Der Brander: Admiral Bolitho im Kampf um die Karibik - Kent Alexander 3 стр.


Mit einem Finger lockerte er sein Halstuch und beobachtete, wie ein Beiboot uber das Schanzkleid geschwenkt und zu Wasser gelassen wurde. Wenn der Tag so warm blieb, mu?ten sie alle aussetzen und wassern, damit das Holz quoll und die Boote nicht undicht wurden.

Allmahlich wurde sich Keen uber seine Empfindungen klar. Er war froh, da? er auslaufen, mit Bolitho auslaufen konnte. Schon bei zwei Gelegenheiten hatte er auf anderen Schiffen unter ihm gedient, erst als Fahnrich, spater als Dritter Offizier. Beide hatten sie geliebte Menschen verloren, aber wahrend Bolitho nun geheiratet hatte, war Keen immer noch allein.

Er begann, uber die Befehle nachzudenken, die ihm Bolitho vorab ubersandt hatte.

Eine seltsame Mission. Einmalig und ungewohnlich.

Sein Blick streifte die schwarze Reihe der Achtzehnpfunder an Steuerbord, deren Rohre wie vor einer Schlacht ausgefahren waren, damit die Segelmacher moglichst viel freie Decksflache fur ihre Arbeit bekamen.

Ob Krieg oder Frieden, ein Schiff mu?te immer funktionstuchtig sein. Keen hatte auch zwischen den Kriegen unter Bolitho gedient und erfahren mussen, da? nur Toren einem unterzeichneten Friedensvertrag blind vertrauten.

Da horte er Schritte im Niedergang und sah Leutnant Adam Pascoe an Deck kommen.

Immer wieder von neuem uberrascht, stellte Keen fest, da? Pascoe Bolitho ahnelte wie ein jungerer Bruder. Das gleiche schwarze Haar, auch wenn Pascoe es nach der neuen Marinemode kurzgeschnitten trug, nicht in einem Nackenzopf. Die gleiche Rastlosigkeit: eben noch ernst und in sich gekehrt, und gleich darauf voll jugendlichem Feuer. Kein Wunder mit 21 Jahren, dachte Keen. Trotzdem — ohne einen Krieg, der seinen Zoll an Menschenleben und Schiffen forderte, konnte Pascoe nur mit viel Gluck auf Beforderung oder ein eigenes Kommando hoffen.

Er begru?te den Flaggleutnant.»Nun, Mr. Pascoe, fanden Sie in der Admiralskajute alles zu Ihrer Zufriedenheit?»

Pascoe lachelte.»Aye, Sir. Wir haben vier der achteren Achtzehn-pfunder abgebaut und durch Rohrattrappen ersetzt, damit er reichlich Platz findet.»

Keen warf einen Blick zum Huttendeck hinauf.»Wie ich ihn kenne, ware er auch mit zehn Schritten Auslauf zufrieden. Hauptsache, er kann irgendwo auf und ab marschieren, um sich beim Nachdenken Bewegung zu verschaffen.»

Scheinbar zusammenhanglos sagte Pascoe:»Ich sehe nicht ein, welchen Sinn unsere Mission hat, Sir. Wir haben gekampft, bis der Feind eine Atempause brauchte, um sich zu erholen, und trotzdem halt es unsere Regierung fur richtig, jetzt fast alle Besitzungen zuruckzugeben, die wir den Franzosen abgerungen haben. Mit Ausnahme von Ceylon und Trinidad haben wir auf alles verzichtet und konnen uns nicht einmal dazu durchringen, Malta endgultig zu behalten. Jetzt geht auch San Felipe zum Teufel, und der Admiral mu? diese schmutzige Arbeit sogar eigenhandig besorgen.»

Keen musterte den jungen Mann ernst.»Ein guter Rat, Mr. Pascoe. «Er sah Pascoe trotzig den Kopf heben, gewahrte das vertraute Aufbegehren in seinen Augen. Doch unbeirrt fuhr er fort:»In der Messe konnen Offiziere ihre privaten Ansichten frei diskutieren, vorausgesetzt, nichts davon kommt der Mannschaft zu Ohren. Aber das gilt nicht fur den Kommandanten und den Flaggleutnant; wir mussen Zuruckhaltung uben. Ich vermute, Ihr Wunsch. Ihrem Onkel zu dienen, war so stark, da? Sie diesen Posten eher um seinet- als um Ihretwillen ubernommen haben?»

