen dort!»
«Mr. Rooke, lassen Sie zwei Leute aufentern!»
«Bringt den Mann da ins Lazarett!»
«Wahrschau — die Gig rei?t sich los!»
Und plotzlich der heisere Ruf des Masters:»Ruder im Schiff, Sir!»
Keen fuhr herum und starrte ihn an, das Gesicht entstellt durch ein irres Grinsen, denn der Winddruck verzerrte seine Lippen. Aber das Schiff gehorchte wieder dem Ruder! Mit vierkant gebra?ter Gro?rah und zum Platzen steifen Segeln, so stark uberliegend, da? Wasserstrahlen durch die geschlossenen Lee-Stuckpforten gepre?t wurden, fiel
«Nordost zu Nord!«Die Stimme klang atemlos. Und gleich darauf:»Nord zu Ost!»
Keen umklammerte den Handlauf, da? ihn die Fauste schmerzten.
Mit kaltem Grauen zahlte er die Sekunden, bis der Bugspriet sich langsam zu heben begann und tosende Wasserkaskaden abschuttelte. Der Kluverbaum zeigte wieder aufs Land, auf das unerbittlich drohende Land.
Wie zur Bestatigung horte er Knockers Schrei:»Nordwest liegt an,
Sir!»
Und immer noch kein Lichtsignal. Sie wurden auch vergeblich darauf hoffen, dachte Keen.
Eigentlich hatte er verzweifelt sein mussen. Er hatte sich geirrt, und Quantock hatte recht behalten. Nun war das Schiff verloren und mit ihm jeder Mann an Bord, und diese rebellische Insel konnte weiterhin der Krone trotzen, als hatte es
Plotzlich Leutnant Foords gellende Stimme:»Das Signal! O Gott, da ist das Signal!«Er schluchzte fast, so erleichtert war er.
Scharf befahl Keen:»Rei?en Sie sich zusammen, Mann! Mr. Knok-ker: einen Strich nach Steuerbord!»
Bewu?t versuchte er, seine verkrampften Glieder zu entspannen, wahrend er nach dem Feuer ausspahte, dessen spruhendes Licht von den jagenden Wolken reflektierte. Wieder hievten die Deckshande an den Brassen, Keen horte das Vorbramsegel sich knallend mit Wind fullen und wu?te jetzt, da? vorhin das Gro?bramsegel zerfetzt worden war.
Aber da war ihr Richtfeuer, ohne jeden Zweifel. Allday hatte das Unmogliche geschafft.»Nordwest zu Nord, Sir.«»Recht so!»
Das Schiff schien jetzt mit einem hollischen Tempo durchs Wasser zu preschen.»Lotgasten in die Ketten!«befahl Keen. Tauschte er sich, oder hatte im rauhen Ruf des Masters mehr gelegen als Uberraschung und Erleichterung? Vielleicht auch ein respektvolles Staunen?
Keen stie? sich ab und ging zur anderen Seite hinuber, um die wei? schaumende Brandung im Auge zu behalten. Die Brecher schienen nicht weiter als eine Bootshakenlange vom Rumpf entfernt.
Er horte den ersten Lotgasten aussingen, aber seine Tiefenangabe verstand er nicht.
Dicht neben dem Rumpf konnte er plotzlich festes Land ausmachen, in Gischt gehullt, und spurte das Deck unter seinen Fu?en erbeben, als der Kiel mit knapper Not uber eine gefahrliche Sandbarre rutschte.
Knocker gab neue Ruderkommandos, seine Stimme hallte plotzlich laut von der Landzunge wider, auf deren Hohe die Pontons den Hafen gesperrt hatten.
Sie horten Gefechtslarm: Gewehrfeuer und dazwischen vereinzelt das Krachen von Kanonen. Aber das klang alles so fern und unwirklich, als hatte es nichts mit dem ansturmenden Zweidecker und seiner Besatzung zu tun.
Warnschreie vom Vorschiff — und dann hielt Keen scharf den Atem an, als ein heftiger Ruck durch das Schiff ging. Dunkel und verschwommen sah er ein kleineres Fahrzeug am Rumpf der
Im Schein ihres Feuers standen die Bootsgasten in der Barkasse und schwenkten jubelnd die geteerten Hute, als das Schiff sich naherte. Achates mu?te einen gespenstischen Anblick bieten, dachte Keen: oben feurig leuchtende Segel und darunter ein Rumpf, der mit dem dunklen Wasser verschmolz.