Keen sah an Pascoes Gesicht, da? er ins Schwarze getroffen hatte. Er setzte hinzu:»Der Auftrag eines Marineoffiziers unterscheidet sich grundlich von dem eines Adjutanten. Sie mussen diskret sein, sogar vorsichtig, denn es wird immer Zuhorer geben, die sich Ihr Vertrauen erschleichen wollen. «Er zogerte, sprach dann aber weiter, weil er es fur wichtig hielt.»Manche konnten Ihrem Onkel ubelwollen. Fallen Sie deshalb kein Urteil in Dingen, die Sie nicht andern konnen. Andernfalls ware es besser fur Sie beide, wenn Sie sich umgehend an Land bringen lie?en und den Hafenadmiral von Spithead um Ihre Versetzung baten.»

Wieder lachelte Pascoe:»Ich danke Ihnen, Sir. Das habe ich verdient. Aber ich wurde meinen Onkel niemals im Stich lassen, weder jetzt noch in Zukunft. Er bedeutet mir viel.»

Keen nahm den ungewohnlichen Gefuhlsausbruch des jungen Leutnants gelassen auf. Pascoes Geschichte war ihm gro?tenteils bekannt: unehelich geboren, war er der Sohn von Bolithos totem Bruder Hugh, einem Abtrunnigen und Verrater, der sich auf die Seite der amerikanischen Rebellen geschlagen und einen feindlichen Freibeuter befehligt hatte — mindestens ebenso kuhn wie John Paul Jones. Fur Bolitho mu?te das eine gro?e Belastung sein, und auch fur diesen jungen Offizier, den seine sterbende Mutter ausgeschickt hatte, seinen einzigen Onkel zu suchen, als letzte Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Leise sagte Keen:»Ich verstehe schon. Vielleicht besser, als Sie glauben.»

Der Midshipman[2] der Wache hastete quer ubers Deck auf sie zu und gru?te nervos. Keen erinnerte sich, da? auch er neu angemustert hatte.»Sir, da legt ein Boot von der Werft ab«, stammelte der Junge.

Keen spahte durch das Gitter der Webeleinen.

Ein werfteigenes Boot pullte bereits auf den verankerten Zweidecker zu. Keen sah Sonnenlicht von Goldepauletten und Zweispitz reflektieren und wurde von Panik gepackt. Typisch Bolitho, da? er es nicht abwarten konnte, bis ihn sein eigenes Boot abholen kam. Also hatte er es eilig, den Auftrag anzupacken, ob der ihm nun behagte oder nicht.

Mit unbewegtem Gesicht sagte er zu dem Jungen:»Empfehlung an den Offizier der Wache, Mr. - ah.«»Puxley, Sir.»

«Also, Mr. Puxley, pfeifen Sie die Ehrenwache an die Pforte. «Er packte den Jungen, der zur Achterdecksleiter rennen wollte, und fugte hinzu:»Gehen, Mr. Puxley, nicht rennen!»

Pascoe wandte sich ab, um ein Grinsen zu verbergen. Genau das hatte Bolitho wahrscheinlich zu Keen gesagt, als dieser noch ein kleiner Kadett gewesen war. Er selbst hatte es oft genug zu horen bekommen.

Als die Bootsmannsgehilfen durch die Decks eilten und ihre Pfeifen zwitschern lie?en, stapften die Marinesoldaten zur Eingangspforte; ihre roten Uniformrocke mit den gekreuzten wei?en Brustriemen leuchteten bunt aus dem Gewuhl der Matrosen.

Keen winkte den wachhabenden Offizier heran und sagte unwirsch:»Vielleicht, Mr. Mountsteven, machen Sie sich kunftig die Muhe, rechtzeitig nach Ihren Vorgesetzten Ausschau zu halten.»

Pascoe druckte den Hut fester auf sein rebellisches Haar. Auch das hatte Bolitho genauso gesagt.

Keen schritt zur Pforte und blickte dem Boot entgegen. Im Heck konnte er Bolitho sitzen sehen, den alten Sabel zwischen den Knien. Wenn er ohne die ehrwurdige Familienwaffe an Bord gekommen ware, hatte Keen das als Sakrileg empfunden.

Und da war auch Allday; vierschrotig und wachsam, musterte er die Bootscrew mit angewidertem Blick. Wie hatte der Ehrenwerte Oliver Browne; Pascoes Vorganger, ihr altes Geschwader bezeichnet? Als >happy few

«Danke, Mr. Quantock.»

Keen hatte sich in seinen ersten Wochen an Bord, wahrend das Schiff uberholt wurde, mit Vorsicht durch die Listen, Stammrollen und Logbucher gearbeitet. Zwar unterstand nicht zum erstenmal ein Schiff seinem Befehl, aber fur diese Mannschaft war er ein unbeschriebenes Blatt. Ehe er sich nicht ihre Achtung errungen hatte, setzte er nichts als selbstverstandlich voraus.

Der Erste Offizier sah kurz.nach vorn zum Signalfahnrich am Fu? des Fockmasts und sagte leise, wie zu sich selbst:»Ich wette, das alte Kathchen hat nie damit gerechnet, noch einmal Flaggschiff zu werden.»

Keen mu?te lacheln. Da hatte er etwas Neues erfahren. Das alte Kathchen? Ein Schiff, dem seine Leute einen solchen Kosenamen gaben, mu?te ein gutes Schiff sein.

Das Boot machte an den Gro?rusten fest, und Hauptmann Dewar von den Royal Marines[3] zog seinen Sabel. Wie stets ging Keen das leise, metallische Zischen unter die Haut. Es weckte Erinnerungen, war ein Akkord im Vorspiel zur Schlacht.

Noch einmal musterte der Kommandant sein Schiff. Alle Freiwachter waren vom Schanzkleid zuruckgewichen, und selbst die Toppgasten, die oben in den Rahen arbeiteten, hielten inne und starrten zur Pforte hinunter.

Die kleinen Trommelbuben der Marine-Infanterie hoben ihre Schlagstocke, die Bootsmannsgehilfen befeuchteten die Lippen fur ihre Signalpfeifen.

Ebenso stolz wie nervos trat Keen nach vorn; das Ganze war unwichtig — und doch entscheidend.

Bolithos Zweispitz erschien oberhalb der geschrubbten Grating, die Pfeifen schrillten und zwitscherten, und Hauptmann Deward bellte:»Royal Marines — prasentiert das Gewehr!»

Beim letzten Wort, als die wei?en Ton Wolkchen von den hochgerissenen Musketenriemen aufstiegen, intonierten die Querpfeifen die alte Weise vom

Gemeinsam machten sie Front nach vorn, wo die Admiralsflagge schneidig zum Fockmasttopp aufstieg und auswehte.

Bolitho und Keen tauschten einen Handedruck.»Das Schiff macht Ihnen alle Ehre«, sagte der Vizeadmiral.

«Unsere Ehre sind Sie, Sir«, erwiderte Keen.

Bolitho musterte die starren Mienen der Seesoldaten, die nervosen, wachsamen Kadetten. Mit der Zeit wurde er sie kennenlernen, so wie sie ihn. Er stand wieder an Deck eines Schiffes, und der grune Schatten jenseits der Bucht, das Land, war nur noch eine Erinnerung.

Bolitho zupfte an seinem feuchten Hemd, dann setzte er abermals seine Unterschrift unter einen der vielen Briefe, die Yovell, sein pummeliger Sekretar, sauberlich aufgesetzt hatte.

Er sah sich in der geraumigen Achterkajute um, die viel gro?er war, als er in einem Schiff von dreizehnhundert Tonnen erwartet hatte.

Ozzard, sein schmachtiger Steward, schenkte ihm frischen Kaffee nach und huschte wieder davon, nach nebenan in seine Pantry. Falls er es bedauerte, die Sicherheit des Herrenhauses in Falmouth verlassen zu mussen, lie? er es sich jedenfalls nicht anmerken. Ozzard war ein Sonderling und ursprunglich Gehilfe in einer Anwaltskanzlei gewesen, ehe er das gefahrliche Leben bei der Kriegsmarine gewahlt hatte — nicht ganz freiwillig, wie manche behaupteten. Aber mochte er auch knapp dem Kerker entronnen sein, fur Bolitho war er Gold wert.

Dann wandte sich Bolitho zu Keen um, der an den offenen Heckfenstern stand; sein gutes Aussehen und geschliffenes Benehmen tauschten leicht daruber hinweg, da? er ein erfahrener, tuchtiger Marineoffizier war.

«Also, Val, was halten Sie davon?»

Keen drehte sich um, doch sein Gesicht blieb im Schatten.

«Ich habe die Seekarte studiert und bin mir jetzt daruber klar, welche Bedeutung die Insel San Felipe wahrend des Krieges hatte. Wer sie besitzt, ist fast unangreifbar. «Er zuckte die Schultern.»Eine weite Bucht schutzt die Festung, die von ihrem erhohten Standort alle Zufahrten beherrscht, notigenfalls auch die Stadt selbst. Mir ist unbegreiflich, warum wir sie den Franzosen zuruckgeben. «Dann dachte er an Pascoe und fugte hinzu:»Aber ich nehme an, Ihre Lordschaften sind besser informiert als ich.»

Bolitho schmunzelte.»Darauf wurde ich mich nicht verlassen, Val.»

Der Kaffee schmeckte gut. Bolitho fuhlte sich nach seiner ersten Nacht an Bord uberraschend frisch und ausgeruht. Die Reise mit der Kutsche war anstrengend gewesen, und die vielen Aufenthalte in Landgasthausern oder zum Pferdewechsel hatten ihm zu viel Zeit gelassen, an Belinda zu denken und sie zu vermissen.

Jetzt stellte das Schiff seine Anspruche, und das belebte ihn. Den Geruch nach frischer Farbe und Pech, nach Hanf und den funfhundert Offizieren, Matrosen und Soldaten auf engem Raum konnte er nicht ignorieren; er wollte es auch gar nicht.

Mit

Sparrowhawk

Wie gut konnte er sich Duncans rotes, gegerbtes Gesicht vorstellen, wenn er seine Order las! Auch er mu?te froh sein, mit seiner Fregatte in See gehen zu konnen, bevor sie ihm unter den Fu?en weg eingemottet wurde. Duncan hatte ebenso wie Keen zu seinem alten Geschwader gehort. Die beiden waren wie verlangerte Arme fur ihn.

Aber an eines konnte er sich nur schwer gewohnen: da? er nicht mehr auf die schriftlichen Befehle seines vorgesetzten Flaggoffiziers zu warten brauchte. Uber die Ungewi?heit seiner Rolle oder die Unfairness seiner Aufgabe mu?te er sich nicht mehr gramen. Jetzt lag die Entscheidung allein bei ihm, wann und wie zu handeln war. Und mit der Entscheidung auch die volle Verantwortung.

Er fugte hinzu:»Duncans Anwesenheit konnte den Schock der Bewohner von San Felipe etwas mildern. Ich bezweifle, da? der Gouverneur derselben Meinung ist wie das Parlament.»

Ozzard kam herbeigetrippelt und wartete, bis Bolitho ihn zur Kenntnis nahm. Er erinnerte an einen eifrigen Maulwurf, wie er so seine Hande vor der Brust baumeln lie?.

«Bitte um Entschuldigung, Captain«, sagte er zu Keen,»doch der Erste Offizier la?t sich empfehlen und Ihnen melden, da? der Wind umgesprungen, aber immer noch sehr leicht ist.»

Keen grinste zu Bolitho hinuber.»Ich habe ihm gesagt, er soll mich gleich verstandigen. Es ist nur ein Hauch, aber wenigstens konnen wir jetzt den Anker ausbrechen. Mit Ihrer Erlaubnis, Sir?»

Bolitho nickte, von der Erregung angesteckt.»Yovell, bringen Sie meine Depeschen zum Werftboot, das langsseits liegt.»

Er sah den Sekretar seinen letzten Brief an Belinda mit besonderer Sorgfalt davontragen. Den wurde sie lesen, wenn die

Durch das offene Skylight konnte er Keens Stimme horen, das Trillern der Bootsmannspfeifen und das Klatschen nackter Fu?e auf trok-kenen Planken; die Seeleute hasteten auf Stationen.

Bolitho zwang sich, weiter ruhig sitzen zu bleiben und Kaffee zu schlurfen. Keen hatte genug am Hals, wenn er das fur ihn neue Schiff zum erstenmal in Fahrt brachte, weg vom bedrohlichen Land. Dabei konnte er keinen Admiral brauchen, der ihm uber die Schulter sah.

Wie oft hatte er selbst an der Querreling des Huttendecks gestanden, voll Hoffnung und mit erregt klopfendem Herzen, wahrend er sich den Kopf zermarterte, ob er nicht etwas vergessen hatte, fur das es jetzt ohnehin zu spat war.

Taljen knarrten. Tauwerk quietschte in unzahligen Blocken, und ganz schwach, scheinbar von weither, horte Bolitho die Fiedel wimmern, auf der ein Shantyman den arbeitenden Matrosen den Takt angab.

Keuchend kam Yovell zuruck.»Alle Depeschen unterwegs zur Kuste, Sir«, meldete er mit seinem weichen Devon-Akzent.

Auch Keen trat wieder ein, den Hut unter den Arm geklemmt.

«Anker ist kurzstag, Sir. Wurden Sie mir vielleicht an Deck Gesellschaft leisten? Es tate den Leuten gut. Sie jetzt in ihrer Mitte zu sehen.»

Bolitho dankte ihm lachelnd, und dann fiel Keens Blick auf Pascoe.

«Eines verstehe ich nicht, Sir. Gerade eben wurde durch Kurier dieser Brief fur den Flaggleutnant gebracht. Er kam gerade noch rechtzeitig.»

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